BGE 56 III 202
51. Entscheid vom 16. November 1930 i. S. Stadt Wien.
Regeste:
Unzulässigkeit, von einem im Ausland wohnhaften Schuldner unter Androhung von
Straffolgen Auskunft i. S. von Art. 91
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 91 - 1 Der Schuldner ist bei Straffolge verpflichtet: |
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1 | Der Schuldner ist bei Straffolge verpflichtet: |
1 | der Pfändung beizuwohnen oder sich dabei vertreten zu lassen (Art. 323 Ziff. 1 StGB179); |
2 | seine Vermögensgegenstände, einschliesslich derjenigen, welche sich nicht in seinem Gewahrsam befinden, sowie seine Forderungen und Rechte gegenüber Dritten anzugeben, soweit dies zu einer genügenden Pfändung nötig ist (Art. 163 Ziff. 1 und 323 Ziff. 2 StGB)180. |
2 | Bleibt der Schuldner ohne genügende Entschuldigung der Pfändung fern und lässt er sich auch nicht vertreten, so kann ihn das Betreibungsamt durch die Polizei vorführen lassen. |
3 | Der Schuldner muss dem Beamten auf Verlangen Räumlichkeiten und Behältnisse öffnen. Der Beamte kann nötigenfalls die Polizeigewalt in Anspruch nehmen. |
4 | Dritte, die Vermögensgegenstände des Schuldners verwahren oder bei denen dieser Guthaben hat, sind bei Straffolge (Art. 324 Ziff. 5 StGB) im gleichen Umfang auskunftspflichtig wie der Schuldner. |
5 | Behörden sind im gleichen Umfang auskunftspflichtig wie der Schuldner. |
6 | Das Betreibungsamt macht die Betroffenen auf ihre Pflichten und auf die Straffolgen ausdrücklich aufmerksam. |
L'Office ne saurait exiger qu'un débiteur qui habite à l'étranger lui
fournisse, sous les peines de droit, les indications prévues par l'art. 91 LP.
Da un debitore residente all'estero l'Ufficio non può esigere, sotto
comminatoria degli effetti di legge, le informazioni di cui all'art. 91 LEP.
A. - Am 25. Juni 1930 erwirkte der Rekursgegner gegen die Rekurrentin einen
Arrestbefehl, in welchem als Arrestgegenstände bezeichnet wurden:
«Kontokorrentguthaben, Depositen, Guthaben irgendwelcher Art, speziell Fonds
zur Zinsentilgung, Wertschriften und andere Valoren, Tresorinhalt der
Schuldnerin bei der Schweiz. Kreditanstalt Zürich 1...» Da die genannte Bank
jedoch jede Auskunft verweigerte, arrestierte das Betreibungsamt lediglich
«Guthaben irgendwelcher Art bei der Schweiz. Kreditanstalt» und teilte dem
Gläubiger bei Zustellung der Arresturkunde mit, der Arrestbefehl werde im
übrigen erst vollzogen, wenn er, der Gläubiger, die zu einer gehörigen
Spezifikation erforderlichen Angaben gemacht habe. Nachdem das Betreibungsamt
auch ein Begehren des Gläubigers abgelehnt hatte, den Magistrat der Stadt Wien
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aufzufordern, die nötige Auskunft zu erteilen und die Bank zur Öffnung der
Tresorfächer anzuweisen, reichte der Gläubiger die vorliegende Beschwerde ein
mit dem Antrag, das Betreibungsamt zu verpflichten, den Magistrat der Stadt
Wien zur Auskunfterteilung über den Vermögensbestand bei der Schweiz.
Kreditanstalt in Zürich anzuhalten und diese Aufforderung mit der gesetzlichen
Strafandrohung zu versehen.
B. - Während die erste Instanz die Beschwerde abgewiesen hatte, schützte die
obere kantonale Aufsichtsbehörde dieselbe mit Entscheid vom 10. Oktober 1930.
Gegen diesen letztern richtet sich der vorliegende Rekurs der Schuldnerschaft,
mit welchem die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
In seinem Entscheid BGE 56 III 44 f. hat das Bundesgericht allerdings Art. 91
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 91 - 1 Der Schuldner ist bei Straffolge verpflichtet: |
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1 | Der Schuldner ist bei Straffolge verpflichtet: |
1 | der Pfändung beizuwohnen oder sich dabei vertreten zu lassen (Art. 323 Ziff. 1 StGB179); |
2 | seine Vermögensgegenstände, einschliesslich derjenigen, welche sich nicht in seinem Gewahrsam befinden, sowie seine Forderungen und Rechte gegenüber Dritten anzugeben, soweit dies zu einer genügenden Pfändung nötig ist (Art. 163 Ziff. 1 und 323 Ziff. 2 StGB)180. |
2 | Bleibt der Schuldner ohne genügende Entschuldigung der Pfändung fern und lässt er sich auch nicht vertreten, so kann ihn das Betreibungsamt durch die Polizei vorführen lassen. |
3 | Der Schuldner muss dem Beamten auf Verlangen Räumlichkeiten und Behältnisse öffnen. Der Beamte kann nötigenfalls die Polizeigewalt in Anspruch nehmen. |
4 | Dritte, die Vermögensgegenstände des Schuldners verwahren oder bei denen dieser Guthaben hat, sind bei Straffolge (Art. 324 Ziff. 5 StGB) im gleichen Umfang auskunftspflichtig wie der Schuldner. |
5 | Behörden sind im gleichen Umfang auskunftspflichtig wie der Schuldner. |
6 | Das Betreibungsamt macht die Betroffenen auf ihre Pflichten und auf die Straffolgen ausdrücklich aufmerksam. |
SchKG auch für den Arrestvollzug insofern als anwendbar erklärt, als in einem
Fall, wo dem Betreibungsamt die Arrestierung von bei einer bestimmten Bank
hinterlegten Wertschriften anbefohlen werden sei, der Schuldner bei Straffolge
verpflichtet sei, über Bestand und Umfang eines solchen Depots Auskunft zu
erteilen und die deponierten Wertpapiere dem Betreibungsamt zur Spezifikation
und Schätzung zur Verfügung zu stellen bezw. das Tresorfach öffnen zu lassen.
Es fragt sich nun, ob diese Bestimmung auch gegenüber einem im Ausland
wohnhaften Schuldner gilt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz muss diese
Frage jedoch verneint werden:
Die Androhung von Straffolgen für den Fall des Ungehorsams gegenüber einer
amtlichen Verfügung bedeutet unzweifelhaft Ausübung eines Zwanges. Die
Zwangsgewalt eines Staates bezw. seiner Organe beschränkt sich indessen gemäss
einem allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechtes das Inland und kann
nicht über die
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Landesgrenze hinaus ausgeübt werden, jedenfalls nicht gegenüber Ausländern
(vgl. LISZT, Völkerrecht, 9. A. S. 75). Ob und inwieweit nun durch die
inländische Gesetzgebung Ausnahmen von diesem Grundsatz vorgesehen werden
können, mag dahingestellt bleiben, denn jedenfalls besteht für Fälle der
vorliegenden Art keine derartige Sondervorschrift. Wenn die Vorinstanz
demgegenüber darauf verweist, dass Art. 91 in Art. 275 ausdrücklich als
anwendbar erklärt werde, so setzt sie voraus, was erst noch zu beweisen wäre,
nämlich, dass Art. 91 auch gegenüber dem im Ausland wohnhaften Schuldner
gelte. Eine dahinzielende Absicht des Gesetzgebers ist nun nicht schon damit
dargetan, dass weder Art. 91 noch 275 einen ausdrücklichen Vorbehalt zu
Gunsten des im Ausland wohnhaften Schuldners aufweisen; vielmehr hätte es im
Hinblick auf den erwähnten völkerrechtlichen Grundsatz einer ausdrücklichen
gegenteiligen Erklärung bedurft. Eine solche fehlt jedoch.
Unbehelflich ist auch der Hinweis darauf, dass Art. 271 Ziff. 4
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 271 - 1 Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:469 |
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1 | Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:469 |
1 | wenn der Schuldner keinen festen Wohnsitz hat; |
2 | wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft; |
3 | wenn der Schuldner auf der Durchreise begriffen ist oder zu den Personen gehört, welche Messen und Märkte besuchen, für Forderungen, die ihrer Natur nach sofort zu erfüllen sind; |
4 | wenn der Schuldner nicht in der Schweiz wohnt, kein anderer Arrestgrund gegeben ist, die Forderung aber einen genügenden Bezug zur Schweiz aufweist oder auf einer Schuldanerkennung im Sinne von Artikel 82 Absatz 1 beruht; |
5 | wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen provisorischen oder einen definitiven Verlustschein besitzt; |
6 | wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt. |
2 | In den unter den Ziffern 1 und 2 genannten Fällen kann der Arrest auch für eine nicht verfallene Forderung verlangt werden; derselbe bewirkt gegenüber dem Schuldner die Fälligkeit der Forderung. |
3 | Im unter Absatz 1 Ziffer 6 genannten Fall entscheidet das Gericht bei ausländischen Entscheiden, die nach dem Übereinkommen vom 30. Oktober 2007473 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu vollstrecken sind, auch über deren Vollstreckbarkeit.474 |
überhaupt einen Arrest zulässt, «wenn der Schuldner nicht in der Schweiz
wohnt»; denn mit der Arrestierung als solchen wird noch keine Zwangsgewalt
über die Landesgrenze hinaus ausgeübt. Dem im Ausland wohnhaften Schuldner
wird durch die Arrestlegung selbst noch kein bestimmtes Handeln zur Pflicht
gemacht, das er vom Ausland aus zu bewerkstelligen hätte, vielmehr wird damit
lediglich ermöglicht, auf das im Inland gelegene Vermögen des ausländischen
Schuldners zu greifen. Die Schaffung dieser Möglichkeit beruht ihrerseits auf
der Gebietshoheit des Schweiz, welcher sich auch der Ausländer wenigstens mit
dem Vermögen unterworfen hat, das er in die Schweiz verbrachte. Anderseits
setzt der Vollzug dieses sogenannten Ausländerarrestes keineswegs in jedem
Fall mit Notwendigkeit die Verletzung fremder Gebietshoheit voraus; nämlich
überall da nicht, wo das Betreibungsamt sich auch ohne Mithülfe des Schuldners
von der Existenz der Arrestobjekte überzeugen und deren
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Wert schätzen kann. Die blosse Zustellung der Betreibungsurkunden, die ja den
Schuldner noch nicht zu einem bestimmten persönlichen Verhalten verpflichten,
kann nicht als direkte Ausübung von Zwangsgewalt im Ausland betrachtet werden,
zumal wenn sie durch Vermittlung der ausländischen Behörden erfolgt.
Demnach erkennt die Schuldbetr. und Konkurskammer:
In Gutheissung des Rekurses wird der angefochtene Entscheid aufgehoben und die
Beschwerde abgewiesen.