S. 176 / Nr. 44 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 55 III 176

44. Entscheid vom 11. Dezember 1929 i. S. Schweizer.

Regeste:
ZGB Art. 586; SchKG Art. 49, 59; Während der Dauer des öffentlichen
Erbschaftsinventars ist die Betreibung auch für die aus der Verwaltung der
Erbschaft entstandenen Schulden ausgeschlossen.
Art. 586 CC; 49 et 59 LP. Pendant l'inventaire, même les dettes relatives à
l'administration de la succession ne peuvent faire l'objet d'une poursuite.
Art. 586 codice civile; 49 e 59 LEF. Durante l'inventario non è lecita
l'esecuzione anche per debiti derivanti dall'amministrazione della
successione.

Am 17. September 1929 verlangten die Erben des am 12. gleichen Monats
verstorbenen Jos. Küng das öffentliche Inventar. Das vom Erblasser geführte
Geschäft wurde vom Sohne Wilhelm Küng fortgesetzt. Am 23. September hoben die
Rekurrenten, die in diesem Geschäft angestellt gewesen waren, gegen die
«Erbmasse Jos. Küng sel.» Betreibungen an für «Entschädigung wegen
gesetzwidriger Entlassung laut Schreiben vom 19.» (bezw. 17.) «September 1929»
mit dem Beifügen: «Es handelt sich hier um laufende Verbindlichkeiten der
Erbmasse und nicht etwa um Schulden des Herrn J. Küng sel. Daher ist diese
Forderung von der das Geschäft weiterführenden Masse zu bezahlen und es kann
hiefür gegen dieselbe trotz des Rechtsstillstandes während des öffentlichen
Inventars Betreibung eingeleitet werden, weil diese Forderung eben nicht im
Inventar anzumelden ist.» Das Betreibungsamt Rorchach gab jedoch dem
Betreibungsbegehren

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keine Folge. Hiegegen haben die Rekurrenten Beschwerde geführt und diese nach
Abweisung durch die kantonale Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht
weitergezogen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Rekurrenten machen geltend, Art. 586 ZGB schliesse nach seinem Wortlaute
während der Dauer des öffentlichen Inventars die Betreibung nur für die
Schulden des Erblassers aus und nicht auch für die aus der Verwaltung der
Erbschaft durch die vorläufigen Erben entstandenen Schulden. Allein neben der
angeführten Vorschrift greift auch noch Art. 59 SchKG Platz, wonach
hinsichtlich der Betreibung für Erbschaftsschulden während der für Antritt
oder Ausschlagung der Erbschaft eingeräumten Überlegungsfrist Rechtsstillstand
besteht. Hier wird also die von den Rekurrenten verfochtene Unterscheidung
nicht gemacht. (Und zwar kann sich diese Vorschrift entgegen BLUMENSTEIN,
Handbuch S. 209 und Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins 48 S. 321,
eigentlich gerade nur auf die Betreibung gegen die Erbschaft beziehen, da eine
Betreibung gegen den vorläufigen Erben überhaupt von vorneherein nicht in
Frage kommt, was auch BLUMENSTEIN als selbstverständlich erachtet. Wieso von
den in Art. 49 SchKG für die Betreibung der Erbschaft verlangten
Voraussetzungen diejenige, dass die Teilung nicht erfolgt und eine
vertragliche Gemeinderschaft nicht gebildet ist, regelmässig schon sofort nach
Ablauf der Überlegungsfrist nicht mehr zutreffen werde, wie BLUMENSTEIN meint,
ist unerfindlich.) Übrigens spricht der Wortlaut des Art. 586 ZGB nicht
eindeutig für die Auffassung der Rekurrenten, indem im französischen Text von
den dettes de la succession die Rede und die Terminologie überhaupt keine
feste ist (vgl. Art. 474, 518,.560, 565, 581, 586, 589, 592, 593, 603, 610,
615, 639, 640, wo die Ausdrücke Schulden des Erblassers, Erbschaftsschulden,

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Schulden der Erbschaft gebraucht werden, ohne dass überall Anhaltspunkte für
eine Unterscheidung gefunden werden könnten, namentlich Art. 581 Abs. 3, 603,
639, wo folgende Ausdrücke einander gleichgestellt sind: Schulden des
Erblassers = dettes de la succession = debiti del defunto bezw. Schulden des
Erblassers = dettes du défunt = debiti della successione bezw. Schulden des
Erblassers = dettes de la succession = debiti della successione).
Unbehelflich ist auch der Hinweis der Rekurrenten darauf, dass die
Rechtsprechung von der sich aus Art. 49 SchKG ergebenden und übrigens
selbstverständlichen Regel, wonach die Erbschaft während der amtlichen
Liquidation nicht betrieben werden kann, eine Ausnahme zugelassen hat für die
erst infolge der Liquidation selbst entstandenen (Masse-) Schulden (BGE 47 III
S. 10
; 48 III S. 1). Denn diese Ausnahme lässt sich nur damit rechtfertigen,
dass infolge der Eröffnung der amtlichen Erbschaftsliquidation das
Erbschaftsvermögen, gleichwie infolge der Konkurseröffnung das nicht
konkursfreie Vermögen des Gemeinschuldners, der Verfügung eines Liquidators
anheimgegeben und dadurch zu einem Sondervermögen wird, dem in gewissen
Beziehungen die Eigenschaft eines Rechtssubjektes zugeschrieben werden muss,
namentlich nach der Richtung, dass der Liquidator (Konkursverwalter) Schulden
zu Lasten desselben eingehen kann. Nun hat aber die Durchführung des
öffentlichen Erbschaftsinventars keinerlei derartige Rechtswirkungen: Sie
lässt die Erbschaft nicht zu einem vom Vermögen der Erben verschiedenen
Sondervermögen werden, sondern ändert nichts weiteres an der Rechtsstellung
der vorläufigen Erben, wie sie diesen für die Dauer der Überlegungsfrist auch
ohne Durchführung des öffentlichen Inventars eingeräumt ist, als dass die
vorläufige Verwaltung ihnen entzogen oder aber einem von ihnen nur unter der
von Art. 585 ZGB vorgesehenen Voraussetzung belassen werden darf, worüber das
kantonale Recht eine nähere Ordnung treffen kann (vgl. § 48 des Memorials des

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eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements an die Kantone, vom 24. Juli
1908). Mag die Verwaltung von der Inventarbehörde oder einem von ihr
bestellten Verwalter oder aber den oder einem der Erben geführt werden, so
findet sie nicht wie im Falle der amtlichen Erbschaftsliquidation für Rechnung
eines Sondervermögens (Masse) statt, sondern die daraus sich ergebenden
Schulden fallen bei Annahme der Erbschaft zu Lasten der Erben oder werden bei
Nichtannahme in gleicher Weise aus der (Konkurs-) Liquidation berichtigt wie
die übrigen Erbschaftsschulden; als den Konkurs-Masseschulden vergleichbare
Erbschafts-Masseschulden können sie nicht angesehen werden.
Endlich kann nicht etwa aus der Tatsache der Überlassung der Verwaltung
während des Inventar-Verfahrens an die oder einen vorläufigen Erben ohne
weiteres der Schluss gezogen werden, die durch Verwaltungshandlungen
begründeten Schulden müssen unverzüglich in Betreibung gesetzt werden können.
Denn das Gesetz sieht keinerlei Vorzugsrecht für die aus der vorläufigen
Verwaltung der Erbschaft hervorgegangenen Schulden vor, gleichgültig ob das
öffentliche Inventar durchgeführt worden sei oder nicht, kraft dessen sie bei
konkursamtlicher Liquidation der ausgeschlagenen Verlassenschaft gleich den
Konkurskosten vorab aus dem Verwertungserlös gedeckt werden müssten. Somit
fehlt es an jedem Anhaltspunkt dafür, dass den Gläubigern derartiger Schulden
in irgend einer Beziehung hätte eine bessere Stellung eingeräumt werden wollen
als den übrigen Erbschaftsgläubigern.
Ob die vorliegend in Betreibung gesetzten Schulden schon vom Erblasser oder
erst von dessen Erben begründet worden seien, braucht daher nicht geprüft zu
werden.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 55 III 176
Data : 01. gennaio 1929
Pubblicato : 11. dicembre 1929
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 55 III 176
Ramo giuridico : DTF - Diritto delle esecuzioni e del fallimento
Oggetto : ZGB Art. 586; SchKG Art. 49, 59; Während der Dauer des öffentlichen Erbschaftsinventars ist die...


Registro di legislazione
CC: 585  586
LEF: 49  59
Registro DTF
47-III-10 • 55-III-176
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
erede • de cujus • inventario • misura • durata • massa ereditaria • liquidatore • amministrazione del fallimento • decisione • azienda • ufficio d'esecuzione • soggetto di diritto • indivisione • casale • diritto delle esecuzioni e del fallimento • tribunale federale • ufficio dei fallimenti • diritto cantonale • quesito • mese
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