2 i .E Staatsrecht.

das verkaufte Vieh nach Zürich an den dortigen Käufer gesandt, also mit
einer zur Erfüllung des Kaufvertrages gehörenden Handlung auf das Gebiet
dieses Kantons übergegriffen. Und im zweiten ist das Bundesgericht aus
prozessualen Gründen (mangels Geltendmachung einer Verfassungsverletzung-)
auf den Rekurs nicht eingetreten.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Der Rekurs wird abgewiesen.

V. STAATSVERTRÄGE

TRA ITÉS INTERNATIONAUX

31. Auszug aus dem man vom ao. nn 1927 i. S. Punzi gegen _O'bergericht
Luzern. Vollstreckung französischer Zivilurteile in der Schweiz auf
Grund des schweizerisch französischen Gerichtsstandsver-

'Ti-ages. Erfordernis der Rechtskraft des zu vollstreckenden '.Trteils
nach Art. 15 und 16 des Staatsvertrages. Auslegung

iieses Begriffes. Beweislast.

*

A. Die Firma Courrége und Jolly in Modane (Frankreich) hatte am 15. März,
20. März und 8. April , 924 vier Wechsel über. franz. Fr. 25,000, 25,000,
' 4,280 und 27,300, fällig am 15. April, 20. AprilEnde April und 10. Mai
gl. J. auf den heutigen Rekur-renten Planzi, damals in StraSSburg, als
Bezogenen an die Ordre der Banque de Savoie S. A. in Chambéry ausgestellt
und sich von dieser diskontieren lassen. Nachdem die Einlösung bei
Verfall vom Bezogenen und von der Ausstellerin verweigert worden war,
erhob die Banque de Savoie gegen beide beim Zivilgericht I. Instanz von
St. Jean de Maurienne (Département de Savoie)

* Ahgekürzter Tatbestand.Staatsverträge. N° 31. . 21 3

als Handelsgericht Klage auf Zahlung der Wechselsu mmen, zusammen 10]
,580 franz. Fr. mit Nebenfol gen. Durch Säumnisurteil vom 26. Juni
1924 verurteilte das genannte Gericht die Beklagten solidarisch zur
Zahlung der eingeklagt-en Summen mit Zinsen zu 6% je vom Verfalltag
der nicht eingelösten Wechsel. Am 13. Nove mber 1924 liess die Banque
de Savoie durch Dupré, huissier près le tribunal civil de St. Jean de
Maurienne an den Rekurrenten, der inzwischen nach Mailand übergesiedelt
war, ein commandement de payer ergehen, beim Parquet des Procureur
de la République in St. Jean de Maurienne hinterlegen und von diesem
visieren : der Adressat wurde darin aufgefordert, der Banque de Savoie
die Urteilsbeträge binnen 80 Stunden zu bezahlen unter der Androhung,
dass sonst zur Vollstreckung in sein ganzes bewegliches Gut geschritten
würde. Und am 19. November 1924 wurde mangels Auffindung pfändbarer
Aktiven durch den gleichen huissier ein procesverbal de carence
ausgestellt pour valoir et servir ce que de droit et notamment d'exécution
au jugement par ssdéfaut en vertu duquel je procede und in gleicher
Weise dem Procureur de la République près le tribunal de première instance
de st. Jean de Maurienne zu Handen des Planzi übergeben. Am 24. Februar
1925 legte Planzi durch einen avoué in St. Jean de Maurienne gegen das
Säumnisurteil vom 26. Juni 1924 nachträglich beim urteilenden Gericht
Einspruch (Opposition) ein. Mit Urteil vom 29. April 1926 verwarf das
Gericht den Einspruch (rejette ladite opposition) comme non recevablc
ni fondée und erklärte, dass das Urteil vom 26. Juni1924 seinen Weg zu
nehmen habe ( dit que le jugement du vingt-six juin mille neuf cent vingt
quatre suivra sa voie ). Zur Begründung wird in den Motiven ausgeführt,
dass hei dem zur Verhandlung über den Einspruch angesetzten Termine der
Mandatar des Einsprechers erklärt habe, mangels Instruktionen ausser
Stande zu sein, den Einspruch näher zu begründen (soutenir et

214 Staatsrecht.

développer son Opposition), qu'il y a donc lieu de donner defaut
contre l'opposant et de le déhouter de son Opposition, les moyens par
lui invoqués (gemeint ist in dem exploit vom 4. Februar 1925, womit
die Opposition eingelegt worden war) paraissant au surplus mal fondés,
au vu des éléments de la cause.

In der Folge erwirkte die Banque de Savoie für den Betrag von
101,580 franz. Fr. oder 30,245 schweiz. Fr. in Luzern Arrest
auf ein Guthaben des Rekurrenten an die dortige Kreisdirektion
der S. B. B. Gegen die Axrestbetreibung schlug der Schuldner Recht
vor. Ein Gesuch der Banque de Savoie um definitive Rechtsöffnung wurde
vom Amtsgerichtspräsidenten Luzern-Stadt abgewiesen, in zweiter Instanz
aber durch die Schuldbetreibungs und Konkurskommission des Obergerichts
Luzern gestützt auf die Urteile von St. Jean. de Maurienne gutgeheissen.

B. Gegen den Entscheid des luzernischen Obergerichts vom 10. September
1926 hat Planzi beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen
Rechtsverweigerung und Verletzung des schweizerisch französischen
Gerichtsstandsvertrages erhoben. Er wendet gegen die Bewilligung der
Vollstreckung ein:

1. -2. ...........................................

3. Die Rekursbeklagte habe dem Rechtsöffnungsrichter die durch Art. 16
Ziff. 3 des schweizerisch-französischen Gerichtsstandsvertrages geforderte
Bescheinigung für die Rechtskraft des zu vollstreckenden Ur-

,teils nicht vorgelegt, noch hätten die Akten sonst zu der Annahme des
Eintritts dieser Rechtskraft d. h. des Ausschlusses weiterer Rechtsmittel
gegen das Urteil berechtigt. Aus der blossen Tatsache, dass der gegenüber
Säumnisurteilen vorgesehene Einspruch beim urteilenden Gericht selbst von
diesem verworfen werden sei und aus der daran anschliessenden Formel des
Einspruchsurteils, dass das frühere Urteil vom 26. Juni 1924 seinen Weg
nehme, habe jener Schluss noch nicht gezogen werdenStaatsverträge. N°
31. 215

dürfen. Der Beweis dafür wäre von der Rekursbeklagten zuleisten
gewesen. Ohne eine Beweispflioht übernehmen zu wollen, habe der
Rekurrent schon in der Antwort auf das Rechtsöffnungsgesuch an
den Amtsgerichtspräsidenten behauptet und zum Beweis durch die
Ge-schäftskontrollen des Appellationshofes von Chambéry verstellt, dass
gegen die Urteile des Gerichts von St. Jean de Maurienne die Berufung
(appel) an jenen Gerichtshof eingelegt worden und noch hängig sei. Im
angefochtenen Entscheide sei das Obergericht von Luzern nicht nur
über dieses Beweisangebot hinweggeschritten, sondern behaupte sogar
aktenwidriger Weise, dass die Rechtskraft des Vollstreckungstitels an
sich , d. h. abgesehen vom Fehlen eines Zeugnisses nach Art. 16 Ziff. 3
des Gerichtsstandsvertrages, nicht bestritten worden sei. Aus den dem
staatsrechtlichen Rekurse beigelegten Urkunden ergehe sich, dass jener
appel und zwar gegen die beiden Urteile des Gerichts von St. Jean
de Maurienne vom 26. Juni 1924 und 29. April 1926 am 28. Juni 1926
eingelegt und der Gegenpartei bekannt gegeben worden sei. Ein Zeugnis
des Gerichtsschreihers des Appellationshokes von Chambéry vom 8. Oktober
1926 bestätige die Hängigkeit des Geschäftes vor diesem Gericht. Nach
französischem Prozessrecht habe aber der appel suspen-v sivwikkung,
hemme also die Rechtskraft und damit die Vollstreckbarkeit der Urteile,
gegen die er sich richte (wofür auf ein beigelegtes Rechtsgutachten
verwiesen wird). Die Bewilligung der Vollstreckung trotz Fehlens
des Zeugnisses nach Art. 16 Ziff. 3 des Gerichtsstandsvertrages und
mangelnder Rechtskraft des zu vollstreckenden Urteils enthalte eine
Verletzung dieses Staatsvertrages.

4. .............................................

C. Die Schuldbetreibungs und Konkurskommission des Obergerichts Luzern
und die Rekursbeklagte Banque de Savoie haben auf Abweisung des Rekurses
angetragen. -

21 6 Staatsrecht .

Inzwischen hatte durch Urteil vom 13. Dezember 1926 die Cour d'appel de
Chambéry über den appel des Rekurrenten entschieden und zwar in dem Sinne,
dass sie auf denselben nicht eintrat, soweit er sich gegen das Urteil vom
26. Juni 1924 richtete, und ihn abwies, soweit er sich auf das Urteil
vom 29. April 1926 bezog (déclare irrecevable, comme fait hors délai,
i'appel relevé du jugement de défaut rendu par le Tribunal de St. Jean
de Maurienne le 26 juin 1924, confirme le jugement déféré rendu par
le meme tribunal le 29 avril 1926 en ce qu'il & déclaré irrecevable
l'opposition de i'appellant, ordonné que le jugement du 26 juin 1924
suivrait sa voie). Die Begründung geht dahin, dass gegenüber

dem Urteil vom 26. Juni 1924 ein Einspruch (Opposition) '

nicht mehr zulässig gewesen sei, nachdem die Klägerin mangels einer
anderen Vollstreckungsmöglichkeit den procés verbal de carence erwirkt
hatte und dieser laut vorliegender Bescheinigung am 9. Dezember 1924 dem
Planzi in Mailand persönlich durch Vermittlung der zuständigen Amtsstelle
zugestellt worden sei. Von dann an habe vielmehr nur noch das Rechtsmittel
des appel . an den zuständigen Appellhof in Betracht kommen können, das
innert der gesetzlichen Frist von zwei Monaten zu ergreifen gewesen wäre
(C. pr. c. 158, 159, 443, Code de commerce 403). Diese Frist sei aber
nicht eingehalten. Andererseits habe das Gericht I. Instanz das Eintreten
auf die Opposition unter diesen Umständen schon aus dem angeführten
Grunde ablehnen dürfen und müssen.

Die Rekursantworten machen geltend, dass einer prozessual unzulässigen,
verspäteten Appellation auch die Wirkung der Suspendierung des
appellierten Urteils nicht zukommen könne, selbst wenn diese Wirkung
sonst mit dem appel verbunden wäre. Die Annahme des Obergerichts, dass
das Urteil von St. Jean de Maurienne vom 26. Juni 1924 in Rechtskraft
erwachsen, keiner Weiterziehung mehr fähig und deshalb vollstreckbar sei,
sei demnach zutreffend gewesen.Staatsverträge. N° 31. 21?

D. Der Rekurrent tritt replizierend dieser Behauptung entgegen und
beharrt darauf, dass die Einlegung des appel nach französischem
Prozessrecht und nach dem Gerichtsstandsvertrag (Art. 16 Ziff. 3)
die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit unter allen Umständen bis zur
Entscheidung des Appellhofes hemme, gleichgiltig aus welchen Gründen
dieser schliesslich die Berufung verwerfe. Im übrigen sei auch mit dem
Urteil des Appellhofes die Streitsache noch nicht rechtskräftig erledigt,
indem dem Rekurrenten dagegen binnen drei Monaten vom 8. Januar 1927 an
noch die Kassationsbeschwerde an den Kassationshof in Paris offengestanden
habe. Von diesem Rechtsmittel habe er denn auch nach einer (mit der Replik
eingelegten) Bescheinigung des greffier en chef de la Cour de Cassation
Gebrauch gemacht. Bis zu einem der Rekursbekiagten günstigen Entscheide
dieser letzten Instanz sei daher eine Vollstreckung des Urteils von
St. Jean de Maurienne vom 26. Juni 1924 in der Schweiz auf Grund des
Gerichtsstandsvertrages auch weiterhin ausgeschlossen.

E. Die Rekursbeklagte bestreitet in der Duplik, dass die Anrufung
des französischen Kassationshofes diese Folge haben könne. Nach
dem Zugeständnis des Rekurrenten selbst und den von ihm angeführten
Vor-schriften der französischen Prozessgesetzgebung schliesse der
pourvoi cn cassation die Vollstreckung des damit angefochtenen Urteils
in Frankreich nicht aus. Dies müsse aber genügen, um ein solches
Urteil auch im Sinne des Gerichtsstandsvertrages als rechtskräftig
zu betrachten. Wenn die französische Rechtswissenschaft ein noch der
Kassationsbeschwerde unterliegendes Urteil trotz der Vollstreckbarkeit
nicht als in Rechtskraft erwachsen ansehe, so berulsie dies auf besonderen
theoretischen Konzeptionen des französischen Rechts, die für die Auslegung
des Gerichtsstandsvertrages und dessen, was er unter der Rechtskraft
( force de chose jugée ) verstehe, nicht ohne weiteres massgebend sein
können. Nach schweizerischen Rechtsauffassung werde

218 Staatsrecht.

die Vollstreckharkeit und die dazu erforderliche Rechtskraft nur durch
die ordentlichen, vom Prozessgesetz allgemein mit Suspensivwirkung
versehenen Rechtsmittel ausgeschlossen, nicht durch die Möglichkeit
ausserordentlicher Rechtshehelfe. Nichts stehe entgegen, auch den
Gerichtsstandsvertrag von 1869 in diesem Sinne auszulegen. Eine
Verletzung desselben würde zudem nur in der V e r w e i g e r u n g der
Vollstreckung trotz Vorliegens der vertraglichen Voraussetzungen liegen.
Dagegen seien die Kantone durch einen solchen Vertrag nicht gehindert,
die Vollstreckung in weitergehendem Umfange, unter weniger strengen
Voraussetzungen zu gewähren.

Das Bundesgericht zieht in Ermägimg:

Nach Art. 15 des schweizerisch-französischen Gerichtsstandsvertrages
sollen Urteile oder definitive Erkenntnisse in Handelssachen, die durch
Gerichte'oder Schiedsgerichte in einem der kontrahierenden Staaten
ausgefallt worden und in Rechtskraft erwachsen sind (lorsqu'ils auront
acquis force de ehose jugée), in dem anderen Staate nach den Formen und
unter den Voraussetzungen des Art. 16 vollziehbar sein (seront executoires
dans l'autre ...... ). Die Partei, welche die Vollziehung verlangt, hat
neben den in Art. 16 Ziff. 1 und 2 des Vertrages erwähnten Aktenstücken
nach Ziff. 3 ebenda beizubringen : eine durch den Gerichtsschreiher
des urteilenden Gerichts ausgestellte Bescheinigung, dass keinerlei
Opposition, Appellation oder ein anderes Rechtsmittel vorliege ( un
certificat délivré par le greffier du tribunal où le jugement a été
rendu, constatant qu'il n'existe ni opposition, ni appel ni autre acte
de reoours ) .......

Es steht fest, dass die Rekursheklagte ein solches Zeugnis dem kantonalen
Rechtsöffnungsrichter nicht vorgelegt hatte. Im Urteil i. S. Compagnie
francaise des ventes automatiques gegen Till vom 11. Dezember 1913
(BGE 39 I S. 617 ff. insbesondere 623 Erw. 1) hat das

Jo, = ..A...St aatsverträge. N° 31. 219

Bundesgericht erklärt, dass das erwähnte Erfordernis keine selbständige
Bedeutung habe, sondern nur den Nachweis der in Art. 15 vereinbarten
Vollstreckbarkeitsvoraussetzung der Rechtskraft des Urteils durch
Anerkennung eines formellen Beweismittels sicherstellen solle.
Die Vollstreckung dürfe daher trotz Fehlens einer entsprechenden
Bescheinigung gewährt werden, wenn nach dem sonstigen Inhalt der
Akten als erwiesen gelten müsse, dass das Urteil mangels Ergreifung
eines der dagegen gegebenen Rechtsmittel wirklich in Rechtskraft
erwachsen sei. Der Eintritt dieser Rechtskraft selbst aber ist eine
staatsvertragliche Bedingung für die Urteilsvollstreckung und die
Gewährung der Vollstreckung trotz Mangels dieser Bedingung enthält,
entgegen der Auffassung der Rekursbeklagten, eine Vertragsverletzung,
auch wenn sich die Frage, ob das Urteil rechtskräftig geworden ist,
nicht ausschliesslich an Hand des Staatsvertrages, sondern nur unter
Zuhilfenahme des Prozessrechts des Vertragsstaates entscheiden lässt,
aus dem das Urteil stammt. Die Bestimmungen des Gerichtsstandsvertrages
von 1869 über die Urteilsvollziehung sollen nicht nur festsetzen,
unter welchen Voraussetzungen die Vollziehung gewährt werden muss ;
sie bilden nach feststehender Praxis zugleich eine Schranke für dieselbe
in dem Sinne, dass bei Fehlen eines der vertraglichen Erfordernisse dem
Vollstreckungsbegehren gegen den Widerspruch des Vollstreckungsbeklagten
nicht entsprochen werden darf (vgl. statt weiterer Nachweise das Urteil
BGE 13 S. 31 Erw. 1, auf das weiter unten in anderem Zusammenhange
zurückzukommen sein wird, ferner die ebenda 50 I s. 421 erwähnte
Entscheidung vom 13. Juli 1923).

lm vorliegenden Falle fehlte es aber auch an einem anderen aktenmässigen
Ausweis für die Rechtskraft des zu vollstreckenden Urteils als dem
Zeugnis nach Art. 16 Ziff. 3 des Gerichtsstandsveitrages. Die Vorlegung
des Einspruchsurteils von st. Jean de Maurienne

220 Staatsrecht.

vom 29. April 1926, auf das sich der angefochtene Entscheid für
die Annahme des Zutreffens jenes Erfordernisses stützt, konnte dazu
unmöglich genügen, trotz der im Dispositiv enthaltenen Verfügung,
dass das erste Urteil vom 26. Juni 1924 seinen Weg zu nehmen
habe. Denn damit ist lediglich das gegen dieses Urteil eingelegte
Rechtsmittel der Opposition beim urteilenden Gericht selbst von der
Hand gewiesen und das aus d e s s e n Einlegung folgende Hindernis
für die Vollstreckung als aufgehoben erklärt worden. Zur Rechtskraft
des durch die Opposition getroffenen Urteils hätte aber mehr, nämlich
der Ausschluss einer Weiterziehung oder Weiterziehungsmöglichkeit auch
an übergeordnete Instanzen gegenüber diesem Urteil oder gegenüber der
Zurückweisung der Opposition gehört. Das Fehlen solcher Rechtsmittel
wäre als 'staatsvertragliche Vollstreckungsvoraussetzung von der
Rechtsöffnungsklägerin (Rekursbeklagten) nachzuweisen gewesen. Es Verstand
sich nicht von selbst und durfte umsoweniger einfach unterstellt werden,
als der Rekurrent auf ein nach seiner Behauptung noch bestehendes und
tatsächlich ergriffenes, hängiges Rechtsmittel, nämlich die Berufung
an den Appellhof von Chambéry ausdrücklich in der Antwort auf das
Rechtsöffnungsgesuch hingewiesen hatte.

Allerdings ist diese Behauptung in der Vernehmlassung an das Obergericht
auf den Rekurs der Bank nicht mehr besonders wiederholt worden. Das
Obergericht behauptet indessen auch nicht, dass dies nach den kantonalen
Vorschriften über das Rechtsöffnungsverfahren hätte geschehen müssen,
damit die Behauptung hätte berücksichtigt werden können. Es weist
lediglich in der Duplik darauf hin, dass es geglaubt habe, von der
Beiziehung der erstinstanzlichen Rechtsschriften absehen zu können, weil
die zweitinstanzliche Vernehmlassung des Rekurrenten so abgefasst gewesen
sei, dass sie als abschliessende Zusammenstellung der von ihm erhobenen
Einwendungen habe betrachtet werden dürfen. Im EingangStaatsverträge. N°
31" . 221

(Ziff. VII) dieser Vernehmlassung war indessen ausdrücklich
erklärt worden, dass die sämtlichen Anbringen der Antwort auf das
Rechtsöffnungsgesuch vom 2. Juli 1926 als wörtlich wiederholt gelten
sollen, worin eingeschlossen lag, dass das Weitere bloss eine Ergänzung
dazu bilde.

Die Sache verhielt sich auch nicht etwa so, dass die prozessuale
Unzulässigkeit des appel (wegen der dann in der Folge vom Appelhof
angenommenen Verspätung) zum vorneherein auf der Hand gelegen und
aktenmässig festgestanden hätte, wie denn der angefochtene Entscheid
selbst sich für die Annahme der Rechtskraft nicht etwa auf dieses
Argument, sondern . ausschiiesslich auf das Einspruchsurteil des
Gerichts I. Instanz von st. Jean de Maurienne stützt. Nach Art. 443 des
französischen C. pr. c. beginnt die zweimonatliche Appellationsfrist
gegenüber Säumnisurteilen (wie demjenigen vom 26. Juni 1924) erst von
dem Tage an zu laufen, wo eine Opposition gegen das Urteil nicht mehr
möglich ist. Die Opposition aber ist in dem hier zutreffenden Falle,
wo die Partei in dem dem Säumnisurteil vorangehenden Verfahren keinen
avoué hatte, nach Art. 158 l. 0. möglich (recevable) jusqu'a l'exécution
du jugement . Und zwar bedarf es für ihren Ausschluss aus diesem Grunde
nach Art. 159 nicht nur der Vollstreckung an sich, sondern eines Aktes,
du'que il re'sulte que l'exécution du jugement a été comme de la partie
défaillante . Damit die Appellationsfrist zu laufen beginnen konnte,
genügte demnach, wie denn auch der Appellhof später in seinem Urteil
angenommen hat, die Ausstellung des procés verbal de carence vom
19. November 1924 noch nicht ; es war dazu mindestens noch dessen
persönliche Zustellnng an den Rekurrenten nötig. Dafür, dass eine
solche stattgefunden habe und wann und damit auch für eine Versäumnis
der Appellationsfrist, enthielten aber die dem luzernischen Rechts '
öffnungsrichter vorliegenden Akten wiederum keinerlei

222 Staatsrecht.

Beweis. Der procés verbal de carence selbst stellt nur die Übergabe an
den Procureur de la République beim Gericht von St. Jean de Maurienne zu
Handen des Rekurrenten, nicht aber die tatsächlich erfolgte Weiterleitung
und Übergabe an diesen fest. Er war denn auch von der Rekursbeklagten gar
nicht in diesem Zusammenhang, sondern ausschliesslich zur Widerlegung der
Behauptung des Rekurrenten angerufen werden, dass er mit dem verurteilten
Planzi nicht identisch sei. Dass seither der Appellhof von Chambery
tatsächlich die Appellation aus dem oben erwähnten Grunde als verwirkt
(verspätet) erklärt hat, vermag der Rekursbeklagten nicht zu helfen,
sobald die Frage der Gesetzmässigkeit dieses Entscheides wiederum
durch das Rechtsmittel der Kassationsheschwerde an den Kassationshof
in Paris einer höheren Instanz unterbreitet werden kOnnte. Wollte
man das Urteil der Appellationsinstanz, obwohl es erst 11 a c h
dem angefochtenen Rechtsòffnungsentscheid ergangen ist, dennoch zu
Gunsten der Rekursbeklagten für die Frage berücksichtigen, ob die ·
Rechtsöffnung habe erteilt werden dürfen, so muss dies notwendigerweise
auch inbezug auf die seither erfolgte 'Einlegung eines weiteren
Rechtsmittels dagegen geschehen. Der Rekurrent behauptet zu Unrecht,
dass dieses Rechtsmittel, nämlich die Kassationsbeschwerde an den
si Kassationshof den Urteilsvollziehungsanspruch nicht ausschliessen
könne. Der Gerichtsstandsvertrag gewährt die Vollstreckung im anderen
Vertragsstaat nicht schon dann, wenn das Urteil im Staate, aus dem es
stammt, der Vollstreckung fähig (exécutoire) geworden ist; er verlangt
dafür ein Mehreres, nämlich dass es in Rechtskraft erwachsen sei (a acquis
force de chose jugée) und erläutert dieses Erfordernis in Art. 16 Ziff. 3
dahin, dass ni opposjtion ni appel ni autre acte de recours bestehen
dürfe. Damit wird aber die Vollziehung für ein Urteil ausgeschlossen,
gegen das noch ein Rechtsmittel gegeben

.. ..., __...

Staatsverträge. N° 31. 223

und hängig ist, wodurch die ,Frage seiner Richtigkeit wenn auch vielleicht
nicht in vollem Umfange, d. h. nicht für die Tatbestandsfeststellung, so
doch hinsichtlich der Rechtsanwendung einer höheren Instanz unterbreitet
werden kann, mit der Wirkung, dass im Falle ihrer Verneinung das Urteil
aufgehoben wird.

In diesem Sinne hat denn auch das Bundesgericht bereits mit Urteil
vom 25. Februar 1887 im Falle von Gonzenbach (BGE 13 S. 33 Erw. 5)
entschieden, wo die Vollstreckbarkeit eines französischen Urteils
ebenfalls wegen Hängigkeit der Kassationsbeschwerde beim Kassationshof
bestritten worden war. Es führte damals aus : Dagegen erscheint
das Vollstreckungsbegehren als verfrüht. Denn : Nach Art. 15 des
Staatsvertrages sind nur rechtskräftige Urteile zu vollstrecken und es
wird daher in Art. 16 Ziff. 3 vom Vollstreckungskläger eine Bescheinigung
dafür gefordert, dass keinerlei Opposition, Appellation oder ein anderes
Rechtsmittel vorliege. Aus diesen Bestimmungen folgt zunächst, dass
eine Vollstreckung noch nicht reehtskräftiger, sondern bloss vorläufig
vollstreckbar erklärter Erkenntnisse nicht stattzufinden hat. Sodann aber
muss daraus gefolgert werden, dass überhaupt in Fällen der vorliegenden
Art die Vollstreckung noch nicht statthaft ist. Unzweifelhaft nämlich
ist in casa noch ein Rechtsmittel gegen das handelsgerichtliche Urteil,
resp. gegen das Spätere, die Appellation gegen dieses Urteil als verspätet
verwerfende Erkenntnis des Appellationshofes von Paris anhängig, da die
Kassationsbeschwerde beim Kassationshofe in Paris noch schwebt. Nun mag
dahingestellt bleiben, ob die Einlegung der KassationsbeschWerde an den
französischen Kassationshof (welche behanntlich keinen SuSpensiveffekt
besitzt, und überhaupt ein sehr eigenartig gestaltetes ausserordentliches
Rechtsmittel ist) in allen Fällen die Vollstreckbarkeit des mit
derselben angefochtenen Urteils in der Schweiz nach den Bestimmungen
des Gerichtsstandsvertrages hemmt, oder ob

AS 53 I _ 1927 14

224 Sl zm! sreehl .

dies nicht mindestens dann nicht der Fall ist, wenn die
Kassationsbeschwerde als offenbar verspätet oder sonst als unzweifelhaft
erfolglos oder trölerisch sich darstellt. Im vorliegenden Falle (nämlich
in damals entschiedenen) treffe weder das eine noch das andere zu.

Nach dem Gesagten besteht kein Grund, heute einen anderen Standpunkt
einzunehmen. Die Rekursbeklagte behauptet auch nicht etwa, dass das
Rechtsmittel verspätet eingelegt oder aus anderen Gründen augenscheinlich
prozessual unzulässig wäre. Die Frage aber, ob der procés-verhal de
carence im vorliegenden Falle die vom Appellhof angenommene Wirkung
hinsichtlich des Laufes der Appellationsfrist habe nach sich ziehen
können, ist eine solche der Auslegung der oben erwähnten Vorschriften
der französischen Zivilprozessordnung und kann ohne genaue Kenntnis der
Gerichtspraxis, die dem Vollstreckungsrichter zu vermitteln Sache der
Rekursbeklagten gewesen wäre, keinesfalls als derart klar betrachtet
werden, dass eine abweichende Auffassung von vorneherein ausgeschlossen
erschiene und die Kassationsbeschwerde deshalb als trölerisch bezeichnet
werden dürfte. Es braucht somit nicht untersucht zu werden, ob dem
schweizerischen Richter im Vollstreckungsverfahren überhaupt eine
Kognition hierüber zukommen könne, oder ob er sich nicht einfach an
die unbestrittene Tatsache der Einlegung eines an sich die Rechtskraft
ausschliessenden Rechtsmittels innert Frist zu halten hätte. -

Der Rekurs ist demnach dahin gutzuheissen, dass die der Rekursbeklagten
durch den angefochtenen Entscheid erteilte definitive Rechtsöffnung
als staatsvertragswidrig aufgehoben wird. Da die Rekursbeklagte neben
der definitiven eventuell unter Berufung auf verschiedene Urkunden,
in denen sie eine Schuldanerkennung des Rekurrenten erblickt auch die
provisorische Rechtsöffnung verlangt und dieses Eventuel- begehren in
ihrem Rekurse an das Obergericht aufrecht-Staatsverträge. N° 31. 225

gehalten hat, wird das Obergericht nunmehr darüber noch entscheiden
müssen. Der vorliegende Entscheid hat nur die Bedeutung, dass eine U
r t e i l s v o l ls t r e c k u n g d. h. die Erteilung definitiver
Rechtsoffnung gestützt auf die von der Rekursbeklagten angerufenen
französischen Gerichtsurteile im gegenwärtigen Zeitpunkte nicht zulässig
ist. -

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.

VI. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPFLEGE

ORGANISATION J UD IC lA IRE F ÉDÉRALE

Vgl. Nr. 26. Voir n° 26.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 53 I 212
Datum : 01. Januar 1926
Publiziert : 31. Dezember 1927
Quelle : Bundesgericht
Status : 53 I 212
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 2 i .E Staatsrecht. das verkaufte Vieh nach Zürich an den dortigen Käufer gesandt,


BGE Register
39-I-617
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
rechtsmittel • bescheinigung • bundesgericht • kassationshof • staatsvertrag • frage • erwachsener • bezogener • entscheid • kantonales rechtsmittel • duplik • bedingung • definitive rechtsöffnung • handelsgericht • frankreich • frist • verurteilter • monat • einsprache • bewilligung oder genehmigung
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