S. 202 / Nr. 33 Fabrik- und Gewerbewesen (d)

BGE 55 I 202

33. Urteil vom 10. Oktober 1929 i. S. Baur & Cie A.-B. gegen Abteilung für
Industrie und Gewerbe des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes.


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Regeste:
1. Eine Anstalt für Kunststeinfabrikation, die regelmässig 11 Arbeiter
beschäftigt, hat die Eigenschaft einer Fabrik im Sinne von Art. 1 FG.
2. Saisonbetriebe sind von der Unterstellung unter das Fabrikgesetz nicht
ausgenommen, ebenso nicht Betriebe, die für eine von ihrem Eigentümer
geführte, der Fabrikgesetzgebung nicht unterworfene Unternehmung fabrizieren.

A. - Die Baur & Cie A.-G. in Zürich befasst sich mit der Herstellung von
Kunststeinen. Die Produkte dienen in der Hauptsache zur Deckung des eigenen
Bedarfs im Baugeschäft. Doch finden auch Lieferungen an andere Firmen statt.
Die Kunststeinfabrikation wird auf einem Werkplatz an der Fröhlichstrasse in
Zürich betrieben. Die Einrichtungen der Firma sind primitiv. Sie bestehen in
einigen alten Schuppen. Zur Zeit der amtlichen Erhebungen waren darin 12
Personen beschäftigt, nämlich 6 Steinhauer, 3 Zementer, 2 Stampfer und ein
Steinhauerlehrling. Elf Arbeiter stehen im Alter von über 18 Jahren, der
Lehrling ist 15 Jahre alt. Bei Hochbetrieb steigt die Arbeiterzahl auf 16.
Nach den Angaben der Firma werden die Kunststeinarbeiter zeitweise auch auf
den Bauplätzen beschäftigt. Der Betrieb beschränkt sich auf Handarbeit.
Maschinen werden nicht verwendet.
B. - Durch Verfügung der Abteilung für Industrie und Gewerbe des
eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes vom 16. Mai 1929 wurde die Baur
& Cie A.-G. für ihren der Kunststeinfabrikation dienenden Betrieb dem
Fabrikgesetz unterstellt. Von der Verfügung nicht erfasst wird ihr
Baugeschäft. Die Verfügung wurde am 21. Mai 1929 zugestellt.
C. - Mit Eingabe vom 20. Juni 1929 beschwert sich der Schweizerische
Baumeisterverband im Namen der Baur & Cie A.-G. gegen die
Unterstellungsverfügung und

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beantragt Aufhebung derselben. Es wird geltend gemacht, die Baur & Cie A.-G.
sei keine eigentliche Kunststeinfabrik, sondern eine Hoch- und
Tiefbauunternehmung. Sie habe den Charakter eines gewerblichen Betriebes und
könne nicht als industrielle Anstalt im Sinne des Fabrikgesetzes angesehen
werden. Die Tendenz, die Kunststeinfabrikation der Fabrikgesetzgebung zu
unterstellen, sei unvereinbar mit Art. 81, Abs. 2 FG und beruhe auf einer
neuern Praxis, die darauf ausgehe, die Anwendung der Fabrikgesetzgebung in
unzulässiger Weise auszudehnen. Die Herstellung von Kunststeinen, wie sie die
Beschwerdeführerin ausübe, stehe in engem Zusammenhang mit ihrem Baugeschäft
und sei von diesem nicht zu trennen. Besonders erscheine die Unterstellung im
jetzigen Zeitpunkt als ungerechtfertigt, weil die eidgenössische
Gewerbegesetzgebung in absehbarer Zeit zum Abschluss gelangen und damit die
bestehenden Unklarheiten in der Abgrenzung zwischen industriellen und
gewerblichen Betrieben beseitigen werde, und sodann weil der Kunststeinbetrieb
der Beschwerdeführerin wegen besonderer Verhältnisse in seinem Bestande
bedroht sei.
Die Abteilung für Industrie und Gewerbe des eidgenössischen
Volkswirtschaftsdepartementes beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Beschwerde ist im Namen der von der angefochtenen Verfügung
betroffenen Unternehmung durch den Schweizerischen Baumeisterverband erhoben
worden. Der Baumeisterverband hat sich durch eine gehörige Prozessvollmacht
über seine Berechtigung zur Vertretung der Beschwerdeführerin ausgewiesen. Das
VDG schliesst die stellvertretungsweise Prozessführung durch Berufsverbände
nicht aus. Die Beschwerde ist binnen nützlicher Frist und in richtiger Form
erhoben worden. Es ist auf sie einzutreten.
2.- Das Fabrikgesetz findet Anwendung auf industrielle

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Anstalten, die eine Mehrzahl von Arbeitern ausserhalb ihrer Wohnräume
beschäftigen, sei es in den Räumen der Anstalt und auf den zu ihr gehörenden
Werkplätzen, sei es anderwärts bei Verrichtungen, die mit dem industriellen
Betriebe im Zusammenhang stehen (Art. 1 FG.).
a) Der Kunststeinbetrieb der Beschwerdeführerin ist eine industrielle Anstalt.
Er dient der Warenproduktion in Arbeitsräumen und auf dem zugehörigen
Werkplatz. Dass die Arbeitsräume nach den amtlichen Erhebungen primitiv sind,
ist für die Charakterisierung der Unternehmung als Anstalt im Sinne des
Fabrikgesetzes unerheblich. Es kommt einzig darauf an, dass der Betrieb die in
der Kunststeinherstellung beschäftigten Arbeitskräfte in festen, dauernden
Einrichtungen vereinigt, wodurch er sich von der Arbeitsweise am einzelnen Bau
unterscheidet. Die eigentliche Bautätigkeit der Beschwerdeführerin ist von der
angefochtenen Verfügung mit Recht von der Unterstellung unter das FG
ausgeschlossen worden.
b) Den Charakter industrieller Anstalten im dargelegten Sinne haben unter
Umständen auch Betriebe, die dem Fabrikgesetz nicht unterworfen sind. Darum
verlangt das Gesetz weiter die Beschäftigung einer Mehrzahl von Arbeitern in
der industriellen Anstalt. Es unterscheidet demnach die Unternehmungen mit
Anstaltscharakter, die sich mit Warenproduktion abgeben, nicht nach
«Industrien im engern Sinne» einerseits und «gewerblichen Unternehmungen»
anderseits, was, wie die Beschwerdeführerin selbst ausführt, nach der
bestehenden Gesetzgebung eine sichere Abgrenzung nicht ermöglichen würde,
sondern einzig nach der in der Arbeiterzahl zum Ausdruck kommenden Grösse des
Geschäftsbetriebes. Dass aber die Kunststeinunternehmung der
Beschwerdeführerin nach Massgabe der Arbeiterzahl die Voraussetzungen für die
Anwendung der Fabrikgesetzgebung erfüllt, kann nicht zweifelhaft sein, da
darin regelmässig 11, bei Hochbetrieb bis 16 Arbeiter, also jedenfalls eine
«Mehrzahl», beschäftigt sind. Die Kunststeinunternehmung der
Beschwerdeführerin

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hat demnach die Eigenschaft einer Fabrik im Sinne von Art. 1 FG.
c) Die Einwendung der Beschwerdeführerin, es handle sich nur um einen
Saisonbetrieb, vermag die Unterstellung unter das FG nicht auszuschliessen.
Der Zweck des Gesetzes besteht darin, den ihm unterworfenen Unternehmungen
diejenigen Beschränkungen aufzuerlegen, die zum Schutze der Arbeiter nach
heutiger Auffassung notwendig erscheinen. Die Arbeiter eines Saisonbetriebes
sind aber nicht weniger schutzbedürftig als diejenigen einer Unternehmung mit
unveränderlichem Jahresbetrieb. Das Gesetz nimmt denn auch Saisonbetriebe
nicht von der Unterstellung aus.
Ebensowenig wird die Fabrikeigenschaft eines Betriebes dadurch berührt, dass
der Unternehmer neben der Fabrik ein Geschäft betreibt, das der
Fabrikgesetzgebung nicht unterworfen ist. Derartigen Verhältnissen ist Genüge
geleistet, wenn die Unterstellungsverfügung nur auf den Fabrikbetrieb bezogen
wird, was im vorliegenden Fall geschehen ist. Der betreffende Betrieb wird der
Fabrikgesetzgebung unterstellt, weil er als solcher die Eigenschaft einer
Fabrik hat und weil sich deshalb die Anwendung der Beschränkungen auf ihn
rechtfertigt, die für Fabriken im allgemeinen gelten. Dabei kann nicht von
Bedeutung sein, ob die Fabrik für einen vom nämlichen Unternehmer betriebenen,
nicht fabrikartigen Geschäftsbetrieb oder für Unternehmungen Dritter arbeitet.
Um eine unzulässige Ausdehnung der Fabrikgesetzgebung auf ihr nicht
unterliegende Betriebe im Sinne von Art. 81, Abs. 2 FG handelt es sich demnach
nicht.
Unerheblich ist schliesslich, in welcher Weise die künftige
Gewerbegesetzgebung die Ausscheidung zwischen Fabriken und gewerblichen
Unternehmungen vornehmen wird. Die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde hat
sich auf die bestehende Gesetzgebung zu gründen, nach welcher der
Kunststeinunternehmung der Beschwerdeführerin Fabrikeigenschaft zugesprochen
werden muss.

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Ebenso ist nicht in Betracht zu ziehen, ob die Kunststeinfabrik der
Beschwerdeführerin in einem späteren Zeitpunkt die in der Beschwerdeschrift
angedeutete Umstellung erfahren wird. Es genügt die Feststellung, dass sie zur
Zeit die Voraussetzungen für die Anwendung der Fabrikgesetzgebung erfüllt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 I 202
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 10. Oktober 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 I 202
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : 1. Eine Anstalt für Kunststeinfabrikation, die regelmässig 11 Arbeiter beschäftigt, hat die...


BGE Register
55-I-202
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