S. 46 / Nr. 10 Registersachen (d)

BGE 56 I 46

10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1930 i. S. Erste
Österreichische Glanzstoffabrik A.- G. gegen Eidgenössisches Amt für geistiges
Eigentum.

Regeste:
Art. 6 Abs. 2 Ziff. 3 der Allgemeinen Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze
des gewerblichen Eigentums und Art. 3 BG über den Schutz der Fabrik- und
Handelsmarken.

Verstoss einer Wortmarke gegen die guten Sitten wegen Unwahrheit,
A. - Die Erste Österreichische Glanzstoffabrik A.-G. in St. Pölten
(Niederösterreich) ist seit 11. Januar 1929 Inhaberin der unter den Nummern
104913 und 104914 eingetragenen österreichischen Marke «Tragiseta». Sie liess
die Marke am 28. Februar 1929 unter den Nummern 62202 und 62203 beim Bureau
der internationalen Union für geistiges Eigentum in Bern eintragen. Sie
bezeichnete

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sie als Marke für: «Soie artificielle, crin artificiel, paille artificielle,
fils artificiels de tous genres, tissus de tous genres, bonneteries et
tricotages, bas, dentelles et broderies, étoffes, rubans, bordures, fils,
filés, cordonnets et galons en ces matières artificielles susnommées seules ou
en mélange avec d'autres fibres textiles quelconques.»
Am 2. August 1929 liess das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum dem
internationalen Bureau mitteilen, dass die Marke «Tragiseta» für den Schutz in
der Schweiz nicht zugelassen werden könne. Dieses leitete die Verfügung am 12.
August 1929 an die Erste Österreichische Glanzstoffabrik A.-G. weiter.
B. - Am 11. September 1929 hat die Gesuchstellerin gegen die Verweigerung des
Markenschutzes die verwaltungerechtliche Beschwerde an das Bundesgericht
ergriffen.
C. - Das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum hat in seiner
Beschwerdeantwort vom 28. Oktober 1929 Abweisung der Beschwerde, eventuell
Gutheissung nur in dem Umfang beantragt, als die von der Beschwerdeführerin
erwähnten Waren wirkliche Seide enthalten.
D. - Das Bundesgericht als eidgenössisches Verwaltungsgericht hat in analoger
Anwendung. des Art. 14 des Bundesgesetzes über die eidgenössische Verwaltungs-
und Disziplinarrechtspflege (VDG) das Eidgenössische Justiz und
Polizeidepartement zur Vernehmlassung in dieser Beschwerdesache ersucht. Da;,
Justiz- und Polizeidepartement seinerseits hat das Organ des in Frage
kommenden Fachverbandes, den Vorort des Schweizerischen Handels- und
Industrievereins, um ein Gutachten gebeten. Der Vorort ist dem Gesuch
nachgekommen und hat sich in seinem Gutachten ausgesprochen, dass unter Seta,
Seide, nur die Naturseide verstanden werden könne. Das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement hat sich in seiner Vernehmlassung vom 30. November 1929
zu derselben Auffassung bekannt.
B. -Das vom Bundesgericht um ein weiteres Gutachten ersuchte Eidgenössische
Gesundheitsamt hat in

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seiner Eingabe vom 21. Dezember 1929 ausgeführt, dass nach Treu und Glauben im
Verkehr unter Seta, Seide, Soie, nur Naturseide verstanden werden könne und
dass sich die Kunstseide durch eine Reihe von physischen und chemischen
Eigenschaften von der Seide unterscheide.
F. - Die beiden Gutachten und die Vernehmlassung des Justiz- und
Polizeidepartementes sind der Rekurrentin zur Einsicht und Beantwortung
zugestellt worden. In ihren Eingaben vom 24. Dezember 1929 und 14. Januar 1930
hat sie an der Beschwerde und an der Begründung derselben festgehalten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung.
1.- Nach Ziff. 1 Abs. 1 des Anhanges des VDG unterliegen im Sinne einer
beschränkten Generalklausel die Verfügungen des Eidgenössischen Amtes für
geistiges Eigentum in Markensachen der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da die
vorliegende Beschwerde zweifellos eine Markensache betrifft, ist das
Bundesgericht zuständig, sie zu beurteilen.
2.- Nach Art. 5 Abs. 1 des internationalen Abkommens von Madrid vom 14. April
1891, revidiert 6. November 1925 in Haag, haben die Behörden eines Landes,
dessen Gesetzgebung sie ermächtigt, die Befugnis zu erklären, dass einer ihnen
vom internationalen Bureau mitgeteilten ausländischen Marke der Schutz
verweigert werden müsse. Der Schutz darf aber durch die Gesetzgebung eines
Landes nur verweigert werden, wenn auf Grund der allgemeinen
Verbandsübereinkunft auch die unmittelbare Eintragung der Marke in dem
betreffenden Land abgelehnt werden könnte. Art. 6 Abs. 2 Ziff. 3 der
allgemeinen Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen
Eigentums, revidiert letztmals am 6. November 1925 bestimmt sodann:
«Jede im Ursprungsland regelrecht eingetragene Fabrik- oder Handelsmarke soll
in allen andern Verbandsländern zur Hinterlegung zugelassen und geschützt
werden.

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Es können jedoch zurückgewiesen und als ungültig erklärt werden Marken, die
gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstossen.»
Damit stimmen überein Art. 3 des schweizerischen Markenschutzgesetzes von 1890
und Art. 14 Ziff. 2 des BG vom 21. Dezember 1928 über die Abänderung des
Markenschutzgesetzes vom 26. September 1890, wonach die Marke nicht zu
schützen ist, wenn sie gegen die guten Sitten verstösst. Art. 9 Abs. 1 des
Bundesratsbeschlusses über die Ausführung des 1925 revidierten Markenabkommens
vom 18. Mai 1928 endlich weist das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum
an, gegenüber internationalen Marken die Verweigerung des Schutzes
auszusprechen, wenn die Bundesgesetzgebung es vorsieht.
Ein Verstoss gegen die guten Sitten kann darin liegen, dass durch das Handeln
ein unsittlicher Erfolg erstrebt oder befördert, dass dadurch das Gebotene
verhindert wird oder dass es sonstwie aus einer verwerflichen Gesinnung
fliesst und das sittliche Gefühl verletzt (vgl. BGE 26 II S. 142).
Entscheidend bei der Prüfung, ob die Vorschriften der Sittlichkeit verletzt
sind, ist nicht die subjektive Denkweise der Beteiligten, sondern die
Anschauung der gerecht und billig denkenden Volksgenossen. Ein Verstoss kann
aber auch vorliegen, wenn den Parteien die Sittenwidrigkeit ihres Tuns nicht
bewusst ist (VON TUHR, OR I S. 223). Von dieser Auffassung geht gerade das
Markenschutzgesetz aus; denn es erklärt den Masstab der guten Sitten auf die
Marke als solche anwendbar, nicht auf die Erfindung, Schaffung oder Anmeldung
der Marke. Nicht das menschliche Handeln, sondern sein Erzeugnis, losgelöst
von der Einsicht und Gesinnung des Handelnden, ist hier Gegenstand der
Prüfung. Daher liegt in der Verweigerung des Markenschutzes wegen Verstossens
der Marke gegen die guten Sitten nicht in jedem Fall der Vorwurf, dass der
Verstoss dem Gesuchsteller bewusst gewesen sei.
Eine Marke kann nicht nur durch ihren in sexueller,

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religiöser oder staatlich- politischer Hinsicht anstössigen Inhalt gegen die
guten Sitten verstossen, sondern auch durch ihre Unwahrheit. Das Gebot der
Wahrhaftigkeit ist ebenfalls ein sittliches Gebot. Der Staat kann daher, indem
er die sittliche Ordnung gleich der rechtlichen mit den Mitteln des Rechtes
schützt, nicht Rechte verleihen, die bei der Ausübung durch ihren Inhalt
Unwahrheiten verbreiten. Bezeichnungen, die durch ihr blosses Dasein und durch
ihren Gebrauch geeignet sind, Irrtümer zu erregen und die Abnehmer zu
täuschen, verstossen gegen die guten Sitten und sind zurückzuweisen. (Vgl.
KOHLER, Das Recht des Markenschutzes S. 169 ff. und POUILLET, Traité des
Marques de Fabrique, S. 91 Nr. 92). Das entspricht auch dem Bestreben der
Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Gegenwart, den Grundsatz von Treu und
Glauben im Verkehr auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Wettbewerbes auf
möglichst wirksame Weise zu Geltung zu bringen (vgl. BGE 60 II S. 202).
Ob die Bezeichnung «Tragiseta» zu Täuschungen Anlass gibt und daher mit Recht
zurückgewiesen worden ist, lässt sich nicht durch eine begriffliche Erörterung
beantworten. Die Beschwerdeführerin hat auf ein deutsches Urteil vom 3. April
1929 über die Zulässigkeit der Bezeichnungen «Bembergseide» und «Agfaseide»
verwiesen (Markenschutz und Wettbewerb, Jahrgang 29, 1929, S. 462 ff.), in dem
das Kammergericht ausgeführt hat, dass der Begriff der Seide heute zu einem
Oberbegriff geworden sei, der die Unterbegriffe Naturseide und Kunstseide
umfasse. Allein ein Oberbegriff der Seide wäre ein vollständig inhaltsloser
Begriff, dem weder ein Rohstoff, noch eine bestimmte Gattung von Rohstoffen
entsprechen würde. Die Rohstoffe für die gebräuchlichen Gewebe unterscheiden
sich nach ihrer Gewinnung voneinander, und ihre Bezeichnungen deuten auf diese
Unterschiede in der Gewinnung hin; Seide ist das Gespinst, das von der
Seidenraupe gewonnen wird; Baumwolle ist die Pflanzenfaser, die ein Strauch
liefert. Nach dieser

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für die Begriffsbildung massgebenden Richtung, der Art und Weise der
Gewinnung, haben Seide und Kunstseide keine übereinstimmenden Merkmale, nicht
mehr Gemeinsames als etwa Seide und Wolle. Ein Oberbegriff der Seide wäre aber
nicht nur inhaltslos, sondern auch zwecklos. Damit nämlich eine Einteilung
sachlich begründet sei, genügt es nicht dass sich der Begriff klar von andern
Begriffen unterscheiden lasse, z. B. der Oberbegriff der Seide vom Begriff der
Wolle oder des Flachses, sondern jede Einteilung muss auch einen Zweck haben
und ihm entsprechen, sonst ist sie willkürlich. (Vgl. W. BURCKHARDT, Der
Vertrag usw. S. 12 in der Berner Festgabe an das Bundesgericht.) Mit der
Bildung eines Oberbegriffes der Seide will man nun nicht sagen, dass Natur-
und Kunstseide trotz verschiedener Herkunft gemeinsame Merkmale haben, z. B.
im Glanz und Gewicht und in der Verwendung, denn solche gemeinsame Merkmale
finden sich auch zwischen Wolle und Baumwolle, Leinfasern und Baumwolle,
Papier und Pergament, Bienenhonig und Kunsthonig usw., und man hat deswegen
keine neuen Begriffe unter Absehung von der verschiedenen Gewinnung gebildet.
Mit der Bildung eines Oberbegriffes der Seide wird offenbar kein anderer Zweck
verfolgt, als der, die Bezeichnung Seide für den bis jetzt als Kunstseide
bekannten Stoff gewissermassen zu sanktionieren. Da es sich im vorliegenden
Fall gerade fragt, ob diese Bezeichnung zulässig ist, kann aus einer
Begriffsbildung nichts abgeleitet werden, in der die Frage schon beantwortet
und die daher tendenziös ist. Daraus, dass der schweizerische
Gebrauchszolltarif vom 1. Juli 1921 die Seide und die Kunstseide unter dem
Abschnitt Seide (VII C, Positionen 432 - 445 a, 445 b - 446 b und 447 a - 448)
zusammenfasst, kann nicht auf einen Oberbegriff geschlossen werden; denn bei
der Einteilung eines Zolltarifes sind ausschliesslich die Bedürfnisse des
Zollwesens massgebend. Die Berechtigung eines Oberbegriffes Seide ergibt sich
auch nicht daraus, dass man die Naturseide im Verkehr

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immer häufiger als reine Seide oder Naturseide, statt nur als Seide,
bezeichnet; denn damit wollte man offenbar nicht das Gemeinsame, sondern das
Unterschiedliche betonen und Verwechslungen vorbeugen.
Aus der Ablehnung eines Oberbegriffes Seide für Natur- und Kunstseide ergibt
sich jedoch nicht ohne weiteres, dass alle Marken unzulässig sind, welche die
Bezeichnung Seide für Kunstseide verwenden. Es sind Fälle denkbar, in denen
derselbe Ausdruck für verschiedene, unter keinen Oberbegriff fallende
Gegenstände gebraucht werden kann, ohne dass die Gefahr einer Täuschung
besteht. So wird unter Zucker in der Schweiz sowohl der Rohr-, als der
Rübenzucker verstanden, und es wäre kaum anzunehmen, dass sich jemand durch
die Bezeichnung von Rübenzucker als Zucker täuschen lasse. Entscheidend sind
also nicht begriffliche Ableitungen, sondern die Vorstellungen, die durch eine
Bezeichnung erweckt werden.
Wie bei der Entscheidung, ob sich eine neue Marke gemäss Art. 6 Abs. 1 und 3
des Markenschutzgesetzes genügend von einer bestehenden Marke unterscheide,
ist auch bei der Frage, ob eine neue Marke Anlass zu Täuschungen gebe, darauf
abzustellen, ob Verwechslungen möglich sind und nahe liegen. (Vgl. BGE 31 II
S. 738
, 35 II S. 338, 34 II S. 372, 39 II S. 358, 50 II S. 76, 52 II S. 166,
53 II S. 360.) Es kann nicht gesagt werden, dass im vorliegenden Fall
Verwechslungen durch die Natur der Sache ausgeschlossen seien, so wie das
Bundesgericht z. B. in seinem Urteil vom 18. Oktober 1927 i. S. The Yale and
Towne Manufacturing C° gegen Jakob Laib & Cie (BGE 53 II S. 361) erkannt
hatte, dass die Marken Yale und Yala für Sicherheitsschlösser einerseits und
für Tricotwaren anderseits nebeneinander bestehen können. Die aus den beiden
Rohstoffen Seide und Kunstseide hergestellten Gewebe und andern Erzeugnisse
sind sich äusserlich im Gegenteil sehr ähnlich, und vom Laien, der mit den
feinern Eigenschaften und Unterscheidungsverfahren nicht vertraut ist, nicht
voneinander zu unterscheiden.

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Nach dem Gutachten des Vorortes des schweizerischen Handels- und
Industrievereins, das mit demjenigen des eidgenössischen Gesundheitsamtes
übereinstimmt, ist die Unterscheidung gelegentlich sogar für den Fachmann
schwierig. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass in Bezug auf
Strumpfwaren jede Hausfrau und jedes Mädchen heutzutage als branchekundig
anzusehen sei, lässt sich nicht halten, abgesehen davon, dass der Markenschutz
nicht nur für Strumpfwaren gefordert wird. Das Strafgericht des Kantons
Baselstadt hat in einem vom Appellationsgericht bestätigten Urteil betreffend
unlautern Wettbewerb vom 21. November 1928 (Schweizerische Zeitschrift für
Strafrecht, 42. Jahrgang, 1929 S. 376 ff.) ausgeführt, die Befragung
verschiedener an dem Prozess nicht beteiligter Frauen habe ergeben, dass sie
Seide und Kunstseide infolge der täuschenden Bezeichnungen wiederholt
verwechselt hatten, und selbst Mitglieder des Gerichtes seien dieser Täuschung
unterlegen. Die Unterschiede verwischen sich bei der gefärbten Fertigware
gegenüber dem Rohstoff noch stärker. Es wird bei dem Publikum der Glaube
erweckt, es handle sich um ein besonders günstiges Angebot von Naturseide,
wenn in Wirklichkeit Kunstseide angepriesen wird. Dazu kommt, dass es im
Verkehr zwischen Detaillist und Verbraucher, wo die Verwechslungsgefahr am
grössten ist, meistens gar nicht möglich ist, vor dem Kaufabschluss die
Prüfung vorzunehmen, die sicher ergibt, ob Kunstseide oder Naturseide
angeboten wird.
Es kann auch nicht gesagt werden, dass das Publikum kein Interesse an der
Vermeidung von Täuschungen habe. Zwischen Seide und Kunstseide bestehen
erhebliche Qualitäts- und Preisunterschiede. Es kann dem Käufer nicht einerlei
sein, ob er Seide oder Kunstseide kauft und zu welchem Preis er kauft. Da das
Verbot der täuschenden Marken den Wettbewerb beschränken will, kann
schliesslich auch nicht ausser Acht gelassen werden, dass neben dem Publikum
auch die Erzeugung und der Handel von

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Naturseide an dem Wettbewerb beteiligt sind und dass diese zweifellos ein
Interesse an der Vermeidung von Verwechslungen haben.
Es bedarf keiner Begründung mehr, dass die Bezeichnung der Kunstseide als
Seide schlechthin unwahr und unrichtig ist. Unter Seide kann nur die
Naturseide verstanden werden. Aber auch der Gebrauch einer zusammengesetzten
Bezeichnung für Kunstseide kann zu Täuschungen führen, wenn sie die
Bezeichnung Seide enthält. Die Beschwerdeführerin kann sich nicht darauf
berufen, dass auch für die Naturseide namentlich in der Reklame immer mehr
zusammengesetzte Bezeichnungen gebräuchlich werden, wie «reine Seide», oder
«Naturseide»; denn die Wahl solcher nähern Umschreibungen zeigt gerade, wie
gross die Verwechslungsgefahr ist. Anzupassen hat sich das neue Erzeugnis, für
das der Ausdruck Seide nicht nur nicht eingebürgert, sondern geradezu falsch
ist.
Der Ausdruck Kunstseide ist freilich auch in der Schweiz zu einer
gebräuchlichen Sachbezeichnung geworden, und er enthält selbst das Wort Seide.
Ebenso enthält die französische und italienische Sachbezeichnung den Ausdruck
soie, seta. Im In- und Ausland gibt es verschiedene Firmen der
Kunstseideproduktion, deren Name das Wort Seide enthält, und im Ausland gibt
es sogar mehrere Fabrikmarken für Kunstseidenerzeugnisse, die den Ausdruck
Seide in irgend einer Zusammensetzung verwenden. (Vgl. die Zusammenstellung im
Neujahrsblatt 1930 der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, S. 45.) So
hatte ferner das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement in einem
Entscheid vom 16. Mai 1929 über einen Rekurs gegen das Eidgenössische Amt für
geistiges Eigentum vom 18. Dezember 1928 über die Zulässigkeit der
internationalen Marke «Tolsilk» in der Schweiz für Baumwollgewebe zu
entscheiden. Allein in manchen von diesen Fällen wird durch die dem Worte
Seide beigefügte Bezeichnung deutlich erkennbar gemacht, dass es sich nicht um
Naturseide, sondern um Kunstseide

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handle, so wie aus dem Ausdruck Baumwolle hervorgeht, dass nicht die Wolle des
Schafes gemeint ist. Bei dem Ausdruck Bembergseide z. B., der dem von der
Beschwerdeführerin erwähnten, in der Zeitschrift «Markenschutz und Wettbewerb»
abgedruckten Urteil des Kammergerichtes zu Grunde liegt, ist die Firma als
Zusatz zum Wort Seide gewählt worden; es ist nicht ausgeschlossen, dass eine
Kunstseidefabrik in der Schweiz einmal derart bekannt wird, dass die Beifügung
der Firma zum Wort Seide jedermann erkennen lässt, dass eine Kunstseide,
nämlich die Kunstseide dieser Fabrik gemeint ist. Ebenso gibt das Wort
Kunstseide selbst wohl zu keinen Täuschungen Anlass; denn es dürfte jedermann
geläufig sein, dass man damit nicht sagen will, es sei auf künstlichem Weg
hergestellte Seide, sondern dass Kunstseide ein anderer Stoff ist. Der Zusatz
«Kunst» entkräftet die Bezeichnung als Seide. Gegen die Wahl solcher
Wortmarken, welche die Bezeichnung als Seide in der Vorstellung des Publikums
entkräften, ist vom Gesichtspunkt der guten Sitten nichts einzuwenden; denn
durch die Entkräftung wird die Täuschung verhindert, die sonst das Wort Seide
hervorrufen könnte. Solange in der Kunstseidenindustrie eine neue
Sachbezeichnung für Kunstseide nicht gefunden wird, welche das Wort Seide
nicht enthält, und solange Auswege, wie «Glanzstoff» usw. sich nicht eingelebt
haben, wird der Anschluss der Kunstseidenmarken an die Bezeichnung Seide nicht
immer zu vermeiden sein. Nach schweizerischem Recht ist jedoch zu verlangen,
dass diese Marken so gewählt werden, dass sie zu keinen Täuschungen führen.
Prüft man die Marke «Tragiseta» nach diesen Grundsätzen, so ergibt sich
zunächst, dass sie die italienische Bezeichnung für Seide, das Wort «Seta»,
ohne Veränderung oder Verstümmelung enthält. Sie ist daher an sich geeignet,
das Publikum zu täuschen. Dass gerade die italienische Sachbezeichnung gewählt
wurde, ist ohne Belang, da das Italienische in der Schweiz mit dem

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Deutschen und Französischen rechtlich gleichgestellte Landessprache ist und
eine Marke nicht geschützt werden kann, die auch nur in einem Sprachgebiet und
zudem kleinen Teil des Landes, Anlass zu Täuschungen geben kann. Der Zusatz
«Tragi...» ist nach der Zugabe der Beschwerdeführerin und nach den den
Wortschatz der italienischen Sprache enthaltenden und erklärenden
Wörterbüchern (vgl. PIANGIANI, Vocabolario etimologico S. 1452, und PANZINI,
Dizionario moderno S. 566) eine reine Phantasiebezeichnung. Als solche wäre
das Wort Tragi für eine Wortmarke zulässig, da es weder ein Freizeichen, noch
eine Beschaffenheitsbezeichnung darstellt. Dagegen ist es nicht geeignet den
Zusatz «Seide» zu entkräften, da es selbst keinen Sinn hat. Es kann die
Bedeutung, als ob es sich um Seide handle, einigermassen verbergen, aber nicht
beseitigen und daher immer noch zu Täuschungen führen. Verstösst aber eine
Bezeichnung als Marke gegen die guten Sitten, weil sie zur Hintergehung des
Publikums führt, so macht es nichts aus, ob sie allein oder in Zusammensetzung
mit Elementen verwendet wird, gegen die ihrerseits nichts einzuwenden ist.
(Vgl. KOHLER, Recht des Markenschutzes S. 192, Warenzeichenrecht, S. 75, 77,
246 und PAUL SCHMID, Warenzeichenrecht S. 339).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 I 46
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 11. Februar 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 I 46
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 6 Abs. 2 Ziff. 3 der Allgemeinen Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen...


BGE Register
26-II-140 • 31-II-731 • 53-II-355 • 56-I-46 • 60-II-199
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
seide • bundesgericht • rohstoff • sachbezeichnung • sitte • verwechslungsgefahr • wille • frage • wortmarke • fabrik • pariser verbandsübereinkunft • zucker • gewebe • markenschutz • internationale marke • treu und glauben • eigenschaft • entscheid • benutzung • abweisung
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