S. 182 / Nr. 27 Gerichtskostenstreitigkeiten zwischen Bund und Kantonen (d)

BGE 54 I 182

27. .Urteil vom 1. Juni 1928 i.S. Eidgenossenschaft gegen Schwyz.


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Regeste:
Art. 156 Abs. 2 OG: Voraussetzungen für die Kostentragung durch den Bund.

A. - Das Bezirksamt Höfe (Schwyz) hatte gemäss Art. 148 OG und Art. 7 der
bundesrätlichen Verordnung vom 11. November 1925 betreffend das bei
Gefährdungen oder Unfällen im Bahn- und Schiffsbetrieb zu beobachtende
Verfahren gegen die Stiftsstatthalterei Pfäffikon eine Voruntersuchung wegen
Eisenbahngefährdung durchgeführt und die Akten der Eisenbahnabteilung des
Eidg. Post- und Eisenbahndepartementes zugestellt. Die Eisenbahnabteilung
übermittelte die Akten der Schweizerischen Bundesanwaltschaft zuhanden des
Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, welches am 16. August 1927 erkannte,
zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens im Sinne von Art. 67 rev. BStrR
liege keine Veranlassung vor. Daraufhin beschloss am 26. September 1927 die
Überweisungskommission des Bezirkes Höfe, der Fall werde «ad acta» gelegt und
die erlaufenen Kosten im Betrage von 175 Fr. seien mit 125 Fr. von den S.B.B.
und mit 50 Fr. von der Stiftsstatthalterei Pfäffikon zu tragen. Gegen den
Kostenentscheid beschwerten sich die S.B.B. und die Stiftsstatthalterei
Pfäffikon bei der Justizkommission des Kantons Schwyz, welche am 10. Dezember
1927 entschied:
1. Die Rekursbegehren werden gutgeheissen und der

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Beschluss der Überweisungskommission inbezug auf den Kostenentscheid
aufgehoben.
2. Die erlaufenen Untersuchungskosten im Betrage von 175 Fr. und der
Justizkommission (Taxe 10 Fr. und Ausfertigungsgebühren 14 Fr.) trägt die
Bundeskasse.
B. - Gegen den am 16. Januar 1928 beim Eidg. Kassen- und Rechnungswesen
eingegangenen Entscheid der Justizkommission des Kantons Schwyz erhebt die
Schweizerische Bundesanwaltschaft im Auftrag des Bundesrates am 12. März 1928
staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag: «Das Bundesgericht möge erkennen,
dass eine Kostenpflicht des Bundes in der zur Überprüfung stehenden
Angelegenheit nicht besteht und demzufolge den Entscheid der Justizkommission
des Kantons Schwyz vom 10. Dezember 1927 aufzuheben.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Justizkommission des Kantons Schwyz bezweifelt zu Unrecht die
Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes. Es handelt sich, wie im Urteil des
Kassationshofes vom 2. März 1928 des nähern ausgeführt worden ist, um einen
Anstand zwischen Bund und Kanton gemäss Art. 156 OG, der im staatsrechtlichen
Verfahren zu erledigen ist.
2.- Die dem Bundesstrafrecht unterliegenden, nicht durch Bundesgesetz den
kantonalen Behörden zur Verfolgung und Beurteilung zugewiesenen Strafsachen
werden von den eidgenössischen Behörden verfolgt, sofern sie nicht im
einzelnen Fall durch Bundesratsbeschluss den kantonalen Behörden zugewiesen
werden (vgl. Art. 107 ff ., 125 ff. OG). Die Letztern führen also das Verfahren
in denjenigen Bundesstrafsachen durch, welche ihnen generell durch
Bundesgesetz oder im einzelnen Fall durch Bundesratsbeschluss überwiesen
worden sind (Art. 125 OG).
In den Fällen, in welchen der Bundesrat das Recht

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zusteht, die Beurteilung dem Bundesgericht oder den kantonalen Gerichten
zuzuweisen, findet gemäss Art. 148 OG (bei Bahn- und Schiffsgefährdungen
gemäss Art. 7 VO vom 11. November 1925) vorerst eine durch die kantonalen
Behörden durchzuführende Voruntersuchung (Ermittlungsverfahren) statt. Auf
Grund der Voruntersuchungsakten entscheidet dann der Bundesrat (bei Bahn- und
Schiffsgefährdungen das Eidg. Justizdepartement als delegierte Behörde), ob
das Verfahren durchzufahren sei und wenn ja, ob von den eidgenössischen oder
den kantonalen Strafbehörden. Wird die Sache einer kantonalen Behörde zur
weitern Verfolgung überwiesen, so kann sie ausser durch Verurteilung oder
Freispruch immer noch mit einer von der kantonalen Behörde selber verfügten
Einstellung des Verfahrens enden, wenn die auf den bundesrätlichen
Überweisungsbeschluss folgende, aber dem eigentlichen Gerichtsverfahren
vorangehende Untersuchung (eigentliche, meist gerichtliche Voruntersuchung)
den Einstellungsbeschluss rechtfertigt (vgl. Art. 160 in Verbindung mit Art.
146 OG).
Nur auf diese, nach Überweisung einer Bundesstrafsache durch den Bundesrat
oder seine Delegationsbehörde an eine kantonale Behörde eintretenden
Eventualitäten bezieht sich die in Art. 156 OG getroffene Kostenregelung,
wonach die Prozess- und Vollziehungskosten nach Massgabe des kantonalen Rechts
vom Angeklagten zu tragen sind, wenn er verurteilt wird und zahlungsfähig ist,
in bestimmtem Umfang dagegen vom Bund, wenn der Angeklagte zahlungsunfähig ist
oder freigesprochen wird oder wenn das gegen ihn eingeleitete Verfahren von
der kantonalen Behörde eingestellt worden ist. Der in Art. 156 OG Abs. 1
ausgesprochene Satz «In den Strafprozessen, welche vom Bundesrat an die
kantonalen Gerichte gewiesen werden, hat der Verurteilte die Prozess- und
Vollziehungskosten zu bezahlen» setzt voraus, dass die Strafsache durch den
Bundesrat einer

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kantonalen Strafverfolgungsbehörde überwiesen worden sei; und damit auch der
in Abs. 2 ausgesprochene Satz «Kann der Verurteilte die Kosten nicht bezahlen
oder wird der Angeklagte freigesprochen..., so sind die Kosten von der
Bundeskasse zu vergüten». In diesem Zusammenhang können, wenn von den
«Prozess- und Vollziehungskosten» die Rede ist, unter den Erstern nur die
Kosten des nach der Überweisung beginnenden Verfahrens (Voruntersuchung i.e.S.
und Gerichtsverhandlung), nicht auch diejenigen des vorausgegangenen
Ermittlungsverfahrens verstanden werden. Sonach können, «wenn der Untersuchung
keine weitere Folge gegeben wird», die Prozesskosten auch nur dann dem Bunde
auferlegt werden, wenn das Verfahren nach Erlass des bundesrätlichen
Überweisungsbeschlusses durch die kantonale Gerichtsbehörde eingestellt worden
ist; und nur d i e Kosten können - in dem in Absatz 2 bestimmten Umfang - dem
Bunde auferlegt werden, welche nach der Überweisung entstanden sind. Der
Wortlaut des Art. 156 OG schliesst eine andere Auslegung in dem Sinne, dass
bei Einstellung des Verfahrens die Überbindung der Kosten an den Bund den
Voraussetzungen und dem Umfang nach von der bei Freispruch oder Verurteilung
verschieden sein soll, aus.
3.- Diese Auslegung erweist sich auch aus allgemeinen Erwägungen als die
richtige. Das Ermittlungsverfahren, das vom Bezirksamt Höfe gemäss Art. 7 der
Verordnung vom 11. November 1925 angehoben worden ist, war eine
gerichtspolizeiliche Tätigkeit. Diese ist im allgemeinen bei Vergehen, die
unter das eidg. Strafrecht fallen, den Polizeibehörden des Bundes und der
Kantone gemeinsam übertragen (Art. 12 des Bundesgesetzes über die
Bundesstrafrechtspflege vom 7. August 1851); die von kantonalen
Polizeibehörden vorgenommenen Untersuchungshandlungen gehören danach zu den
ihnen kraft genereller Vorschrift zugewiesenen Obliegenheiten, die sie, wie
die Polizeibehörden

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des Bundes, im allgemeinen Interesse zu erfüllen haben. Was die Bahnpolizei
insbesondere betrifft, so liegt ihre Handhabung nach Art. 32 Abs. 1 des
Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 den Gesellschaften ob, wobei der
kantonalen Polizei die mit der Ausübung ihres Aufsichtsrechtes verbundenen
Befugnisse in vollem Umfange vorbehalten werden, und nach Art. 12 Abs. 2 des
Bundesgesetzes betreffend die Handhabung der Bahnpolizei vom 18. Februar 1878
sind die Bahnbeamten, denen die Handhabung der Bahnpolizei übertragen wird,
den kantonalen Polizeibediensteten gleichgestellt, woran sich wiederum die
Bestimmung anschliesst, dass der kantonalen Polizei die mit der Ausübung ihres
Aufsichtsrechtes verbundenen Befugnisse in vollem Umfange vorbehalten werden.
Wenn somit die kantonalen Polizeibehörden über eine Eisenbahngefährdung
Erhebungen machen, so tun sie dies in Ausübung der den Kantonen belassenen
Polizeihoheit; sie handeln dabei kraft eigener Befugnis und gemäss einer
allgemein ihnen obliegenden Pflicht, nicht auf Grund eines besonderen
Auftrages an Stelle der Bundespolizeibehörden. Dafür, dass die Kosten eines
solchen Verfahrens vom Bunde dem Kanton zu ersetzen seien, dessen
Polizeiorgane es durchgeführt haben, ist ein Rechtsgrund nicht erfindlich. Der
Fall ist vielmehr demjenigen ähnlich, in dem die gerichtliche Verfolgung eines
nach eidg. Recht strafbaren Vergehens den Kantonen nach gesetzlicher Anordnung
überlassen ist, für welchen Art. 157 OG ausdrücklich bestimmt, dass eine
Kostenvergütung durch den Bund nicht stattfinde. Art. 156 Abs. 2 bezieht sich
demgegenüber auf den Fall, in dem eine Strafsache durch die zuständige
Bundesbehörde den kantonalen Gerichten zugewiesen worden ist. Hier mag sich
die Vergütung der den Kantonen erwachsenen Kosten in dem dort angegebenen
Umfange deshalb rechtfertigen, weil an sich das Vergehen unter die
Bundesstrafgerichtsbarkeit fällt und nur kraft besonderer Anordnung an

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die kantonalen Gerichte gewiesen wurde, und weiter gesagt werden kann, dass
durch die Überweisung dem Bunde eigene Kosten erspart werden. Das kann aber
nur gelten für das Verfahren nach der Zuweisung der Sache an die kantonalen
Gerichte, und kann nicht ausgedehnt werden auf die polizeiliche
Voruntersuchung des Art. 148 Abs. 1, die den kantonalen Behörden von Gesetzes
wegen obliegt und wo sie nicht eine an sich den eidg. Strafbehörden obliegende
Aufgabe erfüllen. Allerdings kann durch eine sorgfältige geführte
Voruntersuchung dem weiteren Verfahren vorgearbeitet werden. Es ist aber
diesbezüglich auf die Erklärung der Bundesanwaltschaft zu verweisen, wonach
besondere Auslagen eines Kantons in der Voruntersuchung immer aus der
Bundeskasse vergütet worden sind.
4.- Danach waren vorliegend die Voraussetzungen des Art. 156 OG für die
Überbindung von Prozesskosten an die Bundeskasse nicht erfüllt. Der Entscheid
der Justizkommission des Kantons Schwyz ist deshalb in dem Sinne aufzuheben,
dass über die Kostentragung neu zu entscheiden ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Justizkommission des
Kantons Schwyz vom 10. Dezember 1927 aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 I 182
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 01. Juni 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 I 182
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 156 Abs. 2 OG: Voraussetzungen für die Kostentragung durch den Bund.


Gesetzesregister
OG: 107  125  146  148  156  157  160
BGE Register
54-I-182
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kantonale behörde • bundesrat • bundesgericht • obliegenheit • strafsache • verurteilter • strafuntersuchung • gerichtskosten • verurteilung • einstellung des verfahrens • freispruch • kostenentscheid • entscheid • eidgenossenschaft • beschuldigter • staatsrechtliche beschwerde • beendigung • richterliche behörde • richtlinie • weisung
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