S. 416 / Nr. 80 Erbrecht (d)

BGE 54 II 416

80. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Dezember 1928 i.S.
Schell gegen Landtwing.

Regeste:
Nach Eröffnung der amtlichen Liquidation ist keine Einmischung in die
Erbschaftsangelegenheiten i.S. von Art. 371 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 371 - 1 Die Patientenverfügung ist schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen.
1    Die Patientenverfügung ist schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen.
2    Wer eine Patientenverfügung errichtet hat, kann diese Tatsache und den Hinterlegungsort auf der Versichertenkarte eintragen lassen. Der Bundesrat erlässt die nötigen Bestimmungen, namentlich über den Zugang zu den Daten.
3    Die Bestimmung über den Widerruf des Vorsorgeauftrags ist sinngemäss anwendbar.
ZGB mehr möglich (Erw. 1).
Wird ein Erbe während des öffentlichen Inventars von der zuständigen Behörde
zur Verwaltung der Erbschaft ermächtigt, so können seine Massnahmen nicht als
Einmischung i.S. von Art. 571 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB in Betracht fallen (Erw. 2).
Die Grenze, wo die Verwaltungshandlung aufhört, notwendig zu sein, ist von
Fall zu Fall festzulegen; der Kreis soll nicht eng gezogen werden (Erw. 3).
Es ist nicht erforderlich, dass einer Einmischungshandlung der Wille, den
Nachlass anzutreten, zu Grunde liege; sobald die Massnahme objektiv den in
Art. 571 Abs. 2 gezogenen Rahmen überschreitet, ist die Ausschlagungsbefugnis
verwirkt (Erw. 4).
Ist das Ausschlagungsrecht einmal verwirkt worden, so wird an der dadurch
bewirkten Haftung des Erben für die Nachlassschulden durch eine nachträgliche
Anordnung der amtlichen oder konkursamtlichen Liquidation nichts geändert
(Erw. 6).


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Aus dem Tatbestand:
Am 4. August 1918 starb in Zug der Bankier Georg Schell. Einziger Erbe war
sein Bruder, der Beklagte. Dieser erwirkte die Anordnung des öffentlichen
Inventars und nach dessen Abschluss eine Verlängerung der Deliberationsfrist
bis Ende 1918. Bei deren Ablauf verlangte er die amtliche Liquidation. Infolge
von Kursverlusten verschwand der ursprünglich vorhanden gewesene
Aktivenüberschuss und am 12. Januar 1922 wurde über den Nachlass der Konkurs
eröffnet.
Mit der vorliegenden Klage belangt der Kläger den Beklagten als Erben auf
Herausgabe von Wertpapieren, die er seinerzeit dem Erblasser verpfändet hatte,
eventuell auf Bezahlung ihres Wertes, mit der Begründung, der Beklagte habe
durch Erbenhandlungen i.S. von Art. 571 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB die Erbschaft angenommen.
Als solche führt er an: 1. zwei Vereinbarungen des Beklagten mit dem Vermieter
des Erblassers vom 24. August 1918, durch welche einerseits der Mietvertrag
vorzeitig aufgehoben wurde, anderseits dem Vermieter einige zum Nachlass
gehörige Gegenstände (Installationen in der Wohnung: Linoleums, Ofen mit
Rohren, Gartenhaus mit Vorhängen) zum Preis von ca. 900 Fr. verkauft wurden;
2. die (nach der eigenen Darstellung des Klägers erst nach Eröffnung der
amtlichen Liquidation erfolgte) Aneignung eines Teiles des Nachlassmobiliars
und von Früchten der Nachlassliegenschaften, und 3. den am 11. November 1918
erfolgten Abschluss von zwei Verträgen, gestützt auf welche dann zwei gegen
den Nachlass hängige Prozesse abgeschrieben wurden. Im einen dieser Prozesse
hatte ein gewisser Widmer den Erblasser auf Bezahlung von rund 61000 Fr. aus
Lizenzverträgen eingeklagt, und im andern verlangte die Konkursmasse eines
gewissen Pfefferkorn, dass die Eigentumsansprachen des Erblassers betreffend
ein Erfindungspatent «Perco» samt zugehörigen Apparaten abzuweisen sei. Im
Vertrag mit Pfefferkorn verkaufte nun der Beklagte

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die streitigen Patente und Apparate dem Pfefferkorn zum Preis von 6000 Fr.,
zahlbar an Widmer. Widmer seinerseits trat dem Beklagten die gegen den
Erblasser eingeklagten Ansprüche ab um den Preis von 16000 Fr., wovon 10000
Fr. in bar und der Rest durch Abtretung der eben erwähnten Forderung des
Beklagten gegenüber Pfefferkorn zu leisten waren, wobei der Beklagte eine
Gewähr für den Eingang der Forderung an Pfefferkorn wegbedang.
Der Beklagte nimmt den Standpunkt ein, alle diese Massnahmen seien notwendige
Verwaltungshandlungen gewesen, für die er zudem von der Erbteilungskommission
Vollmacht gehabt habe. Und sollte er mehr als unbedingt notwendige
Verwaltungsmassnahmen vorgenommen haben, so liege darin allenfalls eine
Vollmachtsüberschreitung, keinesfalls aber eine Erbenhandlung.
Alle Instanzen haben die Klage gutgeheissen; das Bundesgericht aus folgenden
Gründen:
1.- Mit Recht ist die Vorinstanz davon ausgegangen, dass der Beklagte nach
Eröffnung der amtlichen Liquidation sich nicht mehr i.S. des Art. 571
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB in
die Erbschaftsangelegenheiten einmischen konnte. Während der
Ausschlagungsfrist besteht bezüglich des Schicksals der Erbschaft Unsicherheit
darüber, ob der berufene Erbe die Erbschaft annehme und damit den zunächst
resolutiv bedingten Erwerb definitiv gestalte oder nicht. Nach Art. 571 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.

ZGB verwirkt die Ausschlagungsbefugnis, wer sich «vor Ablauf der Frist», d.h.
solange das Schicksal der Erbschaft noch nicht entschieden ist, in die
Erbschaftsangelegenheiten einmischt; die Einmischungshandlung soll also nach
dem Willen des Gesetzes gerade der bis dahin vorhandenen Unsicherheit ein Ende
bereiten. Ist dieser Entscheid dagegen schon vorher gefallen und läuft daher
keine Ausschlagungsfrist mehr, so kann auch keine Ausschlagungsbefugnis mehr
verwirkt werden.
Der erwähnte Schwebezustand wird nun beseitigt

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ausser durch den Fristablauf durch die Erklärung der Ausschlagung, durch die
Erklärung des Antrittes oder durch das Verlangen der amtlichen Liquidation
(vgl. Art. 588
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 588 - 1 Der Erbe kann während der angesetzten Frist ausschlagen oder die amtliche Liquidation verlangen oder die Erbschaft unter öffentlichem Inventar oder vorbehaltlos annehmen.
1    Der Erbe kann während der angesetzten Frist ausschlagen oder die amtliche Liquidation verlangen oder die Erbschaft unter öffentlichem Inventar oder vorbehaltlos annehmen.
2    Gibt er keine Erklärung ab, so hat er die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angenommen.
ZGB). Ob man das Begehren um amtliche Liquidation als
Erbschaftsannahme oder als Ausschlagung auflassen will, ist gleichgültig; im
einen wie im andern Falle wird damit das vorläufige, bedingte Erbesein,
welches Art. 571
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB voraussetzt, beendigt und bestehen nur noch die in Art.
593 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 593 - 1 Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
1    Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
2    Solange jedoch ein Miterbe die Annahme erklärt, kann dem Begehren keine Folge gegeben werden.
3    Im Falle der amtlichen Liquidation werden die Erben für die Schulden der Erbschaft nicht haftbar.
. ZGB beschriebenen Rechtsbeziehungen zur Erbschaft. - Die Veranlassung
der amtlichen Liquidation vereinigt übrigens Elemente der Annahme wie der
Ausschlagung in sich. Aber im Verhältnis zu den Gläubigern des Erblassers ist
sie zweifellos Ausschlagung, denn sie beseitigt die persönliche Haftung des
Erben für die Schulden des Erblassers und überlässt dem Zugriff der Gläubiger
nur die Erbschaftsaktiven. Nun zieht ja die Einmischung in die
Erbschaftsangelegenheiten ausschliesslich mit Rücksicht auf die
Erbschaftsgläubiger die Verwirkung der Ausschlagungsbefugnis nach sich. Diesen
Gläubigern gegenüber ist aber mit der Eröffnung der amtlichen Liquidation die
Nichthaftung des Erben für die Erbschaftsschulden, also die Ausschlagung so
gut erklärt wie mit der gewöhnlichen Ausschlagung.
2.- Wäre der Beklagte während des öffentlichen Inventars von der zuständigen
Behörde zur Verwaltung der Erbschaft bevollmächtigt gewesen, so könnten seine
Massnahmen nicht als Einmischung i.S. von Art. 571
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB in Betracht fallen;
denn dann hätte er in seiner Eigenschaft als Beauftragter, als Organ des
Nachlasses gehandelt, und wo er seinen Auftrag überschritten hätte, da wäre er
als Verwalter aus dem Auftrag verantwortlich. Nun steht jedoch fest, dass zur
Verwaltung der Erbschaft während des öffentlichen Inventars nicht der
Beklagte, sondern Dr. Iten und Josef Iten von der gemäss Art. 78 des
zugerischen EG zum ZGB zuständigen Erbteilungskommission bestimmt worden sind.
Dadurch

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war der Erbe selbst von der Verwaltung ausgeschlossen, soweit nicht diese
Verwalter ihrerseits ihn beizogen; womit nicht gesagt ist, dass
Verwaltungshandlungen, die ein Erbe gleichwohl vornimmt, ohne weiteres eine
Einmischung in die Erbschaftsangelegenheiten i.S. von Art. 571 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB
darstellen, sondern nur, dass der behördlich bestellte Verwalter eine solche
Mitverwaltung durch den Erben nicht zu dulden und nicht anzuerkennen braucht.
Auch vom unbefugten Erben vorgenommen, bleibt die Verwaltungshandlung, was sie
ist, und hat, solange sie durch die blosse Verwaltung oder durch den Fortgang
der Geschäfte des Erblassers gefordert war, keine Verwirkungsfolgen. Nur wenn
es sich um einen diesen Rahmen überschreitenden Eingriff in die Erbschaft
handelt, kann von einer Einmischung in die Erbschaft i.S. der genannten
Bestimmung die Rede sein. Im vorliegenden Fall haben die eingesetzten
Verwalter nach der Feststellung der Vorinstanz die Vornahme von
Verwaltungshandlungen durch den Beklagten geduldet; umsoweniger dürfen die
Handlungen, die sich als blosse Verwaltung der Erbschaft darstellen, als
Erbenhandlungen i.S. von Art. 571
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB bezeichnet werden.
3.- Mit der Vorinstanz sind die Aufhebung des Mietvertrages betreffend die
Wohnung des Erblassers und der Verkauf einiger zur Wohnung gehöriger
Einrichtungen im Gesamtwert von 908 Fr. an den neuen Mieter als notwendige
Verwaltungshandlungen anzusehen. Die Grenze, wo die Verwaltungshandlung
aufhört, notwendig zu sein, muss von Fall zu Fall festgestellt werden. Die
Sonderstellung des zur Erbschaft Berufenen legt es dabei nahe, sie nicht allzu
eng zu ziehen. Es kann nicht verkannt werden, dass der noch nicht zur Annahme
entschlossene Erbe mit Rücksicht auf die Interessen, die er im Falle eines
Erbschaftsantrittes hat, die begreifliche Tendenz hat, seine
Verwaltungsbefugnisse auszudehnen. Mit einer eher einschränkenden Auslegung
würde man

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ihm daher eine übermässige Aufmerksamkeit zumuten. Im vorliegenden Falle ist
übrigens, was einmal die Aufhebung des Mietvertrages betrifft, ein Zweifel
ausgeschlossen. Es gehörte zu den selbstverständlichen Pflichten einer
sorgsamen Verwaltung, dass eine unnütz gewordene Wohnungsmiete aufgehoben
wurde, damit der Erbschaft nicht unnötige Kosten erwuchsen. Und es darf
gleichfalls als ein Akt vernünftiger Verwaltung betrachtet werden, dass dabei
dem neuen Mieter gewisse Akzessorien der Wohnung (Bodenbelag aus Linoleum, ein
in der Wohnung installierter Ofen samt Rohren, ein Gartenhaus samt Vorhängen
und Einrichtungen) verkauft wurden. Denn alle diese Sachen waren offenbar für
die Bedürfnisse dieser Wohnung hergerichtet und hätten ohne Verbindung mit ihr
erheblich an Wert eingebüsst. Daher hatte die Erbschaft ein dringendes
Interesse daran, dass diese einzig günstige Gelegenheit zum Verkauf benützt
wurde.
4.- In Betracht fallen daher lediglich noch die beiden Verträge mit Widmer und
Pfefferkorn. Hier wendet der Beklagte in erster Linie ein, diese bilden ein
Ganzes und die ganze Transaktion sei an die Bedingung geknüpft worden, dass er
überhaupt die Erbschaft antreten werde.
Dieser Standpunkt lässt sich einzig auf den Ingress des Vertrages mit
Pfefferkorn stützen: «In der Voraussetzung, dass Karl Schell den Nachlass
seines Bruders Georg antritt...». Allein bei näherem Zusehen kann nicht
bezweifelt werden, dass es sich damals um definitive, unbedingte Abmachungen
handelte (wird näher ausgeführt).
Mit der Feststellung, dass die Verträge bedingungslos abgeschlossen worden
sind, ist allerdings nicht gesagt, ob der Beklagte dabei als annehmender Erbe
gehandelt habe oder ob er es nur tat in der Meinung, er könne als
Geschäftsführer ohne Auftrag für die Erbschaft handeln, ohne damit seiner
endgültigen Stellungnahme betreffend Annahme oder Ausschlagung vorzugreifen
(wofür u.a.

Seite: 422
der Passus zu sprechen scheint: «in der Voraussetzung, dass Karl Schell den
Nachlass antritt.») Es kann jedoch dahingestellt bleiben, welche dieser beiden
Möglichkeiten im vorliegenden Fall zutrifft, weil es gar nicht auf den Willen
ankommt, der dem Verhalten des Beklagten zugrunde lag, sondern einzig darauf,
ob objektiv eine über die notwendige Verwaltung des Nachlasses hinausgehende
Massnahme vorliegt oder nicht.
Im Gegensatz zum deutschen Recht ist nach dem ZGB für den endgültigen
Erbschaftserwerb keine Annahmeerklärung erforderlich (vom Fall der notorischen
Insolvenz des Nachlasses abgesehen); schlägt der Erbe nicht innert der hiefür
laufenden Frist aus, so wird er definitiv Erbe, ob er dies nun gewollt hat
oder nicht: Art. 571 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB. Wie hier auf den Willen des Erben nicht
Rücksicht genommen wird, so wenig braucht es bei den Tatbeständen von Abs. 2
dieses Artikels zu geschehen, es wäre denn, dass das Gesetz selbst etwas
anderes bestimmt hätte. Das ist aber nicht der Fall. In dieser Vorschrift wird
der Aneignung und Verheimlichung von Erbschaftssachen - welche
unbestrittenermassen die Verwirkung der Ausschlagungsbefugnis strafweise und
unter allen Umständen nach sich ziehen - die Einmischung in die
Erbschaftsangelegenheiten ohne Unterschied gleichgestellt und für jeden dieser
Fälle ohne Einschränkung bestimmt, dass der Erbe nicht mehr ausschlagen könne.
Diese Regelung erscheint auch als gerechtfertigt: In Frage stehen lediglich
Handlungen, deren Vornahme nicht durch die Sorge um die Erhaltung des
Erbschaftsbestandes gefordert waren. Es ist nicht einzusehen, warum ein Erbe
derartige - zumeist für den Fall der Annahme in seinem eigenen Interesse
liegende - Massnahmen treffen und sich gleichzeitig doch das
Ausschlagungsrecht wahren können soll. Man kann es nicht als unbillig
bezeichnen, wenn ihm zugemutet wird, sich für das eine oder andere zu
entscheiden. Die gegenteilige Auflassung, welche -

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allerdings ohne nähere Begründung - von ESCHER, Anm. 3 zu Art. 571; TUOR Nr. 9
ff. zu Art. 571 und ROSSEL et MENTHA I S. 623 vertreten wird, hätte zur Folge,
dass in jedem Fall Erhebungen über das Vorhandensein des Annahmewillens
gemacht werden müssten, die der Natur der Sache nach sehr oft mit
Schwierigkeiten verbunden sind; jedenfalls wäre damit eine Quelle von
Streitigkeiten und Verzögerungen in der Liquidation der Erbschaften
zugelassen, deren Vermeidung im Interesse der Beteiligten liegt. Richtig ist,
dass nur bei dieser Auslegung, welche den Willen des Handelnden
berücksichtigt, die Geltendmachung von Willensmängeln, welche im Fall der
ausdrücklichen Annahmeerklärung von der Doktrin übereinstimmend zugelassen
wird, möglich erscheint. Allein diese Auslegung findet im Gesetz keine Stütze
und muss daher abgelehnt werden.
5.- Es ist daher lediglich zu untersuchen, ob der Abschluss der beiden
Verträge und die damit zusammenhängende Erledigung der beiden gegen den
Nachlass hängigen Prozesse objektiv als Einmischung in die
Erbschaftsangelegenheiten oder als Handlungen zu betrachten sind, die nicht
durch die blosse Verwaltung und durch den Fortgang der Geschäfte des
Erblassers gefordert waren.
Dem Beklagten ist zuzugeben, dass nicht jede Prozessführung für den Nachlass
den in Art. 571 Abs. 2 gezogenen Rahmen überschreitet. Auf diese Frage braucht
hier jedoch nicht näher eingegangen zu werden, weil vorliegend Prozessführung
für den Nachlass gar nicht in Frage steht, vielmehr die hängigen Prozesse
durch aussergerichtliche Vergleiche erledigt worden sind, worauf dann die
Prozesse als gegenstandslos abgeschrieben wurden. Der Beklagte findet
allerdings, dass, wenn die Prozessführung eine blosse Verwaltungshandlung
darstellen könne, dies noch umsomehr von der aussergerichtlichen Erledigung
eines Streites gelten müsse.

Seite: 424
Das ist aber offensichtlich unrichtig: Dem Richter die Frage vorlegen, was
Rechtens sei, eventuell einen bereits eingeleiteten Prozess weiterverfolgen,
ist zweifellos eine viel weniger einschneidende Massnahme, als den streitigen
Anspruch veräussern oder den Verzicht des Gegners auf denselben mit Mitteln
der Erbschaft erkaufen. Durch diese letztern Handlungen hat der Beklagte die
Erbschaft in ihrem Bestand verändert, was jedenfalls da, wo es sich, wie hier,
um verhältnismässig bedeutende Bestandteile der Erbschaft handelt, über die
blosse Verwaltung hinausgeht und eine Verfügung über die Erbschaft bedeutet,
die keineswegs durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert war.
Der Beklagte hat daher durch den Abschluss dieser beiden Verträge gemäss Art.
571 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
ZGB das Recht, die Erbschaft auszuschlagen, verwirkt.
6.- Die Verwirkung der Ausschlagungsbefugnis konnte durch die nachträgliche
Eröffnung der amtlichen Liquidation nicht ungeschehen gemacht werden. Richtig
ist, dass gemäss Art. 593 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 593 - 1 Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
1    Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
2    Solange jedoch ein Miterbe die Annahme erklärt, kann dem Begehren keine Folge gegeben werden.
3    Im Falle der amtlichen Liquidation werden die Erben für die Schulden der Erbschaft nicht haftbar.
ZGB die amtliche Liquidation nicht mehr
verlangt werden kann, wenn der Nachlass angetreten ist. Daraus folgt aber nur,
dass die zuständige Behörde nach erfolgtem Antritt die amtliche Liquidation
nicht mehr bewilligen soll, und nicht umgekehrt, dass die dennoch bewilligte
amtliche Liquidation den geschehenen Erbschaftsantritt hinfällig werden lässt.
Die Anordnung der amtlichen Liquidation ist Sache der Verwaltungsbehörden,
welche naturgemäss nur summarisch prüfen können, ob die Voraussetzungen des
Art. 593
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 593 - 1 Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
1    Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
2    Solange jedoch ein Miterbe die Annahme erklärt, kann dem Begehren keine Folge gegeben werden.
3    Im Falle der amtlichen Liquidation werden die Erben für die Schulden der Erbschaft nicht haftbar.
ZGB wirklich vorhanden sind oder nicht. Die Feststellung dagegen, ob
das Ausschlagungsrecht verwirkt wurde, steht den Gerichten zu, welche bei
ihrem Entscheid durch die Stellungnahme der Verwaltungsbehörden nicht gebunden
sein können. Und sowenig wie die Durchführung der amtlichen Liquidation konnte
die Eröffnung des Nachlasskonkurses auf den einmal erfolgten Erbschaftsantritt
und die daraus folgende

Seite: 425
Haftung des Beklagten für die Schulden des Nachlasses von Einfluss sein.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 II 416
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 06. Dezember 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 II 416
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Nach Eröffnung der amtlichen Liquidation ist keine Einmischung in die Erbschaftsangelegenheiten...


Gesetzesregister
ZGB: 371 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 371 - 1 Die Patientenverfügung ist schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen.
1    Die Patientenverfügung ist schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen.
2    Wer eine Patientenverfügung errichtet hat, kann diese Tatsache und den Hinterlegungsort auf der Versichertenkarte eintragen lassen. Der Bundesrat erlässt die nötigen Bestimmungen, namentlich über den Zugang zu den Daten.
3    Die Bestimmung über den Widerruf des Vorsorgeauftrags ist sinngemäss anwendbar.
571 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 571 - 1 Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
1    Erklärt der Erbe während der angesetzten Frist die Ausschlagung nicht, so hat er die Erbschaft vorbehaltlos erworben.
2    Hat ein Erbe sich vor Ablauf der Frist in die Angelegenheiten der Erbschaft eingemischt oder Handlungen vorgenommen, die nicht durch die blosse Verwaltung der Erbschaft und durch den Fortgang der Geschäfte des Erblassers gefordert waren, oder hat er Erbschaftssachen sich angeeignet oder verheimlicht, so kann er die Erbschaft nicht mehr ausschlagen.
588 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 588 - 1 Der Erbe kann während der angesetzten Frist ausschlagen oder die amtliche Liquidation verlangen oder die Erbschaft unter öffentlichem Inventar oder vorbehaltlos annehmen.
1    Der Erbe kann während der angesetzten Frist ausschlagen oder die amtliche Liquidation verlangen oder die Erbschaft unter öffentlichem Inventar oder vorbehaltlos annehmen.
2    Gibt er keine Erklärung ab, so hat er die Erbschaft unter öffentlichem Inventar angenommen.
593
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 593 - 1 Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
1    Jeder Erbe ist befugt, anstatt die Erbschaft auszuschlagen oder unter öffentlichem Inventar anzunehmen, die amtliche Liquidation zu verlangen.
2    Solange jedoch ein Miterbe die Annahme erklärt, kann dem Begehren keine Folge gegeben werden.
3    Im Falle der amtlichen Liquidation werden die Erben für die Schulden der Erbschaft nicht haftbar.
BGE Register
54-II-416
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • erbe • amtliche liquidation • erblasser • wille • inventar • frage • vorinstanz • verwirkung • richtigkeit • wert • weiler • entscheid • zahl • wirkung • miete • sachverhalt • fälligkeit • erfindungspatent • bewilligung oder genehmigung
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