308 . staatsrecht-
Beim Fehlen eines nachgewiesenen Hoheitsbesitzes muss deshalb die
Rechtshilfepflicht davon abhängen, welchem der beiden Kantone das
streitige Seegebiet re c h tlic h zugehöre. Diese Frage zu entscheiden,
auch nur als blossen Präjudizialpunkt für den geltend gemachten
Rechtshilfeanspruch, ist aber das Bundesgericht im gegenwärtigen Verfahren
deshalb ausser Stande, weil die Parteien es unterlassen haben, ihm die
dazu nötigen Angaben und Unterlagen zu unterbreiten und deren Lösung einem
besonderen Verfahren vorbehalten wollen. Solange nicht in dem letzteren
die Grenze so gezogen wird, dass der Begehungsort auf luzernisehes Gebiet
zu liegen kommt oder nach erfolgter Grenzbereinigung der Begehungsort
noch abzuklären bleibt, kann deshalb auch von einer bundesrechtswidrigen
Verweigerung der Rechtshilfe durch Nidwalden nicht die Rede sein. Für
beide Eventualitäten aber Wird die Rechtshilfepflicht vom nidwaldnischen
Regierungsrat schon heute anerkannt, wobei er zu behaften ist.
Der Einwand Luzerns, dass das Urteil im Grenzstreite erst für die
Zukunft Recht schaffe, würde dann zutreffen, wenn Luzern sich für
sein Begehren auf einen zu seinen Gunsten bestehenden Hoheitsbesitz
an dem Streitigen Seeteile zu berufen vermöchte Er versagt, nachdem
dies nicht der Fall ist, weil der Richter im Grenzprozesse nicht eine
neue Grenze festzusetzen, sondern die schon bestehende zu ermitteln
haben wird. Und ebenso ist unrichtig, dass der Regierungsrat von
Nidwalden sich durch seinen Beschluss strafrichterliche Befugnisse
anmasse. Lediglich die Zuständigkeit des luzernischen Strafrichters wird
von der nidwaldnischen Behörde in Abrede gestellt. Ergibt sie sich aus
dem Urteil im Grenzprozesse, so wird hernach der luzernische Richter
über die Schuldfrage und die Höhe der Strafe nach den Bestimmungen
des luzernischen Rechts frei entscheiden können. Auch eine Anarchie in
fischereirechtlicher Beziehung ist mit dieser Lösung keineswegs ver"-
-. ·c.Interkantonaies Armenunterstützungsrecht. N° 42. 399
bunden. Dem Kanton Luzern stand und steht es jederzeit frei, den
Grenzstreit beim Bundesgericht anhängig zu machen (Art. 175 'Ziff. 2 OG)
und gleichzeitig den Erlass vorsorglicher Massregeln nachzusuchen.
Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Beschwerde wird abgewiesen.
IX. INTERKANTONALES ARMENUNTERSTÙTZUNGSRECHT
ASSISTANCE INTERCANTONALE DES INDIGENTS
42. Urteil vom 4. November 1927 i. S. Genf gegen BaseItadt.
Interkantonales Armenrecht : Pflicht des Niederkunftskan-t tons, die
Niedergekommene auf eigene Kosten zu verpflegen. Voraussetzungen des
Regressrechts gegen einen andern Kanton bei Unterstützung. '
A. Eine gewisse Martha B., heimatberechtigt und mit Wohnsitz in Basel
Stadt, hatte sich am 24. September 1924 nach Genf begeben, wo sie
im kantonalen Frauenspital niederkam. Am 23. Oktober 1924 verliess
sie das Spital und kehrte einige Tage später nach Basel zurück. Die
Spitalrechnung von 104 Fr. blieb sie schuldig. Daraufhin stellte der
Kanton Genf dem Kanton Basel-Stadt Rechnung für diesen Betrag und leitet
nun, nachdem Basel-Stadt seine Zahlungspflicht bestritt, die vorliegende
Klage ein. Genf beantragt, es sei Basel-Stadt zu verurteilen, ihm die
Kosten der Verpflegung der B. mit 104 Fr. zu ersetzen. In der Begründung
wird auf das Bundesgesetz vom 22. Juni
_ 1875 hingewiesen und ausgeführt : Im Verhalten der B.,
die sich ausschliesslich zum Zwecke der Niederkunft nach Genf begeben
habe, liege ein Missbrauch dieses
310 Staatsrecht.
Gesetzes, von dem nicht anzunehmen sei, dass der Gesetzgeber ihn habe
schützen wollen. Ansonst würden sich unbillige Folgen ergeben, speziell
für Genf, wohin sehr häufig bedürftige Personen aus andern Kantonen
sich zum Zwecke der Niederkunft verfügen. Normalerweise hätte Basel, das
Heimatund Wohnsitzkanton der B. sei, diese verpflegen müssen. Genf habe
daher eine Pflicht erfüllt, die in erster Linie Basel obgelegen habe. Es
handle sich um eine öffentlichrechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag,
aus der Basel zum Kostenersatz an Genf verpflichtet sei.
Basel-Stadt hat die Abweisung der Klage beantragt. Es'bestreitet,
dass einer der Fälle vorliege, wo nach der Praxis auf dem Boden des
Bundesgesetzes von 1875 der Verpflegungskanton für die Kosten auf einen
andern zurückgreifen könne. Basel-Stadt habe in keiner Weise Anlass dazu
gegeben, dass Genf die B. habe verpflegen müssen. Diese sei bei ihrer
Abreise von Basel nicht pflegebedürftig gewesen. Basel-Stadt habe weder
das Recht, noch die Pflicht gehabt, sie von der Reise abzu halten. Die
B. sei im Genusse der verfassungsmässigen Freizügigkeit gewesen, kraft
welcher auch der von Krankheit oder Pflegebedürftigkeit Bedrohte sich
hinbegeben dürfe, wo er wolle. Er sei kraft der Freizügigkeit weder
dem Kanton, den er verlasse, noch den Kanton, den er aufsuche, Auskunft
über die Gründe seiner Reise schuldig, und der Kanton, den er verlasse,
könne daher für den Entschluss, den der Wegziehende fasse, unter keinen
Umständen verantwortlich gemacht werden, wenn er nicht darauf durch seine
Organe eingewirkt habe, was im vorliegenden Falle gar nicht behauptet
werde. Die bisher ergangenen Entscheidungen hätten nicht das Verhalten
des Bedürftigen und dessen Motive ins Auge gefasst, sondern das Verhalten
des beklagten Kantons. Das Verhalten des Bedürftigen, das von Genf im
vorliegenden Falle für massgebend gehalten werde, sei nicht geeignet,
das von Genf besorgte
-x.-Interkantonales Armenunterstützungsreeht. N° 42. 311
Geschäft als ein fremdes erscheinen 'zu lassen, bei dem Genf eine
Verpflichtung von Basel-Stadt erfüllt hätte. Dafür, dass der nicht in
Anspruch genommene Kanton zur Rückerstattung verpflichtet sein sollte,
wenn der Bedürftige in fraudem legis bei einem andern Fürsorge verlange,
lasse sich kein Grund finden. Wenn der Bedürftige eine Gesetzesumgehung
begangen habe, so könne das mangels einer gesetzlichen Vorschrift
nicht die Folge haben, dass ein anderer Kanton für die Verpflegung
des Fehlbaren aufkommen müsse. Ferner müsse man aber fragen, ob es
wirklich eine Gesetzesumgehung sei, wenn der Bedürftige die Fürsorge,
die er in einem Kanton beanspruchen könnte, verschmähe und einen andern
Kanton aufsuche, um sich dort verpflegen zu lassen. Es könnte nur dann
eine Gesetzesumgehung sein, wenn das Bundesgesetz dem Bedürftigen die
Pflicht auferlegte, sich an einen bestimmten Kanton zu wenden. Davon
sei aber keine Rede : Verpflichtungen würden in dem Gesetze nur den
Kantonen auferlegt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
Es ist keine Frage, dass unter den Art. ] des Bundesgesetzes vom
22. Juni 1875 auch der Fall gehört, wo eine bedürftige Frauensperson
niederkommt. Auch hier muss der Kanton, auf dessen Gebiet die
ersten Symptome der Geburt sich zeigen, für die erforderliche Pflege
besorgt sein, da ja ein Transport in den Heimat(oder Wohnsitz-) Kanton
ausgeschlossen ist. Genf hatte daher auf Grund der genannten Bestimmung
der B., die seit dem 28. September 1924 dort weilte und der Niederkunft
wegen am 11. Oktober 1924 im Frauenspital aufgenommen werden musste,
die erforderliche Verpflegung zu gewähren.
Es liegt keiner der Fälle vor, in denen nach der Praxis Genf von einem
andern Kanton, speziell Basel-Stadt, den Ersatz der durch die Verpflegung
der B. entstandenen Kosten verlangen könnte. Ein solcher Kostenersatz
31 2 Staatsrecht.
ist dem Kanton, 'der infolge einer bundesrechtlichen oder
staatsvertraglichen Pflicht verpflegt oder unterstützt hat, nur dann
zugesprochen werden, wenn ein
anderer Kanton in erster Linie dazu verpflichtet ge.si wesen wäre
und dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, si indem er die bereits
transportunfähige bedürftige Perss
son (BGE 8 S. 441 ; 31 I 407) oder eine (ausländische) Person abschob,
bei der die Gefahr demnächst eintretender Unterstützungsbedürfnis
bestand (BGE 43 I 310), oder aber den Eintritt des Verpflegungsoder
Unterstützungsfalles im andern Kanton durch ein im eigenen Interesse
erfolgt-es Dazwischentreten herbeigeführt hat (BGE 46 I 455). Es
muss-darnach ein Verhalten des betreffenden Kantons vorliegen, das nicht
ganz einwandfrei ist oder auf der Wahrung eigener Interessen beruht,
damit der andere Kanton, der infolgedessen verpflegt oder unterstützt hat,
die Ersetzung der dadurch entstandenen Kosten beanspruchen kann.
Es 'fehlt hier an einem derartigen Verhalten von BaselStadt, das
bewirkt hätte, dass Genf die B. verpflegen musste. Diese hat, bevor sie
pflegebedürftig war, aus eigenen Stücken, ohne irgend welches Zutun
der Behörden von Basel Stadt und ohne dass sie Veranlassung gehabt
hätten, irgendwie tätig zu sein, sich von Basel entfernt und nach Genf
begeben. Selbst wenn die Be'_hörden von Basel-Stadt von der Sachlage
unterrichtet gewesen wären, hätten sie. keine Befugnis gehabt, die _
B. an der Abreise zu verhindern.
Die B. hat sich freilich, wie es scheint, nach Genf begeben in
der Absicht, dort niederzukommen und nachher wieder nach Basel
zurückzukehren. Wäre sie in Basel geblieben, so hätte sie dort verpflegt
werden müssen. Das wäre in der Tat, da sie in Basel wohnt und dort
zuden noch heimatberechtigt ist, gegenüber der Verpflegung in Genf das
normalere und natürlichere gewesen. Allein nach der Praxis genügt das
nicht, beim Mangel jeden Verhaltens der Basler Behör-Interkantonales
Armenunterstützungsreeht. N° 42. 313
den im angegebenen Sinne, um Genf ein Rückgriffsrecht an Basel
für die Verpflegungskosten zu geben. Und es Würde sich auch nicht
rechtfertigen, die Kostenersatzpflicht auf solche Fälle auszudehnen,
wo jenes Moment fehlt und wo man lediglich sagen kann, dass bei der als
normal vorgestellten, rein hyp oth et ischen Sachlage die Fürsorgepflicht
den andern Kanton getroffen hätte. Diese Pflicht liegt eben demjenigen
Kanton ob, auf dessen Gebiet der Erkrankungstall eingetreten ist,
auch wenn es sich nur um einen ganz vorübergehenden, ja zufälligen
Aufenthalt handelt. Insofern hat man es mit einer rein territorialen
Fürsorgepflicht zu tun. Ein Ersatzanspruch gegenüber einem andern
Kanton kann dabei nicht auf den blossen Umstand gestützt werden, dass
bei anderem Tatbestand hier, wenn die B. Basel nicht verlassen hätte
dieselbe territoriale Fürsorgepflicht diesem andern Kanton zugefallen
wäre, und gegenüber dem Heimatkanton als solchem ist der Rückgriff durch
Art. 2 I BG ausgeschlossen. Auch die Tatsache, dass die B. im Hinblick
auf die nahe aussereheliche ' Niederkunft, die sie nicht an ihrem Wohnort
abhalten wollte, sich nach Genf begeben hat, kann zu keiner andern Lösung
führen. Genf ist nichtsdestoweniger primär fürsorgepflichtig geworden
und nicht etwa nur sekundär in Vertretung des primär fürsorgepflichtigen
Basel-Stadt, weil eben die territoriale Pflicht des letztern Kantons
nur eine hypothetische, keine wirkliche war und dessen heimatliehe
Fürsorgepflicht inbezug auf die territoriale eines andern Kantons nach
dem Bundesgesetz keinen Ersatzanspruch begründet.
Man kann für den Standpunkt von Genf auch nicht das Urteil Genf gegen
Bern vom 6. Juni 1924 (BGE 50 I 69) verwerten (Genf tut es auch nicht);
denn jener Fall betrifft einen andern Tatbestand Aufnahme in Genf als
Grenzstadt von im Ausland erkrankten und bereits dort transportuniähig
gewordenen Angehörigen anderer Kantone und die dortigen Erwägungen,
314 Staatsrecht.
wonach Genf in Vertretung des bereits fürsorgepfiichtig gewordenen
Heimatkantons die betreffende Person aufnimmt, kann im vorliegenden Fall
keinerlei Anwendung finden. --
Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Beschwerde wird abgewiesen.
X. INTERNATIONAL ES AUSLIEFERUNGSRECHT
EXTRADITION 'AUX ÉTATS ÉTRANGERS
43. Arrét du 1" octobre 1927 dans la cause De Cock.
Extradition aux Etats étrangers. Seul le Conseil fédéral est
compétent pour juger si une demande d'extradition est recevable à la
forme. Computation du délai de l'art. 6 de la
. Convention belgo-suisse de 1874 (cons. 1). La question de la culpahilité
échappe à la connaissanee du Tribunal fédéral ; il en est de méme de
ia question de l'identité lorsque le moyen tiré du défaut d'identité'
vise à remettre la culpabilité de l'opposant en diseussion (cons. 2). Le
vol est un délit de droit commun, lors méme qu'il a été commis par un
soldat en service, relevant de la juridiction militaire (cons. 3). Les
trihnnaux militaires ne sont pas des tribunaux d'exception (cons. 4). Un
jugement par contumace suffit à justifier la demande d'extradition
(cons. 5). Réserve relative au délit exclusivement militaire de désertion
(cons. 6).
A. Désiré De Cock, fils de Victor et de Félicité Peterson, né le 9
novembre 1894 à Etterbeek, chanffeur, originaire d'Etterbeek (Belgique),
a été arrété le 7 aoùt 1927 par la police genevoise, sur le vu d'un avis
inséré dans le Bulletin central de signalement belge.
Informée de cette arrestation le 10 aoùt, la Légation de Belgique en
Suisse a demandé au Conseil fédéral,Internationales Auslieferungsreeht. N°
43. 315
par note du 29 aoùt 1927, l'extradition de Désiré De Cock. A l'appui de
sa demande, elle a produit :
1. un jugement rendu le 20 février 1923 par le Conseil de guerre des
provinces d'Anvers et de Limbourg, condamnant par contumace Désiré
De Cock, fils de Victor et de Félicité, né à Etterbeek le 9 novembre
1894, soldat volontaire de guerre au dépöt de la 6e division d'armée,
fugitif, à une année d'emprisonnement pour voi, a l'aide d'effraction,
au préjudice de l'Etat et d'un militaire;
2. un exposé des faits d'où il résulte que le 5 novembre 1919, un
premior-maréchal des-logis et un sergent fourrier de la Compagnie des
subsistants d'Anvers constatèrent vers minuit que la porte de leur chambre
avait été fracturée et qu'un vol avait été commis : un bonnet de police,
deux culottes, un imperméable khaki, trois couvertures et un drap de
lit avaient été enlevés. Le méme soir, le sergent de semaine constata à
son tour que la porte du bureau était ouverte et que deux couvertures
avaient été volées. Les soupeons se portérent sur De Cock, qui avait
disp'aru depuis le jour du vol. L'enquéte établit que De Cock avait été
vu le 5 novembre 1919 à 9 heures du soir, portant un imperméable khaki
et un volumineux paquet de couvertures;
3. une copie des textes de loi appliqués par le Conseil de guerre dans
son jugement du 20 février 1923.
B. Au moment de son arrestation à Genève, De Cock avait reconnu que
c'était bien lui qui était désigné dans le jugement du Conseil de guerre,
tout en contestant avoir commis le délit qui lui était imputé.
ll déelara dans Ia suite s'opposer à son extradition.
Dans un mémoire du 31 aoùt et une écriture complèmentaire du 10 septembre
1927, Me Livron, mandataire du détenu, a motivé comme suit l'opposition
de son client :
et) les formes prescrites et les délais fixes par la Convention belgo
suisse de 1874 sur l'extradition des malfaiteurs n'ont pas été observés ;
il y a d'ailleurs contra-
Asssl LW 20