S. 67 / Nr. 10 Gleichheit vor dem Gesetz (d)

BGE 55 I 67

10. Urteil vom 15. Juni 1929 i. S. Guggenheim gegen Thurgau.


Seite: 67
Regeste:
Totalausverkaufsbewilligung wegen gänzlicher Geschäftsaufgabe (thurg.
Hausiergesetz) kann ohne Willkür immer dann verweigert werden, wenn einer der
Teilhaber der bisherigen Firma unmittelbar anschliessend am gleichen Ort ein
ähnliches Geschäft eröffnet: Erw. 1.
- Wann kann der «Geschäftsführer» ohne Willkür als Teilhaber angesehen werden?
Erw. 1.
Nachträgliche Behandlung eines zu Unrecht bewilligten Totalausverkaufs als
Räumungsausverkauf. Erw. 3.

A. - Das thurgauische Gesetz vom 3. Oktober 1898
betreffend das Markt- und Hausierwesen stellt das Hausieren und die ihm
gleichgestellten gewerblichen Betätigungen unter Patentpflicht. In dieser
Beziehung wird des nähern bestimmt:
§ 7. «Dem Hausieren wird gleichgestellt:
a) Der freiwillige Ausverkauf, inbegriffen sogenannte Reklame-, Gelegenheits-
und andere vorübergehende Massenverkäufe.»
§ 19 Abs. 2. «Patente für Warenverschleisse nach § 7 lit. a werden längstens
auf einen Monat und nur einmal innerhalb eines halben Jahres von der letzten
Patentausstellung an erteilt.»
§ 20 Abs. 6. «Findet der Verkauf - in den Fällen des § 7 lit. A - wegen
gänzlicher Geschäftsaufgabe infolge

Seite: 68
Todes des Inhabers oder Auflösung der Firma statt, so ist die Minimaltaxe zu
bezahlen, und es kann die Gültigkeit des Patentes bis auf sechs Monate
ausgedehnt werden.»
§ 20 Abs. 1 und 2. «Zuhanden des Staates werden feste Patenttaxen erhoben,
welche zum voraus zu entrichten sind.
Dieselben betragen:
2. für Patente in den Fällen von
§ 47 lit. a (Ausverkäufe) per Monat 50 bis 400 Fr.
In Frauenfeld bestand seit 1921 ein Konfektionshaus H. Guggenheim, welches im
Auftrag des Firmainhabers und heutigen Rekurrenten Heinrich Guggenheim durch
dessen Schwager Harry Bollag geführt wurde. Bollag bezog für seine
Arbeitsleistungen einen prozentualen Anteil am Geschäftsumsatz, hatte aber
andererseits 20% der allgemeinen Geschäftsunkosten und - zuerst teilweise,
dann ganz - die Lokalmiete zu bezahlen. Die ihm vom Rekurrenten ausgestellte
«General-Vollmacht» vom 20. September 1921 lautet: «Hierdurch erteile ich
meinem Schwager Herrn Harry Bollag generelle Vollmacht alle vorkommenden
Angelegenheiten in meinem Namen zu erledigen und werde ich seine Abmachungen
jederzeit als rechtsgültig anerkennen. Dies gilt auch gegenüber Behörden,
sowie Post, Bank, Bahn, etc.»
Am 22. Oktober 1928 erteilte das Polizeidepartement des Kantons Thurgau dem
Rekurrenten die Bewilligung zur Durchführung eines Totalausverkaufs während
der Monate November, Dezember und Januar 1928/29 gegen Entrichtung einer
Ausverkaufsgebühr von 150 Fr. (Das Minimum gemäss § 20 Abs. 6 des
Hausiergesetzes für drei Monate). Am 26. November 1928 verfügte das
Polizeidepartement:
1. Der unterm 31. Oktober 1928 bewilligte Totalausverkauf der Firma H.
Guggenheim endigt mit Ende November 1928.

Seite: 69
2. H. Guggenheim hat an die Staatskasse den Betrag von 250 Fr. nachzuzahlen,
sowie die Kosten der Untersuchung mit 70 Fr. 90 Cts.
Eine gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde wurde am 31. Dezember 1928
vom Regierungsrat des Kantons Thurgau abgewiesen, mit der Begründung:
Der Geschäftsführer und Schwager des Rekurrenten, Harry Bollag, wolle in den
Lokalen der bisherigen Firma H. Guggenheim ein gleiches Geschäft eröffnen. Er
habe das schon während des Ausverkaufs mit Affichen bekannt gegeben und die
Lokalmiete per 1. Januar 1929 schon am 13. Februar 1928 übernommen. Das alte
Geschäft des heutigen Rekurrenten bestehe also notwendigerweise irgendwie im
neuen Geschäft des Bollag fort. Bei Kenntnis dieser Sachlage wäre eine
Totalausverkaufsbewilligung nicht erteilt worden. Der tatsächlich bereits
stattgefundene Ausverkauf müsse nun nachträglich eben als Räumungsausverkauf
gemäss den §§ 19 Abs. 2 und 20 Abs. 2 Ziff. 2 behandelt werden mit Ansetzung
der Taxe auf das Maximum von 400 Fr. im Monat. Die Differenz sei
nachzubezahlen.
B. - Gegenüber dem am 7. Januar 1929 zugestellten Regierungsratsentscheid
erhebt der Rekurrent am 7. März 1929 staatsrechtliche Beschwerde, mit dem
Antrag, es sei der Entscheid, eventuell dessen Ziff. 2 als verfassungswidrig
aufzuheben.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Totalausverkaufsbewilligung «wegen gänzlicher Geschäftsaufgabe infolge
Auflösung der Firma» kann ohne Willkür immer dann verweigert werden, wenn ein
Teilhaber der bisherigen Firma unmittelbar darauf am gleichen Ort ein
ähnliches Geschäft gründet. Die polizeiliche Beschränkung der Ausverkäufe hat
ja ihren Grund in der darin liegenden Bedrohung der Interessen des
bodenständigen Gewerbes. Dieser Grund trifft aber auf alle Ausverkäufe zu; und
wenn deshalb im thurgauischen

Seite: 70
Gesetz für die Ausverkäufe wegen gänzlicher Geschäftsaufgabe gewisse
Erleichterungen vorgesehen werden, so geschieht das offenbar mit Rücksicht
darauf, dass hier die Warenvorräte unter allen Umständen in verhältnismässig
kurzer Zeit abgestossen werden müssen. Dieser Zwang zur Liquidation des
Warenbestandes besteht aber, wie ohne Willkür angenommen werden kann, überall
da nicht, wo ein Teilhaber des bisherigen Geschäfts in den gleichen Lokalen
ein ähnliches Geschäft eröffnet. Denn hier handelt es sich in Wirklichkeit nur
um den Austritt eines Teilhabers aus dem an sich weiterbestehenden Geschäft;
und wenn die alte Firma sich trotzdem zum Liquidationsausverkauf entschliesst,
so tut sie das nur um der allgemein damit verbundenen Vorteile willen. Ein
Grund zur Einräumung besonderer Erleichterungen besteht dann aber nicht.
Hier konnte nun ohne Willkür angenommen werden, dass Bollag - wenn nicht
rechtlich, so doch faktisch - Teilhaber der bisherigen Firma H. Guggenheim
gewesen sei. Bollag war in dieser Firma am Gewinn und Verlust beteiligt
gewesen: am Gewinn dadurch, dass er einen prozentualen Anteil am
Bruttoergebnis (Umsatz) bezog, am Verlust dadurch, dass er einen zum Teil
spezifizierten (Lokalmiete) und zum Teil prozentualen Anteil der
Geschäftsunkosten persönlich zu tragen hatte. Er war der geschäftsführende
Teilhaber, wobei seine Einlage im Gegensatz zur Kapitaleinlage des Rekurrenten
in Arbeit bestand. Dass das ganze Verhältnis nach aussen in die Form eines
Dienstvertrags- und Vollmachtsverhältnisses gekleidet war, vermag daran nichts
zu ändern. Die dem Regierungsrat bei Erlass des angefochtenen Entscheides
vorgelegenen Akten - das erst nachträglich eingesandte Aktenstück kann
natürlich zur Stützung dieses Entscheides nicht angerufen werden - lassen die
Annahme zu, der Rekurrent habe mit der Gründung seines Frauenfelder Geschäfts
nur seinem durch unglückliche Spekulationen vermögenslos gewordenen Schwager
Harry Bollag die Neugründung

Seite: 71
eines eigenen Geschäfts ermöglichen wollen, indem er ihm für die ersten Jahre
Kapital und Namen zur Verfügung stellte. Dann aber bestand wirklich kein
Grund, eine Totalausverkaufsbewilligung wegen gänzlicher Geschäftsaufgabe
gerade in dem Moment zu erteilen, wo dieses Geschäft finanziell vom
Rekurrenten unabhängig wurde und infolgedessen nun auch formell an Harry
Bollag überging. - Infolgedessen kann dahingestellt bleiben, ob die
Ausverkaufsbewilligung auch deshalb hätte verweigert werden können, weil der
Ausverkauf nebenbei zur Liquidation der Warenvorräte im Wilergeschäft des
Rekurrenten benützt worden sei.
Gegenüber der Feststellung der Vorinstanz, es habe sich zwischen Bollag und
dem Rekurrenten um ein Teilhaberverhältnis gehandelt, ist auch die Berufung
auf die Expertise unbehelflich. Denn erstens ist der Richter auch für seine
tatsächlichen Annahmen nicht an die Feststellungen einer Expertise gebunden,
sofern nur seine eigenen Annahmen nicht in sich selber unhaltbar sind; und
zweitens hat sich der Regierungsrat mit den tatsächlichen Feststellungen des
Experten überhaupt nicht in Widerspruch gesetzt, sondern bloss aus ihnen in
Verbindung mit andern aktenkundigen Tatsachen andere rechtliche Schlüsse
gezogen, als unmittelbar nach der Expertise selber hätte erwartet werden
können.
2.- ...
3.- Wenn nun der tatsächlich bereits stattgefundene Ausverkauf, mit der
Begründung, dass die Bewilligung dafür gemäss § 20 Abs. 6 des Markt- und
Hausiergesetzes zu Unrecht erteilt worden sei, nachträglich als
Räumungsausverkauf gemäss § 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 behandelt und
dementsprechend nachbesteuert wird, so kann darin keine offenbar unhaltbare
Auslegung dieser Vorschriften erblickt werden. Allerdings hätte der Rekurrent,
wenn ihm von Anfang an die Bewilligung für einen Räumungsausverkauf erteilt
worden wäre, nach seiner unbestritten gebliebenen Behauptung das Recht zum
Nachbezug

Seite: 72
von Waren gehabt, um das er nun gekürzt worden ist. Allein das hat er sich
selber zuzuschreiben, da er bei der Bewerbung um die Ausverkaufsbewilligung
die wahren Verhältnisse verschwieg, wobei zu bemerken ist, dass ihm nach der
Feststellung der Vorinstanz bei Kenntnis dieser Verhältnisse auch ein
Räumungsausverkauf nicht bewilligt worden wäre.
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 I 67
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 15. Juni 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 I 67
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Totalausverkaufsbewilligung wegen gänzlicher Geschäftsaufgabe (thurg. Hausiergesetz) kann ohne...


BGE Register
55-I-67
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
monat • ausverkauf • thurgau • schwager • regierungsrat • kenntnis • hausieren • vorinstanz • bundesgericht • frauenfeld • bezogener • entscheid • unternehmung • zahl • bruchteil • begründung des entscheids • staatsrechtliche beschwerde • konkursdividende • zahlung • liquidation
... Alle anzeigen