452 staats-sehe

_ Demnach erkennt das Bundesgericht : Der Rekurs'wird in dem Sinne '
' ' " _ ' gutgehassen, dass die Besteuerung in Graubünden für das
Steuerjahr 1918/19

aufgehoben Wird, soweit sie sieh "auf das Einkommen-

Èhtflékurrenten aus seiner Anstellung in Zürich he-

V. GEMEINDEAUTONOM IE

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AUTONOMIE COMMUNALEVgl. Nr. 52. Voir n° 52.Interkantonales Armenrecht. N°
60. 453

VI. INTERKANTONALES ARMENRECHTASSISTANCE J UDICIAIRE GRATUITE
INTERCANTONALE

60. Urteil vom 4. Dezember 1920 i. S. Bunch" ' gegen Basel-Stadt.

Interkantonales Armenreeht. Unterstützungspflicht gegenüber
hülfsbedürftigen Ausländern nach Staatsvertrag. Ematzforderung
des unterstützenden Kantons gegenüber einem anderen Kanton, dem er
den betreffenden Ausländer zur Heimsehaffnng übergeben hatte, wenn
der Heimzuschaffende hier statt dessen wegen eines Straianspruches
zurückbehalten worden und in hülfsbedürftigem Zustand wieder nach dem
ersten Kanton entwichen ist.

A. Die ledige Dorothea Müssig, von Frankfurt a. M;, ist im September 1919
aus dem Kanton Zürich weggewiesen und nach Basel verbracht worden, um
von dort heimgeschafft zu werden. Weil daselbst eine Strafanzeige gegen
sie verlag wurde sie in Basel zuriickbehalten und in Untersuehungshaft
gesetzt. Sie war schwanger und sah der Niederkunft entgegen, weshalb
der Unter ' suchungsrichter sie in den dortigen Frauenspital einwies.
Gegen Ende Oktober entwich sie aus dem Spital. Am 31. Oktober meldete
sie sich in hochschwangerem Zustande im Mutterheim SchanzackerstraSSe
in Zürich. Auf Ansuchen des Mutterheims nahm sich die Freiwilli-genund
Einwohnerarmenpflege Zürich der Müssig an. Sie wurde in die kantonale
Frauenklinik verbracht und kam dort am'2. November mit einem Knaben
nieder. Am 28. November ist sie mit ihrem Kinde Wieder ausgesehafft und
dem Polizeidepartement von Baselstadt übergeben worden. .

Schon am 7. November hatte die Direktion des Armen-

vWesens des Kantons Zürich das Polizeidepartement ven"

454 Steam-echt.

Baselstadt um die Uebernahme der Verpflegungskosten fur die. Müssig
und ihr Kind ersucht, aber abschlägigen Bescheid erhalten. Auch der
Regierungsrat von Baselstadt nahm in einer Zuschrift an denjenigen von
Zürich vom 17. Januar 1920, grundsätzlich einen ablehnenden Standpunkt
ein, erklärte sich aber immerhin bereit die Hälfte der Kosten zu
übernehmen. Der Regierungsrat von Zürich beharrte jedoch laut Zuschrift
an denjenigen von Baselstadt vom 31. Januar 1920 darauf, dass der ganz;
Käséegbetgag von Basel zurückzuerstatten sei was urc c rei en vo . '
' ' abgelehnt wurde_ In 25 September 1920 neuerdings B. Am 11: Oktober
1920 hat darauf der Regierungsrat von Zürich beim Bundesgericht gegen
den Kanton Baselstadt staatsrechtliche Klage mit dem Begehren erhoben,
dieser sei zur Vergütung der Unterstützungsauslagen für Dorothea Müssig
im Gesamtbetrage von 160 Fr. 70 Cts. an die Direktion des Arm'enwesens des
Kantons Zürich zu verpflichten. Es wird auf die bundesgerichtliche Praxis,
insbesondere die Urteile AS 40 I S. 409 ff., 43 I S. 303 ff.,'44 I S. 72
ff. verwiesen und angebracht, die Unterstützungsbedürftigkeit der Müssig
sei schon in Basel derart offenbar geworden, dass sich die öffentliche
Fürsorge der Person annehmen musste. Durch die Flucht derselben
nach Zürich sei hieran nichts geandert worden. Die Fürsorgepflicht
sei mit dem Zutagetreten der Hülfsbedürftigkeit entstanden und habe
fortgedauert, bis letztere aufhörte oder die Müssig dem Heimatlande
übergeben werden konnte. si EUR. Der Regierungsrat von Baselstadt trägt
auf Abweisung der Klage an. Er behauptet in erster Linie, dass die:
Unterstützungsbedürftigkeit erst in Zürich zutage getreten sei ; in
Basel sei die Müssig nicht wegen ihres Gesundheitszustandes, sondern
lediglich deshalb in den Spital versetzt werden, Weil es inhuman wäre,
Frauenspersonen,_welche in nicht zu ferner Zeit niederkomm'en werden,
in eine gewöhnliche Gefangenenzelle einzu-Interkantonales Armenrecht. N°
60. 455

sperren. Auch unter der entgegengesetzten Vorausset--

zung wäre der Rückerstattungsanspruch von Zürich

nicht begründet. Die ,bundesgerichtliche Rechtsprechung

schütze einen solchen nur, wenn von Seiten der Behörden

des unterstützungspflichtigen Kantons eine unzulässige

Abschiebung stattgefunden habe (AS 43 I S. 303 und

44 I S. 72). Im Falle Müssig habe Baselstadt keinerlei

Massnahmen getroffen, die geeignet wären, eine Belastung

eines andern Kantons nach sich zu ziehen und sich selbst

zu entlasten. Die Flucht der Müssig aus dem Spital in

Basel sei ohne Zutun der dortigen Behörden bewerk--

stelligt worden. Wenn aber ein Kranker das Kranken--

haus eines Kantons verlasse, um dasjenige eines andern Kantons
aufzusuchen, so sei der erste entlastet ; das sei eine Folge der
Freizügigkeit. Dass es sich um einen

Gefangenen handle, ändere daran nichts; kein Kanton habe einem andern
gegenüber die Pflicht, seine Gefangenen in Gewahrsam zu halten. Erst
recht könne Basel nicht deshalb haftbar gemacht werden, weil es in Ver
V folgung seines Strafanspruchs die Müssig nicht schen im September 1919
über die Grenze gestellt, sondern in Untersuchungshaft gesetzt habe.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

Nach Art. 6 des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche, vom 13. November 1909,
ist jeder vertragschliessende Teil verpflichtet, dafür zu sorgen,
dass in seinem Gebiete den hülfsbedürftigen Angehörigen des andern
Teils die erforderliche Verpflegung und Krankensifürsorge nach den am
Aufenthaltsorte geltenden Grundsätzen zuteil werde, bis ihre Rückkehr
in die Heimat ohne Nachteil fürihre und anderer Gesundheit geschehen
kann ; ein Ersatz der dadurch entstandenen Kosten kann nicht beansprucht
werden. Dadurch, dass die Behörden des Kantons Zürich im September 1919
die Heimsehaffung der Müssig nach Deutschland verfügten und in

AS As · mo 30

456 Staatsreoht.

die Wege leiteten, haben sie die Gefahr, sie nach Mass gabe dieser
Bestimmung unterstützen zu müssen, die damals mit Rücksicht auf den
schwangern Zustand der Müssig ,bereits drohte, nicht nur von sich, sondern
auch von den andern Kantonen abgewendet (vgl. AS 43 I S. 309 ff. Erw;
3). Sie habeninsoiern auch im Interesse von Baselstadt gehandelt, und
die Behörden des letzteren Kantons hatten gemäss der danach bestehenden
Soli-r darität die Pflicht, die Heimschaffung auszuführen. Sie haben dies
nicht getan, sondern die. Müssig wegen eines ihrem Kanton zustehenden
Strafanspruchs zurückbehalten. Wenn in der Folge der Unterstützungsfall
eintrat und die internationale Verpflichtung zur Tragung der

Kosten wirksam wurde, so ist-dies also auf das Verhalten si

der Basler Behörden, die damit nur kantonalen Interessen dienten,
zurückzuführen. Durch die Heimschaffung solltedie Fürsorgepflicht
auf den Heimatstaat der Müssig abgewälzt werden ; Basel hat dies
durch sein'selbständiges Dazwischentreten verhindert. Es müssen
deshalb auch die Folgen der Zurückbehaltung diesen Kanton treffen,
Dessen waren sich die dortigen Behörden auch bewusst,. sonst hätten
sie nicht die Müssig in den Frauenspital versetzt, was nur durch die
Rücksichtnahme auf deren · ,kranken oder hülfsbedürftigen Zustand zu
erklären ist woran der Umstand nichts ändert, dass der Regierungs-rat
die Versetzung als Gebot der Menschlichkeit be zeichnet. Dadurch, dass
die Müssig aus dem Spital entwich amd in ihrem hülflosen Zustand in
Zürich die öffentliche Fürsorge in Anspruch nahm, ist die schon beste v
hende und auf Basel lastende Unterstützungspflicht nicht von Basel auf
Zürich übergegangen. Wohl hatte bei dieser Sachlage Zürich der Müssig,
ebenfalls aus Gründen der Menschlichkeit, die nötige Hülfeleistung zu
gewähren. Allein die Verpflichtungen von Basel und Zürich stehen nicht
als gleichartige und gleichwertige neben einander, sondern diejenige von
'Basel beruht auf dem besondern ,Grunde der Zurückbehaltung der Müssig,
ohne--Interkantonales Armcnrecht. N° 60. 457

die Zürich gar nicht in die Lage kommen konnte, für sie Aufwendungen zu
machen. Die Verpflichtung von Basel geht deshalb derjenigen von Zürich
vor, und Zürich ist, weil es für Basel eintrat, zur Rückforderung seiner
Aufwendungen berechtigt. Wenn der Regierungsrat von Baselstadt sich darauf
beruft, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in Fragen der
interkantonalen und internationalen Unterstützungspflicht es einfach
auf den Ort ankomme, wo diese zutage trat, so ist einmal tatsächlich zu
bemerken, dass hier die Notwendigkeit der Fürsorge bereits in Basel sich
zeigte und erkannt wurde, und sodann fällt ausschlaggebend in Betracht,
dass die Müssig abgeschoben werden sollte und von Basel nur in Verfolgung
besonderer kantonaler Interessen in der Schweiz zurückbehalten wurde. Sie
War zudem in Basel in Untersuchungshaft, und wenn sehen sie ohne Zutun der
Basler Behörden daraus entWich, so gehörte sie doch dorthin zurück und
konnte , keineswegs ihren Aufenthaltsort frei wählen. Aus dem Grundsatz
der Freizügigkeit kann daher Basel nichts für sich herleiten. Es mag
dem Regierungsrat zugegeben werden, dass Basel Zürich und den andern
Kantonen gegenüber nicht verpflichtet war die Untersuchungsgefangene
zu bewachen, aber wenn sie entweichen konnte, so lag dies doch daran,
dass die Anordnungen bessres-: fend die Bewachung ungenügend oder dass
diese selbst mangelhaft war. Und wenn infolgedessen ein anderer Kanton
in die Lage kam für den Entwichenen Auslagen zu machen, die bei richtiger
Erfüllung seiner Aufgabe dem Kanton Basel entstanden wären, so hat dieser
dem andern Kanton, der für ihn handelte, dafür gut zu stehen.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Klage wird gutgeheissen und
der Kanton Baselstadt verpflichtet, dem Kanton Zürich den Betrag von.
160. Fr. 70 Cts. zurückzubezahlen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 46 I 453
Datum : 04. Dezember 1920
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 46 I 453
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 452 staats-sehe _ Demnach erkennt das Bundesgericht : Der Rekurs'wird in dem Sinne


Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • regierungsrat • weiler • 1919 • flucht • basel-stadt • heimschaffung • untersuchungshaft • gefangener • aufenthaltsort • autonomie • deutschland • unterstützungspflicht • gesundheitszustand • heimatstaat • ausgabe • beendigung • gerichts- und verwaltungspraxis • schweizer bürgerrecht • abweisung
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