S. 21 / Nr. 5 Sachenrecht (d)

BGE 56 II 21

5. Urteil der II. Zivilabteilung vom. 16. Januar 1930 i. S. Gemeinnützige
Baugenossenschaft Ilanzweg gegen Neuweiler,

Regeste:
«Bauvorschriften», im Sinne von Art. 686 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB sind Bestimmungen
privatrechtlicher, nicht baupolizeilicher Natur (Erw. 2).
Zulässiger Gegenstand einer solchen Bauvorschrift ist auch die finanzielle
Folge eines Anschlusses an eine auf dem Nachbargrundstück bestehende
Brandmauer (Erw. 3).

A. ­ Der Kläger ist Eigentümer des 1914 erstellten Wohnhauses
Schaffhauserstrasse 76 in Zürich, dessen Brandmauer zur Hälfte auf dem der
Beklagten gehörigen Nachbargrundstück steht. Im Frühjahr 1927 überbaute die
Beklagte ihre Liegenschaft und schloss dabei ihren Bau an die schon bestehende
Brandmauer an.
Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten 2000 Fr. als
Einkauf in diese Brandmauer.
B. ­ Mit Urteil vom 6. September 1929 hat das Obergericht Zürich die Klage im
Betrage von 1927 Fr. 60 Cts. (gleich der Hälfte der seinerzeitigen
Erstellungskosten der Brandmauer) geschützt in analoger Anwendung von § 83 des
zürcherischen Baugesetzes, welcher bestimmt, dass der Grundeigentümer, der an
eine an der Grenze seiner Liegenschaft bestehende Brandmauer anbaut, dem
Eigentümer

Seite: 22
derselben die Hälfte des Schätzungswertes der für die Mauer beanspruchten
Bodenfläche, sowie die Hälfte der Erstellungskosten zu ersetzen hat, wogegen
die Brandmauer samt Bodenfläche in das unausgeschiedene Miteigentum der beiden
Anstösser übergeht.
C. - Diesen Entscheid hat die Beklagte durch zivilrechtliche Beschwerde an das
Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die Klage
abzuweisen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung
zurückzuweisen. Zur Begründung wird ausgeführt, § 83 des Baugesetzes dürfe
nicht angewendet werden, weil das Bundeszivilrecht den vorliegenden
Sachverhalt selber eingehend (in Art. 671 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 671 - 1 Verwendet jemand zu einem Bau auf seinem Boden fremdes Material oder eigenes Material auf fremdem Boden, so wird es Bestandteil des Grundstückes.
1    Verwendet jemand zu einem Bau auf seinem Boden fremdes Material oder eigenes Material auf fremdem Boden, so wird es Bestandteil des Grundstückes.
2    Der Eigentümer des Materials ist jedoch, wenn die Verwendung ohne seinen Willen stattgefunden hat, berechtigt, auf Kosten des Grundeigentümers die Trennung des Materials und dessen Herausgabe zu verlangen, insoweit dies ohne unverhältnismässige Schädigung möglich ist.
3    Unter der gleichen Voraussetzung kann der Grundeigentümer, wenn die Verwendung ohne seinen Willen stattgefunden hat, auf Kosten des Bauenden die Wegschaffung des Materials verlangen.
. ZGB) geregelt habe und Art. 686
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.

ZGB, der die Kantone zum Erlass von weiteren Bauvorschriften ermächtige, nur
baupolizeiliche Vorschriften im Auge habe. Überdies wird ausgeführt, § 83 des
Baugesetzes treffe auf den vorliegenden Fall gar nicht zu und sei auch von den
zürcherischen Gerichten bisher nie auf eine derartige Sachlage (Bau der
Brandmauer beidseits der Grenze statt an der Grenze) angewendet worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Bei der Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen und
zu welchen Bedingungen ein Nachbar sich in eine bereits bestehende Brandmauer
einkaufen muss, sind keine öffentlichen Interessen im Spiel. Der mit der
vorliegenden Klage verfolgte Anspruch ist daher rein privatrechtlicher Natur.
Daran ändert es nichts, dass er seine Regelung im kantonalen Baugesetz, d. h.
in einem Gesetz, mit vorwiegend öffentlichrechtlichem Inhalt, gefunden hat.
Man hat es somit mit einer Zivilsache im Sinne von Art. 87
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
OG zu tun.
2.- Es fragt sich nun weiter, ob dieser Einkauf in eine Brandmauer Gegenstand
einer «Bauvorschrift» im Sinne von Art. 686 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB sein konnte - eine
andere bundesrechtliche Grundlage für den kantonalen Erlass kommt nicht in
Betracht -, oder ob es sich hier um eine

Seite: 23
vom ZGB selbst unter Ausschluss kantonaler Vorschriften geregelte Materie
handelt.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist nun davon auszugehen, dass
Art. 686 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB nicht baupolizeiliche Vorschriften im Auge hat. Vielmehr
muss aus dem Umstand, dass das Recht der Kantone zum Erlass von bau-,
gesundheits- und feuerpolizeilichen Bestimmungen in Art. 702
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 702 - Dem Bunde, den Kantonen und den Gemeinden bleibt es vorbehalten, Beschränkungen des Grundeigentums zum allgemeinen Wohl aufzustellen, wie namentlich betreffend die Bau-, Feuer- und Gesundheitspolizei, das Forst- und Strassenwesen, den Reckweg, die Errichtung von Grenzmarken und Vermessungszeichen, die Bodenverbesserungen, die Zerstückelung der Güter, die Zusammenlegung von ländlichen Fluren und von Baugebiet, die Erhaltung von Altertümern und Naturdenkmälern, die Sicherung der Landschaften und Aussichtspunkte vor Verunstaltung und den Schutz von Heilquellen.
ZGB besonders
vorbehalten wurde, gerade der Schluss gezogen werden, dass sich der Vorbehalt
von Art. 686 Abs. 2 nicht auf das Gebiet der Baupolizei, sondern des privaten
Baurechtes bezieht. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich auch bei
grammatikalischer Auslegung dieser Bestimmung: Durch das «weitere» wird der
Anschluss an Abs. 1 von Art. 686
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB hergestellt, in welchem die Befugnis der
Kantone zur Aufstellung von unbestreitbar privatrechtlichen, nicht
polizeilichen Vorschriften geschaffen wird. Auch noch die
Entstehungsgeschichte von Art. 686 Abs. 2 spricht in diesem Sinne: Die im
Entwurf von 1904 (Art. 676 Abs. 2) vorgesehene ausdrückliche Ermächtigung der
Kantone, «zu bestimmen, dass Scheidemauern und ähnliche Vorkehrungen auf die
Grenzlinie gesetzt werden dürfen, unter Vorbehalt der Entschädigungspflicht
oder des Einkaufsrechts des Nachbarn» (= Recht der «halben Hofstatt» einiger
kantonaler Rechte), wurde im definitiven Gesetzestext nur deswegen nicht mehr
aufgeführt, weil sie sich bereits aus dem allgemeinen, zu Gunsten der Kantone
gemachten Vorbehalt ergebe (vgl. WIELAND, Anm. 2 zu Art. 686
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB).
3.- Keinem Zweifel unterliegt darnach, dass man es bei der Bestimmung, unter
welchen Voraussetzungen ein
Recht auf Anschluss an eine bereits bestehende Brandmauer gegeben sei, mit
einer privatrechtlichen Bauvorschrift im Sinne von Art. 686 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB zu tun
hat. Gleich wie dieses Recht zum Anschluss selbst muss aber auch die
finanzielle Folge eines Anschlusses mit Rücksicht auf ihren engen sachlichen
Zusammenhang mit dem erstern

Seite: 24
als zulässiger Gegenstand einer derartigen Bauvorschrift betrachtet werden,
gleichgültig, ob die vorgängige Bezahlung der Entschädigung als Voraussetzung
des Anschlussrechtes formuliert wurde und der Eigentümer der Brand mauer
demzufolge berechtigt ist, den Nachbarn vor der Bezahlung der Einkaufssumme am
Anbauen zu verhindern, oder ob das Anschlussrecht auch schon vorher besteht.
Beschlägt aber die der Vorinstanz vorgelegte Streitfrage einen nach dem
Gesagten in zulässiger Weise vom kantonalen Recht geregelten Sachverhalt, so
hat die Vorinstanz ihn in nicht anfechtbarer Weise nicht nach eidgenössischem
Recht beurteilt. Ob das kantonale Recht richtig zur Anwendung gelangte,
entzieht sich der Beurteilung durch das Bundesgericht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 II 21
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 16. Januar 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 II 21
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : «Bauvorschriften», im Sinne von Art. 686 Abs. 2 ZGB sind Bestimmungen privatrechtlicher, nicht...


Gesetzesregister
OG: 87
ZGB: 671 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 671 - 1 Verwendet jemand zu einem Bau auf seinem Boden fremdes Material oder eigenes Material auf fremdem Boden, so wird es Bestandteil des Grundstückes.
1    Verwendet jemand zu einem Bau auf seinem Boden fremdes Material oder eigenes Material auf fremdem Boden, so wird es Bestandteil des Grundstückes.
2    Der Eigentümer des Materials ist jedoch, wenn die Verwendung ohne seinen Willen stattgefunden hat, berechtigt, auf Kosten des Grundeigentümers die Trennung des Materials und dessen Herausgabe zu verlangen, insoweit dies ohne unverhältnismässige Schädigung möglich ist.
3    Unter der gleichen Voraussetzung kann der Grundeigentümer, wenn die Verwendung ohne seinen Willen stattgefunden hat, auf Kosten des Bauenden die Wegschaffung des Materials verlangen.
686 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
702
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 702 - Dem Bunde, den Kantonen und den Gemeinden bleibt es vorbehalten, Beschränkungen des Grundeigentums zum allgemeinen Wohl aufzustellen, wie namentlich betreffend die Bau-, Feuer- und Gesundheitspolizei, das Forst- und Strassenwesen, den Reckweg, die Errichtung von Grenzmarken und Vermessungszeichen, die Bodenverbesserungen, die Zerstückelung der Güter, die Zusammenlegung von ländlichen Fluren und von Baugebiet, die Erhaltung von Altertümern und Naturdenkmälern, die Sicherung der Landschaften und Aussichtspunkte vor Verunstaltung und den Schutz von Heilquellen.
BGE Register
56-II-21
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
baupolizei • beklagter • bundesgericht • kantonales recht • vorinstanz • sachverhalt • richtigkeit • weiler • nachbar • anbaute • entscheid • öffentliches baurecht • begründung des entscheids • frage • einkaufssumme • wohnhaus • treffen • zivilsache • feuerpolizei • sachlicher zusammenhang
... Alle anzeigen