616 A. Staatsrechthche Entscheidungen. .... Abschnitt. Konkordate.

mehr um eine erzwingbare Pflicht, sondern lediglich um ein Recht.

Daraus folgt, dass eine konkordatsmässige Verpflichtung der luzernischen
Gerichte, die von der Refin-remix; geltend gemachte Nach- stenerforderung
zur Vollstreckung zuznlassen, nicht besteht. Der Refin-B ist daher
abzuweisen, ohne dass es des Eintretens auf die weiteren von der
Rekursbeklagten gegen die Erteilung der Rechtsöfsnung erhobenen Einreden
bedürfte; .

erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen

Gerichtsstandsveflrag'mit Frankreich. N° 108. 617

Vierter Abschnitt. Quatrième section.

Staatsverträge der Schweiz mit dem Ausland. Traités de la Suisse avec
l'étranger.

M

Gerichtsstandsvertrag mit Mreich vom 15. Juni 1869. Convention franco
suisse du 15 juin 1889.

108° Weil vom 11. Dezember 1913 in Sachen Compagnie franqaise de ventes
automatique, Limited,

gegen 'W-

Urteilsvollstreekung im französisch-senweizerisehen Verkehr: Bedeutung
des Erfordernisses von Art. f6 Ziffer 3 des Staatsvertrages,
was speziell die Bescheinigung betrifft, dass gegen das zu
vollstreekende Urteil kein Rechtsmittel vorliege. Einreden aus
Art. 17 Ziffer 2 und aus Art. 15 ,' die letztere wegen angeblicher N
iehtzustellung eines französischen Urteils an die verurteilte Partei
selbst. -- Bedeutung des Art. 20 (Art. 1 der Haager Uebereinkunft
betr. Zivilprozessrechl).Auslegung des zu vollstreckenden
Urteils, speziell mit Bezug auf einen Entsehädigungszusprueh d
de'faut zugesprochemr Konflskationsobjekte, auf die K asien der
UrteilspubliItalien und auf die Prozesskosten. Notwendigkeit eines b
esanderen Vollstreckungstitels für Prozesskosten, die im Urteil nicht
zi/fermdssig ausgesetzt sind. Verzug s z insen von der Urteilsmmm
? Direkte Gewähru ng der Rec/i tsäffnu ng durch das Bundesgericht als
Staatsvertragsriehter.

A. Die Pariser Filiale der Compagnie franqaise de ventes automatiques,
Limited, mit Hauptsitz in London, die vheutige Rekurrentin, belangte die
Rekursbeklagte Elsa Hermine w m Säzza (die in den gerichtlichen Akten
dieses Prozesse-Z irrtüm-

618 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

licherweife als Monsieur E. H. Til! bezeichnet ist), gemeinsam mit
einem E. W. Bodenmann s in St. (Gallen und einer Witwe Léon Kowler in
Nizza, vor dem erstinstanzlichen Zivilgericht Nizza wegen Gebrauchs von
Automaten-Apparaten zur Herstellng von Etiketten mit Namen und Jnitialen
zo die sich als Nachahmung der in Frankreich patentierten Fabrikate der
Klägerin dar-stellten

Durch Urteil vom 2. Dezember 1908 hiess das Zivilgericht, vor welchem die
Beklagten Till und Bodenmann durch den nämlichen avoué vertreten waren,
die Ansprüche der Klägerin in bestimmtem Umfange gut.

Die Beklagten Till und Bodenmann appellierten hiegegen · an den
Appellationshof von an; (Department der Rhonemündung), und zwar,
laut dessen Urteil, am 16. Februar 1909 sous la constitution de Maitre
Estrangin avoué. Die appellationsgerichtliche Beurteilung der Streitsache
erfolgte am 4. Mai 1911 nach kontradiktorischer Verhandlung vom 1. Mai
1911, an welcher, wie das Urteil angibt, als Vertreter der beiden
Appellanten der Advokat Drujon unter Asfistenz des avoué Estrangin
teilnahm· Der Appellationshof stellte in Übereinstimmung mit der
ersten Instanz fest, dass eine Nachahmung der patentierten Apparate der
Klägerin vorliege, deren sich der Beklagte Bodenmann schuldig gemacht
habe und aus der die Beklagten Till und Kowler Nutzen gezogen hätten,
und verurteilte den Beklagten Vodenmann zu 1000 Fr die Beklagte Till zu
300 Fr. und die Beklagte Kowler zu 100 Fr. Schadenersatz. Ferner verfügte
er die Konfiskation der beschlagnahmten Apparate zu Gunsten der Klégerin,
mit dem Beifügen, dass & défaut die Beklagten Till und Kowler den Wert
der Apparate mit je 550 Fr. zu ersetzen hätten, und verpflichtete die
Beklagten Bodenmann und Till, die Beklagte Kowler für ihre Verurteilung
en principal et frais schadlos zu halten. Auch ordnete es à titre de
complément de dommagesintéréts die Veröffentlichung des Urteils in drei
französischen Zeitungen nach Wahl der Klägerin an, wobei jedoch die Kosten
50 Fr. jedes Mal nicht übersteigen dürften. Endlich folgt hinsichtlich
der dépens die Verfügung: La. Cour ..... condamne Bodenmann, Till et la
dame Kowler au besoin encore à titre decomplément de dommages-intérèts
et dans les conditionsGerichtsstandlvertrag mit Frankreich. N° 108. 619

ci-dessus indiquées en ce qui concerne la dame Kowlelxl= aux entiers
dépens de première instance et d'uppel·. . . . :

Am Fusse dieses Urteils in seiner vorliegenden Ausfertigung ist
amtlich bescheinigt, dass es am 30. Mai 1911 bent avoué Berti-nugin
zugestellt worden ist. Ferner stellte der Gerichtsvollzieher Magnico
vom Zivilgericht Nizza es, laut vorliegender separater Verurkundung,
der Beklagten Till selbst am 30. September 1911 in der Weise zu, dass er
eine Ausfertigung nach erfolglofem Versuche direkter Abgabe derselben
an der im Prozesse bekannt gegebenen Adresse der Till in Nizza (da er
dort weder sie selbst, noch Verwandte oder Bedienstete angetroffen und
kein Nachbar sich zur Entgegennahme bereit gefunden hatte) dem Maire
der Stadt Nizza gegen Empfangsbescheinigung aushändigte. Die mit dieser
Urkunde verbundene Zahlungsaufforderung gibt als von der Beklagten Till
allein geschuldete Beträge 850 Fr. mtb 314 von 968 Fr. 10 Cts., und als
gemeinsame Schulden aller drei Beklagtem 150 Fr. Jnsertionskosten und
die Kosten der Zustellungsund Zahlungsaufforderungsurkunde von 34 Fr. 25
Cts. an.

Schon am 7. Juni 1911 hatte der Greffier en chefc des. Appellationshofes
von Aix ans Veranlassung der Klägerin eine als _exécutoire bezeichnete
Bescheinigung darüber ausgestellt, dass der Betrag der dépens d'appel,
welche die drei Beklagten der-Klagerin gemäss dem Urteil vom 4. Mai
1911 zu bezahlen hatten, sich nach der Festsetzung des zuständigen
Gerichtsbeamten ("taxes par Monsieur le conseiller commis à. ce)
anf-127 Fr. 19 Cts. belaufe, und diese Kostenforderung als vollstreckbar
erklärt. Das exécutoire ist dem Maitre Estrangîn als avoué adVerse am
8. Juni 1911 zugestellt worden. ' _

Endlich liegt für das erstinstanzliche Verfahren eine vom Prasidenten der
Chambre des avoués visierte Kostenaufstellung des Vertreters der Klägerin,
avoué Mazet. in Nizza, vor, die auf den Betrag von 616 Fr. 85 Ets. lautet
und den Vermerk des Gerichtspräsidentem Taxé à, la somme de 604 francs 25
'cents, sowie die vom Greffier en chef des erstinstanzlichen Zivilgerichts
in Nizza am 27. Januar 1913 ausgestellte Vollstreckbarkeitsklaufel tra
t. _ %. Am 1. April 1913 erwirkte die Cie. de ventes auto-

AS 39 I 1913 41

620 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I'V. Abschnitt. Staatsverträge.

matiques Beim Betreibungsamt Luzern einen Zahlungsbefehl gegen .E H. Till,
Panorama, Löwenplatz, solidarisch mit M Bodenmann, St. Gallen, für
folgende acht Forderungsposten: 1. 300 Fr. ., 2,1100 Fr3. 100 Fr.,4. 150
Fr 5. 618 Fr. 85 Ets 6. 445 Fr. 19 Cts., 7. 22 Fr. 75 Cts. und 8.13 Fr 20
Cis... je nebst 50/0 Zins seit 4. Mai 1911 Gegenuber dem Rechtsverschlage
der Schuldnerin Till verlangte sie definitive Rechtsöffnung, und zwar
gestützt auf die vorstehend erwähnten Aktenstücke, sowie eine von
Aug. Jos Alph. Dupuy, huissier au conseil d'Etat et audiencier à la
Cour de Cassation, exerqant près le Tribu'nal civil de première instance
de la Seine, in Paris, am 20. November 1912 ansgeftellte Bescheinigung
folgenden Jnhalts: Der Ausfteller habe sich auf Wunsch der Compagnie de
ventes automatiques nach dem Büreau des Greffier en chef der Cour de
Cassation in Paris begeben und diesen um ein Zeugnis darüber ersucht,
dass gegen das Urteil des Appellationshofes von Air vom 4. Mai 1911 keine
Kassationsbeschwerde eingereicht worden sei. Der Gerichtsschreiber habe
ihm hierauf erwidert, es sei beim Kassationshof nicht Brauch, solche
Zeugnisse auszustellen; dagegen habe er ihm das chronologisch geführte
Register der eingegangenen Kassationsbeschwerden zur Einsicht vorgelegt,
und daraus habe er (Dupuy) ersehen, dass gegen das fragliche Urteil seit
dem 4. Mai 1911 keinerlei Beschwerde eingereicht worden sei.

Durch Erkenntnis vom 11. September 1913 wies der Amtsgerichtspräsident
von Luzern-Stadt das Rechtsöffnungsgesuch mit der Begründung ab, dass
die Voraussetzung von Art. 16 Ziffer 3 des schweizerisch-franzöfischen
Staatsvertrages vom Jahre 1869 für die Urteilsvollstreckung durch das
vorgelegte Zeugnis des Gerichtsweibels Dupuy nicht erfüllt werde. Und die
Schuldbetreibungs und Konkurskommission des luzernischen Obergerichts,
an welche die Gesuchstellerin rekurrierte, bestätigte diesen Entscheid
durch Urteil vom 9. Oktober 1913, indem sie der erstinstanzlichen Erwägung
mit dem Bemerken beipflichtete, es müsse eine strikte Erfüllung der
in Art. 16 Ziffer 3 des Staatsvertrages geforderten Bescheinigung des
Gerichtsschreibers des urteilend en Gerichts verlangt werden, und ferner
in Betracht zog, dass auch ein Ausweis im Sinne von Art. 17 Ziffer 2
desGerichtsstandsvertrag cis-it Frankreich. N° 108. 621

Staatsvertrages über die gehörige Vorladung der Beklagten Till vor
den Appellationshof nicht erbracht sei, da der im Urteil genannte
Vertreter, Advokat Estrangin, auch als Vertreter des mitbeteiligten
Bodenmann bezeichnet und die Vertretungsbefugnis für die Beklagte Till
weiter nicht erwiesen sei, und dass überdies das Urteil hinsichtlich
der Verpflichtungen der Beklagten Till keine erschöpfende Abklärung
enthalte und die Gesuchstellerin es auch unterlassen habe, die Forderung
zu substantiieren.

C. Gegen dieses Urteil hat die Compagnie de ventes automatiques
rechtzeitig den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen
und die Anträge gestellt:

1. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 9. Oktober 1913
sei aufzuheben.

2. Das Bundesgericht möge feststellen, dass dasim Streite liegende
Urteil des Appellationshofes von Ai): in der Schweiz erequierbar sei,
eventuell in wie weit.

Der Rekurs wird auf Verletzung des Staatsvertrages zwischen der Schweiz
und Frankreich, vom 15. Juni 1869, gestützt, mit der Begründung, die
Argumente des kantonalen Richters zur Verweigerung der Rechtsöffnung
seien nach Lage der Akten nicht haltbar·

Das Zeugnis des huissier Dupuy habe die nämliche Kraft wie das eines
greffier, da auch der huissier nach der französischen Gerichtsorganisation
ein beeidigter Gerichtsbeamter sei Überdies könne das formelle Erfordernis
von Art 16 Ziffer 3 des Staatsvertrages nicht angerufen werden, wenn
die Unbegründetheit dieses Einwandes evident sei und er offenbar nur
zur Schikane diene, wie vorliegend, wo es nach den Akten als absolut
ausgeschlossen erscheine, dass gegen das Urteil des Appellationshofes
von Air ein Rechtsmittel ergriffen worden sei.

Davon, dass die Rekursbeklagte vor dem Appellationshof von Ai): nicht
gehörig vorgeladen worden sei, könne keine Rede sein, da das Gegenteil
aus dem appellationsgerichtlichen Urteil selbst hervorgehe-

Die Annahme ungenügender Abklärung und Substantiierung der in Betreibung
gesetzten Forderungen sei vollends unverständlich; denn diese Forderungen
ergäben sich aus dem Urteil des Appella--

622 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

tionshofes und aus den zugehörigen Vollstreckungsdokumenten, wie
des nähern ausgeführt wird. Eventuell sei die Schuldpflicht der
Rekursbeklagten nach der Zahlungsaufforderung des Gerichtsvollziehers
Magnico vom 30. September 1918 jedenfalls für einen Betrag von insgesamt
1118 Fr. 80 Cts. (Fr. 850+3/14 von 968 Fr. 10 Cfs. = 207 Fr. 39 Cts. +
1/3 von 150 Fr. = Fr. 50 + 1/s von 34 Fr. 25 Cts. = 11 Fr. 41 Cts.) klar
gestellt und die Rechtsöffnung somit für diesen Betrag zu gewähren.

D. Die Rekursbeklagte Till hat auf Abweisung des Rekurses antragen lassen.

Sie bestreitet zunächst, dass die vom huissier Dupuy ausgestellte
Bescheinigung dem Erfordernis von Art. 16 Ziffer 3 des Staatsvertrags
genüge und dass überhaupt ein hinreichender Beweis für die Nichthängigkeit
einer Kassationsbeschwerde vorliege. Eventuell macht sie geltend, das
Urteil des Appellationshofes von an; sei ihr nie zugestellt-worden,
und sie habe deshalb nicht Kassation einlegen können.

Jn zweiter Linie wendet sie ein, sie sei in der Appellationsins stanz
nicht, wie Art. 17 Abs. 2 des Staatsvertrages voraussehe, gehörig
zitiert worden und gesetzlich vertreten gewesen. Der avoué Estrangin
sei Vertreter des Mitbeklagten Bodenmann gewesen, sie aber habe ihm
tatsächlich keine Prozessvollmacht erteilt, wie ihr denn ' auch keine
direkte Willensäusserung in diesem Sinne nachgewiesen sei. Ferner sei
sie zur Zeit der Fällung des appellationsgerichtlichen Urteils am 4. Mai
1911 làngst nicht mehr in Nizza gewesen, indem sie schon im Frühjahr
1910 ihr dortiges Geschäft aufgegeben und bei ihrem Bruder in Luzern
Domizil genommen habe, wie durch zwei der Rekursantwort beigelegte
Urkunden (eine amtlich beglaubigte Bescheinigung ihres ehemaligen
Hauswirtes in Nizza und ein Zeugnis des dortigen deutschen Konsulates)
bewiesen werde. Danach hätte aber sowohl ihre Vorladung zur Verhandlung
vor den Appellationshof, als auch die Zustellung des von diesem hierauf
erlassenen Urteils an sie nach Vorschrift von Art. 20 des Staatsvertrages
und deszugehörigen Erläuterungsprotokolls erfolgen sollen, was nicht
geschehen sei. Selbst wenn übrigens ange- nommen werden wollte, sie habe
zur Zeit der Urteilsfällung nochGerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N°
108. 623

in Nizza gewohnt, so mangle doch der Nachweis der Urteilszustels
lung an sie, für den nach französischem Recht eine von ihr
ausgestellteEmpfangsbescheinigung erforderlich ware, die nicht vorliege.

Endlich macht sie geltend, das Urteil des Appellationshofes 'von Air
könne auch deswegen nicht vollstreckt werden, weil es höchst unklar
und verworren sei. Eventuell müsse in quantitativer Hinsicht allgemein
festgestellt werden, dass das Urteil in keinem Punkte eine Solidarhaft
der drei Beklagten ausgesprochen habe unt-dass der urteilsmässige
Regressanfpruch der Beklagten Kowler gelgenuberu den Mitbeklagten
Bodenmann und Till die Rekurrentin nicht beruhte. Ausserdem werden den
einzelnen Forderungsposten des Zahlungsbefehls gegenüber Einwendungen
erhoben, ai;f die in den nachte enden Erwä en Be ug genommen wir .

s ?a. : -DikÆ3uidbeHnbuugsund Konkukekommisjion des
luzernischenObergerichks hat unter Hinweis auf die Motive ihres
Entscheides ebenfalls Abweisung des Rekurses beantragt-

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Von den formellen Erfordernissen, die der Staatsvertrag zwischen
der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869 für die gegenseitige
Vollsxtxzeckung der Zivilurteile in den beiden Vertragsstaaten
aufstellt, ist hier die Erfüllung der Vorschrift des Art. 16 Ziffer
3 bestritten. Danach muss dein Vollstreckungsbes gehren neben einer
Ausfertigung des zu vollstreckenden Urteils und dem Original des
Zustellungsaktes noch beigefügt sein eine durch den Gerichtsschreiber
des urteilenden Gerichts ausgestellte Bescheinigung, dass.2k;eiiierlei
Opposition, Appellation oder ein anderes Rechtsmitteljzssbiorliegw
(un certificat délivré par la greifier du tribuna] " jugement a. été
rendu,constataut qu'fl n'exlste ni Opposition, ni appel, ni autre acte
de recours).

Nun ist der Rekursbeklagten allerdings, mit den kantonalen Jnstanzen,
zuzugeben, dass das von der Rekurrentin vorgelegte Zeugnis Dupuy vom
20. November 1912 dieser Vertragsbestimmung schon deswegen nicht
entspricht, weil dessen Aussteller nicht derGerichtsschreiber
des Appellationshofes von Aix ist 'Dupuy bekleidet laut seinem
Zeugnis überhaupt nicht das Amt eines greifior, sondern das
eines huissier" und audiencier (dem bestimmte Funktionen, die
zur Amtstätigkeit der huissiers gehören,624 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertriige.

vorbehalten sind: vergl. GARSONNET, Traité de procédure, 3. Auflage
[Garsonnet et César Bru] I Ziffer 250 S.397). Als huisster aber ist er
lediglich Zustellungsund Vollstreckungsbeamter, in dessen Aufgabe die
Feststellung, ob ein bestimmtes Rechtsmittel eingelegt worden seî?' nicht
fällt und dem deshalb die Kompetenz fehlt, hierüber eine der Beweiskraft
seiner gesetzlichen Amtshands lungen teilhaftige Verurkundung auszustellen
(vergl. GLASSON, Précis de procédure civile, I, Ziffer 188 S. 180). Zudem
ist Dupuy auch nicht Beamter des erkennenden Gerichts von Air.

Allein das Ersordernis in Art. 16 Ziffer 3 des Staatsvertras ges
hat keine selbständige Bedeutung, sondern bezweckt lediglich, den
Nachweis der in Art. 15 vereinbarten Vollftreckbarkeitsvoraussetzung der
Rechtskraft des Urteils durch Anerkennung eines formellen Beweismittels
sicherzustellen. Das Fehlen der fraglichen Bescheinigung führt daher
nicht ohne weiteres zur Verweigerung der Urteilsvollstreckung; vielmehr
ist diese gleichwohl zu gewähren, wenn nach dem sonstigen Inhalt der
Akten als erwiesen gelten muss, dass das Urteil mangels Ergreifung eines
der dagegen gegebenen Rechtsmittel wirklich in Rechtskraft erwachsen
ist (so die bisherige Praxis des Bundesgerichts: AS 15 Nr. 78 Erw. 4
S. 569 und Urteil vom 17 Januar 1894 i. S.Mäder: Semaine judiciaire
1894 S. 213). Borliegend hat die -Rekursbeklagte selbst zugegeben,
dass von ihrer Seite gegen das Urteil des Appellationshofes von Aix
vom 4. Mai 1911 ein Rechtsmittel tatsächlich nicht ergriffen worden
ist, indem sie vor Bundesgericht den Standpunkt vertritt, sie habe
die Kassationsbeschwerde deswegen nicht ergreifen können, weil ihr
das appellationsgerichtliche Urteil überhaupt nicht zugeftellt worden
fei. Ihr Einwand aus Art. 16 Ziffer 3 des Staatsvertrages entbehrt somit
sachlich offenbar der Begründung.

2. Auch die weitere, auf Art. 17 Ziffer 2 des Staatsvertrages gestützte
Einrede der Rekursbeklagten, sie sei im Verfahren vor dem Appellationshof
nicht gehörig zitiert worden und nicht gesetzlich vertreten gewesen, ist
nach der Aktenlage nicht haltbar. Laut dem Urteil des Appellationshofes
erfolgte die Appellationserklärung der Rekursbeklagten vom 16. Februar
1909 unter Bestellung eines avoué, wie sie nach französischem Prozessrecht
für

Mai-Mqu sit Frankreich. N° 108. 625

..daB Apellationsverfahren obligatorisch ist (Art. 61 Cpc; vergl,

dazu DALLoz, Nouveau Code de procédure annoté, I S. 268Ziffern 636 ff.,
speziell 640, und GLASSON, a. a. O., I S. 421 Ziffer 399); ferner vertrat
der bestellte avoué die Rekursbeklagte in der Appellationsverhandlung
vom 1. Mai 1911tatsächltch, war also biegt! offenbar richtig vorgeladen
worden. Diese urteilsmässigen Feststellungen können durch die einfache
Bestreitung der Rekursbe-

klagten, dem betreffenden avoué (Maitre Estmngin) Prozessvoll-

macht erteilt zu haben, nicht entkräftet werden, um soll weniger,
als die Bestellung des avoué nicht notwendig einer ausdrucklichen
Parteierklärung bedarf, sondern auch durch konkludente Handlungen,
wie insbesondere die einfache Übergabe der Prozessakten, geschehen
kann, und die Vollmacht des einmal bestellten avoué von Rechts wegen
(Art. 75 Cpc) bis zu seiner Ersetzung durch einen andern avoué wirksam
bleibt (vergl. GLASSON, a. a. O. I S..-123 Ziffer 401). Danach brauchte
die Rekursbeklagte zur Appellationsverhandlung gar nicht persönlich
vorgeladen zu werden, und-es kommt dem Umstande, dass sie zur Zeit
dieser Verhandlung mcht mehr in Frankreich wohnte, in dieser Hinsicht
keine Bedeutung zu. Vielmehr genügt die festgestellte Mitwirkung ihres
avoué an der Appellationsverhandlung, um sie als nach dem massgebenden
französischen Prozessrecht gehörig vorgeladen und gesetzlich vertreten er-
scheinen zu lassen. Dass vor dem Appellationshofe der gleiche avoué die
Rekursbeklagte und deren Streitgenossen IBodenmann vertrat, ist übrigens
zum vornherein durchaus glaubwurdig, hatten doch die beiden schon in
der ersten Instanz feststehendermassen einen gemeinsamen Vertreter. .

3. Soweit die Rekursbeklagte endlich noch einwendet, dass ihr das Urteil
des Appellationshofes von Air nicht zugestellt worden sei, fällt in
Betracht: Dieser Einwand ist deswegen erheblich, weil nach französischem
Prozessrecht (Art. 147 Cpc) die Rechtskraft eines Zivilurteils, welches,
wie das hier in Rede stehende, eine Verurteilung ausspricht, nur eintritt,
wenn das Urteil nicht nur dem avoué der verurteilten Partei, sondern
ausserdem auch. noch dieser Partei selbst gehörig zugestellt worden ist
( ..... les Jugements provisoires et définitifs qui prononceront. des
condamnations seront en outre signifiés à la partle, à personne

626 A. Staatsrechtliche Entàcheidungen. [V. Abschnitt. Staatlvertrà'ge.

ou domicile ..... ; vergl. dazu: DALLOZ, a. a. QI S. 576 Ziffer 10,
S. 578 Ziffer 71, S. 580 Ziffer 135 und 166; GARSONNET, a. a. O. III
Ziffer 695 S. 389; GLASSON, a. a. O. I Ziffer 567 unb 568 S. 612 ff.). Von
der Erfüllung dieser Formalität hängt somit hier die Vollstreckbarkeit des
appellationsgerichtlichen Urteils im Sinne von Art. 15 des Staatsvertrages
ab. Nun ergibt sich aus der vorliegenden amtlichen Bescheinigung des
Gerichtsvollziehers Magnico vom 30. September 1911, dass das Urteil an
diesem Tage der Rekursbeklagten selbst durch Aushändigung der für sie
bestimmten Ausfertigung an den Maire von Nizza zugestellt worden ist,
entsprechend der Vorschrift des Art.68 Abs. 1 Cpc, welcher lautet: Touts
exploits seront faits à. "personne ou domicile; mail si l'huissier ne
trouve au domicile ni la partie, ni aucun de ses parents ou serviteurs,
il remettra de suite la copie à un voisin, qui signera l'original;
si ce voisiu ne peut ou ne veut signer, l'huissier remettra 19. copie
au maire ou adjoint de la commune, le-quel visera l'origine,] sans
frais. Die Rekursbeklagte bestreitet die Rechtswirksamkeit dieses
Zustellungsaktes unter Hinweis darauf, dass sie zur Zeit seiner Vornahme
nicht mehr in Nizza, sondern bereits in Luzern gewohnt habe und dass
deshalb die Urteilszuftellung an sie gemäss Art. 20 des Staatsvertrages
(der in dieser Hinsicht mit Art. 1 der internationalen Übereinkunft
betreffend Zivilprozessrecht vom 11. November 1896/25. Mai 1899,
welcher die Schweiz und Frankreich beigetreten sind, übereinstimmt)
durch diplomatische oder konsularische Vermittlung in der Schweiz hätte
erfolgen sollen. Diese Argumentation ist insofern zutreffend, als die
Zustellung par remise au maire nach Art. 68 Cpc, wie die Übergabe à.
personne ou domicile, der sie rechtlich gleichgestellt ist, den Wohnsitz
des Zuftellungsdestinatärs in der betreffenden Gemeinde voraussetzt,
während die Zustellung an Personen ohne bekannten Wohnsitz-in Frankreich
(qui n'ont aucun domicile conuu eu France), oder die im Auslande wohnen
(qui habitent à. l'étranger) durch Art. 69 Ziffer 8 und 10 Cpc in anderer
Weise geregelt ist. Auch darf wohl, namentlich durch das vorgegelegte
Konsulatszeugnis, als bewiesen angesehen werden, dass die Rekursbeklagte
tatsächlich während der Hängigkeit des Prozesse-Z beim

Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 108 627

Appellationshof von Aix, im Frühjahr 1910, ihren Wohnsitz in Nizza
aufgegeben hat. Allein diese Umstände vermögen auch unter der Annahme,
dass die Rekursbeklagte sich ihrer ferneren, nicht belegten Behauptung
gemäss zur Zeit der fraglichen Urteilszustellung bereits in Luzern
befunden habe, die Notwendigkeit der Anwendung des Zustellungsversahrens
nach Art. 20 ssdes Staatsvertrages oder Art. 1 der internationalen
(Haager) Ubereinkunft betreffend Zivilprozessrecht nicht zu begründen
Denn sowohl der schweizerisch-französische Staatsvertrag, als auch die
jüngere allgemeine Haager Übereinkunft sprechen eine internationale
Rechtshulfepflicht für Zustellungen lediglich in dem Sinne aus, dass
LederVertragsstaat gehalten ist, die Zustellung gerichtlicher Akte des
bezw. eines andern Vertragsstaates unter den vereinbarten Bedingungen
bei sich vorzunehmen. Dagegen enthalten sie keinerlei Bestimmungen
darüber, dass und unter welchen Voraussetzungen ein Vertragsstaat
verpflichtet wäre, die Zustellung eigener gerichtlicher Akte im
auswärtigen Bertragsgebiete nach dem ftaatsvertraglich vorgesehenen
Zustellungsverfahren zu bewerkstelligen. Insbesondere ist darin. nirgends
die Pflicht der Vertragsftaaten normiert, einer Partei, die während der
Hängigkeit eines Prozesses vor den inländischen Gerichten, in welchen
sie durch einen inländischen Anwalt vertreten ist, ihren Wohnsitz nach
dem ausländischen Bertragsgebiete verlegt, spätere Prozessakte, wie
namentlich das Endurteil, nach Vorschrift des Staatsvertrages an ihrem
neuen Wohnsitze zuzustellen. Folglich macht für die Art der Zustellungen
in solchen Fällen nicht der Staatsvertrag, sondern das interne Recht des
Prozessstaates Regel (so schon A. S. 13 Nr. 5 Erw. 3 S. 33). Es fragt-l
sich somit lediglich, ob die Zustellung des Urteiles von Air, durch
remise an den Maire in Nizza, bei den Verhältnissen der Rekursbeklagten
den Anforderungen des französischen Prozessrechts genügte. Nun gilt
allerdings, wie bereits erwähnt, Art. 68 Cpc nicht fur Personen, die
im Auslande wohnen und sich auchnicht in Frankreich aufhalten; allein
gegenüber einer Person, die zu Beginn eines Prozesses ihr Domizil
in Frankreich gehabt hat, muss er naturgemäss so lange zur Anwendung
gebracht werden, als die Gerichtsorgane, denen das inländische Domizil
bekannt gegeben worden war, von dessen nachträglicher Aufgabe nicht in
Kenntnis gesetzt werden.

628 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abrchniu. Statuen-träge.

Die Rekursbeklagte aber wohnte nach ihrer eigenen Sachdarstellung noch
zur Zeit der Anrufnng des Appellationshofes von Aix in Nizza und hat
weder dargetan, noch auch nur behauptet, diesem Gerichtshof von ihrer
spätern Übersiedelung nach der Schweiz, sei es direkt, sei es durch ihren
Prozessvertreter, je Mitteilung gemacht zu haben. So erklärt es sich,
dass auch das Urteil des Appellationshofes sie als in Nizza wohnhaft
bezeichnet und dass sich der Gerichtsvollzieher für di'e Zustellung
dieses Urteils einfach an ihre aus den Akten ersichtliche dortige
Adresse wandte. Es konnte ihm unter diesen Umständen schlechterdings
nicht zugemutet werden, in underer Weise vorzugehen; vielmehr muss die"
der Vorschrift des Art. 68 Cpc entsprechende Zustellung an den Maire
als für die Rekursbeklagte rechtswirksam anerkannt werden.

4. Erweist sich somit dasLUrteil des Appellationshofes von Ai): als
staatsv"·"ltragsgemäss grundsätzlich vollstreckbar, so bleibt noch
zu prùf-en, ob die Rechtsöffnung für die in Betreibung gesetzten
Forderungsbeträge .gleichwohl, wegen ungenügender Abkläs rung und
Substantiierung dieser Forderungen, überhaupt nicht (wie die Vorinstanz
angenommen hat) oder doch nicht in ihrem vollen

,Umfange (wie die Rekursbeklagte eventuell geltend macht) gewährt werden
könne In dieser Hinsicht ist von vornherein zuzugehen, dass die Anspräche
der Rekurrentin tatsächlich insofern über

" den Inhalt des appellationsgerichtlichen Urteils hinausgehen,
als dieses nirgends eine Solidarhaftung der drei Beklagten unter sich
gegenüber der Klägerin ausspricht, insbesondere auch nicht zwischen der
Rekursbeklagten und Bodenmann einerseits und Frau Kowler anderseits,
indem die urteilsmässige Verpflichtung der Beklagten Till

und Bodenmann, die Mitbeklagte Frau Kowler für ihre Verurtei-

lung schadlos zu halten, die Rekurrentin offenbar nicht berührt,

sondern lediglich der Frau Ko wler selbst einen Regressanspruch
gegenüber ihren Streitgenossen für die ihr gegenüber der Rekurrentin
auferlegten Leistungen gewährt. Folglich kann von den Forderungsposten
des Zahlungsbefehls (Fakt. B oben) derjenige von

1100 Fr. (Ziffer 2) jedenfalls nur mit der Hälfte von 550 Fr. als Schuld
der Rekursbeklagten in Frage kommen und muss der-

jenige von 100 Fr. (Ziffer 3), welchen Betrag die Beklagte Kowler
urteilsgemäss als Schadenersatz an die Rekurrentin zu zahlen hat,

Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 108. '629

gänzlich ausser Betracht fallen. Im übrigen ist zu diesen Forde-

rungsposten im einzelnen zu bemerken:

Ad Ziffer 1. Diese Forderung von 300 Fr. ist ohne weiteres

anzuerkennen, da sie den der Rekursbeklagten persönlich auferlegten

Schadenersatzbetrag darstellt. . Ad Ziffer 2. Bei der in Betracht
fallenden Forderungshalfte

von 550 Fr. handelt es sich um einen Eventualanspruch der Rekurrentin
für einen der zu ihren Gunsten (weil ihr Patentrecht

verletzend) konfiszierten Automatenapparate, in dem Sinne, dass ihr

der Anspruch zuerkannt ist à défaut" des Konfiskationsobjektes

d. h. für den Fall, dass sie dieses selbst nicht erhalten sollte. Dieser
Anspruch unterliegt an sich ohne Zweifel der Vollstreckung nach dem
Staatsvertrage, da die Konfiskation im patentrechtlichen Zwilprozesse (und
damit auch der sie eventuell ersetzende Geldzuspriich) in Frankreich,
gleich wie nach dem schweizerischen Patentrecht, nicht etwa den
Charakter einer öffentlichen Strafe, sondern den eines zivilrechtlichen
Schadenersatzes für den geschädigten Patentinhaber hat (vergl. Art. 49
des französischen Patentgesetzes vom 5. Inli 1844, wonach les objets
confisqués seront remls au propriétaire du brevet, sans préjudice de
plus ampies deummages-intéréts und dazu ALLART, Brevets d'mventlon,
3. Auflage, Ziffer 688 S. 517). Allein der Entschädigungszuspruch in der
Form des Geldbetrages kann eben nach der Meinung dieser Gesetzesbestimmung
bloss ein eventueller sein, und zwar so, dass er erst und nur praktisch
wird, wenn die Verwirklichung der Konfiskation selbst aus irgend einem
Grunde unmöglich geworden ist (vergl. ALLART, a. a. O. Ziffer 689 W,
S. 518 und die daselbst angeführte Gerichtspraxis). Die in Rede stehende
Geldforderung könnte daher als solche nur zur Vollstreckung zugelassen
werden, falls diese Unmöglichkeit nachgewiesen wäre. Diesen Nachweis hat
jedoch die Rekurrentiii nicht erbracht; vielmehr hat die Rekursbeklagte
noch vor Bundesgericht die bestimmte Erklarung abgegeben, die fraglichen
Apparate befänden sich bei der SpeditionssirmaZBoin & Constantin, Rue
Garnier, in Nizza, und ständen der Rekurrentin zur Verfügung, sobald die
Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des streitigen Urteils festgestellt
sei, und die Rekurrentin hat sich demgegenüber lediglich auf die (nach
dem Inhalt des Ur-

630 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

teilsdispositivs rechtlich unzutreffende) Behauptung gestützt, sie sei
heute zur Annahme der bereits seit 5 Jahren ausser Gebrauch stehenden
und offenbar veralteten Maschine nicht mehr verpflichtet, nachdem sie
die Rekursbeklagte schon vor zwei Jahren erfolglos zu deren Herausgabe
aufgefordert habe. Die Vollstreckung der Eventualforderung von 550
Fr. ist demnach zur Zeit nicht zu bewilligen.

Ad Ziffer 4. Die 150 Fr. stellen den Maximalbetrag dar, welchen
die Rekurrentin von ihren drei Prozessgegnern zusammen für die
Veröffentlichung des appellationsgerichtlichen Urteils in drei
französischen Zeitungen in der Meinung, dass für jede einzelne
Veröffentlichung höchstens 50 Fr. in Rechnung gebracht werden dürfen
zu fordern berechtigt erklärt ist. Daraus folgt ohne weiteres, dass
der Rekurrentin eine Geldforderung aus diesem Dispositiv nur für ihre
wirklichen Publikationsauslagen (bis zu jenem Maximalbetrage) zusteht,
wobei mangels urteilsmässiger Solidarhaftung der drei Beklagten die
Rekursbeklagte nur mit einem Drittel dieser Auslagen belastet werden
kann. Die Rekurrentin hat jedoch über ihre wirklichen Publikationsauslagen
keinerlei Auskunft gegeben und muss deshalb mit ihrem Ansprüche zur Zeit
vollständig abgewiesen werden

Ad Ziffer 5 und 6. Die zwei Forderungen betreffen die Prozesskosten
der Rekurrentin (dépens) in den beiden Instanzen, die das
appellationsgerichtliche Urteil den drei Beklagten auferlegt hat,
ohne dabei zu bestimmen, in welchem Verhältnis sie von jedem derselben
getragen werden sollen. Danach besteht auch für diese Kostenbeträge keine
Solidarhaftung der Beklagten, indem das französische Zivilprozessrecht auf
Grund der Regel des Art.1202 Cc, wonach die Solidarität mit Vorbehalt
der gesetzlichen Ausnahmen nicht präsumiert wird die solidarische
Kostentragung bei gemeinsamer Prozessbeteiligung überhaupt bloss
ausnahmsweise zulässt und speziell in Schadenersatzprozessen vorliegender
Art (wegen ziviler Delikte oder Quasi-Delikte) ihre ausdrückliche
Verfügung durch-den Richter, gemäss dem Verlangen der Parteien, fordert
(vergl. GABSONNET, a. a. O. III Ziffer 780 S. 547 und Ziffer 781.2 S. 548
f.; DALLOZ, a. a. O. zu Art. 130 Cpc Ziffern 403 ff., spez. 416 S. 423
f.). Vielmehr sind die Kosten, mangels einer abweichenden Bestimmung
des Urteils, zu gleichen

Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich. N° 108. 631

Teilen auf die drei Beklagten zu verlegen (DALLoz, a. a. O. Ziffer
419 S. 424), und es ist demnach die Vollstreckung gegenüber der
Rekursbeklagten grundsätzlich nur je für einen Drittel der rechtmässig
ausgewiesenen Beträge zu gewähren.

Was diesen Ausweis anbelangt, setzt die Vollstreckung der
Kostenforderungen quÆGrund des Staatsvertrages naturgemäss eine
amtliche Feststellung derselben voraus, wie sie nach dem Rechte des
Prozessortes als Erekutionstitel erforderlich ist, somit für französische
Prozesskosten, die nicht im Urteil selbst ziffermässig bestimmt find,
eine vom zuständigen Beamten der betreffenden Instanz nach vorgängiger
Taxation der Kostenrechnung aufgestellte Vollstrekkungsverfiigung,
das sogenannte exécutoire des dépens oder einfach exécntoire" (siehe
hierüber GARSONNET, a. a. O. III

v§ 1205 S. 686 ff. und § 1207 S. 689 f.). Diesen Vorschriften

entsprechen die beiden vorliegenden Urkunden vom 7. Juni 1911 und vom
27. Januar 1913 (oben Fakt. A, am Ende), deren erstere die Kosten des
Appellationshofes auf 427 Fr. 19 Cts. und deren letztere diejenigen
der ersten Instanz auf 604 Fr. 25 Etsangibt. Demnach ist je ein Drittel
dieser Beträge mit 142 Fr40 Cis. und 201 Fr. 48 Cts. der Rekursbeklagten
gegenüber vollstreckbar.

. d Ziffer 7. Bei der Forderung von 22 Fr. 75 Cts. soll es sich nach
Angabe der Rekurrentin um einen durch das erstmstanzliche Urteil des
Zivilgerichts Nizza vom 2. Dezember 1908 ausgewiesenen Kostenbetrag
handeln. Darin findet sich jedoch keine mit erekutorischer Kraft
ausgestattete Kostenfestsetzung in diesem Betrage, und es muss derselbe
daher, falls er nicht schon in der eben erörterten gerichtlich tarierten
Kostennote der ersten Instanz inbegriffen sein sollte, ausser Betracht
bleiben.

Ad Ziffer 8. Der Posten von 13 Fr. 20 Cts. stellt die Kosten der
Bescheinigung des huissier Dupuy vom 20. November 1912 bar; diese können
aber der Rekursbeklagten schon deswegen nicht verrechnet werden, weil die
Einholung der fraglichen Bescheinigung, wie in Erwägung 2 oben ausgeführt
ist, eine für die Urteilsvollstreckung völlig zwecklose Massnahme der
Rekurrentin darstellt.

Laut Zahlungsbefehl fordert die Rekurrentin endlich Verzugszinsen zu
50/0 vom Datum des zu vollstreckenden Urteils an.

632 A. staatsrechtlicheEntsehoidungen. W. Abschnitt. Statuen-träge.

Diese Zinsenforderung bildet jedoch keinen Bestandteil ihrer urteilsmässig
festgestellten Ansprüche und kann daher im vorliegenden Verfahren zur
Vollstreckung dieser Ansprüche gemäss der bestehenden Praxis (A. S. 20
Nr. 125 Erw. 8 S. 824) nicht berücksichtigt werden-

5. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass in Abweichung vom
Entscheide der kantonalen Jnstanzen dem Urteilsvollstreckungsbegehren
der Rekurrentin auf Grund des Staatsvertrages für einen Gesamtbetrag von
643 Fr. 88 Cts. (nämlich 300 Fr. +142 Fr. 40 Cts. + 201 Fr. 48 Cts.),
ohne Zinszu entsprechen ist. Und zwar hat das Bundesgerieht unter den
hiergegebenen Umständen für diesen Betrag in Aufhebung des ange-

fochtenen Urteils direkt die definitive Rechtsöffnung zu erteilen;

denn diese ist vorliegend lediglich aus Gründen bestritten und vom
kantonalen Richter verweigert worden, die auf dem Staatsvertrage
fussen; über dessen Anwendung aber hat das Bundesgericht unmittelbar
als oberste Exequamrinstanz zu entscheiden. Eine Rückweisnng der
Sache an den kantonalen Rechtsöfsimngsrichter zum Erlasse eines neuen
Rechtsöffnungsentscheides auf Grund der bundesgerichtlichen Erwägungen
wäre nur dann geboten, wenn der Streit sich ausser dem Staatsvertrage
auch noch auf Anwendung internen schweizerischen Vollftreckungsrechts
beziehen würde; dies ist jedoch, wie bereits betont, hier nicht der
FallDemnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass in Aufhebung des
Urteils der Schuldbetreibungs und Kouknrskoms mission des luzernischen
Obergerichts vom 9. Oktober 1913 der Rekurrentin in Betreibung Nr. 2740
des Betreibungsamtes Luzern für den Betrag von 643 Fr. 88 Ets. ohne Zins
definitive Rechtsöffnung erteilt wird.

B. STRAFREGHTLIGHE ENTSGHEIDUNGEN, ARRÈTS DE DROIT
PÉNALI. Urheberrecht. Propriété littéraire et artisbique.

109. guten vom 12. Youenwet 1913 in Sachen genutzt-atom gegen annali.

Abgrenzung der Kompetenzen des Kassationshofes. Darttiche Anwend-

barkeit des BG über das Urheberrecht. Es bezieht sich nicht auf

im Auslande begangene Urheberrechtsverletzungen. Art. 15 BG; Art.2

der intern. Uebereinkunft vom 9. September 1886 und Zusatzabkommm vom
4. Mai 1896.

Der Kasfationshof hat, nachdem sich aus den Akten ergeben-

A. A. SamlerkBrown hat im Jahre 1903 in London einen. Führer durch
Madeira, die kanarischen Jnseln und die Azoren herausgegeben, welcher
verschiedene geographische Karten enthältAuf Grund einer Bestellung
des Joseph Ratschüler, damals in S. Cruz auf Teneriffa, liess Joseph
Künzli, als Vertreter der A. G. Künzli in Zürich, im Sommer 1907, 21,240
Ansichtskarten anfertigen, welche, wie der Kassationskläger behauptet,
Nachbildungen verschiedener im Werke Samim-Browns abgedruckter Karten
enthalten sollen. Diese Ansichtskarten wurden im Auftrage der Firma
Künzli von Emil Pinkau & Cie. in Leipzig gedruckt und da Ratschüler
davon nur 5000 annahm, direkt über Hamburg nach Teueriffa gesandt,
wo sie durch einen Agenten der Firma Künzli (Richardson) verkauft wurden-

B. Am 15. September reichte SamlersBrown beim Bezirks-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 39 I 617
Datum : 11. Dezember 1913
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 39 I 617
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 616 A. Staatsrechthche Entscheidungen. .... Abschnitt. Konkordate. mehr um eine


Stichwortregister
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