384 Staatsrecht.

IV. GLAUBENSUND GEWISSENSFREIHEIT

LIBERTÉ DE CONSCIENCE ET DE CROYANCE Vgl. Nr. 48. Voir n° 48.

V. GEME INDEAUTONOMIE

AUTONOMIE COMMUNALE Vgl. Nr. 48. Voir n° 48.

VI. INTERKANTONALES ARMENUNTERSTÙTZUNGSRECHT

ASSISTANCE INTERCANTONALE DES INDIGENTS

51. Urteil vom 19. November 1926 i. S. St.-Gallen gegen Luzern.

Internationales Armenrecht. Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die
Unterstützungspflicht inbezug auf Ausländer bis zu einer möglichen
Heimschatfung den Kanton trifft, auf dessen Gebiet sich die Person
befand, als die Unterstützungsbedürftigkeit eintrat oder erkennbarer
Weise unmittelbar drohte. Infolge Krankheit arbeitsunfähiger mittelloser
Ausländer (Deutscher), der vorgibt, Bürger eines schweiz. Kantons zu
sein. Anspruch des angeblichen Heimatkantons, der den Mann vom. Kanton
des Ortes der Erkrankung übernommen hat, dass der letztere Kanton die
Unterstützungskosten ersetze, wenn die Übernahme nur unter dem Vorbehalte
erfolgt war, dass die Behauptungen über die Kantonszugehörigkeit sich
auf Grund Weiterer Erhebungen nicht als falsch herausstellen sollten.

A. Am 21. Februar 1924 wurde in Luzern, wo er sich auf der Durchreise
befand, ein Mann in versorgungs--

Interkantonales Armenunterstützungsrecht. N° 51. 385

bedürftigem Zustande in den Kantonsspital eingeliefert; der sich als'
Otto Gmür von St. Gallen, geb. 1886 ausgab. Ausweisschriften wurden bei
ihm nicht gefunden; Da er mittelios war, wendete sich das Departement
des Gemeindewesens des Kantons Luzern am 25. Februar 1924 an das
st. gallische Departement des Innern mit dem Ersuchen, den Patienten,
der. in 10 44 Tagen transportfähig sein werde, heimzunehmen oder für die
Kosten der Verpflegung im luzernischen Kantonsspital einzustehen. Das
Departement des innern-von st. Gallen erwiderte am 28. Februar, dass der
Patient jedenfalls nicht Bürger der Stadt St; Gallen sei; ohne Angabe
der Heimatgemeinde sei weder eine Über-'nahme noch eine Kostengutsprache
möglich. Ein hierauf von der luzernischen Behörde bei der Verwaltung des
dortigen Kantonsspitals eingeholter Bericht sprach sich dahin aus, dass
Gmür wegen seiner Gebrechen dauernd versorgungsbedürftig sei; Versuche,
von ihm genauere Angaben über seine Personalien und insbessondere über
seine Gemeindezugehörigkeit zu erhalten, hätten bei seinem Zustande
keinen Erfolg gehabt. Am 12. März 1924 wurde sodann das st. gallisehe
Departement des Innern neuerdings angefragt, wohin der Kranke gebracht
werden solle. Es antwortete am 28. März,dass es gegen die Überführung des
angeblichen Gmür nach dem Kantonsspital St. Gallen nichts einzuwenden
habe: dabei werde immerhin vorausgesetzt, dass der Patient wirklich
st. gallischer Gemeindeund Kantons-' bürger sei: sollten die weiteren
noch zu machenden Erhebungen ergeben, dass dem nicht so ist, so würden wir
Otto Gmür Wieder der dortigen kantOnalen Krankenanstalt zuführen lassen.
Am 19. April 1924 wurde dann Gmür tatsächlich von Luzern nach dem
Kantonsspital St. Gallen übergefùhrt. Als im Anschluss hieran Luzern
Rechnung für die Transportkosten und Pflegekosten vom 14. März bis
14. April stellte, lehnte das st. gallische Departement des Innern am
12. Mai AS 52 I 1926 27

386 ' ' si ssStaatsrecht.

die Bezahlung ab mit der Erklärung: Wenn wir den Patienten
zur hierseitigen Spitalverpflegung übernommen haben, ohne dass
dessen Heimatzugehörigkeit nach dem Kanton St. Gallen ausgewiesen
bezwfestgestellt werden konnte, glauben wir mehr getan zu haben, als in
unserer, Pflicht lag, und wir müssen uns weiterhin vorbehalten, Ihnen
den Patienten sofort wieder zuzustellen, sobald die Erhebungen ergeben,
dass der Patient nicht st. gallischer Kantonsbürger ist, und zwar unter
Kostenfolge der dem Kantonsspital St. Gallen erwachsenen Spesen.

DieNachforschungen über die Identität des angeblichen Gmür wurden dann
sofort aufgenommen, führten jedoch lange zu keinem Ziele, weil der
Patient behauptete, infolge eines früheren Schlaganfalles das Gedächtnis
verloren zu haben. und nur unbestimmte und irrefùh ss rende Angaben
machte. Während einiger Zeit schien es, dass er mit einem Otto Karl Gmiir,
von Amden, geh. 1886 in Birrwinken (Thurgau), identisch sein könnte,
doch wurden die Erhebungen im Inund Auslande gleichwohl fortgesetzt. Sie
blieben erfolglos, bis sich im März 1926 infolge einer Ausschreibung
im Polizeianzeiger herausstellte, dass man es in. Wahrheit mit einem
p-reussischen Staatsangehörigen Franz Rudolph, geb. den 23. Oktober
1886 zu tun habe. Inzwischen war der Mann am 3. November 1924 wegen
gebesserten Zustandes aus dem Kantonsspital St. Gallen, entlassen und
vorläufig in die Armenanstalt Amden versetzt worden. Mit Schreiben vom
1. Juni 1926 ersuchte infolgedessen das st. gallische Departement des
Innern das luzernisehe Departement des Gemeindewesens um Erstattung ;
der Verpflegungskosten im Kantonsspital St. Gallen (458 Fr. 55 Cts.) und
in der Armenanstalt Amden bis zum 10. März 1926 (984 Fr. = 2 Fr. im Tag),
z u s a m m e n 1442 Fr. 55 Cis-; es wies darauf hin, dass die Übernahme
seinerzeit nur unter der Voraussetzung st. gallischer Kantonszugehörigkeit
des Kranken

Interkantonales Armenunte'rstützungsrecht. N° 51. 337 erfolgt sei; nachdem
diese Voraussetzung sich nicht erfüllt habe und es sich in Wirklichkeit
um einen Deutschen handle, hätte die Verpflegung Luzern obgelegen bis zu
dem Zeitpunkte, wo die ,Identität hätte festgestellt und die Heimschaffung
nach Deutschlandvollzogen werden können. St. Gallen bezw. die ,Gemeinde
Amden könnten daher die Erstattung der Aufwen ' dungen verlangen, die
sie an Stelle Luzerns gemacht haben.-Das luzemische Gemeindedepartement
lehnte am 4. Juni 1926 die Vergütung ab mit dersi Begründung: es ware
an den St. Galler Behörden gewesen, rechtzeitig Erhebungen über die
Staatsangehörigkeit der betref-sendenPerson__zu machen, namentlich da sie
schon zur Zeit der Ubernahme in Zweifel gezogen worden sei: dann hätte
man sich wohl früher darüber vergewissern können. Und am 3. Juli 1926
antwortete es auf eine neue Zuschrift von St. Gallen, worin dieser Einwand
zuruckgewiesen wurde, dass eine Rückerstattungspflicht von Luzern nicht
anerkannt werden könne, weil es nicht bösgläubig einen Ausländer einem
anderen Kanton zugeschoben habe. Es sei Sache des Kantons dem .anzugehören
der Unterstützte behaupte, diese Be: hauptung zu untersuchen und, wenn die
Untersuchung zu keinem bestimmten oder erst spät zum richtigen Ergebnisse
führe, die finanziellen Folgen zu übernehmen. B. _ Mit staatsrechtlicher
Klage vom 6. August 1926 hat hierauf der Kanton St. .Gallen, unter
Berufung auf Art. 175 Ziff. 2 und 177 OG, beim Bundesgericht. das Begehren
gestellt, der Kanton Luzern sei zu verurteilen, dem Kläger die durch die
Spitalund Armen-' hausversorgung des Franz Rudolph (alias Otto Gmür)
entstandenen Kosten im Betrage von 1442 Fr. 55 Cts zu ersetzen, unter
Kostenfolge. . C. Namens des Kantons Luzern hat der Regierungsrat des
Kantons Luzern die Abweisung der Klage beané tragt und zur Begründung
dieses Antrages in Klageantwort und Duplik ausgeführt : die Übernahme des

388 siss , Staatsrecht. si . . angeblichen Gmür sei von Luzern in
gutem ,Glauben; verlangt werden in der Meinung, dass es sich Wirklich
um einen St. Galler Bürger handle ; dieser Ansicht seien denn auch
die st. galiischen Behörden selbst zeitweise gewesen. Den Behörden
des Kantons, in dem eine auf der ss Durchreise befindliche Person in
krankem und hilfsbedürftigem Zustande aufgegriffen werde, könne nicht
zugemutet werden, die Staatsangehörigkeit derPerson durch umständliche
Erhebungen nachzuprüfen. Sie dürften, wenn Ausweisschriften fehlten,
auf die Angaben des Unterstützten abstellen, um das Übernahmsbegehren
an den angeblichen Heimatkanton zu stellen. Dieser möge alsdann die ihm
gutscheinenden Erhebungen machen, bevor er die Übernahme erkläre : nur
er verfüge' auch über die hiezu nötigen Urkunden : Zivilstandsregister,
Bürgervermichnisse, usw. Im vorliegenden Falle habe St. Gallen den Mann
freiwillig übernommen, trotzdem ein anderer Beweis als dessen Behauptungen
für das Übernahmsbegehren nicht vorgelegen habe. Damit sei die Sache
für Luzern erledigt-.. Der bei der Übernahme gemachte Vorbehalt ändere
hieran nichts. Luzern habe keinen Anlass gehabt, ihn zurückzuweisen,
nachdem es, wie die st. gallischen Bea hörden, den Kranken für einen
St. Gallergehalten habe, Zudem sei die Verwahrung nur dahin gegangen,
den Gmür wieder Luzern zuzuführen, wenn sich jene Annahme als unrichtig
herausstellen sollte. Erst nach:träglich im Schreiben vom 12. Mai 1924,
nach schon erfolgter Übernahme, sei versucht worden, auch die Vergütung in
der Zwischenzeit in St. Gallen erwachsener Kosten darein einzubeziehen
und zwar Wiederum nur für die Kosten im Kantonsspital. Heute werde
darüber hinaus Ersatz für die Verpflegung in der Armenanstalt Amden
verlangt. Dieses Ansinnen müsse Luzern ablehnen. Die Versorgung in
jener Anstalt sei ohne sein Wissen

erfolgt.

Interkantonales Armenunt'erstützungsrecht. N° 51389 ,_ Das Bundesgericht
zieht in Erwägung ' si '

1. Nach Art. 6 des Niederlassungsvertrages zwischen der Schweiz und
Deutschland vom 13. November 1909 verpflichten sich die beiden Länder
dafür zu sorgen dass. in ihrem Gebiete den hilfsbedürftigen Angehöriger;
des anderen Teiles die erforderliche Verpflegung und Krankenfürsorge
nach den am Aufenthaltsort für die eigenen Angehörigen geltenden
Grundsätzen zuteil werde, bis die Rückkehr in die Heimat ohne Nachteil
für ihre und anderer Gesundheit geschehen kann; ein Ersatz derdurch
die Verpflegung, Krankenfürsorge oder Beerdigung erwachsenen Kosten
durch den Heimatstaat findet nicht statt. Die Erfüllung der damit von
der __Schweiz übernommenen Völkerrechtlichen Pflicht ruht intern auf
den Kantonen, Und zwar ist unterstütZungspflichtig nach wiederholten
Entscheidungen des Bundesgerichts, in Analogie zu den für Schweizerbürger
gemäss dem Bundesgesetze vom 22. Brachmonat 1875 geltenden Grundsätzen ,
der Kanton, auf dessen Gebiet der Kranke sich tatsächlich aufhielt, als
die Hilfsbedürftigkeit in einer Weise eintrat, die das Einschreiten der
Behörden zur Folge hatte oder bei pfiichtgemässer Aufmerksamkeit hätte
haben sollen (BGE 40 I s. 409 ; 44 I s. 72). Die bundesgerichtliche
Praxis hat damit überdies noch eine Weitere Beschränkung der Kantone
hinsichtlich der ihnen sonst bei Handhabung der Fremdenpolizei zu
'stehenden Befugnisse verbunden: auch Personen, die noch nicht unterstützt
werden mussten, aber in für die Behörden erkennbarer Weise in nächster
Zeit unterstützungsbedürftig zu Werden drohen, dürfen nicht in einen
andern Kanton abgeschoben werden ; der Nieder-. lassungskanton, der
sie aus diesem oder einem andern zulässigen polizeilichen Grunde nicht
mehr auf seinem Gebiete duldenwill, hat Vielmehr den Aufenthaltsentzug
durch Heimschaffung in den ausländischen Staat zu vollziehen und bis
dahin die Unterstützung: zu tragen, wenn er nicht dem Kanton, in-den
die Person abgeschoben

390 _ _ . Staatsrecht.

wurde, für die Unterstützungsauslagen ersatzpflichtig werden will
(BGE 43 l S. 303; 47 l 324). Dieselbe Unterstützungslast mit denselben
Folgen für das Verhältnis gegenüber anderen Kantonen trifft übrigens den
Kanton, auf dessen Gebiete die Erkrankung und Unterstützungsbedürftigkeit
eintrat und offenbar wurde oder erkennbarer Weise unmittelbar drohte,
auch gegenüber Bürgern anderer Länder, mit denen kein darauf bezüglicher
Staatsvertrag besteht. Nicht nur Rücksichten der Menschlichkeit, sondern
auch der eigenen öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Gesundheit
machen es dem Staate zur Pflicht,vdie auf seinem Gebiete befindlichen
Personen vor dem physischen Verderben zu bewahren und ihnen im Falle
der Mittellosigkeit einstweilen, bis zur Möglichkeit der Heimschaffung,
die notdiirftige Verpflegung und Unterstützung zukommen zu lassen (BGE
49 I S. 325).

2. Im vorliegenden Falle hatte man es mit einem Deutschen zu tun,
der während seines Aufenthaltes im Kanton Luzern wegen ausgebrochener
Erkrankung und Mittellosigkeit dort zu öffentlichen Lasten in den Spital
hatte aufgenommen werden müssen. Dass diese Erkrankung und die daraus
sich ergebende Hilfsbedürftigkeit schon auf dem Gebiete eines andern
Kantons eingetreten wäre und derart zutage gelegen hätte, dass sie dem
Eingreifen der Behörden hätte rufen müssen, wird nicht behauptet. Es
,war daher am Kanton Luzern, dem angeblichen Otto Gmür, in Wirklichkeit
Franz Rudolph die nötige Verpflegung und Unterstützung zu gewähren,
bis die Heimschaffung erwirkt und vollzogen werden konnte. Ihm lag
es infolgedessen auch ob, die Nachforschungen über die Identität und
Staatsangee. hörigkeit des Kranken zu veranstalten, dienötig ,waren,
um das Übernahmsbegehren an den Heimatstaat stellen zu können. Dadurch,
dass statt dessen St. Gallen Vom. 14. April 1924 an für die Unterstützung
aufkam, hat es eine Aufgabeerfüllt, die interkantonalrechtlich einem
andern Kanton, Luzern, auffiel und kann ,von diesem aus dem Gesichtspunkte
der Geschäftsführung

Interkantonales Armenunterstützungsrecht, No 51, 3391

ohne Auftrag Ersatz der Aufwendungen verlangen die ihm hieraus
erwachsen sind, es wäre denn, dass es durch sein sonstiges Verhalten
den Ersatzanspruch ver-wirkt und darauf verzichtet" hätte.

Wenn Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV den Heimatkanton verpflichtet, auswärtige
Bürger, die dauernd der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen,
heimzunehmen oder angemessen zu unterstützen, so ist dabei die, wirkliche
Zugehörigkeit zu dem betreffenden Kanton vorausgesetzt. Die blosse
Behauptung des Aufenthaltskantons, dass ein Unterstützungsbedürftiger
Bürger eines bestimmten anderen Kantons sei, vermag daher noch
keinesfalls für den letzteren Kanton jene Pflichten auszulösen,
selbst wenn der Aufenthalts-harrten sich dabei auf die Angaben
des Unterstützungsbedürftigen stützt und geWisse Anzeichen für ihre
Richtigkeit sprechen mögen. Vielmehr ist es Sache des Aufenthaltskantons
den Beweis dafür zu erbringen, um den Übernahmeanspruch zu begründen. Die
Schwierigkeit, sich das bezügliche Beweismaterial zu verschaffen,
kann ihn höchstens zu dem Verlangen berechtigen, dass der angebliche
Heimatkanton ihm bei diesen Erhebungen durch Nachschlagungen in seinen
ss Archiven. und öffentlichen Registern an die Hand gehe, rechtfertigt
dagegen nicht das Begehren, dass die Übernahme auf die Gefahr später
sich herausstellender Unwahrheit der u n h ew i e s e n e n Darstellung
des Unterstützungsbedürf-tigen erfolge. Auch im vorliegenden Falle hätte
demnach St. Gallen die Übernahme des angeblichen Gmür ablehnen können,
solange ein Beweis für das st. gallische Bürgerrecht desselben nicht
vorlag.

Würde es trotz der hierüber bestehenden Ungewissheit vorbehaltlos die
Übernahme ausgesprochen haben, so Wäre allerdings das Schicksal der Klage
zweifelhaft Wenn der angebliche Heimatkanton nicht gehalten ist darzutun,
,dass eine Person, deren Übernahme von ihm verlangt wird, nicht sein
Bürger, sei, sondern den Beweis für die behauptete Kantonszugehörigkeitdem

392 siss ... _. Staatsrechtss

die Übernahme begehrenden Kanton zuschieben kann, so ist es doch
grundsätzlich zweifellos an ihm, die darüber aufgestellten Behauptungen
auf ihre Wahrscheinlichkeit zu prüfen, bevor er dem Übernahmsgesuche
entspricht. Es lässt sich daher-,die Auffassung vertreten, dass er
mit einem solchen vorbehaltlosen bejahenden Bescheide auch die Gefahr
von Fehlschlüssen übernehme, die ihm bei jener Prüfung unt'erlaufen,
es wäre denn dass sie durch schuldhaft unwahre Angaben der Behörden
des anderen Kantons veranlasst worden sind. Die hier in Frage stehende
Übernahmserklärung ist indessen ausdrücklich nuriunter' der Voraussetzung
abgegeben worden, dass .Gmür wirklich, wie behauptet, St. Galler sei, mit
dem Vorbehalte-darauf zurückzukommen, wenn sich bei den .anzustellenden
Erhebungen das Gegenteil ergeben sollte. Sie war also nur eine vorläufige
b e d i n g t e und die: Bedingung, unter der sie allein endgültig
hätte werden können, hat sich nicht erfüllt, indem man es in7 Wahrheit
mit einem Ausländer zu tun hatte. Ein solcher allgemeiner Vorbehalt
genügte aber auf alle Fälle, um den Anspruch. zu wahren und bestehen zu
lassen, dass bei Eintritt jener Eventualität die Unterstützungslcosten
von Luzern als dem Wirklich Verpflichteten getragen und an St. Gallen
ersetzt werden. Wenn im Anschluss daran beigefügt wurde, dass im Falle
der Feststellung einer anderen Staatsangehörigkeit der Kranke Luzern
wieder werde zugeführt werden, so wurde damit lediglich eine Folge noch
besonders hervorgehoben, die sich aus dem gemachten Vorbehalte ergebe. Es
kann darin'nicht der Ausdruck des Willens gesehen werden, sich auf diese
Massnahme zu beschränken, die ,b is dahin ergangenen Kosten dagegen auch
in einem solchen Falle trotz des Fehlens einer rechtlichen Verpflichtung
zu eigenen Lasten Zu nehmen. Und ebenso ist unerheblich, dass das spätere
Schreiben vom 12. ,Mai 1.924 nur vom Ersatz-der beim Kantonsspital St.
Gallen 'erwaehsenden' Spesen sprach. Zur Zeit dieses Schreibenswar der
Unterstützte ebennoch der Spital ,

Interkantonales Armenuntsrstützungsrecht. No 51_ 393

pflege bedürftig und es konnte nicht vorausgesehen werden, dass sich
die Erhebungen über seine Identität solange hinausziehen werden, wie es
dann der Fall war. Massgehend ist, dass es sich auch bei der späteren
Unterbringung in der Armenanstalt Amden um eine Verfügung handelte,
die Wegen des-' Zustandes des Versorgten und seiner Unfähigkeit, selbst
seinen Unterhalt zu verdienen, nötig war. Dass dies zutreffe, bestreitet
aber Luzern nicht. Es wäre dazu umsoweniger befugt, als es selbst unter
Berufung auf das Gutachten seiner gpitalverwaltung . Linden Verhandlungen
si übers die Übernahme eine dauernde Versorgung als notwendig bezeichnet
hatte.

Auch kommt nichts darauf an, dass die luzernischen Behörden ' bei ihrem
Übernahmsbegehren in ss guten Treuen annehmen, der Patient sei wirklich,
entsprechend seinen: Angaben, St. Galler Bürger. Es genügt, dass sie mit
dieser "Behauptung die Übernahme verlangt und erwirlgthaben, andererseits
St. Gallen darein nur unter der Bedingung, dass es sich wirklich so
verhalte, mit dem oben erwähnten Vorbehalte einwilligte. Dass die
Nachforschungen über die Staatsangehörigkeit nach erfolgter Übernahme
nachlässig betrieben worden wären und darum die _Ersatzpflicht ganz
oder doch zum Teil entfallen wiirde, ist im Verfahren. vor Bundesgericht
nicht mehr geltend gemacht worden.

Auch der Betrag der eingeklagten Vérpflegungsund Unterstützungskosten
wird eventuell nicht bestritten ; er könnte schon deshalb nicht in
Zweifel gezogenwerden, weil St. Gallen nur die Mindesttaxen verrechnet
hat, die für die Verpflegung eigener Gemeindebezw. Kantonsbürger in den
betreffenden Anstalten erhoben Werden.

Demnach erkennt das Bandesgricht : s 'siD'iesiKIage wirdssgutgeheissen
und der Kanton Luzern verpflichtet, dem ,Kanton St. Gallen die geforderten
Kosten von 1442 Fr. 55 (Its; zurückzuerstatten
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 52 I 384
Date : 19. November 1926
Published : 31. Dezember 1926
Source : Bundesgericht
Status : 52 I 384
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 384 Staatsrecht. IV. GLAUBENSUND GEWISSENSFREIHEIT LIBERTÉ DE CONSCIENCE ET DE
Classification : Bestätigung der Rechtsprechung


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