S. 205 / Nr. 46 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 54 III 205

46. Entscheid vom 11. Juli 1928 i.S. Hofer.

Regeste:
Mietzinsretentionsrecht.
Die Retentionsurkunde gemäss Art. 283 Abs. 3 SchKG hat nur die Punktion eines
betreibungsrechtlichen Sicherungsmittels, sie bewirkt nicht die unanfechtbare
Feststellung des betreffenden Retentionsrechtes, sondern es fällt die
endgültige Entscheidung hierüber dem Richter zu.
Nach Konkurseröffnung über den Mietzinsschuldner ist keine Retentionsurkunde
mehr aufzunehmen. SchKG Art. 8 Abs. 2, 204, 250, 283.
Droit de rétention garantissant les loyers et fermages.
L'inventaire dressé en conformité de l'art. 283 al. 3 LP ne constitue qu'un
moyen de protection, il ne constate pas définitivement l'existence du droit de
rétention, question qui relève du juge.
Après l'ouverture de la faillite du locataire débiteur il n'est plus dressé
d'inventaire pour droit de rétention.
Art. 8 al. 2, 204, 250 et 283 LP

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Diritto di ritenzione per pigioni ed affitti.
Il verbale di ritenzione di cui all, art. 283 cap. 3 LEF. è mero mezzo di
garanzia e non costituisce costatazione inoppugnabile del diritto di
ritenzione, che è di competenza del giudice.
Aperto il fallimento sul debitore di pigioni ed affitti, un verbale di
ritenzione non può più essere eretto.
LEF Art. 8 al. 2, 204, 250, 283.

A. - Die Firma U. und A. Hofer in Luzern hatte dem Fritz Oehri in Luzern
Geschäftslokale in ihrem Hause Hirschengraben 41 vermietet. Am 1. März 1928
stellte sie beim Betreibungsamt Luzern das Begehren um Aufnahme einer
Retentionsurkunde und um Rückschaffung der bisher im Schaufenster ausgestellt
gewesenen Waren, die plötzlich entfernt worden seien. Am 2. März nahm das
Betreibungsamt die verlangte Urkunde auf, bemerkte aber darin, die im
Schaufenster ausgestellt gewesenen Waren seien am 27. Februar 1928 nach dem
Magazin am Weinmarkt verbracht worden. Das Betreibungsamt könne nicht
feststellen, welche Waren sich im Magazin am Hirschengraben befunden hätten.
Eine Inventarisation sowie ein Rücktransport dieser Waren könne daher nicht
stattfinden. Diese Retentionsurkunde wurde der Firma Hofer am 7. März
zugestellt, nachdem bereits am 5. März der Konkurs über Fritz Oehri eröffnet
worden war. Die Firma Hofer wandte sich daher, sobald sie von der
Konkurseröffnung in Kenntnis gesetzt worden war, am 15. März an das Konkursamt
Luzern mit dem Begehren, zur Wahrung ihres Retentionsrechtes die notwendigen
Vorkehren zu treffen. Das Konkursamt teilte jedoch der Firma Hofer am 23. März
mit, das Gesuch um Rückschaffung der am 27. Februar aus dem Magazin
Hirschengraben 41 entfernten Gegenstände sei verspätet und werde daher
abgewiesen.
B. - Hiegegen beschwerte sich die Firma Hofer bei den Aufsichtsbehörden mit
dem Gesuch, das Konkursamt Luzern sei zu verhalten, das Retentions- und
Rückschaffungsbegehren als rechtzeitig gestellt anzuerkennen

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und durchzufahren. Der Beschwerdeführerin sei ein Verzeichnis der für das
Retentionsrecht ausgeschiedenen Waren zuzustellen.
C. - Mit Urteil vom 14. Juni 1928 hat die kantonale Aufsichtsbehörde die
Beschwerde abgewiesen mit dem Bemerken jedoch, dass dadurch das Recht der
Beschwerdeführerin zur Geltendmachung des von ihr beanspruchten
Retentionsrechtes im Konkurs der Schuldnerfirma nicht tangiert werde.
D. - Gegen diesen Entscheid hat die Beschwerdeführerin am 5. Juli 1928 den
Rekurs an das Bundesgericht erklärt, indem sie erneut um Schutz der Beschwerde
ersuchte.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die in Art. 283 Abs. 3 SchKG vorgesehene vom Betreibungsamt aufzunehmende
Retentionsurkunde hat nicht materiellrechtlichen Charakter, d.h. das
Retentionsrecht des Vermieters an den eingebrachten Sachen des Mieters
entsteht und besteht unbekümmert um die Aufnahme der Retentionsurkunde. Diese
hat nur die Funktion eines betreibungsrechtlichen Sicherungsmittels, indem
dadurch dem Gläubiger die tatsächliche Möglichkeit gewahrt werden soll, seine
Rechte später auf dem Betreibungswege mit Erfolg geltend zu machen. Daraus
ergibt sich ohne weiteres, dass nach erfolgter Konkurseröffnung jede Grundlage
für die Aufnahme einer Retentionsurkunde entfällt, da nach Konkursausbruch
eine Betreibung gegen den Gemeinschuldner gar nicht mehr eingeleitet werden
kann und eine besondere Sicherung der Retentionsobjekte gegenüber unzulässigen
Verfügungen des Gemeinschuldners nicht mehr notwendig erscheint, indem ja
derartige Verfügungen gemäss Art. 204 SchKG den Konkursgläubigern gegenüber
ohnehin ungültig sind. Der Rekurrent macht geltend, wenn man - worüber ein
Zweifel nicht bestehen kann - annehme,

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dass durch den Konkursausbruch das Retentionsrecht materiell nicht berührt
werde, dann müsse auch die Möglichkeit bestehen, die Gegenstände, die vom
Retentionsrecht betroffen werden, festzustellen. Das ist an sich zweifellos
richtig; doch folgt daraus nicht, dass das Konkursamt deshalb verpflichtet
wäre, eine Retentionsurkunde im Sinne von Art. 283 Abs. 3 SchKG aufzunehmen,
ganz abgesehen davon, dass dies auch praktisch nicht zu dem vom Rekurrenten
vermuteten Resultate führen würde und völlig überflüssig wäre. Das Konkursamt
ist gemäss Art. 25 KV gehalten, im Inventar bei allen Objekten ihren Standort
zur Zeit der Inventaraufnahme anzugeben. Es ist daher einem
Mietzinsretentionsgläubiger leicht möglich, den Umfang seines
Retentionsrechtes - wenn dieses an sich nicht bestritten ist - an Hand des
Inventars, dessen Einsicht ihm das Konkursamt gemäss Art. 8 Abs. 2 SchKG
jederzeit gestatten muss, festzustellen und nachzuweisen. Ein solcher Nachweis
durch das Inventar entfällt allerdings dann, wenn, wie dies vorliegend der
Fall gewesen sein soll, der Schuldner die bezüglichen Gegenstände vor der
Konkurseröffnung heimlich oder gewaltsam aus den betreffenden Mietlokalitäten
fortgeschafft hat. Dann bedarf es zur Feststellung, ob die fraglichen Objekte
sich in den vom betreffenden Mietzinsretentionsgläubiger dem Gemeinschuldner
vermieteten Räumen befunden haben, eines besondern Beweisverfahrens, falls das
Konkursamt dies nicht freiwillig anerkennen will. Das wäre aber auch bei
Vorliegen einer Retentionsurkunde nicht zu vermeiden; denn diese bewirkt nicht
die unanfechtbare Feststellung des betreffenden Retentionsrechtes, sondern es
fällt die endgültige Entscheidung hierüber dem Richter zu (vgl. auch BGE 52
III S. 122
ff.), vor dem insbesondere auch die Einrede geltend gemacht werden
kann, dass gewisse Objekte zu Unrecht als heimlich fortgeschafft in die
Retentionsurkunde aufgenommen worden seien. Es wird daher

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ausschliesslich Sache des Kollokationsverfahrens sein, die Frage des vom
Rekurrenten geltend gemachten Retentionsrechtes abzuklären. Sollte der
Rekurrent befürchten, dass bis dahin gewisse Beweismittel verloren gehen oder
deren Gebrauch erschwert werde, so bleibt es ihm selbstverständlich
unbenommen, nach den Grundsätzen des kantonalen Prozessrechtes eine
Beweisaufnahme zu ewigem Gedächtnis zu veranlassen.
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 III 205
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 11. Juli 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 III 205
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Mietzinsretentionsrecht.Die Retentionsurkunde gemäss Art. 283 Abs. 3 SchKG hat nur die Punktion...


Gesetzesregister
SchKG: 8  204  283
BGE Register
52-III-122 • 54-III-205
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
retentionsrecht • konkursamt • inventar • betreibungsamt • entscheid • schuldbetreibungs- und konkursrecht • kenntnis • bewilligung oder genehmigung • bedürfnis • beweisführung • sicherstellung • beweis • bundesgericht • funktion • wille • landwirtschaftliche wohnbaute • schuldner • kv • frage • zweifel
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