S. 505 / Nr. 80 Gerichtsstand (d)

BGE 56 I 505

80. Auszug aus dem Urteil vom 26. Dezember 1930 i. S. Sternlicht gegen
Zivilgerichtspräsident Basel-Stadt.

Regeste:
Art. 59 BV: Geltendmachung der Rechte aus einer Gerichtsstandsklausel durch
einen Rechtsnachfolger
· durch denjenigen, welchem eine einzelne Forderung aus dem eine
Gerichtsstandsklausel enthaltenden Vertrag abgetreten worden ist.

A. - Der Rekurrent war Mieter einer Wohnung im Hause eines gewissen Boretti an
der Strassburgerallee in Basel. Der zwischen dem Rekurrenten und Boretti
bestehende Mietvertrag bestimmte:
«Für allfällige aus diesem Mietvertrag entstehende Streitigkeiten unterwerfen
sich die Parteien, ohne Rücksicht auf die Höhe der Streitsumme dem endgültigen
Urteil des Zivilgerichtspräsidenten von Basel-Stadt und erwählt der Mieter bei
allfälligem Wegzug sein Rechtsdomizil am Vertragsort.»
In der Folge kam Boretti in Konkurs. Die Konkursmasse verkaufte sein Haus
unter Überbindung der bestehenden

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Mietverträge und mit Antritt auf den 1. April 1929 dem Rekursbeklagten. Der
Rekurrent seinerseits aber kündete am 28. März 1929 noch gegenüber der
Konkursmasse seinen Mietvertrag auf den 1. Juli 1929 und verlegte Ende Juni
1929 seinen Wohnsitz nach Binningen.
Anfangs November 1929 belangte der Rekursbeklagte den Rekurrenten vor dem
Zivilgerichtspräsidium Basel-Stadt auf Ersatz des von ihm am frühern
Mietobjekt angeblich gestifteten Schadens. Der Zivilgerichtspräsident
Basel-Stadt erklärte sich zuerst als zur Beurteilung dieser Klage inkompetent,
weil der Rekurrent seinen persönlichen Gerichtsstand nicht mehr in Basel und
ausserdem durch seine Kündigung zu erkennen gegeben habe, dass er den
Mietvertrag nicht mit dem Rekursbeklagten fortzusetzen gedenke. Dieser könne
sich also auch nicht auf die im Mietvertrage enthaltene Gerichtsstandsklausel
berufen.
Daraufhin schloss die Konkursmasse mit dem Rekursbeklagten folgenden Vertrag:
«Zession. - Das Konkursamt Arlesheim, namens der Konkursmasse August Boretti
zediert hiermit sämtliche ihr aus dem Mietvertrag vom 26. September 1926
gegenüber dem Mieter Adolf Sternlicht zustehenden Forderungen und Rechte,
speziell den Rechtsanspruch für Instandstellungskosten, Schadenersatz für
Miete usw. in Höhe von 1203 Fr. 47 Cts. an den Käufer der Liegenschaft, Herrn
Wilhelm Borer, Strassburgerallee 90, Basel. - Arlesheim den 2. April 1930.»
Auf Grund dieses Vertrages belangte der Rekursbeklagte den Rekurrenten
neuerdings vor dem Basler Richter auf Schadenersatz, und der
Zivilgerichtspräsident von Basel-Stadt erklärte sich diesmal am 10. Oktober
1930 als zur Beurteilung der Klage kompetent, weil nun die im Mietvertrag
enthaltene Kompromissklausel mit der zedierten Hauptforderung auf den
Rekursbeklagten übergegangen sei.
B. - Gegen den Entscheid des Zivilgerichtspräsidenten hat Sternlicht den
staatsrechtlichen Rekurs ergriffen u.a. wegen Verletzung von Art. 59 BV und
mit dem Antrag

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auf Aufhebung. Es wird ausgeführt, dass eine ausdrückliche Abtretung des
Rechts aus der Gerichtsstandsklausel seitens der Masse Boretti an den
Rekursbeklagten nicht vorliegen da die Zessionsurkunde die Klausel nicht
erwähne. Jenes Recht habe zudem höchst persönlichen Charakter und könne daher
nicht auf den Zessionar übergehen. Da es sich um einen Verzicht auf ein
verfassungsmässiges Recht handle, sei eine restriktive Auslegung der Klausel
am Platze. Das Recht aus der Prorogation gehöre nicht zu den Nebenrechten nach
Art. 170 OR, eventuell stehe dem Übergang eben der rein persönliche Charakter
entgegen. Namentlich bei einer zweiseitigen Gerichtsstandsklausel könne das
Recht nicht auf den Zessionar übergehen, weil hier Recht und Pflicht nicht
getrennt werden könnten. Gegen den Zessionar gelte ja die Klausel nicht. Der
Entscheid verletze daher dem Rekurrenten gegenüber den Art. 59 der BV, da
dieser seinen ordentlichen Richter nicht in Basel-Stadt habe.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. In der prozessualen Klausel des Mietvertrages Boretti-Sternlicht
unterwerfen sich die Parteien für Streitigkeiten aus dem Vertrag dem
endgültigen Urteil des Zivilgerichtspräsidenten von Basel-Stadt (ohne
Rücksicht auf den Streitwert). Darin liegt einerseits eine Art Kompromiss,
insofern die Parteien auf die allfällige 2. Instanz verzichten, und anderseits
eine Prorogation für den Fall, dass die eine oder andere Partei zu Beginn des
Rechtsstreites ihr Domizil nicht mehr in Basel-Stadt haben sollte; dabei hat
es zweifellos die Meinung, dass Klagen in Basel nicht nur angebracht werden
können, sondern auch müssen, BO dass auch die auswärts wohnende Partei ein
Recht darauf hat, in Basel und nicht an ihrem Wohnort belangt zu werden. Die
Bedeutung der Klausel als Prorogation wird noch ausdrücklich erwähnt für den
Mieter; es ist aber klar, dass sie sich in gleicher Weise auch auf den
Vermieter bezieht. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die

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Prorogationswirkung der Klausel; nur diese steht in Zusammenhang mit Art. 69
BV.
Die Prorogation ist hier Bestandteil eines zweiseitigen Vertrages und sie hat
nach dem Gesagten selber auch zweiseitigen Charakter. Sie hat zur Wirkung,
dass jede Partei einen Anspruch aus dem Mietvertrag gegen die andere ohne
Rücksicht auf deren Domizil, vor dem Basler Richter geltend machen kann.
Fragt es sich, ob die Prorogation persönlichen oder sachlichen Charakter hat,
d.h. ob sie gegenseitig aus persönlichen oder sachlichen Gründen zugestanden
worden ist, so kann die Antwort nicht zweifelhaft sein. Es handelt sich um
eine Klausel, die wohl in Basel-Stadt für Mietverträge üblich oder doch stark
verbreitet ist und die lediglich den Zweck verfolgt, dass Mietstreitigkeiten
durch den Richter am Orte der Mietsache rasch erledigt werden. Die
Persönlichkeiten der Beteiligten haben dabei offenbar keine Rolle gespielt.
Ein rein persönlicher Charakter der Klausel steht daher hier der
Geltendmachung durch einen Rechtsnachfolger von vornherein nicht im Wege. Es
ist gewiss denkbar, dass eine Partei der andern gegenüber oder zwei Parteien
gegenseitig auf den Wohnsitzrichter verzichten aus Gründen, die höchst
persönlicher Natur sind und die für einen Rechtsnachfolger nicht mehr
zutreffen. Im vorliegenden Fall kann aber hievon nicht die Rede sein.
Wäre der Rekursbeklagte in den Mietvertrag als solchen eingetreten, so wäre
ohne Frage auch die Klausel auf ihn übergegangen. Auch das Bundesgericht hat
schon ausgesprochen, dass die Prorogationsklausel eines Vertrages nicht
dahinzufallen braucht, wenn ein Dritter in den Vertrag sukzediert (BGE 33 I
742
3 ).
Beim Rekursbeklagten hat man es aber nicht mit einem Eintritt in den Vertrag
zu tun, sondern es ist ihm eine Forderung aus dem Vertrage abgetreten worden,
die er kraft der Zession mit der Klage gegen den Rekurrenten geltend macht.
Die Abtretungsurkunde spricht von den Forderungen und Rechten aus dem Vertrag
allgemein, und wenn

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auch keine andern Forderungen in Betracht zu kommen scheinen, so ist doch
unter den Rechten, die zediert werden, auch dasjenige aus der
Prorogationsklausel zu verstehen. Man kann daher nicht sagen, dass dieses
Recht nach der Meinung des Abtretungsaktes nicht mitabgetreten sei. Für die
Frage, ob das Recht auf den Rekursbeklagten übergegangen sei, spielt das
indessen keine Rolle; entweder geht es, wegen des Zusammenhangs mit der
Forderung, ohne weiteres mit ihr über oder aber es kann nicht übergehen ohne
Rücksicht auf den Willen des Zedenten und des Zessionars.
Wennschon die Prorogationsklausel gegenseitigen Charakter hat, so wirkt sie
sich doch für jeden einzelnen Anspruch aus dem Vertrag dahin aus, dass er die
prozessuale Modalität aufweist, dass er unter allen Umständen in Basel
gerichtlich geltend gemacht werden kann und auch muss. Um ein Nebenrecht im
Sinne von Art. 170 OR handelt es sich dabei wohl nicht, sondern um eine
Eigenschaft der Forderung, die ähnlich der Schiedsgerichtsklausel (V. TUHR, OR
18, 741) mit der Forderung auf den Zessionar übergeht. Ein solcher Übergang
tritt nur dann nicht ein, wenn jene prozessualische Eigenschaft der Forderung
gerade nur besteht mit Rücksicht auf die Person des Gläubigers, was aber hier
nicht zutrifft, da, nach dem Gesagten, die vorliegende Klausel ausgesprochen
sachlichen Charakter hat. Auch ihre zweiseitige Natur steht dem Übergang auf
den Zessionar nicht im Wege. Der Rekursbeklagte als Zessionar kommt ja nur als
Gläubiger in Betracht. Übrigens hat ja die Klausel, auch soweit sie auf den
Rekursbeklagten übergegangen ist, zweiseitigen Charakter, da, wie bemerkt,
danach der Rekursbeklagte nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist,
in Basel zu klagen. Für allfällige Ansprüche des Rekurrenten aus dem
Mietvertrag bleibt der ursprüngliche Schuldner bestehen, wobei die Klausel
auch zu Gunsten des Rekurrenten gilt. (Es ist auf die deutsche Auffassung zu §
38 ZPO zu verweisen, nach der eine Vereinbarung über die Zuständigkeit des
Gerichts auch dem Rechtsnachfolger, speziell dem Zessionar, zugutekommt,

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wenn sie nicht rein persönlichen Charakter hat: STEIN, ZPO § 38 II 1 a;
HELLWIG, ZPRecht II 279; DJZ 1907, 1143; FRANKE in Z. f. deutschen ZP 44, 118
ff.; es ist daran zu erinnern, dass auch die Konkursprivilegien der Forderung
anhaften und mit ihr übergehen: JÄGER, Kommentar SchKG Art. 219 N 9).
2. . . .
Demnach erkennt das Bundesgericht: die Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 56 I 505
Date : 01. Januar 1930
Published : 26. Dezember 1930
Source : Bundesgericht
Status : 56 I 505
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Art. 59 BV: Geltendmachung der Rechte aus einer Gerichtsstandsklausel durch einen Rechtsnachfolger·...


Legislation register
BV: 59  69
OR: 170
SchKG: 219
BGE-register
33-I-739 • 56-I-505
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