S. 318 / Nr. 55 Erfindungsschutz (d)

BGE 56 II 318

55. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Juli 1930 i. S. Modern-Cinéma-Theater
A.-G. und Wyler gegen Tri-Ergon A.-G.


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Regeste:
Zivilrechtliche Beschwerde. Unter «Entscheidungen in einer Zivilsache» gemäss
Art. 87 OG fallen auch Entscheide über prozessuale Präjudizialpunkte, sofern
das zugrundeliegende Streitverhältnis als solches zivilrechtlicher Natur ist
(i. c. vorsorgliche Verfügung zur Aufrechterhaltung des tatsächlichen
Zustandes vor Anhängigmachung eines Rechtsstreites) (Erw. 1).
Das Patentgesetz (Art. 43) schliesst den Erlass vorsorglicher Verfügungen zur
Aufrechterhaltung des tatsächlichen Zustandes vor Anhängigmachung einer Zivil-
oder Strafklage kraft kantonalen Rechtes nicht aus (Erw. 2-6).

A. - Im Jahre 1921 erteilte das Eidg. Amt für Geistiges Eigentum den Herren
Vogt, Engl und Masolles ein Patent (Nr. 95689) für eine Vorrichtung zur
synchronen Aufnahme «optisch-akustischer Vorgänge und deren Wiedergabe
mittelst konstanter Lichtquelle». Das Patent wurde in der Folge an die
Tri-Ergon A.-G. in Zürich übertragen.
Als die Modern-Cinéma A.-G. im August 1929 sich anschickte, in ihrem
Apollo-Kino-Theater in Zürich sog. Fox-Ton-Filme unter Benützung einer
Apparatur der Radio Corporation of America aufzuführen, setzte sich die
genannte Tri-Ergon A.-G. hiegegen zur Wehr. Sie erhob Strafklage gegen den
Geschäftsführer der Modern-Cinéma A.-G., Albert Wyler-Scotoni, und erwirkte am
20. August 1929 beim Audienzrichter des Bezirksgerichtes Zürich ein
provisorisches Verbot der weitern Vorführung, welches der Audienzrichter am
13. September 1929 auf

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Grund von § 292 Ziff. 2 der zürch. ZPO (wonach das Befehlsverfahren zulässig
ist «zur Aufrechterhaltung des tatsächlichen Zustandes vor Anhängigmachung
eines Rechtsstreites») dahin bestätigte, dass er verfügte: «1. Den Beklagten
wird im Sinne einer vorsorglichen Massnahme die weitere Vorführung der
Fox-Ton-Bild-Filme unter Benützung der Apparatur der Radio Corporation of
America verboten, dies unter Androhung von Zwangsvollzug und der Überweisung
an den Strafrichter wegen Ungehorsams für den Fall der Zuwiderhandlung. 2. Der
Klägerin wird aufgegeben, binnen 10 Tagen von der schriftlichen Mitteilung
dieser Verfügung an die Klage auf Geltendmachung ihrer Patentansprüche gegen
die Beklagten einzuleiten und binnen weitern 20 Tagen die Weisung an das
Handelsgericht einzureichen, dies unter der Androhung, dass sonst. die
vorliegende Verfügung erlöschen würde.» 3. und ff... (betrifft die von der
Klägerin zu leistende «Schadenskaution» von 30000 Fr. und die Kosten).
Noch vor Erlass dieser Verfügung hatte die Modern-Cinéma A.-G. gegen die
Tri-Ergon A.-G. beim Friedensrichteramt Zürich Klage erhoben mit dem
Rechtsbegehren, das Patent der Tri-Ergon A.-G. (Nr. 95689) sei als nichtig zu
erklären, und der Friedensrichter hatte ihr am 4. September 1929 bezüglich
dieser Streitsache die .Weisung an das Handelsgericht des Kantons Zürich
ausgestellt.
Gegen die Verfügung des Audienzrichters vom 13. September 1929 rekurrierten
beide Parteien an das Obergericht (die Beklagten gegen Dispositiv 1 und 3, und
die Klägerin gegen Dispositiv 2), und dieses hiess mit Beschluss vom 25.
Oktober 1929 den Rekurs der Beklagten gut und hob die Verfügung auf, weil
diese nicht auf die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes des
Streitgegenstandes gehe, sondern auf die Vollziehung eines von der Klägerin im
kommenden Prozess erstrebten Entscheides auf Unzulässigerklärung der das
klägerische Patent verletzenden Vorführungen der Beklagten.

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B. - Hiegegen erhob die Klägerin die Nichtigkeitsbeschwerde beim zürcherischen
Kassationsgericht, welches sie mit Beschluss vom 4. Februar 1930 dahin
guthiess, dass es das vom Audienzrichter in Dispositiv 1 seiner Verfügung vom
13. September 1929 aufgestellte Verbot bestätigte, und sodann verfügte: «3.
Die von der Klägerin bei der Auswirkung des provisorischen Befehls geleistete
Schadenskaution von 20000 Fr. wird auf 30000 Fr. erhöht... 4. Mit Bezug auf
das Begehren der Beklagten auf Erhöhung der Kaution und die Anträge der
Klägerin, Ziffer 2 der erstinstanzlichen Verfügung zu streichen und ihr eine
Prozessentschädigung zuzusprechen, werden die Akten zur Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.»
Zur Begründung seines Entscheides führte das Kassationsgericht im wesentlichen
folgendes aus: Auch im Anwendungsgebiet des eidg. Patentgesetzes können
Befehle im Sinne des § 292 der zürch. ZPO erlassen werden. Wenn das
Obergericht glaube, das streitige Spielverbot aus dem, Grunde verweigern zu
müssen, weil darin eine vorläufige Vollstreckung eines Urteils liege, so könne
dieser Auffassung nicht beigetreten werden. Sie würde zur Folge haben, dass
der Patentinhaber gegen Nachmachung (Nachahmung) der geschützten Erfindung so
lange schutzlos wäre, als nicht vom ordentlichen Richter die Gültigkeit des
Patentes festgestellt sein würde, so dass also die schutzlose Zeit Jahrelang
dauern könnte. Ein solcher Zustand sei aber mit dem eidg. Patentgesetz
(insbesondere angesichts seiner Art. 7 und 43) und der Bedeutung des
Patentschutzes nicht vereinbar. Art. 43 PatGes. komme allerdings nicht
unmittelbar zur Anwendung, weil er (seinem Wortlaute nach) den Erlass
vorsorglicher Massnahmen erst auf Grund, d. h. nach erfolgter Zivilklage
vorsehe. Allein diese vom eidg. Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelte
Angelegenheit, deren Ordnung dieser den Kantonen weder untersagt habe noch
habe untersagen wollen, sei im Sinne der Zulässigkeit eines

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Befehls im Sinne von § 292 der zürch. ZPO zu beurteilen; denn das Spielverbot
könne jedenfalls der Ziffer 3 dieses Paragraphen unterstellt werden, wonach
das Befehlsverfahren zulässig ist: «zur Erhaltung des tatsächlichen Zustandes
gegen versuchte oder drohende unerlaubte Selbsthülfe oder sonstige
eigenmächtige Eingriffe oder Störungen, namentlich zum Schutz des Besitzes».
Der «tatsächliche Zustand», welcher hier erhalten werden solle, bestehe darin,
dass der Staat dem Rechtsvorgänger der Klägerin für die streitige Erfindung
ein Patent erteilt habe. In diesem Zustande - der auch als quasi-Besitz
aufgefasst werden könne - werde die Klägerin von den Beklagten gestört, indem
diese sich über das klägerische Ausbeutungsmonopol hinwegsetzen, ohne die
richterliche Ungültigerklärung des Patentes abzuwarten. Der Mangel einer
Vorprüfung (betreffend Neuheit) bei der Patenterteilung ändere nichts daran,
dass der Patentinhaber auf den gesetzlichen Schutz so lange Anspruch habe, als
das Patent nicht durch den Richter als nichtig erklärt wird. Es sei Sache
desjenigen, der sich auf die Nichtigkeit berufe, sie durch den Richter
feststellen zu lassen. Die Auffassung, im Spielverbot liege eine vorläufige
Vollstreckung des Urteils des ordentlichen Richters, sei unzutreffend; denn
Gegenstand des ordentlichen Prozesses sei die Rechtsgültigkeit des Patentes,
Gegenstand des Verbotes aber die zeitweilige Benützung der Spielapparatur.
C. - Gegen diesen Beschluss des Kassationsgerichtes haben die Beklagten am 6.
März 1930 gestützt auf Art. 87 Ziff. 1 OG die zivilrechtliche Beschwerde an
das Bundesgericht ergriffen mit dem Begehren, es sei in Aufhebung des
angefochtenen Entscheides zu erkennen, dass es bei dem Beschlusse des
Obergerichtes des Kantons Zürich vom 25. Oktober 1929 sein Bewenden habe.
Eventuell sei die Angelegenheit zur nochmaligen Prüfung und Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Zur Begründung führen die Beklagten aus, das
Kassationsgericht habe zu Unrecht den § 292 der zürch. ZPO auf das

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vorliegende Streitverhältnis angewendet. Dieses werde ausschliesslich durch
die Vorschriften des eidg. Patentgesetzes beherrscht, welches jedoch (in
seinem Art. 43) eine vorsorgliche Verfügung erst nach Anhängigmachung einer
bezüglichen Zivilklage zulasse.
Die Klägerin, sowie das Kassationsgericht beantragen die Abweisung der
Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der zivilrechtlichen Beschwerde ist im
vorliegenden Falle zu bejahen. Die Beschwerde stützt sich auf Art. 87 Ziff. 1
OG mit der Behauptung, das Kassationsgericht habe seine Entscheidung zu
Unrecht auf kantonales statt auf eidgenössisches Recht gegründet, und es
handelt sich bei dieser Entscheidung auch um eine Zivilsache. Die Frage nach
der Zuständigkeit des kantonalen Richters im summarischen Verfahren, welche
den eigentlichen Gegenstand der Beschwerde bildet, ist allerdings eine solche
des Prozess- und nicht des Zivilrechtes. Allein, wie das Bundesgericht in
seiner neuern Praxis ständig entschieden hat (vgl. BGE 51 III S. 193 ff. Erw.
2 und die daselbst angeführten früheren Entscheide, sowie den ungedruckten
Entscheid der staatsrechtlichen Abteilung vom 4. Juni 1921 i. S. Michel A.-G.
ca. Konkursmasse Müller), setzt der Begriff der «Entscheidung in einer
Zivilsache» nach Art. 87 OG nicht voraus, dass die entschiedene Streitsache
selbst dem Zivilrecht angehöre, sondern es fallen darunter auch Entscheide
über prozessuale Präjudizialpunkte, wie die Zuständigkeit des angerufenen
Gerichtes, Verwirkung des Klagerechtes durch Fristablauf usw., sofern nur das
zugrundeliegende Streitverhältnis als solches zivilrechtlicher Natur ist. Das
ist aber hier der Fall: das zugrundeliegende Streitverhältnis beschlägt das
von der Befehlsklägerin gegenüber der Befehlsbeklagten geltend gemachte
Patentrecht und ist demzufolge als solches zivilrechtlicher Natur.

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2.- In der Sache selbst handelt es sich um die Frage, inwieweit das
eidgenössische Recht in Patentsachen dem kantonalen Prozessrecht derogiere.
Nun greift die eidg. Zivilgesetzgebung trotz der in Art. 64
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 64 Forschung - 1 Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung und die Innovation.30
1    Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung und die Innovation.30
2    Er kann die Förderung insbesondere davon abhängig machen, dass die Qualitätssicherung und die Koordination sichergestellt sind.31
3    Er kann Forschungsstätten errichten, übernehmen oder betreiben.
BV getroffenen
Kompetenzausscheidung, wonach die Gerichtsorganisation und das gerichtliche
Verfahren Sache der Kantone verbleibt, bekanntlich vielfach in dieses letztere
Gebiet ein, und das ist in einem erheblichen Masse gerade auch bei dem
Patentgesetz der Fall, welches dem Prozessverfahren in Patentsachen ein ganzes
Kapitel (Abschnitt III, Rechtsschutz, Art. 38-49) widmet. In Anlehnung an die
Art. 38 bis 42, welche von der bei Verletzungen des Patentgesetzes gegebenen
Zivil- und Strafklage handeln, befasst sich Art. 43 mit den von den
zuständigen Behörden auf Grund erfolgter Zivil- oder Strafklage zu treffenden
vorsorglichen Verfügungen, also gerade mit amtlichen Massnahmen, wie sie im
vorliegenden Falle zur Diskussion stehen, und es fragt sich nun, ob durch
diese Bestimmung der Erlass von vorsorglichen Verfügungen in Patentsachen
überhaupt abschliessend geregelt sei, so dass für die Verfügungskompetenz auf
Grund des kantonalen Rechts kein Raum mehr bleibt. Da es sich dabei um das
Gebiet der Gerichtsorganisation und des Prozessverfahrens handelt, ist im
Hinblick auf den in Art. 64
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 64 Forschung - 1 Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung und die Innovation.30
1    Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung und die Innovation.30
2    Er kann die Förderung insbesondere davon abhängig machen, dass die Qualitätssicherung und die Koordination sichergestellt sind.31
3    Er kann Forschungsstätten errichten, übernehmen oder betreiben.
BV enthaltenen Vorbehalt des kantonalen Rechts
grundsätzlich festzuhalten, dass die eidgenössische Regelung der in Rede
stehenden Materie nicht weiter reicht, als dies aus der Fassung und dem
vernünftigen Zweck der bundesgesetzlich getroffenen Anordnungen unzweifelhaft
hervorgeht; im Zweifel ist also zu Gunsten der Herrschaft des kantonalen
Rechtes zu entscheiden.
3.- Art. 43 PatGes. definiert den Begriff der «erforderlichen Verfügungen»
nicht näher. Er hebt lediglich hervor, dass zwei besonders genannte Massnahmen
darunter fallen können, nämlich erstens eine genaue Beschreibung der
nachgeahmten Erzeugnisse usw., und zweitens die Beschlagnahme (welch' letztere
von einer Kaution

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abhängig gemacht werden kann). Aber diese Hervorhebung ist nicht
abschliessend. Als massgebend für den Umfang und die Art der erforderlichen
Verfügungen kommt in erster Linie der Inhalt des subjektiven Rechts in
Betracht, welches das materielle Patentrecht dem Patentinhaber verleiht, und
darunter gehören insbesondere Ansprüche auf Unterlassung störender Handlungen.
Demnach wird es im Willen des Art. 43 PatGes. liegen, dass vorsorgliche
Verfügungen grundsätzlich überall da zulässig und eventuell geboten sein
sollen, wo ein materiellrechtlicher Unterlassungsanspruch des Patentinhabers
gegenüber Dritten besteht. Ein solcher Unterlassungsanspruch entsteht nun aber
nicht erst im Moment der Anhebung einer Zivil- oder Strafklage, sondern
bereits mit der Verleihung des Patentes (Art. 7 PatGes.), und es bestand
deshalb für den eidg. Gesetzgeber nach dieser Richtung kein innerer Grund, den
publizistischen Rechtsschutzanspruch auf vorsorgliche Verfügungen erst nach
erfolgter Klageeinleitung zu gewähren; wohl aber stund ihm frei, diesen
Rechtsschutz an bestimmte Voraussetzungen prozessualischer Natur zu knüpfen,
insbesondere hinsichtlich der Glaubhaftmachung des geltend gemachten
Unterlassungsanspruches, und dies führt nun zu der Frage, ob Art. 43 Pat. Ges.
eine solche prozessualische Voraussetzung des im Erlass vorsorglicher
Verfügungen liegenden summarischen Rechtsschutzes u. a. eben in der Tatsache
erblicke, dass in Hauptsachen bereits Zivil- oder Strafklage erhoben worden
sei?
4.- Der Wortlaut: «auf Grund erfolgter Zivil- oder Strafklage» scheint eher
hiefür zu sprechen, doch stösst die Annahme, dass dieser Wortlaut den Sinn der
Bestimmung vollständig erschöpfe, auf schwere Bedenken, wenn man erwägt, dass
die blosse Tatsache der erfolgten Zivil- oder Strafklage ja an und für sich
gar nicht geeignet ist, die Unterlassungsansprüche des Patentinhabers eher
glaubhaft zu machen und für die zu erlassende vorsorgliche Massnahme eine
bessere Grundlage zu schaffen, als

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die Darlegungen, mit welchen dieser vor dem kantonalen summarischen Richter
sein Begehren zu rechtfertigen hat. Für eine irgendwie ausreichende Grundlage
dieser Art wäre doch wohl nur dann vorgesorgt, wenn der zum Erlass der
Verfügung angesprochene Richter nicht schon nach Erhebung der Klage, sondern
erst nach Einreichung der Antwort auf diese einzuschreiten hätte und demnach
bestimmt wäre, dass er unter allen Umständen zuvor auch der Gegenpartei Gehör
gebe; das wird aber in der Fassung des Art. 43 PatGes. gerade nicht verlangt.
Die Einreichung der Klage könnte nur dann als für die Glaubhaftmachung des in
Rede stehenden Anspruches genügend angesehen werden, wenn vorauszusetzen wäre,
dass damit auch eine gewisse Bewährung der darin aufgestellten Behauptungen
verbunden wäre. Das trifft jedoch nicht zu. Die Erfordernisse der Klage
richten sich nach den kantonalen Prozessrechten, und diese verpflichten den
Kläger bekanntlich in der Regel nicht, gleichzeitig schon die Beweise für
seine Behauptungen einzureichen. Auch für eine nur summarische Kognition
bietet also das blosse Vorliegen der Klage eine irgendwie hinreichende
Grundlage nicht.
Anderseits ist nicht ausser Acht zu lassen, dass der Richter im kantonalen
Befehlsverfahren selbstverständlich ebenfalls vom Petenten eine Darlegung zur
Rechtfertigung seines Petitums verlangen wird, und dazu kommt, dass er es nach
dem Grundsatz: audiatur et altera pars erst noch bei einer solchen bloss
einseitigen Darlegung nicht wird bewendet sein lassen, sondern auch den
Befehlsgegner mit seinen Bestreitungen und Einreden (insbesondere auch
derjenigen der mangelnden Neuheit des Patentes) zum Worte kommen lässt, bevor
er seine Verfügung erlässt.
5.- Ein innerer Grund, das kantonale summarische Verfahren von Anfang an zu
Gunsten eines Inzidentverfahrens im Hauptprozess auszuschliessen, besteht
somit nicht; auch dieses letztere ist seiner Natur nach (wie sich

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aus dem Wesen der vorsorglichen Verfügung von selbst ergibt) notwendigerweise
ein bloss summarisches, und die Voraussetzungen, welche Art. 43 PatGes. nach
seinem Wortlaut dafür aufstellt, ergeben, wie gezeigt, kein Mehr-, sondern
gegenteils ein Mindermass an Garantie für eine sachgemässe und beiden Parteien
gerechtwerdende Entscheidung.
Des weitern zeigt auch der ganze Zuschnitt der auf den «Rechtsschutz» Bezug
habenden Bestimmungen des Patentgesetzes, dass diese kaum als erschöpfende
Regelung der Materie gedacht sein konnten. So muss z. B. schon auffallen, dass
nach Art. 43, zweiter Absatz, eine Kautionsleistung nur für den Fall einer
«Beschlagnahme» vorgesehen ist, während eine solche Sicherung der Interessen
des Beklagten bei andern vorsorglichen Verfügungen ebenso unumgänglich sein
kann (so gerade im heutigen Falle). Sodann ist zu beachten, dass für die
Zivilklage neben dem Begehungsort der Gerichtsstand des Wohnortes des
Beklagten begründet ist (Art. 42 PatGes.). Klagt nun der Patentinhaber an
diesem Gerichtsstand, und hält man ihm gegenüber daran fest, dass vorsorgliche
Verfügungen zum Schutz gegen einzelne Störungshandlungen nur im Wege von
Inzidententscheiden im Hauptprozesse zulässig seien, so sieht sich in diesem
Falle der in seinen Rechten bedrohte Patentinhaber gezwungen, den
vorsorglichen Schutz am Wohnorte des Gegners zu suchen, während die Natur der
Sache es doch erfordert, dass dieser Schutz unter Umständen auf der Stelle,
und zwar am Begebungsort eintrete. Auf die Notwendigkeit eines unverzüglichen
Rechtsschutzes in diesen Dingen hat das Kassationsgericht zutreffend in seiner
Ausführung darüber hingewiesen, dass das in Hauptsachen zuständige
Handelsgericht sich erst mit einer Sache belassen könne nach Einreichung einer
einlässlichen Klageschrift und dass die Nichtgewährung des Schutzes des
summarischen Richters den Patentinhaber unter Umständen auf lange Zeit hinaus
rechtlos machen würde.

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Endlich mag auch noch bemerkt werden, dass die Zivilklage in der Regel nicht
blosse Unterlassungsklage, sondern auch Entschädigungsklage sein wird (Art. 42
PatGes. spricht bei der Bestimmung des Gerichtsstandes neben der Strafklage
sogar nur von dieser), und dass der Kläger bei der Anhebung einer solchen
einen gewissen Überblick über den Umfang des Schadens haben muss, wobei
naturgemäss die Dauer der Störung einen wesentlichen Faktor bildet. Diese
Dauer aber hängt hinwiederum von dem Zeitpunkt ab, wo er des Rechtsschutzes
mittelst vorsorglicher Verfügungen teilhaftig wird. Auch von diesem
Gesichtspunkt aus erscheint es also verkehrt, den Patentinhaber zu zwingen,
zuerst zu klagen, und ihm erst nachher den genannten vorsorglichen
Rechtsschutz gewähren zu wollen, wie es denn ja überhaupt einem im
Schadenersatzrecht anerkannten Prinzip widerspricht, untätig einen
entstandenen und weiter drohenden Schaden anwachsen zu lassen, während die
Gelegenheit da wäre, ihm Halt zu gebieten. So sieht denn auch das neue
Urheberrechtsgesetz in Art. 52 den Erlass vorsorglicher Verfügungen nicht nur
bei eingetretenen, sondern auch bei erst bevorstehenden Verletzungen von
Urheberrechten vor und zwar unbekümmert darum, ob bereits eine Zivil- bezw.
Strafklage eingeleitet worden ist. Letzteres ergibt sich unzweideutig aus der
Vorschrift des Art. 53 Ziff. 3, wonach im Falle, wo noch keine Klageeinleitung
erfolgt ist, mit der betreffenden vorsorglichen Verfügung eine
Klagefristansetzung zu erfolgen hat.
All diese Erwägungen führen zu dem Schlusse, dass es durchaus zu billigen ist
und dem Bundesrecht nicht widerspricht, wenn die zürcherische Gerichtspraxis
(wie das Kassationsgericht feststellt) immer anerkannt hat, dass der
summarische Richter (Audienzrichter) zur Handhabung der dem Befehlsverfahren
zugewiesenen Justiz auch in denjenigen Streitigkeiten angerufen werden könne,
welche zufolge des Art. 49 PatGes. in die Zuständigkeit des Handelsgerichts
fallen.

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6.- Dass die von der Klägerin behauptete ausschliessliche Kompetenz des
zürcherischen Handelsgerichts nicht aus Art. 49 PatGes. hergeleitet werden
kann, hat bereits das Kassationsgericht zutreffend dargetan. Es ist keine Rede
davon, dass dieser Artikel bezwecke, für Patentsachen besonders geeignete
kantonale Gerichtsstellen zu schaffen, sondern diese Bestimmung geht nach
ihrem Wortlaut und Zweck lediglich dahin, den Instanzenzug zu regeln.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 II 318
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 01. Juli 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 II 318
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Zivilrechtliche Beschwerde. Unter «Entscheidungen in einer Zivilsache» gemäss Art. 87 OG fallen...


Gesetzesregister
BV: 64
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 64 Forschung - 1 Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung und die Innovation.30
1    Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung und die Innovation.30
2    Er kann die Förderung insbesondere davon abhängig machen, dass die Qualitätssicherung und die Koordination sichergestellt sind.31
3    Er kann Forschungsstätten errichten, übernehmen oder betreiben.
OG: 87
BGE Register
51-III-189 • 56-II-318
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • patentinhaber • handelsgericht • nichtigkeit • kantonales recht • bundesgericht • vorsorgliche massnahme • dauer • weisung • frage • zivilsache • weiler • summarisches verfahren • entscheid • verfahren • kantonales rechtsmittel • film • tag • vorinstanz • erfinder
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