S. 107 / Nr. 22 Obligationenrecht (d)

BGE 55 II 107

22. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Mai 1929 i. S. Wäffler gegen
Eidgenossenschaft.


Seite: 107
Regeste:
Haftung der Eidgenossenschaft für anlässlich der Beraubung der Schweiz.
Gesandtschaft in Petersburg abhandengekommene Hinterlagen Privater t
1. Kompetenz des Bundesgerichts zur Beurteilung des Rechtsstreites (Erw. 1).
2. Annahme eines dem öffentlichen Recht unterstehenden Hinterlegungsvertrages
(Erw. 2 und 3).
3. Anwendbare Grundsätze; Verneinung der Haftung, weil die Werttitel durch
höhere Gewalt abhanden gekommen sind (Erw. 4).
4. Ablehnung eines Auftragsverhältnisses (Erw. 6).

Tatbestand (gekürzt).
A. - Die Klägerin, gebürtig aus Schaffhausen, war seit 1909 in Russland mit
dem Buchhalter Hermann Kurschinsky von Riga verheiratet und liess sich 1918
von ihm scheiden, wobei sie Mitte März 1918 für sich und ihre beiden Kinder
eine Abfindung in russischen Werttiteln im Nominalbetrage von 16800
Zarenrubeln erhielt. Am 20. März 1918 begab sie sich auf die Schweizerische
Gesandtschaft in Petersburg und deponierte dort die Titel in einem Paket,
wofür ihr Kanzleisekretär Hans Furrer eine Quittung folgenden Inhalts
ausstellte: «Reçue de Madame Kurschinsky née Wäffler des titres russes pour
une somme nominale de R. 16850 suivant bordereau».
Die Klägerin wurde dann längere Zeit im Innern von Russland und bis nach
Sibirien umhergetrieben, und im Jahre 1920 gelang es ihr, mit ihren Kindern in
die Schweiz zurückzukehren. Hier angekommen, erkundigte sie sich beim Eidg.
Politischen Departement über das Verbleiben des Depots und erhielt die
Antwort, es sei im Bundeshaus von einer Geldsendung für sie nichts bekannt;
offenbar sei das Geld anlässlich der im November 1918 erfolgten Beraubung der
Gesandtschaft in Petersburg gestohlen worden. Man verwies sie an die Schweiz.
Hilfs- und

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Kreditorengenossenschaft für Russlandschweizer in Genf. Von Zeit zu Zeit
erneuerte die Klägerin, die im Jahre 1921 wieder in das Schweizerbürgerrecht
aufgenommen worden war, erfolglos ihre Reklamation sowohl beim Eidg.
Politischen Departement, als bei H. Furrer und dessen Nachfolger, H. Roggen.
B. - Am 14. März 1928 reichte sie beim Bundesgericht die vorliegende Klage
ein, mit dem Begehren, es sei die Schweizerische Eidgenossenschaft zu
verpflichten, ihr 18956 Fr. nebst 5% Zins seit 31. Dezember 1920 zu bezahlen.
Zur Begründung machte sie im wesentlichen geltend:
Bei ihrer Vorsprache auf der Schweizerischen Gesandtschaft in Petersburg am
20. März 1918 habe sie Sekretär Furrer erklärt, dass sie bei erster
Gelegenheit in die Schweiz zurückkehren wolle, jedoch Bedenken habe, ihre
Wertschriften auf sich zu tragen, weshalb sie dankbar wäre, wenn die
Gesandtschaft ihr behülflich sein wollte, ihr Vermögen in Sicherheit zu
bringen. Furrer habe ihr geantwortet, sie möge ihre Wertschriften ruhig der
Gesandtschaft übergeben und in die Schweiz zurückkehren, sobald die Ausreise
wieder frei sei. In der Schweiz werde sie dann ihr Vermögen unversehrt wieder
antreffen, indem die Gesandtschaft es unter ihrem Schutz dorthin befördern
wolle. Auf ihre Bemerkung hin, dass es sich um russische Wertschriften handle,
die sie wohl vorerst in Schweizerwerte umwandeln müsse, habe Furrer erklärt,
auch das möge sie vertrauensvoll der Gesandtschaft überlassen; wenn sie selber
umwechsle, so werde sie am Kurs 10 bis 20% einbüssen, während die
Gesandtschaft die Umwechslung zum besten Tageskurse vornehmen und den Erlös in
Schweizergeld prompt nach Bern befördern werde.
Dieser Vorschlag habe ihr eingeleuchtet und sie habe daher die Zusage gegeben,
die Gesandtschaft solle ihre Titel entgegennehmen, in Schweizergeld umsetzen
und den Erlös nach der Schweiz verbringen.

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Dieses Rechtsgeschäft stelle einen privatrechtlichen Auftrag dar. Durch die
Ermächtigung der Gesandtschaft zur Besorgung solcher Mandate sei die
Eidgenossenschaft als Geschäftsherr für die getreue und sorgfältige Ausführung
verantwortlich geworden. Für ihr Personal hafte sie gemäss Art. 101
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 101 - 1 Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
1    Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
2    Diese Haftung kann durch eine zum voraus getroffene Verabredung beschränkt oder aufgehoben werden.
3    Steht aber der Verzichtende im Dienst des andern oder folgt die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes, so darf die Haftung höchstens für leichtes Verschulden wegbedungen werden.
OR.
Öffentlichrechtlich könne der übernommene Auftrag deshalb nicht sein, weil in
§ 35 des Konsularreglements von 1875, das im Jahre 1918 noch Geltung hatte,
die Besorgung von Vermögenssachen für Private von den offiziellen Funktionen
ausgeschlossen war (BGE 47 II S. 150 f.). Der Beklagten sei eine grobe
Fahrlässigkeit aus dem Umstande zur Last zu legen, dass sie die Valoren,
entgegen der Instruktion, monatelang in Russland habe liegen lassen, statt sie
sofort in Schweizerwerte umzuwechseln und den Erlös nach der Schweiz zu
befördern (Art. 397
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 397 - 1 Hat der Auftraggeber für die Besorgung des übertragenen Geschäftes eine Vorschrift gegeben, so darf der Beauftragte nur insofern davon abweichen, als nach den Umständen die Einholung einer Erlaubnis nicht tunlich und überdies anzunehmen ist, der Auftraggeber würde sie bei Kenntnis der Sachlage erteilt haben.
1    Hat der Auftraggeber für die Besorgung des übertragenen Geschäftes eine Vorschrift gegeben, so darf der Beauftragte nur insofern davon abweichen, als nach den Umständen die Einholung einer Erlaubnis nicht tunlich und überdies anzunehmen ist, der Auftraggeber würde sie bei Kenntnis der Sachlage erteilt haben.
2    Ist der Beauftragte, ohne dass diese Voraussetzungen zutreffen, zum Nachteil des Auftraggebers von dessen Vorschriften abgewichen, so gilt der Auftrag nur dann als erfüllt, wenn der Beauftragte den daraus erwachsenen Nachteil auf sich nimmt.
, Abs. 2 und 398 OR). An die Stelle der eigentlichen
Vertragsleistung trete infolge schuldhafter Nichterfüllung der
Mandatspflichten die Schadloshaltung gemäss Art. 97 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
. OR. Da es sich um eine
Vertragsklage handle, gelte die 10-jährige Verjährung.
C. - Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage, im wesentlichen aus
folgenden Gründen:
Anlässlich der Nationalisierung der Banken und des Privateigentums in Russland
Ende 1917 habe das Eidg. Politische Departement an die Gesandtschaft in
Petersburg die generelle Ermächtigung zur Wahrung der vermögensrechtlichen
Interessen der Schweizer erteilt, worin gewissermassen auch die Erlaubnis zur
Entgegennahme von Depots enthalten gewesen sei. Erst am 28. Mai 1918 habe dann
der Bundesrat die Erlaubnis erteilt, dass der Kurier auch Geld und Werttitel
von Schweizern in Russland nach der Schweiz mitführen dürfe (nachdem bereits
früher die Beförderung privater Korrespondenz gestattet worden sei). Die
Instruktionen des Politischen Departements hätten dahin gelautet, dass in
Anbetracht der Gefahren nur solche Depots durch den Kurier ins Ausland
gebracht werden dürften, bei denen der Hinterleger

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der Gesandtschaft ausdrücklich jede Freiheit lasse, die ihr gutscheinenden
Massnahmen zu treffen, und sich mit der Ablehnung jeglicher Haftung seitens
der Gesandtschaft einverstanden erkläre. Da sich hier die Klägerin nach
Übergabe der Titel ins Innere von Russland begeben habe und für die
Gesandtschaft überhaupt nicht mehr erreichbar gewesen sei, so habe ein Revers
im gedachten Sinne von ihr nachträglich nicht eingeholt werden können. Ohne
einen Auftrag und ohne Ausstellung eines Reverses habe aber ihr Depot mit dem
Kurier nicht weggeschafft werden können. Auf jeden Fall habe Kanzleisekretär
Furrer keine Befugnis gehabt, der Klägerin irgendwelche Zusicherungen
bezüglich des Kurierdienstes zu machen. Mit der Umwechslung von mit dem Kurier
zu befördernden Rubelwerten Privater hätten sich die Bundesbehörden
grundsätzlich nicht befasst.
Im November 1918 seien sämtliche Depots in die norwegische Gesandtschaft
verbracht und am 19. November dort von einer bewaffneten Bande gestohlen
worden. Das Paket der Klägerin befinde sich ebenfalls auf der Verlustliste.
Diese Titel seien übrigens zufolge der Nationalisierung der russischen Valoren
schon im Zeitpunkte ihrer Übergabe an die Gesandtschaft erheblich entwertet
gewesen und jedenfalls im Jahre 1920 völlig wertlos geworden, so dass im Falle
ihrer Verbringung in die Schweiz die Klägerin nur wertlose Papiere gehabt
hätte.
Das streitige Rechtsverhältnis sei nach öffentlichem Recht zu beurteilen, da
die Gesandtschaft das Privatdepot in Ausübung der ihr nach den
Konsularreglementen obliegenden Pflicht: «die Interessen der Schweizerbürger
nach Kräften zu wahren», entgegengenommen habe. Im Verhalten des
Kanzleisekretärs Furrer, wie es in der Klage geschildert werde, würde eine
Überschreitung amtlicher Befugnisse liegen, die nach dem
Verantwortlichkeitsgesetz von 1850 die Schadenersatzpflicht des fehlbaren
Beamten, und nicht des Bundes, auslösen würde. Ebenso würde Furrer auch vom
privatrechtlichen

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Standpunkte aus, wenn er wirklich einen Auftrag mit dem behaupteten Inhalt
angenommen hätte, ohne dazu ermächtigt zu sein, nach Art. 38
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 38 - 1 Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
1    Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
2    Der andere ist berechtigt, von dem Vertretenen innerhalb einer angemessenen Frist eine Erklärung über die Genehmigung zu verlangen und ist nicht mehr gebunden, wenn der Vertretene nicht binnen dieser Frist die Genehmigung erklärt.
OR allein haftbar
sein. Eine Klage gegen den Bund aus Art. 41 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
. OR wäre verjährt.
Zivilrechtlich könnte es sich lediglich um einen Hinterlegungsvertrag handeln
(Art. 472 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 472 - 1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
1    Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
2    Eine Vergütung kann er nur dann fordern, wenn sie ausdrücklich bedungen worden ist oder nach den Umständen zu erwarten war.
., spez. 481 Abs. 3 OR), wobei der Aufbewahrer nur für den durch
schuldhafte Nichterfüllung verursachten Schaden einzustehen habe. Da zudem die
Tätigkeit nicht gewerbsmässig übernommen worden sei, so wäre eine Haftung nur
für rechtswidrige Absicht und grobe Fahrlässigkeit gegeben (BGE 47 II S. 153).
Das gleiche gelte auch bei Annahme eines Auftrages.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Beklagte hat, trotzdem sie das zwischen den Parteien streitige
Rechtsverhältnis als ein öffentlichrechtliches bezeichnet, die Kompetenz des
Bundesgerichts als einziger Instanz gemäss Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 472 - 1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
1    Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
2    Eine Vergütung kann er nur dann fordern, wenn sie ausdrücklich bedungen worden ist oder nach den Umständen zu erwarten war.
, Ziff. 2 OG mit Recht nicht
bestritten. Denn es handelt sich zweifellos um einen vermögensrechtlichen
Anspruch eines Privaten gegen den Bund und der Prozess über einen solchen muss
nach der bundesgerichtlichen Praxis als zivilrechtliche Streitigkeit
betrachtet werden (vgl BGE 49 II S. 414; 50 II S. 297; 52 II S. 259;
BURCKHARDT, Komm. der BV, 2. Aufl. S. 771).
2.- Nach den Akten, insbesondere auf Grund des von der Klägerin ins Recht
gelegten Empfangsscheines und der Zeugenaussage des ehemaligen
Kanzleisekretärs Furrer steht fest, dass die Klägerin die fraglichen
Wertpapiere auf die Gesandtschaft als ein von dieser zu übernehmendes
Depositum gebracht hat, und dass anderseits Furrer die Titel in dieser Meinung
für die Gesandtschaft zu Handen genommen hat. Damit ist zwischen den Parteien
ein Rechtsgeschäft zustandegekommen, bei welchem die Klägerin die Stellung
eines Hinterlegers und die Beklagte die eines Aufbewahrers einnimmt, es wäre
denn,

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dass Furrer die Befugnis, im Namen der Gesandtschaft zu handeln, gemangelt
hätte. Hievon kann aber keine Rede sein; denn es steht fest (und ist
gerichtsnotorisch), dass die Gesandtschaft in jener Zeit mannigfach durch ihre
Beamten solche Hinterlagen angenommen hat, und Furrer speziell war laut seiner
Zeugenaussage eben in seiner Stellung als Kanzleisekretär vom Gesandten Odier
zur Entgegennahme ermächtigt worden.
3.- Ob und welche rechtlichen Verpflichtungen nun für die Gesandtschaft, bezw.
die Beklagte aus dieser in übereinstimmender Willenserklärung mit der
Klägerin, also vertraglich erfolgten Übernahme der Wertschriften als
Hinterlage erwachsen seien, hängt von der staatsrechtlichen Stellung jener ab.
Die Regeln des OR über die Rechte und Pflichten des Aufbewahrers gelten nicht
ohne weiteres für den Staat selbst. Die bürgerliche Rechtsordnung berührt
diesen zunächst nur insoweit, als er sie aufstellt und handhabt; unterworfen
ist er ihr nur dann und insoweit, als er sich selbst ihr unterstellt hat. Das
versteht sich aber keineswegs von selbst, sondern muss für das jeweilen
streitige Rechtsgeschäft dargetan werden.
Der (von ihm geschaffenen) Privatrechtsordnung unterwirft sich der Staat u. a.
dann, wenn er in den Verkehr nicht als gebietende Macht, sondern als
Unterhandelnder eintritt, so insbesondere, wenn er auf seinen Namen durch
seine Organe ein Gewerbe betreibt oder sonst mit den Privaten Rechtsgeschäfte
in gleichberechtigter Stellung abschliesst, wie diese unter sich (vgl. BGE 54
II S. 373
und nicht publ. Entscheid i. S. Bächli c. Eidgenossenschaft vom 1.
März 1927, Erw. 5). Wie das Bundesgericht in letzterem Urteile ausgesprochen
hat, findet nun aber der rechtsgeschäftliche Typus des Hinterlegungsvertrages,
wie er im Privatrecht geregelt ist, auch im öffentlichen Rechte seinen Platz.
Der Staat kann auch in seiner öffentlichen Stellung eine Hinterlage von
Privaten entgegennehmen, und ob die Gesandtschaft im vorliegenden Falle in
dieser Stellung gehandelt habe,

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beurteilt sich einerseits nach den Umständen, unter welchen sie sich zur
Annahme veranlasst gesehen hat, und anderseits darnach, in welcher Weise der
Rechtsakt vorgenommen worden ist. Nach beiden Richtungen hin ergibt sich hier
deutlich, dass man es mit einem Rechtsgeschäft öffentlichrechtlichen
Charakters zu tun hat. Denn davon, dass die Gesandtschaft sich aus
irgendwelchen Gründen veranlasst gesehen hätte, nach der Art eines privaten
Betriebes eine Einrichtung zur Entgegennahme von Depots zu treffen, ist gar
keine Rede, vielmehr handelte es sich offenbar lediglich um eine Hilfsaktion
zu Gunsten der in ihrem Vermögensbesitz bedrohten Landsleute, mithin um
Massnahmen, die unmittelbar aus der staatlichen Aufgabe hervorgingen. Für die
Annahme, dass die Gesandtschaft in Ausübung ihrer amtlichen Obliegenheiten
gehandelt habe, spricht sodann anderseits auch die Art und Weise der Übernahme
des Depots insofern, als keine Gegenleistung des Hinterlegers verlangt worden
ist.
4.- Liegt somit eine Unterwerfung des Staates unter das bürgerliche Recht
insoweit nicht vor, so bleibt noch zu untersuchen, ob und welche
Verpflichtungen aus dem Hinterlegungsvertrag für ihn aus dem eidg.
Verwaltungsrecht abgeleitet werden können. In diesem finden sich nun freilich
keine geschriebenen Normen über das Bestehen und den Inhalt solcher
Verpflichtungen. Allein daraus darf nicht durch Umkehrschluss gefolgert
werden, dass der Bund überhaupt nicht hafte. Diesen Schluss hat das
Bundesgericht im Urteil i. S. Bächli abgelehnt und ausgesprochen, dass auch
nach öffentlichem Recht eine Pflicht des Verwahrers zur sorgsamen Aufbewahrung
und zur Rückgabe bestehe, und zwar, mangels besonderer öffentlichrechtlicher
Vorschriften, nach Analogie des Art. 477
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 477 - Die hinterlegte Sache ist auf Kosten und Gefahr des Hinterlegers da zurückzugeben, wo sie aufbewahrt werden sollte.
OR. Auch das von der Beklagten ins
Recht gelegte Gutachten von Prof. Burckhardt steht grundsätzlich auf diesem
Boden. Mit der Argumentation, weil im eidg. Verwaltungsrecht eine
ausdrückliche Norm des Inhalts fehle, dass dem Bunde durch Verwaltungsakte

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solcher Art irgendwelche Pflichten erwachsen, so bestünden solche auch nicht,
käme man notwendig zu dem Schlusse, dass der Bund rechtlich überhaupt nicht
gebunden wäre, in solchen durch seine Organe geschaffenen Beziehungen zu
Dritten Wort zu halten. Dem Hinterleger würde darnach zwar, um die Hinterlage
in natura zurückzuerhalten, immerhin noch die Vindikation zustehen, dagegen
wäre ein aus dem vorgenommenen Rechtsgeschäft fliessender Rückgabeanspruch
ausgeschlossen, indem ja mit der genannten These eine rechtliche Pflicht zur
Verwahrung überhaupt verneint würde und damit von vorneherein auch jegliche
Verpflichtung zum Einstehen für das Erfüllungsinteresse. Man käme auf diesem
Wege zu einem Ergebnis, das im grossen und ganzen als ein Zustand der
Rechtlosigkeit bezeichnet werden müsste. Die Beklagte wendet zwar ein, der
Schutz des eventuell zu Schaden gekommenen Privaten liege im eidg.
Verantwortlichkeitsgesetz vom 9. Dezember 1850, und glaubt, der Geschädigte
habe sich eben der in diesem Gesetz gewährten Rechtsbehelfe zu bedienen, d. h.
seinen Schaden von dem jeweils fehlbaren Beamten ersetzt zu verlangen. Diese
Verweisung auf das Verantwortlichkeitsgesetz ist zweifellos da am Platze, wo
es sich lediglich um die Frage handelt, ob und wie derjenige, welcher durch
eine fehlerhafte Handlung eines Beamten oder einer Behörde zu Schaden gekommen
ist, Vergütung dieses Schadens fordern könne. Sie reicht aber nicht hin, eine
befriedigende Lösung der Haftungsfrage in denjenigen Fällen zu geben, wo
bereits eine Bindung des Staates selbst vorliegt, d. h. wo nicht nur in dessen
Namen eine schadenstiftende Handlung vorgenommen worden ist, sondern ein
Rechtsgeschäft, aus welchem nicht der handelnde Beamte, sondern der Staat
selbst Verpflichtungen übernommen hat. Darüber, dass hier Kanzleisekretär
Furrer durch die Entgegennahme des Depots in seiner amtlichen Stellung, im
Namen des Bundes, gegenüber der Klägerin nicht eigene Verpflichtungen
eingegangen ist, sondern den von

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ihm vertretenen Staat unmittelbar verpflichtet hat, kann ernstlich ein Zweifel
nicht bestehen. Durch diese direkte Verpflichtung des Bundes ist aber auch die
rechtliche Grundlage der diesen selbst primär treffenden Verantwortlichkeit
dafür geschaffen worden, dass das, was durch jenes Rechtsgeschäft in seinem
Namen versprochen wurde, auch gehalten werde, und es geht nicht an, den auf
diese eigene Haftbarkeit des Staates gestützten Anspruch der Klägerin einfach
auf die Einklagung gegen den fehlbaren Beamten nach dem eidg.
Verantwortlichkeitsgesetz zu verweisen, als ob es sich dabei nur um eine - in
diesem Gesetz übrigens nicht aufgestellte - subsidiäre Haftung des Bundes
handle.
Dagegen kann im öffentlichen Recht ebensowenig wie im Privatrecht der Anspruch
erhoben werden, dass dieses Einstehen für ein abgegebenes Versprechen ein
absolutes sein müsse. Vielmehr ist, hier wie dort, mit der Bejahung der
Verpflichtung die Frage noch nicht entschieden, wie es mit der Haftbarkeit des
Verpflichteten in dem Falle stehe, wo es sich ergeben hat, dass die Erfüllung
der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden kann
(vgl. Art. 97
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
OR). Es erheben sich in dieser Beziehung auf dem Gebiete des
öffentlichen Rechts analoge Fragen wie im Privatrecht, insbesondere also mit
Bezug auf die Haftung für Zufall und für Verschulden der Organe der
juristischen Person. Hiebei können offenbar die Normen des Privatrechts nicht
ohne weiteres übernommen werden (in dieser Beziehung wird von Prof. Burckhardt
zutreffend auf das Beispiel der selbständig geordneten Haftpflicht der Post-
und Telegraphenverwaltung hingewiesen). Abgesehen von allfälligen positiven
Bestimmungen des öffentlichen Rechts, die hier natürlich von vorneherein
massgebend sind, ist indessen die Ordnung des Privatrechts als allgemeine
Orientierung im Auge zu behalten, aber in jedem Falle genau zu untersuchen, ob
eine analoge Anwendung derselben sich mit dem Wesen und der Einrichtung der
öffentlichen Verwaltung vertrage.

Seite: 116
Ein näheres Eingehen auf diese Fragen erübrigt sich jedoch hier, was die
Haftung des Bundes als Verwahrers anbelangt. Denn es steht fest, dass die
Werttitel der Gesandtschaft durch höhere Gewalt, nämlich durch die im November
1918 stattgefundene Beraubung, abhanden gekommen sind. Davon, dass dieser
Verlust etwa wegen mangelhafter Verwahrung eingetreten sei, ist keine Rede.
Auch wenn man sogar die privatrechtlichen Normen direkt zur Anwendung bringen
wollte, so müsste die Klage, soweit sie den Bund als Aufbewahrer haftbar
machen will, aus diesem Grunde abgewiesen werden.
5.- Das Klagefundament beschränkt sich nun freilich nicht auf den blossen
Hinterlegungsvertrag, sondern besteht weiterhin in der Behauptung, die
fraglichen Werttitel seien bei der Gesandtschaft mit der von dieser
entgegengenommenen Anweisung hinterlegt worden, dass sie dieselben in
Schweizerwerte umwandeln und den Erlös sobald als möglich mit dem
diplomatischen Kurier nach der Schweiz befördern solle. Für dieses weitere
Klagefundament ist jedoch die Klägerin den Beweis schuldig geblieben. Das
einzige Schriftstück, das sie vorlegen konnte, ist die ihr von der
Gesandtschaft ausgestellte Quittung, und diese spricht nur von einer
Entgegennahme der Titel als Depot. Die Zeugenaussage von Kanzleisekretär
Furrer aber, die einzig die Klageanbringen zu erhärten imstande gewesen wäre,
ist negativ ausgefallen. Inbezug auf die behauptete Übernahme der Umwechslung
der Papiere hat Furrer ausgesagt: «Wir übernahmen nicht die Verpflichtung zur
Umwechslung der russischen Obligationen in der Schweiz, denn sonst hätten wir
eine schriftliche Ermächtigung zum Verkaufe der Titel zu einem Minimalkurse
verlangt. Auch wäre ein anderer Empfangsschein ausgestellt worden, nicht, wie
es geschehen, ein solcher für ein Depot.» In der Tat erscheint ein solcher
Auftrag nicht wohl denkbar ohne bestimmte Abmachungen über die Preisgrenzen,
wofür hier jeder Nachweis fehlt. Aber auch die Übernahme der Verpflichtung,

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das Depot ohne weitern Auftrag der Klägerin und so frühzeitig in die Schweiz
zu schaffen, dass es zur Zeit des Raubes vom November 1918 bereits in
Sicherheit gewesen wäre, muss nach diesem Zeugnis als nicht bewiesen gelten.
Nach den Aussagen Furrers konnte das Geld im März 1918 noch nicht in die
Schweiz gebracht werden; er gibt zu: «Vielleicht habe ich ihr gesagt, dass das
Geld später in die Schweiz geschafft werde...», aber dass er diesen Transport
für die Zeit bis zum November 1918 in Aussicht gestellt habe, hat er
entschieden verneint, indem er betonte, er habe allen, auch der Klägerin,
erklärt, es sei nicht möglich. die Depots in die Schweiz zu verbringen, weil
der Bundesrat die Übermittlung verboten habe.
Es kann somit auf Grund dieser Zeugenaussage höchstens als erwiesen betrachtet
werden, dass der Klägerin in Aussicht gestellt worden ist, das Geld werde
«später» (d. h. in einem noch unbestimmten Zeitpunkte) nach der Schweiz
befördert werden. Die Möglichkeit der Verwendung des diplomatischen Kuriers
hiefür bestand nun zum mindesten seit Anfang Juni 1918. Dagegen fehlen alle
Anhaltspunkte dafür, dass man das Depot von diesem Zeitpunkt hinweg auf der
Gesandtschaft schuldhaft liegen liess. Das Gegenteil geht vielmehr aus dem
Zeugnis Furrers hervor: Dass diese Valoren in die Schweiz geschafft werden
sollten, war zwar nach seiner Aussage ganz klar (er fügt denn auch bei: «Wenn
die Sachen nicht gestohlen worden wären, so hätte sie die Gesandtschaft wohl
ohne Auftrag in die Schweiz gebracht»), allein er erklärt anderseits, dass die
Valoren nach der Rangordnung ihrer Hinterlage bei der Gesandtschaft in die
Schweiz befördert wurden, und zwar meistens solche von Leuten, welche sofort
in die Schweiz verreisen wollten oder schon dort waren. Dafür aber, dass die
Klägerin bei dieser Rangordnung übergangen worden sei, liegt nichts vor. Nach
den Ausführungen der Beklagten beliefen sich die hinterlegten Valoren auf etwa
zehn Millionen, für die

Seite: 118
naturgemäss nur eine beschränkte Abtransportmöglichkeit durch den Kurier
bestand. Unter diesen Umständen kann daher keine Verantwortlichkeit der
Gesandtschaft daraus hergeleitet werden, dass sie das Depot der Klägerin nicht
von sich aus, ohne weitern Auftrag, schon vor dem November 1918 befördert hat.
Entscheidend ist aber jedenfalls die Tatsache, dass die Gesandtschaft eine
Verpflichtung zur Umwechslung der Valoren in Schweizergeld nicht übernommen
hat. Wenn sie daher auch das Depot vor dem Raub im November 1918 in die
Schweiz verbracht hätte, so würde die Klägerin bei ihrer Rückkehr im Jahre
1920 hier nur die bis zu diesem Zeitpunkte bereits wertlos gewordenen Papiere
angetroffen haben.
Die Klage ist daher als unbegründet abzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Klage wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 55 II 107
Date : 01. Januar 1929
Published : 15. Mai 1929
Source : Bundesgericht
Status : 55 II 107
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Haftung der Eidgenossenschaft für anlässlich der Beraubung der Schweiz. Gesandtschaft in Petersburg...


Legislation register
OG: 48
OR: 38  41  97  101  397  472  477
BGE-register
47-II-144 • 49-II-404 • 54-II-371 • 55-II-107
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
federal court • defendant • russia • confederation • money • damage • department • standard • hamlet • responsibility act • question • meeting • federal council of switzerland • adult • gross negligence • robbery • force majeure • packet • obligation • position
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