S. 176 / Nr. 34 Obligationenrecht (d)

BGE 54 II 176

34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. März 1928 i.S.
Glatzfelder gegen Spar- und Leihkasse Grenchen in Liq.


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Regeste:
Akkreditivgeschäft. Es schafft Rechtsbeziehungen nur zwischen der Bank und dem
Akkreditivbesteller, nicht zwischen jener und dem Akkreditierten; die Bank ist
nur Vermittlerin beim Zahlungsausgleich.

Die Firma Gebr. Glatzfelder in Grenchen lieferte der Wiener Spezialwerkstätte
für Uhren in Wien Schrauben. Im Auftrage der Wiener Firma teilte die Österr.
Kreditanstalt f. Hand. u. Gew. in Wien der: Spar- u. Leihkasse Grenchen
erstmals am 20. November 1917, dann in der ersten Hälfte 1918 mit, sie erkenne
sie zu Gunsten der Gebr. Glatzfelder für (näher bezifferte) Kronenbeträge auf
einem neu eröffneten Sperrkonto, auf dem die Summe gemäss Bestimmung der
Österr. Devisenzentrale bis nach Friedensschluss gesperrt liegen bleiben
müsse. Die Spar- u. Leihkasse Grenchen schrieb ihrerseits an die Gebr.
Glatzfelder, die Wiener Spezialwerkstätte habe ihr durch Vermittlung der
Österr. Kreditanstalt zu ihren (Glatzfelders) Gunsten ein Konto von 6250
Kronen oder zum heutigen Kurse von 40 Fr. = 2500 Fr. eröffnet, welcher Betrag
jedoch bis nach Friedensschluss gesperrt bleibe. Im Kontokorrentauszug für
Glatzfelder führte die Spar- u. Leihkasse Grenchen kein Kronen- oder
Frankenguthaben dieser Firma auf. Die Rechtsnachfolger erhoben in der Folge
Klage gegen die Spar- u. Leihkasse Grenchen in Liq. auf Auszahlung eines
Betrages von 8400 Fr. gestützt auf die Zuschriften der Kasse an sie über die
Krediteröffnung. Das Bundesgericht hat die Klage in Übereinstimmung mit den
kantonalen Instanzen abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
(-) Die Krediteröffnungen seitens der Wiener Spezialwerkstätte, von denen die
Österreich. Kreditanstalt

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jeweilen der Spar- und Leihkasse Grenchen Mitteilung gemacht hat, stellen sich
rechtlich als eine Art Akkreditiv dar, wobei die Wiener Spezialwerkstätte als
die Akkreditivbestellerin, die Beklagte als die Akkreditivbank und die
Rechtsvorgängerin der Klägerin als die Akkreditierte erscheint. Ein
Rechtsverhältnis wird bei derartigen Geschäften nur zwischen der Bank und dem
Akkreditivbesteller begründet, dessen Weisungen die Bank pünktlich zu befolgen
hat, nicht zwischen dieser und dem Akkreditierten, und es ist die Tätigkeit
der Akkreditivbank lediglich diejenige einer Vermittlerin beim
Zahlungsausgleich, bezw. einer Treuhänderin für beide Parteien (vgl. STEINER,
Akkreditivgeschäft, S. 9 und 13). Selbst durch die Anzeige der Krediteröffnung
an den Akkreditierten wird die Bank diesem gegenüber in der Regel nicht
gebunden (vgl. BGE 49 II 200), und es ergab sich insbesondere aus den Anzeigen
der Österreich. Kreditanstalt an die Spar- und Leihkasse Grenchen für diese
keinerlei Verpflichtung zur Eingehung einer Schuldanerkennung gegenüber der
Firma Glatzfelder. Im übrigen stand - wie beim widerruflichen Akkreditiv es
der Erfüllung der Bedingungen bedarf, an welche die Auszahlung geknüpft ist,
damit der Akkreditierte über den Kredit verfügen kann - hier jeglicher
Auszahlung an die Klägerin die durch die Österreich. Devisenzentrale bis nach
Friedensschluss verhängte Sperre entgegen. Die Krediteröffnungen waren denn
auch ausdrücklich auf «Sperrkonto» erfolgt, und es hat die Spar- und Leihkasse
Grenchen gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin von einer Gutschrift der
bei der Wiener Bank einbezahlten Kronenbeträge durchweg abgesehen. Sie hat ihr
eine solche Gutschrift auch nicht angezeigt oder auch nur in Aussicht
gestellt, sondern sich auf die Mitteilung beschränkt, die Wiener
Spezialwerkstätte habe i h r (der Beklagten) durch Vermittlung der Österreich.
Kreditanstalt ein Konto zugunsten der Klägerin eröffnet(während allerdings in
den Zuschriften der Spar- und Leihkasse

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Grenchen an die Wiener Spezialwerkstätte von Gutschriften an die Klägerin die
Rede ist). Die Annahme von Akkreditiv- oder akkreditivähnlichen Geschäften
rechtfertigt sich vorliegend umsoeher, als der Rechtsvorgänger der Klägerin
selbst im Nachlassverfahren der Spar- und Leihkasse Grenchen sich auf diesen
Boden gestellt hat, und er auch die Eintragungen in seinen Geschäftsbüchern
entsprechend vorgenommen hatte.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 II 176
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 27. März 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 II 176
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Akkreditivgeschäft. Es schafft Rechtsbeziehungen nur zwischen der Bank und dem Akkreditivbesteller...


BGE Register
49-II-195 • 54-II-176
Stichwortregister
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