S. 193 / Nr. 48 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 56 III 193

48. Entscheid vom 1. November 1930 i. S. Kanton Bern.

Regeste:
Absolut unpfändbar sind die Forderungen an Versicherungskassen für kantonale
oder Gemeindebeamte, wenn sie nach kantonalem Rechte nicht abtretbar sind, OR
Art. 362 Abs. 1.
Sont totalement insaisissables les créances contre les caisses d'assurance de
fonctionnaires cantonaux ou communaux lorsque, en vertu du droit cantonal,
elles sont incessibles (art. 362 al. 1er CO).
Sono impignorabili totalmente le prestazioni delle casse di assicurazioni di
impiegati cantonali o comunali quando sono incessibili a stregua del diritto
cantonale (art. 362 cap. 1 CO).

Mit der vorliegenden Beschwerde verlangen die Steuerbehörden des Kanton. Bern
die vom Betreibungsamt Biel abgelehnte Pfändung des das Existenzminimum
übersteigenden Teiles der Invalidenrente, die der Rekursgegner von der
Invaliden-, Witwen- und Waisen-Versicherungskasse für die ständigen Beamten,
Angestellten

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und Arbeiter der Einwohnergemeinde Biel bezieht. Art. 12 der Statuten dieser
Versicherungskasse bestimmt:
«Die Ansprüche auf Versicherungsleistungen, sowie die als
Versicherungsleistungen bezogenen Gelder dürfen weder gepfändet, noch mit
Arrest belegt, noch in eine Konkursmasse einbezogen werden. - Jede Abtretung
oder Verpfändung der Ansprüche auf Versicherungsleistungen ist nichtig...»
Die kantonale Aufsichtsbehörde hat am 30. September 1930 die Beschwerde
abgewiesen. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen: «Wenn ... eine Gemeinde
in die Statuten ihrer Beamtenhülfskasse eine Bestimmung aufnimmt, die in
Anlehnung an die Vorschriften der kantonalen Hülfskasse die Unpfändbarkeit und
Unveräusserlichkeit ihrer Kassenleistungen vorsieht, so befindet sie sich
damit im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach kantonalem Recht.»
Diesen Entscheid hat der Rekurrent an das Bundesgericht weitergezogen.
Die Schuldbetreiubngs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Pfändung einer Forderung setzt deren Abtretbarkeit voraus. Nicht nur kann
die betreibungsrechtliche Verwertung gepfändeter Forderungen nicht anders als
durch deren Übertragung, sei es gemäss Art. 131
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 131 - 1 Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
1    Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
2    Sind alle pfändenden Gläubiger einverstanden, so können sie oder einzelne von ihnen, ohne Nachteil für ihre Rechte gegenüber dem betriebenen Schuldner, gepfändete Ansprüche im eigenen Namen sowie auf eigene Rechnung und Gefahr geltend machen. Sie bedürfen dazu der Ermächtigung des Betreibungsamtes. Das Ergebnis dient zur Deckung der Auslagen und der Forderungen derjenigen Gläubiger, welche in dieser Weise vorgegangen sind. Ein Überschuss ist an das Betreibungsamt abzuliefern.261
SchKG oder auf dem Wege der
Versteigerung, stattfinden, sondern das Betreibungsamt kann auch nicht gemäss
Art. 100
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 100 - Das Betreibungsamt sorgt für die Erhaltung der gepfändeten Rechte und erhebt Zahlung für fällige Forderungen.
SchKG selbst Zahlung für nicht abtretbare Forderungen erheben, weil
der Schuldner des Betriebenen der in Art 99
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 99 - Bei der Pfändung von Forderungen oder Ansprüchen, für welche nicht eine an den Inhaber oder an Order lautende Urkunde besteht, wird dem Schuldner des Betriebenen angezeigt, dass er rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten könne.
SchKG vorgesehenen Anzeige, dass
er rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten könne, ohne Gefahr
zuwiderhandeln kann, da er ja der Doppelzahlung nur im Fall ausgesetzt ist,
dass er später noch von jemand anderem als seinem ursprünglichen Gläubiger
(dem Betriebenen) belangt werden könnte, auf den die Forderung übertragen
worden wäre, was eben deren Übertragbarkeit voraussetzt.
Abgetreten werden kann nach Art. 164
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
OR eine

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Forderung nur, soweit nicht das Gesetz entgegensteht, worunter jede
zuständigerweise aufgestellte Rechtsvorschrift zu verstehen ist, und zwar wird
nicht etwa eine Beschränkung nur zugunsten bundesrechtlicher Abtretungsverbote
gemacht. Da die öffentlichen Beamten und Angestellten, soweit es nicht solche
des Bundes sind, unter dem öffentlichen Rechte der Kantone stehen (Art. 362
Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 362 - 1 Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
1    Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
2    Abreden sowie Bestimmungen von Normalarbeitsverträgen und Gesamtarbeitsverträgen, die von den vorstehend angeführten Vorschriften zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen, sind nichtig.
OR), kommt es auch den Kantonen zu, zu bestimmen, ob die für ihre
öffentlichen Beamten und Angestellten aus dem Beamtenverhältnis, sei es einem
gegenwärtigen oder früheren, erwachsenden Geldforderungen höchstpersönlich und
daher nicht abtretbar seien (vgl. FLEINER, Deutsches Verwaltungsrecht, 8.
Auflage, S. 155). Tun sie es, so folgt hieraus nach dem Ausgeführten die
Unpfändbarkeit ohne weiteres und notwendigerweise. Von dieser Befugnis hat der
Kanton Bern für seine eigenen Beamten durch den von der Vorinstanz angeführten
§ 23 des Dekretes über die Hülfskasse für die Beamten, Angestellten und
Arbeiter der Staatsverwaltung vom 9. November 1920 Gebrauch gemacht. Für die
Beamten usw. der Gemeinden des Kantons Bern aber eine ähnliche Ordnung
aufzustellen, sind nach der von der Vorinstanz gegebenen, für das
Bundesgericht verbindlichen Auslegung des bernischen Staatsrechtes die
betreffenden Gemeinden selbst zuständig, und diese ist durch den Vorbehalt des
Art. 362 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 362 - 1 Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
1    Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
2    Abreden sowie Bestimmungen von Normalarbeitsverträgen und Gesamtarbeitsverträgen, die von den vorstehend angeführten Vorschriften zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen, sind nichtig.
OR ebenfalls gedeckt. Dass es im Bundesstaate nur natürlich
ist, wenn das Bundesprivatrecht in dieser Weise vor dem partikularen
Beamtenrecht zurücktritt, zeigt übrigens Art. 81 (in Verbindung mit 80) des
Einführungsgesetzes des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, wo der Vorbehalt
zugunsten des Beamtenrechtes der Länder eine nähere Ausgestaltung erfahren
hat, u. a. ausdrücklich betreffend die Frage der Übertragbarkeit der Ansprüche
der Beamten auf Ruhegehalt.
Demnach erkennt die Schuldbetr-. und Konkurskammer: Der Rekurs wird
abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 III 193
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 01. November 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 III 193
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Absolut unpfändbar sind die Forderungen an Versicherungskassen für kantonale oder Gemeindebeamte...


Gesetzesregister
OR: 164 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 164 - 1 Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
1    Der Gläubiger kann eine ihm zustehende Forderung ohne Einwilligung des Schuldners an einen andern abtreten, soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen.
2    Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, das ein Verbot der Abtretung nicht enthält, kann der Schuldner die Einrede, dass die Abtretung durch Vereinbarung ausgeschlossen worden sei, nicht entgegensetzen.
362
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 362 - 1 Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
1    Durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag darf von den folgenden Vorschriften nicht zuungunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers abgewichen werden:233
2    Abreden sowie Bestimmungen von Normalarbeitsverträgen und Gesamtarbeitsverträgen, die von den vorstehend angeführten Vorschriften zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen, sind nichtig.
SchKG: 99 
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 99 - Bei der Pfändung von Forderungen oder Ansprüchen, für welche nicht eine an den Inhaber oder an Order lautende Urkunde besteht, wird dem Schuldner des Betriebenen angezeigt, dass er rechtsgültig nur noch an das Betreibungsamt leisten könne.
100 
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 100 - Das Betreibungsamt sorgt für die Erhaltung der gepfändeten Rechte und erhebt Zahlung für fällige Forderungen.
131
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 131 - 1 Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
1    Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
2    Sind alle pfändenden Gläubiger einverstanden, so können sie oder einzelne von ihnen, ohne Nachteil für ihre Rechte gegenüber dem betriebenen Schuldner, gepfändete Ansprüche im eigenen Namen sowie auf eigene Rechnung und Gefahr geltend machen. Sie bedürfen dazu der Ermächtigung des Betreibungsamtes. Das Ergebnis dient zur Deckung der Auslagen und der Forderungen derjenigen Gläubiger, welche in dieser Weise vorgegangen sind. Ein Überschuss ist an das Betreibungsamt abzuliefern.261
BGE Register
56-III-193
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
abtretbarkeit • gemeinde • betreibungsamt • kantonales recht • bundesgericht • vorinstanz • biel • schuldbetreibungs- und konkursrecht • öffentliches personalrecht • betreibung auf pfändung • arbeitnehmer • entscheid • geld • existenzminimum • invalidenrente • nichtigkeit • waise • erwachsener • bezogener • weiler
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