S. 110 / Nr. 26 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 56 III 110

26. Auszug aus dem Entscheid vom 3. Juni 1930 i. S. D r X.

Regeste:
Strafcharakter der in Art. 63 Abs. 2 des Gebührentarifs vorgesehenen
Kostenauflage wie der Busse.
Erlöschen des Disciplinarstrafanspruches, wenn der Fehlbare stirbt, bevor eine
rechtskräftige Strafverfügung vorliegt.
Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen im Beschwerdeverfahren.
La condamnation aux frais de chancellerie prévue à l'art. 63 al. 2 du Tarif
des frais revêt un caractère pénal aussi bien que la condamnation à l'amende.
Cette condamnation tombe si celui contre qui elle a été prononcée décède avant
qu'elle ait acquis force de chose jugée.
Moment auquel les décisions en matière de plainte acquièrent force de chose
jugée.
La condanna alle spese di cancelleria prevista dall'art. 63 cp. 2 della
tariffa delle spese ha carattere penale quanto la condanna al pagamento d'una
multa.
Questa condanna cade se colui al quale fu inflitta muore prima che sia
cresciuta in giudicato.
Momento in cui una decisione concernente un ricorso diventa irrevocabile.

Tatbestand (gekürzt):
Mit Beschluss vom 11. April 1930 hat die kantonale Aufsichtsbehörde eine von
Rechtsanwalt Dr. X namens seines Klienten Y gegen einen Entscheid der ersten
Instanz eingereichten Rekurs abgewiesen und Rechtsanwalt Dr. X die
Kanzleikosten nebst einer Ordnungsbusse auferlegt. Bussenverfügung und
Kostenauflage wurden von Dr. X

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rechtzeitig an das Bundesgericht weitergezogen. Mit Zuschrift vom 24. Mai 1930
gab die Vorinstanz von dem am 21. Mai erfolgten Tod des Dr. X Kenntnis und
fügte bei, sie habe die erwähnte Busse aufgehoben.
Die von der Vorinstanz aufrecht erhaltene Kostenauflage wurde vom
Bundesgericht ebenfalls aufgehoben aus folgenden
Erwägungen:
Die in Art. 63 Abs. 2 des Gebührentarifes vorgesehene Kostenauflage hat, wie
die Verhängung einer Busse, Strafcharakter; auch sie knüpft an ein zu rügendes
Verhalten einer Partei oder ihres Vertreters an und bezweckt die Ahndung einer
ungehörigen Inanspruchnahme der Behörden; sie kann denn auch nach dem Sinn der
Vorschrift - deren Wortlaut ist allerdings in dieser Hinsicht nicht eindeutig
- für sich allein, unabhängig von einer Busse, verhängt werden. Infolge dieses
Strafcharakters ist die Kostenauflage (wie die Busse) insofern
höchstpersönlicher Natur, als sie nur gegenüber der betreffenden Person
selbst, nicht etwa ihrem Nachlass gegenüber verhängt werden darf. Wenn nun im
Strafrecht der Satz gilt, dass der Strafanspruch infolge seiner
höchstpersönlichen Natur durch den Tod des Fehlbaren aufgehoben werde, so muss
dieser Satz aus dem gleichem Grund auch auf dem Gebiet des
Disziplinarstrafrechtes zur Anwendung gelangen. Zu der Kontroverse, ob
wenigstens Geldstrafen, die noch vor dem Tod des Fehlbaren rechtskräftig
erkannt worden sind, in dessen Nachlass vollstreckt werden können, braucht
hier nicht Stellung genommen zu werden, da die Strafverfügung im Moment des
Todes von Rechtsanwalt Dr. X noch gar nicht rechtskräftig war:
Rechtskräftig ist ein Entscheid erst dann, wenn er durch kein ordentliches
Rechtsmittel mehr weitergezogen werden kann und infolgedessen den Streitfall
endgültig abschliesst. Dieser Grundsatz des Zivilprozessrechtes liegt auch der
Regelung des Beschwerdeverfahrens im

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Betreibungsgesetz zu Grunde. Daran ändert es nichts, dass das ordentliche
Rechtsmittel des Beschwerdeverfahrens, der Rekurs, nach der Vorschrift des
Art. 36
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 36 - Eine Beschwerde, Weiterziehung oder Berufung hat nur auf besondere Anordnung der Behörde, an welche sie gerichtet ist, oder ihres Präsidenten aufschiebende Wirkung. Von einer solchen Anordnung ist den Parteien sofort Kenntnis zu geben.
SchKG an sich keinerlei Suspensiveffekt hat, dass der Entscheid
vielmehr schon vor Ablauf der Rechtsmittelfrist und trotz Einlegung eines
Rechtsmittels vollstreckt werden kann, solange nicht seitens der Rekursinstanz
oder deren Vorsitzenden eine gegenteilige Anordnung ergangen ist. Denn die
Vollstreckbarkeit ist weder Bestandteil noch Voraussetzung der Rechtskraft und
kann daher ohne Einfluss auf den Eintritt der Rechtskraft so oder anders
geregelt werden (vgl. HELLWIG, System des deutschen Zivilprozessrechtes, I.
Teil, S. 772). Übrigens ist die nach Art. 36
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 36 - Eine Beschwerde, Weiterziehung oder Berufung hat nur auf besondere Anordnung der Behörde, an welche sie gerichtet ist, oder ihres Präsidenten aufschiebende Wirkung. Von einer solchen Anordnung ist den Parteien sofort Kenntnis zu geben.
SchKG vor Eintritt der
Rechtskraft des Entscheides vorhandene Vollstreckbarkeit keine endgültige,
sondern nur eine vorläufige. Wird der Entscheid infolge Einlegung eines
Rechtsmittels nachträglich abgeändert, so muss eine bereits erfolgte
Vollstreckung des aufgehobenen Entscheides wieder rückgängig gemacht werden,
soweit dies überhaupt noch möglich ist. Dieser Vorbehalt ist nur wegen seiner
Selbstverständlichkeit nicht ausdrücklich im Gesetz formuliert worden.
Dieser Auffassung vom Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen im
Beschwerdeverfahren können nicht etwa die beiden Urteile der staatsrechtlichen
Abteilung des Bundesgerichtes in Bd. 46 I S. 366 Erw. 1, bestätigt in Bd. 47 I
S. 205 entgegengehalten werden. Allerdings wird hier erklärt, dass ein
Konkurserkenntnis schon mit der Ausfällung durch den erstinstanzlichen
Konkursrichter Rechtskraft erlange. Doch beziehen sich diese Entscheidungen
nur auf den besondern Fall der Berufung gegen ein Konkurserkenntnis und
präjudizieren daher den Entscheid über die Wirkungen des Rekurses im
Beschwerdeverfahren nicht, ganz abgesehen davon, dass den besondern Gründen,
welche für jene Lösung ins Feld geführt wurden (nämlich die Rücksicht auf das
mit der Konkurseröffnung entstehende Beschlagsrecht der Gläubigergesamtheit an

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den Aktiven des Gemeinschuldners), im Beschwerdeverfahren keine Bedeutung
zukommt.
Nach dem Gesagten ist der Strafanspruch infolge des Todes von Rechtsanwalt Dr.
X erloschen, bevor die Strafverfügung Rechtskraft erlangt hat. Der
angefochtene Entscheid der Vorinstanz muss daher in diesem Punkt aufgehoben
werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 III 110
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 03. Juni 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 III 110
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Strafcharakter der in Art. 63 Abs. 2 des Gebührentarifs vorgesehenen Kostenauflage wie der...


Gesetzesregister
SchKG: 36
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 36 - Eine Beschwerde, Weiterziehung oder Berufung hat nur auf besondere Anordnung der Behörde, an welche sie gerichtet ist, oder ihres Präsidenten aufschiebende Wirkung. Von einer solchen Anordnung ist den Parteien sofort Kenntnis zu geben.
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56-III-110
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