S. 338 / Nr. 45 Internationales Auslieferungsrecht (d)
BGE 54 I 338
45. Urteil vom 23. November 1928 i.S. Noblot.
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Regeste:
Auslieferung an Deutschland:
Voraussetzungen: Kognition des Bundesgerichts: Erw. 1. Grundsatz der
Identität der Norm: Erw. 2.
Politisches Delikt: Erw. 3.
A. - Der in Deutschland wegen gewinnsüchtiger Urkundenfälschung verfolgte
französische Staatsangehörige Georges Noblot von Besançon, geb. den 3. Juli
1897 in Dammerkirch (Elsass), wurde am 20. Juli 1928 auf telegraphisches
Begehren des Untersuchungsrichters I beim Landgericht Düsseldorf gemäss Art. 8
des Auslieferungsvertrages mit Deutschland vom 24. Januar 1874 in Ragaz
provisorisch verhaftet. Mit Note vom 27. Juli 1928 hat die deutsche
Gesandtschaft in Bern das eidg. Justiz- und Polizeidepartement um seine
Auslieferung ersucht. Der der Note beigegebene Haftbefehl umschreibt die
eingeklagte gewinnsüchtige Urkundenfälschung wie folgt:
«Er (Noblot) wird beschuldet, in Düsseldorf im Oktober 1927 in rechtswidriger
Absicht eine inländische Privaturkunde, die zum Beweise von Rechten und
Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, nämlich ein Konossement vom 30.
September 1927 über die Verladung von 1.172 Tonnen Zucker von Hamburg nach Le
Havre durch Vorsetzung des Wortes «onze» vor die Worte «mille cent soixante
douze» und durch Hinzusetzung der Zahl «0» hinter die Zahl 1.172 verfälscht zu
haben und von diesem verfälschten Konossement dem Reichskommissariat für
Reparationslieferungen in Berlin, das die Vorlage des Konossements wünschte,
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gegenüber zum Zwecke der Täuschung Gebrauch gemacht zu haben. Er wird weiter
beschuldet, diese Urkundenfälschung in der Absicht begangen zu haben, sich
oder einem andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen, nämlich die
Auszahlung des Restkaufpreises für 11720 Tonnen Zucker, auf den noch kein
Anspruch bestand, zu verlangen oder sich zu sichern, und gleichzeitig in der
Absicht, einem andern Schaden zuzufügen. - Verbrechen, strafbar nach §§ 267,
268 des Reichsstrafgesetzes.
Paragraph 267 des Reichsstrafgesetzes lautet:
«Wer in rechtswidriger Absicht eine inländische oder ausländische öffentliche
Urkunde oder eine solche Privaturkunde, welche zum Beweis von Rechten oder
Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit ist, verfälscht oder fälschlich
anfertigt und von derselben zum Zwecke einer Täuschung Gebrauch macht, wird
wegen Urkundenfälschung mit Gefängnis bestraft.»
Paragraph 268 des Reichsstrafgesetzes lautet:
«Eine Urkundenfälschung, welche in der Absicht begangen wird, sich oder einem
andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem andern Schaden
zuzufügen, wird bestraft, wenn
1. die Urkunde eine Privaturkunde ist, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, neben
welchem auf Geldstrafe erkannt werden kann,
2. die Urkunde eine öffentliche ist, mit Zuchtbaus bis zu zehn Jahren, neben
welchem auf Geldstrafe erkannt werden kann.
Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe ein, welche bei
der Fälschung einer Privaturkunde nicht unter einer Woche, bei der Fälschung
einer öffentlichen Urkunde nicht unter drei Monaten betragen soll. Neben der
Gefängnisstrafe kann zugleich auf Geldstrafe erkannt werden.»
B. - Noblot, welcher gemäss Art. 21 intern. AuslG erstmals bei seiner
Verhaftung am 23. Juli und dann
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nach Eingang des Auslieferungsbegehrens am 4. August 1928 verhört worden war,
anerkannte ein Konossement verfälscht zu haben, und zwar nach seiner Angabe
auf Weisung seines Chefs, eines gewissen d'Herbemont in Paris. Er widersetzte
sich jedoch der Auslieferung, weil er dabei weder für sich, noch für andere
einen Vermögensvorteil gesucht, sondern einzig aus politischen Gründen, in der
Absicht gehandelt habe, den Dawesplan durch Ersetzung eines «Sachtransfers»
durch einen «Bartransfer» zum Vorteil Frankreichs zu sabotieren.
Im Verlauf der weitern Untersuchungen wurden die Anbringen des Haftbefehls und
die Ergebnisse der Einvernahme mit Noblot ergänzt durch:
1. eine erste Eingabe des Anwalts des Noblot vom 23. August 1928 an die -
Polizeiabteilung des eidgen. Justiz- und Polizeidepartements,
2. eine Denkschrift vom 7. September 1928 des Untersuchungsrichters I beim
Landgericht Düsseldorf, welche eine eingehende Darstellung der eingeklagten
Handlungen gibt,
3. eine zweite Eingabe des Anwalts des Noblot.
Im weitern wurden u. a. zwei Urteile, das eine vom korrektionnellen Gericht
des Seinebezirks vom 31. Juli 1928 und das andere vom zweiten Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. März 1928 zu den Akten gelegt. Durch
ersteres sind Georges Noblot, sein Bruder Josef Noblot sowie dessen
Schwiegervater Falk, ein gewisser Levy gen. Wolff und d'Herbemont wegen
Betrugs, begangen durch Verfälschung eben des Konossements über die 1172
Tonnen Zucker zu Freiheitsstrafe, bezw. Basse verurteilt worden. Das Urteil
stellt fest, dass Falk Präsident der deutschen Bankunternehmung
«Rheinhandelskonzern A.-G.» in Düsseldorf und Vizepräsident einer
Tochterunternehmung dieser Bank «Minerva A.-G.» und sein Schwiegersohn Josef
Noblot Verwaltungsrat dieser beiden Gesellschaften sei. Das zweiterwähnte
Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf,
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das einen von d'Herbemont gegen die Rheinhandelskonzern A.G., die Minerva
A.-G., sowie gegen Falk und die Brüder Josef und Georges Noblot
herausgenommenen Arrest aufhebt, geht von den gleichen tatsächlichen Annahmen
aus und fügt bei, Georges Noblot sei Verwaltungsrat der Minerva A.-G., alle -
Falk und die Brüder Noblot - hätten ihr Bureau im gleichen «Rheinhandelshaus»
in Düsseldorf gehabt. Die Ziffer des ursprünglichen Konossements sei nur
gewählt worden, weil sie verhältnismässig leicht habe gefälscht werden können
und weil die Fälscher damit hätten rechnen dürfen, dass bei oberflächlicher
Prüfung des Konossements der Widerspruch zwischen der in Buchstaben und der in
Zahlen gemachten Gewichtsangabe (11720 und 11172) nicht bemerkt werde. Der
Zweck des Unternehmens sei nur der gewesen, durch Erfüllung von nur einem
Zehntel des im vorgetäuschten Vertrag angegebenen Zuckerquantums den auf das
Gesamtquantum entfallenden, von der französischen Regierung zugesicherten
Rabatt («abattement») sich zu verschaffen.
C. - Die Bundesanwaltschaft beantragt, die Auslieferung des Georges Noblot an
Deutschland sei unter dem Vorbehalt zu bewilligen, dass dem Strafverfahren
einzig § 267 des deutschen Strafgesetzbuchs zu Grunde gelegt werde. Zur
Begründung wird ausgeführt:
Die Urkundenfälschung sei zugestanden; sie hätte den Zweck gehabt, von der
französischen Regierung den Rabatt auf dem vorgetäuschten Gesamtgeschäft,
sowie die Anweisung auf dem Restbetrag des vorgetäuschten Gesamtkaufpreises,
von der deutschen Reparationskasse den Gegenwert der von der französischen
Regierung ausgestellten Anweisung für die zu neun Zehntel nicht gelieferten
Waren zu erhalten. Die Fälschung von Privaturkunden und die Verwendung dieser
Urkunden werde in § 267 DRStG und in § 72 Abs. 1 st. gall. StG unter Strafe
gestellt. Die Voraussetzung von Art. 3 intern. AuslG für die Auslieferung ans
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Ausland sei also, was das Vergehen der Fälschung oder Verfälschung von
Urkunden und den betrügerischen Gebrauch solcher Urkunden betreffe, erfüllt.
Dagegen kenne das st. gall. StG das besondere, in § 268 DRStG vorgesehene
Vergehen der gewinnsüchtigen Urkundenfälschung nicht. Die Auslieferung könne
deshalb gemäss Art. 3 intern. AuslG. für dieses Spezialdelikt nicht bewilligt
werden. Da auch die «Absicht zu betrügen oder zu schaden» im Sinne von Art. 1
Ziff. 17 des Auslieferungsvertrags mit Deutschland obgewaltet habe, so sei die
Auslieferung unter dem erwähnten Vorbehalt zu bewilligen, ohne dass auf die in
den Eingaben für Noblot eingehend besprochene Verschuldensfrage einzutreten
sei. Die Einrede, es handle sich um ein politisches Delikt, sei nicht
begründet. Selbst wenn es sich um den Versuch, den Dawesplan zu sabotieren,
handeln würde, so wäre damit nur die deutsche Volkswirtschaft, keineswegs aber
die politische Ordnung des deutschen Reichs getroffen. Das politische Delikt
im Sinne des Auslieferungsgesetzes setze aber notwendig einen Angriff auf die
Macht im Staat voraus. Jedenfalls wiege der Charakter eines gemeinen Deliktes
vor.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Auslieferung an Deutschland ist nach Art. 1 des Auslieferungsvertrages
vom 24. Januar 1874 mit Deutschland und Art. 3 BG vom 22. Januar 1892
betreffend die Auslieferung gegenüber dem Ausland zu bewilligen, wenn die den
Gegenstand des deutschen Strafverfahrens bildende Handlung den Tatbestand
eines im Auslieferungsvertrag vorgesehenen Vergehens erfüllt und zugleich in
Deutschland wie im Zufluchtskanton unter Strafe gestellt ist (zu letzterem
vergl. BGE 42 I S. 218 Erw. 2). Ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, ist
vom Bundesgericht in freier Auslegung der das Auslieferungsdelikt
umschreibenden staatsvertraglichen wie der einschlägigen landesrechtlichen
Strafbestimmungen zu entscheiden.
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Das Vergehen der Fälschung von Urkunden und des wissentlichen Gebrauchs
falscher oder gefälschter Urkunden wird in Art. 1 Ziff. 17 des
Auslieferungsvertrages mit Deutschland ausdrücklich als Auslieferungsdelikt
bezeichnet, «vorausgesetzt, dass die Absicht zu betrügen oder zu schaden
obgewaltet hat». Nach der Anklage hat nun jedenfalls die «Absicht zu betrügen»
bestanden, auch wenn im übrigen die Einrede Noblots, es handle sich um ein
politisches Delikt, begründet sein sollte. Andrerseits wird die eingeklagte
Handlung durch das deutsche (§ 267 u. 268 DRStG) wie das st. gallische
Strafrecht (§ 72 st. gall. StG) unter Strafe gestellt. Dabei stehen die
bezüglichen Vorschriften des deutschen Rechts (§ 267, einfache
Urkundenfälschung § 268, gewinnsüchtige Urkundenfälschung) zu einander im
Verhältnis der Gesetzeskonkurrenz, wobei gegebenenfalls die letztere als
Spezialbestimmung in Betracht fallen wird, sofern nicht gemäss dem Antrag der
Bundesanwaltschaft die Auslieferung nur zur Aburteilung auf Grund von § 267
DRStG bewilligt werden kann.
2.- Die Bundesanwaltschaft stützt nun ihren Antrag darauf, dass das st.
gallische Strafrecht nur die einfache Urkundenfälschung entsprechend
derjenigen des § 267, nicht auch die gewinnsüchtige Urkundenfälschung
entsprechend derjenigen des § 268 DRStG kenne; es fehle also für dieses
Spezialdelikt im Zufluchtsstaat die identische Norm. Allein das Bundesgericht
hat den Grundsatz, wonach nur ausgeliefert werden kann, wenn die eingeklagte
Handlung im ersuchenden wie im Zufluchtsstaate strafbar sei, nie so ausgelegt,
dass das Auslieferungsdelikt in den beiden Landesrechten die gleichen
Tatbestandsmerkmale aufweisen müsste; denn bei solcher Auslegung des
Grundsatzes der Identität der Norm würde das Auslieferungsrecht in erheblichem
Umfange illusorisch. Die Auslieferung wird vielmehr bewilligt, sobald die
eingeklagte Handlung unter die im Vertrag vorgesehenen Vergehen fällt und im
ersuchenden wie im Zufluchtsstaat tatsächlich bestraft
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wird; dass die einzelnen Tatbestandsmerkmale in beiden Landesrechten
vollständig übereinstimmen müssten, wird nicht verlangt. So ist die
Auslieferung auch zu bewilligen, wenn die eingeklagte Handlung im ersuchenden
Staat nach den Tatumständen den Charakter eines qualifizierten Vergehens
annimmt, während sie nach dem Rechte des Zufluchtkantons unter einen
allgemeinen Vergehensbegriff fällt. Um einen solchen Fall handelt es sich
hier. Eingeklagt ist eine in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht begangene
Urkundenfälschung, welche in Deutschland, wie in St. Gallen unter Strafe
gestellt ist, im letztern Staat als Urkundenfälschung schlechthin, im erstern
dagegen als gewinnsüchtige Urkundenfälschung als Spezialdelikt zu demjenigen
der einfachen Urkundenfälschung. Die Auslieferung muss deshalb vorbehaltlos
bewilligt werden, soweit nicht andere Gründe dagegen sprechen.
3.- Noblot wendet diesbezüglich gegenüber dem Auslieferungsbegehren ein, der
eingeklagten Handlung komme politische Bedeutung zu, sodass dem Begehren
gemäss Art. 4 des Auslieferungsvertrages mit Deutschland nicht entsprochen
werden könne. Nun hat zwar derjenige, dessen Auslieferung verlangt wird, die
behauptete politische Natur der eingeklagten Handlung nicht zu beweisen; aber
er muss immerhin Tatsachen geltend machen, welche dem Richter erlauben, sich
über die Schlüssigkeit der Einrede des politischen Deliktes eine begründete
Meinung zu bilden (vgl. BGE 12120;34 I 547; 38 I 155). Das von Noblot
Vorgebrachte ist aber in dieser Beziehung unbehelflich.
Es würde sich von vorneherein nicht um ein eigentliches politisches Delikt,
sondern nur um ein sogenanntes relativ politisches Delikt handeln - ein
Verhalten, das an sich den Tatbestand eines gemeinen Vergehens erfüllt, das
aber vermöge der besondern Beweggründe, des Zweckes und der Tatumstände zu
einem politischen Vergehen wird (BGE 50 I 304; 50 I 257). Das setzt
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aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts voraus, dass die Handlung
gegen die politische Ordnung im Staat gerichtet gewesen sei, also einen Kampf
um die Macht im Staat oder ein Einzelereignis in einem solchen Kampf
darstelle. Die Prüfung der Frage, ob die von Noblot begangene
Urkundenfälschung auf Grund seiner Anbringen als politisches Delikt in diesem
Sinn anzusehen sei, setzt ihre Würdigung im Zusammenhang mit den Vorgängen
voraus, in deren Rahmen sie begangen worden ist.
Nach dem Dawesplan hat Deutschland die jährlichen Reparationszahlungen nur
insoweit die deutsche Wahrung es verträgt, in bar und für das übrige durch
Warenlieferungen zu leisten. Dieser Sachtransfer (im Gegensatz zum
Bartransfer) wird in der Weise abgewickelt, dass der französische Käufer
deutscher Waren den Kaufpreis in zwei Raten bei der zuständigen französischen
Behörde einbezahlt und dafür Anweisungen an die deutsche Reparationskasse zur
Indossierung an den deutschen Käufer erhält. Auf diese Weise werden
alljährlich auf Reparationsrechnung Sachwerte von Deutschland nach Frankreich
ausgeführt, während die diesem Sachwert entsprechende Geldsumme in Deutschland
bleibt. Die französische Regierung hat nun, um die Ausschöpfung ihres
Reparationskontos zu fördern, dem französischen Käufer auf den an sie zu
leistenden Kaufpreiszahlungen einen Rabatt, je nach der Art der Ware in
verschiedener Höhe, zugesichert, so dass der diesem Rabatt entsprechende Teil
der deutschen Sachleistungen nicht dem französischen Staat, sondern dem
französischen Käufer zukommt und dessen Gewinnaussichten erhöhen, ihn
jedenfalls in gewissem Umfang gegen Verluste sichern soll. Mit ihrem Vorgehen
bezweckten nun Georges Noblot und die Mitbeteiligten, den zugesicherten Rabatt
auf dem zehnfachen des als Kaufpreis zu leistenden Betrages ausbezahlt zu
bekommen; und die Auswirkung davon wäre gewesen, dass
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die dem vorgetäuschten Gesamtkaufpreis entsprechende Summe nur zu einem
Zehntel in Waren und zu neun Zehntel in bar auf Reparationsrechnung von
Deutschland nach Frankreich abgeführt worden wäre, dass also der im Dawesplan
vorgesehene Sachtransfer zu diesem Betrag in einen Bartransfer umgewandelt
worden wäre.
Die eingeklagte Urkundenfälschung hätte so eine Schwächung der deutschen
Volkswirtschaft zur Folge gehabt, einerseits dadurch, dass durch den erhöhten
Bartransfer die deutsche Währung einer gewissen Gefahr ausgesetzt worden wäre,
und andrerseits dadurch, dass der bei Sachleistung im transferierten
Reparationsbetrag enthaltene Produktionsgewinn der deutschen Wirtschaft
entgangen wäre. Schliesslich sieht der Dawesplan vor, dass, sobald die
nichtausgeschöpften jährlichen Reparationsquoten fünf Milliarden ausmachen,
der Dawesplan zu Gunsten Deutschlands geändert werden muss. Durch die dem
Noblot und den Mitbeteiligten zur Last gelegten Machenschaften wird aber das
Rückständekonto verringert und damit eine Entlastung Deutschlands
hinausgeschoben oder illusorisch gemacht.
Wie aber eine solche Benachteiligung der deutschen Volkswirtschaft eine
Änderung der deutschen politischen Ordnung zur Folge haben könnte und
inwiefern diese Änderung der Endzweck der eingeklagten Handlungen sein soll,
wird in keiner Weise darzutun versucht.
Im übrigen würden die behaupteten politischen Beweggründe doch wohl zur
Voraussetzung haben, dass die Urkundenfälschung wenigstens in
stillschweigendem Einverständnis mit massgebenden französischen Staatsorganen
begangen worden wäre. Gegen eine solche Annahme spricht aber, ganz abgesehen
davon, dass keinerlei positive Anhaltspunkte dafür geltend gemacht worden
sind, die Bestrafung Noblots und der Mitbeteiligten wegen dieser gleichen
Urkundenfälschung durch ein französisches Gericht. Zudem ist allerdings der
Zuckerlieferungsvertrag formell zwischen d'Herbemont,
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vertreten durch Georges Noblot, und der Minerva Handels A.-G. abgeschlossen
worden. Allein nach den Akten scheint d'Herbemont, welcher von jedem
Verkaufsrisiko entlastet worden ist, nur als Strohmann gedient zu haben,
während das ganze Zuckerlieferungsgeschäft eine Machenschaft der hinter der
Minerva Handels A.-G. stehenden Personen - Falk und die Brüder Noblot - also
einer deutschen Unternehmung ist. Das spricht positiv dafür, dass die
Urkundenfälschung nicht aus politischen Beweggründen, sondern allein oder doch
zweifellos vorwiegend in der Absicht begangen wurde, sich auf Grund eines
fingierten Kaufsgeschäftes den von der französischen Regierung versprochenen
Rabatt zu sichern. Dass dabei die deutsche Volkswirtschaft die Benachteiligte
war, macht die Handlung sowenig zu einem politischen Delikt, wie wenn die
Urkundenfälschung unmittelbar zum Nachteil des deutschen Fiskus begangen
worden wäre.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Einsprache des Georges Noblot wird abgewiesen und die Auslieferung an
Deutschland bewilligt.