S. 238 / Nr. 45 Familienrecht (d)

BGE 54 II 238

45. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Juni 1928 i.S. Zieger
gegen Lichti.

Regeste:
Art. 156 ZGB: Besuchsrecht. Der Richter kann dem besuchsberechtigten
Elternteil eine Gewährleistung für die richtige Ausübung des Besuchsrechts
auferlegen. Die nähere Bezeichnung der Gewähr kann er der
Vormundschaftsbehörde überlassen. Die Gewähr darf jedoch, nicht in einer
Geldleistung bestehen, wohl aber z.B. darin, dass der besuchsberechtigte
Elternteil während des Besuchs des Kindes zur Schriftenhinterlage verhalten
wird


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Aus dem Tatbestand:
Die Beklagte beschwert sich in der Berufung darüber, dass ihr im
Scheidungsurteil das Besuchsrecht nur unter der Auferlegung einer Gewähr dafür
eingeräumt worden ist, dass sie das zu Besuch genommene Kind wieder
rechtzeitig dem Vater zurückbringe. Das Bundesgericht hat diese Bedingung
geschützt.
Aus den Erwägungen:
Der Richter ist nach Art. 156 ZGB bei der Scheidung verpflichtet und
berechtigt, «die nötigen Verfügungen» über die persönlichen Beziehungen der
Eltern zu ihren Kindern zu treffen. Er hat daher nicht nur das Besuchsrecht
näher auszugestalten, sondern ist auch befugt, den Eltern oder dem
besuchsberechtigten Elternteil eine Gewährleistung für die richtige Ausübung
des Besuchsrechtes aufzuerlegen, soweit es das Wohl des Kindes verlangt. Das
wird namentlich dann der Fall sein, wenn auf Grund des bisherigen Verhaltens
der Eltern zu befürchten ist, der Besuchsberechtigte könnt, sein Besuchsrecht
dadurch missbrauchen, dass er das Kind dem Elternteil, dem es zugesprochen
ist, nicht mehr oder nicht rechtzeitig zurückfahre. Der dauernde Kampf der
Eltern um ihr Kind muss dieses verwirren und verbittern und ist daher für die
Erziehung des Kindes von Nachteil; es ist somit Pflicht des Richters, diesen
Nachteilen nach Möglichkeit vorzubeugen. Ob im einzelnen Fall genügend Anlass
vorliegt zu Befürchtungen, es möchte das Besuchsrecht zum Nachteil des Kindes
missbraucht werden, ist eine Ermessensfrage, welche der den Parteien
näherstehende kantonale Richter besser lösen kann als das Bundesgericht. Von
einem Ermessensmissbrauch darf hier nicht gesprochen werden...
Dass die nähere Bezeichnung der Gewährleistung der Vormundschaftsbehörde
überlassen wird, ist durchaus in Ordnung. Diese Behörden sind beweglicher als
die richterlichen oder die Vollstreckungsbehörden; sie können

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sich den jeweiligen Umständen des Einzelfalles schneller anpassen, und es
besteht damit auch weniger Gefahr, dass der besuchsberechtigte Elternteil
durch umständliche Massnahmen an der Ausübung des Besuchsrechts verhindert
werde. Als solche Massnahme kommt allerdings die Hinterlegung von Geld nicht
in Frage, namentlich dann nicht, wenn der Besuchsberechtigte zur Leistung
einer Geldsicherheit ausser Stande ist, sodass ihm durch eine solche Bedingung
sein Besuchsrecht verkümmert würde. Dagegen kann das Kind während der
Besuchszeit unter die Aufsicht der Vormundschaftsbehörde am Wohn- oder
Aufenthaltsort des besuchsausübenden Elternteils gestellt werden. Sodann ist
es möglich, dass die Vormundschaftsbehörde diesen Elternteil verhält, über die
Besuchszeit und bis zur Rückkehr des Kindes seine (und allfällig auch des
Kindes) Schriften bei ihr zu hinterlegen, so dass ihm eine Entführung des
Kindes verunmöglicht bleibt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 II 238
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 28. Juni 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 II 238
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Art. 156 ZGB: Besuchsrecht. Der Richter kann dem besuchsberechtigten Elternteil eine Gewährleistung...


Gesetzesregister
ZGB: 156
BGE Register
54-II-238
Stichwortregister
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