120 . Staatsrecht.

VII . PRESSFRE IHEIT

LIBERTÉ DE LA PRESSE

18. Urteil vom 19. Februar 1926 __

i. s. Huber und Hitbeteiligte gegen Obergericht Luzern. Poiizeiliche
Beschiagnahme von Druckschritten wegen straibaren Inhalts. Inwiefern
mit der Garantie der Pressfreiheit

vereinbar ? Angebiiches Fehlen einer gesetzlichen Grundlage dafür im
kantonalen Recht.

_ A. Nach § 1 des luzernischen Gesetzes über die Freiheit der Presse
vom 25. Oktober 1848 unterliegen strafbare Handlungen, die durch das
Mittel der Druckerpresse verübt Werden, den im Strafgesetzbuch für das
betreffende Vergehen aufgestellten Strafbestimmungen und weichen einzig
in den nachfolgenden Beziehungen von den sonst geltenden Vorschriften
ab . Die §§ 2 und 3 des Gesetzes ordnen die strafrechtliche Haftung
für Pressvergehen nach dem System der stufenweisen Verantwortlichkeit
(der Reihe nach zunächst der Verfasser, dann der Herausgeber, Verleger,
Drucker). Und § 5 bestimmt: Die Polizeibehörden können eine für
strafbar gehaltene Druckschrift mit Beschlag belegen. Über eine solche
Beschiagnahme soll aber im Augenblicke wo zu derselben geschritten
wird, ein förmlicher Verhalprozess aufgenommen und eine Abschrift
dem Betreffenden zugestellt werden. Die Beschlagnahme ist durch das
Kantonsblatt bekannt zu machen. Die Staatsanwaltschaft hat jedem, der
daran ein Interesse hat, vor der Gerichtsstelle. des Ortes, wo der
Beschlag erfolgte, über diese Beschlaglegung sofort Rede zu stehen,
welche Gerichtsstelle dann über die Freigebung oder Nicht-kreigebung
der Druckschrift' entscheidet. Die Appellation an das Obergericht bleibt
dabei vorbehalten. Erfolgt.... ..

Pressfreiheit. N° I 8. 121

die Beschlagnahme in mehreren Gerichtskreisen, so steht die Auswahl der
Gerichtsstelle demjenigen zu, der sich über den Beschlag beschwert. Der
Ausspruch des Gerichts gilt dann allgemein, vorbehalten auch hier die
Berufung an das Obergen'cht.

Im November 1924 erfuhr die luzernische Staatsanwaltschaft, dass ein
Flugblatt, enthaltend beleidigende Angriffe auf verschiedene luzerm'sche
Beamte hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit, von Beinwil (Kt. Aargau)
aus nach dem Kanton Luzern gebracht und hier verbreitet werden
sollte. Sie liess daher unter Mitwirkung der aargauisehen Behörden
die ganze Auflage, 30,000 Stück, in Beinwil mit Beschlag belegen
und nach Luzern ins Zentralgefängnis zur Verwahrung schaffen. Die
fragliche Druckscluikt trägt den Titel Aufforderung . Sie beginnt mit
der Einladung an Obergerichtspräsident, Nationalirat Kaspar Müller,
jenen Oberrichter, der den Rat gab, das verworfene Steuergesetz als
angenommen zu er-klären, Staatsanwalt Dr. Mayr und Amtsstatthalteradjunkt
Fellmann vor ein ausserkantonales neutrales Ehrengericht zu treten und
die auf einer schweiz. Bank deponierten 2000 Fr. einzulösen oder bis
30. November 1924 ihre Demission einzureichen. Anschliessend folgt die
Erörterung einer Reihe von Vorgängen, welche dieses Ansinnen begründen
sollen. Unterzeichnet ist die Druckschrift im Namen der Vereinigung für
Wahrheit und Recht von den heutigen Rekurrenten A. Huber, V. Valpert,
J. Furrer, F. Illy, A. Diggelmann, A. Schilter und M. Weser. Nach
erfolgter Veröffentlichung der Beschlagnahme im Amtsblatt stellten
diese sieben Unterzeichner und zwei weitere Mitglieder der Vereinigung
für Wahrheit und Recht , die heutigen Mitrekurrenten F. Wüest und
E. Pfenniger beim Amtsgericht LuzernStadt das Begehren um Freigebung der
Flugblätter. Das Amtsgericht gab diesem Antrage Folge. Auf Appellation
der Staatsanwaltschaft hob indessen das Obergericht von Luzern 2. Kammer
mit Urteil vom 19. Ok;

122 Staatsrecht.

tober 1925 den erstinstanzlichen Entscheid auf und bestätigte die
Beschlagnahme, unter Anweisung der von den Einsprechern vorbehaltenen
Schadenersatzana sprüche. '

B. Mit dem vorliegenden staatsrechtlichen Rekurse verlangen A. Huber und
Mitbeteiligte die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils wegen Verletzung
von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
, 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV und Art. 6 KV (Recht der freien Meinungs-äusserung)._
Sie beharren darauf, dass g 5 des kantonalen Pressgesetzes sich
nach seiner Entstehungsgeschichte, nach der Botschaft von 1848 zum
Gesetzesentwurfe und der Vernehmlassung des Regierungsrates von 1854
an die Bundesversammlung zu einer gegen die Rechts-f beständigkeit der
Bestimmung gerichteten Beschwerde nur auf Druckschriften beziehen könne,
die einen strafbaren Angriff gegen den Staat selbst, seine Existenz und
rechtmässigen Einrichtungen enthalten oder dazu an-· reizen, m.a.W. auf
den Fall, wo durch die Druckschrift hohe und Wichtige Rechtsgüter
der Allgemein-. heit bedroht Werden, die vor Gefährdung zu schützen
ein dringendes öffentliches Interesse bestehe. Darunter könnten aber
blosse Injurien gegenüber Behörden und Beamten (Amtsehrbeleidigungen)
nicht fallen. Den dadurch Betroffenen stehe das Mittel der Strafklage
gegen den Beleidiger offen, wobei sie im Falle eines verurteilenden
Erkenntnisses des Strafrichters den gleichen Erfolg durch die in § 30 des
Polizeistrafgesetzes vorgel sehene Konfiskation des Gegenstandes, der zur
Begehung des Vergehens gebraucht 'wurde , erreichen könnten. Gerade der
Umstand, dass eine solche Konfiskation in Verbindung mit dem Strafurteil
schon im alten, beim Erlass des Pressgesetzes geltenden Polizeistrafé
gesetz von 1836 _ vorgesehen gewesen sei, beweise zwingend, dass es für
die polizeiliche Beschlagnahme v o r Durchführung des, Strafprozesses
mehr bedürfe als des Vorliegens einer Druckschrift irgendwie strafbaren

si Inhalts. Dieses weitere Erfordernis aber müsse nach den

Pressfreiheit. N° 18. 123

Gesetzesmaterialien eben in der Natur des Vergebene, des durch das
Presserzengnis verletzten Recht'sgutes gefunden werden. Die abweichende
Auffassung des Obergerichts sei nicht haltbar und willkürlich. Hätte §
5 des Pressgesetzes wirklich den vom Obergericht angenommenen weiten
Sinn, so müsste er als mit der bundesund kantonalrechtlichen Garantie
der freien Meinungsäusserung unvereinbar und deshalb ungiltig angesehen
werden. Im vorliegenden Falle enthalte zu dem das mit Beschlag belegte
Presserzeugnis nichts, was über den Rahmen einer erlaubten, nach den
Umständen gerechtfertigten oder doch entschuldbaren und durch die
erwähnten Verfassungsgarantien gedeckten Erörterung hinausgehen würde
(was näher ausgeführt wird). Seine Verbreitung dürfe daher auch aus
diesem Grunde nicht durch polizeiliche'Massnahmen verhindert werden.

C. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern haben
die Abweisung des Bekurses beantragt. '

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. In der den Kantonen vorbehaltenen Bekämpfung des Missbrauchs der
Presse ist nach feststehender Praxis der Bundesbehörden auch die Befugnis
zur polizeilichen Beschlagnahme solcher Druckschriften inbegriffen, die
sich ihrem-Inhalte nach als eine Überschreitung des verfassungsmässigen
Rechtes freier Meinungsäusserung darstellen und den Tatbestand einer
strafbaren Handlung enthalten. Aus der Garantie der Pressfreiheit und
der Erwägung, dass die Feststellung des Vorhandenseins eines strafbaren
Unrechts Sache des Richters und nicht der Polizeibehörde ist,_ wurde
dabei immerhin die Folgerung gezogen, dass eine solche Massnahme nur v
o rl ä uf i g e n Charakter haben könne und ihr entweder die Einleitung
eines gerichteHeben strafverfahrens gegen die verantwortlichen Personen
nachfolgen oder doch dem Betroffenen gegen

124 ' Staatsrecht.

die Anordnung der Polizeibehörde der Rechtsweg offen gehalten werdenmüsse,
wie es der s 5 des luzernischen Pressgesetzes vorsieht. Im letzteren
Falle hat der Betroffene die Möglichkeit durch Anrufung des kantonalen
Richters die Aufhebung des Beschlags zu erwirken, wenn jener die
Rechtswidrigkeit des Inhalts der Veröffentlichungverneint. lm ersteren
fällt mit einem freisprechenden Urteile des Strafrichters oder der
Einstellung des Strafverfahrens durch die zuständige Behörde mangels
eines strafbaren Tatbestandes auch die vorläufige Beschlagnahme
des corpus delicti dahin (vgl. ULLMER, Staatsrechtliche Praxis der
Bundesbehörden I Nr. 180, 181, 194 (auf S. 185), S. 460; BGE 15 S. 540
Erw.2 und das nicht veröffentlichte Urteil des BG vom 5. Juni 1925
i. S. Schweizer Christenwehr gegen Regierungsrat St. Gallen; BURCKHARDT,
Kommentar 2. Aufl. S. 531). Auch bei zulassung eines gerichtlichen
Einspruchsverfahrens gegen die polizeiliche Beschlagnahme kann freilich
durch diese unter Umständen, trotz der späteren richterlichen Freigabe der
Druckschrift, ein nicht mehr abwendbarer Nachteil entstehen, dann nämlich
wenn die Druckschrift bestimmt war, auf die Beschlussfassung, Erledigung
in einer bestimmten Angelegenheit einzuwirken (Wahl, Abstimmung) und
diese Beschlussfassung, Erledigung inzwischen bereits stattgefunden
hat. Ein solches Verfahren wird zudem für die vollständige Abklärung
des T atbestandes möglicherweise nicht immer ganz dieselbe Gewähr zu
bieten vermögen wie eine in den Formen und nach den Anforderungen des
Strafprozesses durchgeführte Untersuchung. Von diesen Erwägungen aus
wird man vielleicht dazu kommen können, die polizeiliche Beschlagnahme im
Interesse des Schutzes der bundesrechtlich gewährleisteten Pressfreiheit
noch weitergehend auf die Fälle zu beschränken, wo der Tatbestand
einer in der Druckschrift und ihrer Verbreitung enthaltenen strafbaren
Handlung klar zu Tage liegt. Dagegen kann eine Begrenzung nach der
andernPresssreiheit. N° 18. 125

Richtung, die der Rekurs postuliert, nämlich dass dieses präventive
polizeiliche Einschreiten nur bei bestimmten besonders qualifizierten
Gattungen von Vergehen stattfinden dürfte, nicht schon bei blossen
Ehrbeleidigungen durch die Presse, auch nicht solchen gegenüber
Be-hörden und Beamten hinsichtlich ihrer Amtstätigkeit, aus Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.

BV nicht hergeleitet werden. Sie ist auch von den Bundesbehörden nie
aufgestellt werden. Zweck der Pressfreiheit ist es, die freie s a c h ]
i c h e Besprechung die Öffentlichkeit berührender Angelegenheiten zu
gewährleisten. Gleich wie deshalb der strafrechtlichen Verfolgung der
bei Herstellung und Verbreitung eines Presserzeugnisses beteiligten
Personen nichts entgegensteht, sobald das Erzeugnis den Rahmen einer
solchen sachlichen, durch die Umstände gerechtfertigten Erörterung
und Kritik überschreitet und deliktischen Inhalt hat, so kann auch die
Presse, wo letzteres der Fall ist, keine Ausnahmebehandlung hinsichtlich
der polizeilichen Massregeln beanspruchen, Welche bestimmt sind, den
Eintritt des strafbaren Erfolges oder doch seine weitere Ausbreitung
zu verhindern. Als Ausfluss der allgemeinen Befugnis der Polizei, der
Begehung strafbarer Handlungen vorzubeugen, müsste deshalb eine solche
Beschlagnahme da, wo die strafbare Überschreitung der Pressfreiheit durch
die Druckschrift v o n vorneherein klar liegt, bundesrechtlich selbst
dann als zulässig erachtet werden, wenn sie sich nicht, wie hier, auf
eine besondere Bestimmung des kantonalen Pressrechts zu stützen vermag. ,

Im vorliegenden Falle verstösst der Beschlag auch dann nicht gegen
Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV, wenn man ihn von jener einschränkenden Voraussetzung abhängig
machen wollte. Es genügt dafür auf die nachfolgenden zwei Stellen des
Flugbiattes zu verweisen, die sich ähnlich wie das im Urteil des BG vom
3. April 1925 in Sachen Läubli (BGE 51 I S. 169 ff.) behandelte Flugblatt
mit dem Vorgehen der · luzernischen Strafverfolgungs .und Gerichtsho-

1 26 Staats-echt.

hörden gegen Dr. Kramis, befassen: anernervollcxt Schwer lastet die
wirtschaftliche Notlage auf Euch und dennoch denkt man nicht an den Abbau
der Steuerlast. Im Gegenteil, Diejenigen, welche das Volk aufklären und
für Erleichterung der Steuerlast eintreten wollen, werden zu vernichten
gesucht. Dadurch hofft man das Volk zum Schweigen zu bringen. Dr. Kramis
ist seit Monaten für Erleichterung der Steuerlasten eingetreten,
er verlangte die Entfernung aller unfähigen und nicht notwendigen
Beamten. Derselbe ist auf Anazeige der 1. Kammer des Ohergerichts,
des Obergerichtspräsidenten Kaspar Müller, des Amtsgerichts Luz ernLand
und des Kriminalgerichts des Kantons Luzern zu vier Monaten Gefängnis
verurteilt worden. Amtsgerichtspräsident Felber von Willjsau ist
aufgefordert worden, auch nur eine Unwahrheit oder Verleumdung des Dr;
Kramis vor einem neutralen Ehrengerichte nachzuweisen. Er wagte es nicht
zu tun, hat aber das Urteil dennoch unterzeichnet. Die unterzeichneten
Männer sind bereit, vor einem ausserkantonalen neutralen Ehren-= geliebte
nachzuweisen, dass Vater Hügi nicht Brandstifter ist und wer für die
Brandstiftung wirklich verant-wortlich ist. Sie fordern überdies die
sämtlichen Beamten, welche bei der Verurteilung Hügis, Dr. Kramis,
Bernhard Hubers mitgewirkt haben, auf, vor diesem Ehren-' gerichte
einer der nachfolgenden Behauptungen als unwahr nachzuweisen. 10. Darf
der Privatmann Widersprüche und Wahrheiten unbestraft veröffentlichen
? Obschon wir nachweisen können, dass Vater Hügi nicht Brandstifter ist
und Frau Hügi, bei der sogar der Staatsanwalt 6 Monate Zuchthaus beantragt
hatte; freigesprochen wurde, sind doch Ereignisse eingetreten,die jeden
Bürger interessieren dürften. a) Dr. Kramis wurde dreimal verhaftet. Die
Interessierten mögen beweisen, dass eine einzige dieser Verhaftungen nicht
gesetzwidrig war. An beiden Stellen wird das Vorgehen gegen Kramis mit
seinen kritischen Äusserungen über

Pressfreiheit. N° 18. 127

öffentliche Angelegenheiten in Verbindung gebracht und als ein Versuch
hingestellt, diese den Behörden unhequeme Kritik zum Schweigen zu bringen,
während es in Wirklichkeit die Folge des von Kramis in seinen öffentlichen
Kundgebungen in vielfacher 'Wiederholung vorgebrachten beleidigenden
Vorwurfes war, dass die an Untersuchungsund Gerichtsverfahren gegen Hügi
beteiligten Beamten und Behörden bewusst parteiisch, Wider besseres
Wissen gehandelt und geurteilt hätten. Eine solche Anschuldigung
Missbrauch der Haft zu Zwecken persönlicher Rache geht aber über die
blosse Kritik amtlicher Handlungen hinsichtlich ihrer Ange-messenheit und
Übereinstimmung mit dem Gesetze weit hinaus. Sie enthält einen schweren
sittlichen Vorwurf an die dadurch betroffenen Behörden und Beamten, der
nur erhoben werden durfte, wenn die Rekurrenten in der Lage waren seine
Wahrheit nachzuweisen oder doch zum mindesten darzutun, dass sie daran
in guten Treuen auf Grund hinreichender objektiver Unterlagen, welche
sie dazu berechtigten, glauben durften. In dieser Hinsicht ist aber der
Rekurs durchaus stumm. Er heschränkt sich auf die _nach dem Gesagten
unzutreffende Einwendung, die Kritik amtlicher Handlungen auf ihre
Gesetzmässigkeit stehe jedermann frei; im vorliegenden Falle sei aber mehr
als eine Verhaftung ohne Vorliegen der gesetzlichenVoraussetzungen nicht
behauptet werden. Auch hier gilt, was bereits in dem vorher erwähnten
Urteile Läubli ausgeführt. worden st; die persönliche Überzeugung der
Rekurrenten', dass Hügi unschuldig sei, mag sie noch so vertretbar sein,
berechtigte sie noch nicht zu unterstellen, dass die Einleitung einer
Strafuntersuchung gegen Kramis ein durch dessen Einstehen 'für Hügi
veranlasster, einer rechtmässigen Grundlage ermangelnder Racheakt des
Gerichts und Versuch der Unterdrückung ihm unan I genehmer Wahrheiten sei.

2. Da nichts dafür vorliegt und worgebracht wird,

128 Sta atsrecht .

dass Art. 6 KV die freie Meinungsäusserung in weiterem Umkange als die
BV gewährleiste und dem Institut der Beschlagnahme engere Grenzen ziehen
wolle als diese, kann es sich deshalb nur fragen, ob sich nicht die von
den Rekurrenten postulierte Beschränkung der letzteren auf bestimmte
Vergehenskategorieri, unter Ausschluss blosser Injurien, aus dem der
Massnahme zu Grunde liegenden § 5 desluzernisehen Pressgesetzes von
1848 ergebe. Die Anwendung dieser einfachen Gesetzesisvorschrift kann
aber vom Bundesgericht nach bekannter Regel nicht frei, sondern nur
aus dem beschränkten Gesichtspunkte des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, der Willkür und
Missachtung klaren Rechts nachgeprüft werden. Nun bietet zunächst der
Wortlaut des § 4 des Pressgesetzes für die einschränkende Auslegung der
Rekurrenten keinerlei Anhaltspunkte. Er verlangt für die Zulässigkeit
der Beschlagnahme ausschliesslich das Vorliegen einer als strafbar zu
erachtenden Druckschrift. Hätte man darunter nur bestimmte, durch das
Mittel der Presse begangene Arten von Vergehen verstanden wissen wollen,
so würde man offenbar nicht unterlassen haben, dies in der Fassung zum
Ausdruck zu bringen, wie es im früheren Pressgesetz von 1842 geschehen
war, das von die sittlichkeit oder Religion verhöhnenden Druckschriften
sprach. Gerade der Umstand, dass im Gesetze von 1848 statt dessen die oben
erwähnte allgemeine Fassung gewählt wurde, spricht gegen die Annahme,
dass auch es eine gleiche oder verwandte Ausscheidung hinsichtlich der
in Betracht kommenden Vergehen habe vornehmen wollen. Wenn die Botschaft
des Regierungsrates zum Entwurfe dieses Gesetzes ausführt, der Entwurf
nehme auch auf alle diejenigen Vorsichtsmassregeln Bedacht, welche gegen
eine zügellose Presse wünschenswert, ja ein Gebot der Klugheit seien,
namentlich die vorläufige Beschlagnahme s t a a t s Î ein d li c h e
r Druckschriften, so liegt darin nicht mehr als die Anführung eines
Beispiels, keineswegs die Erklärung, dass nach derPressfreiheit. N°
18. 129

Meinung der Urheber des Entwurfes die Beschlagnahme, entgegen der Fassung
des Gesetzesartikels selbst, ausschliesslich in diesem Falle zulässig sein
solle. Und ähnliches gilt für die Äusserung der Luzerner Regierung auf dem
im Jahre 1854 gegen die Bestimmung bei der Bundesversammlung eingereichten
Rekurs, wo bemerkt wurde: überall, auch wo die ausgedehnteste
Pressfreiheit gelte, finde Beschlagnahme von Druckschriften statt :
man denke an den Fall, es werde ein offenbar-er Aufruf zur Empörung
herausgegeben oder es werden höchst-· unsittliche Gemälde oder Stiche
feilgeboten u. 8. W. Keinesfalls kann die Ablehnung der Schlüsse, welche
die Rekurrenten aus diesen Materialien für die von ihnen vertretene
Gesetzesauslegung ziehen wollen, als willkürlich gelten. Auch der
Bundesrat hat eine solche Einschränkung mit der von ihm im Jahre 1848
ausgesprochenen Genehmigung des Pressgesetzes nicht verbunden. Er begnügte
sich darauf hinzuweisen, dass § 5 des Gesetzes der Polizei allerdings
eine sehr weitgehende Machtvollkommenheit verleihe, die zu Willkür
verleiten könnte, dass aber immerhin im Hinblick auf die Eröffnung des
Rechtsweges gegen die polizeiliche Verfügung kein Grund bestehe die
Bestimmung aus dem Gesichtspunkte der Pressfreiheit als unzulässig zu
betrachten. Dass er daran nicht dachte, der Genehmi-gung den von den
Rekurrenten behaupteten begrenzten Sinn beizulegen, ergibt sich überdies
klar aus seinem auf S. 16 des angefochtenen Urteils angeführten Berichte
von 1854 an die Bundesversammlung zu der vorer-Wähnten Beschwerde,
einem Zitate, dessen Richtigkeit im Rekurse nicht bestritten wird. Auch
die im Polizeistrafgesetz vorgesehene Möglichkeit der Konfiskation von
Gegenständen, die zur Verübung eines Vergehens gebraucht wurden, durch
das Strafurteil, kann keinen stichhaltigen, geschweige denn zwingenden
Grund abgeben, um daneben eine vorsorgliche polizeiliche Beschlagnahme
nur in dem postulierten engen Rahmen

130 Staatsrecht.

.zuzulassen. Beide Massnahmen dienen nicht demselben Zwecke. Während
die Beschlagnahme die möglichen Wirkungen des Vergebens im Keime zu
unterdrücken bestimmt ist, ist die Konfiskation dazu ungeeignet und kann
nur noch die Bedeutung einer Nebenstrafe und daneben einer sichernden
Massnahme haben, wodurch eine weitere Verbreitung der Druckschrift,
als sie schon stattgefunden hat, verhütet werden soll.

Die Broschüre Enthüllte Geheimnisse , welche zum Teil die im streitigen
Flugblatt enthaltenen Anwürfe wiederholt, ist später erschienen als
das Flugblatt. Durch die Beschlagnahme des letzteren konnte sich
also die Polizeibehörde mit ihrer Haltung in jenem andern Falle noch
nicht in Widerspruch setzen. Nur ein solcher Widerspruch zu f r ü h
e r en Verfügungen in der gleichen Frage vermöchte aber den Vorwurf
der Verletzung der Rechtsgleichheit zu begründen. Abgesehen davon
ist auch der Tatbestand nach anderer Richtung nicht derselbe. Im
Gegensatz zum streitigen Flugblatt beschränkt sich die Broschüre nicht
auf ehrverletzende Angriffe gegen die Behörden. Sie enthält daneben zu
einem guten Teile auch durchaus erlaubte Meinungsäusserungen, nämlich die
Gutachten zweier Strafrechtslehrer, die zum Strafverfahren Hügi kritische
Stellung nehmen. Durch eine Beschlagnahme wäre daher der Eindruck erweckt
werden, als ob auch diese erlaubten kritischen Äusserungen unterdrückt
werden sollten.

Demnach erkennt das Bundesgericht: Der Rekurs wird abgewiesen. s. -2.-z -

Gerichtsstand. N° 19. 131

VIII. GER ICHTSSTAND

FOR

90. Urteil vom 5. März 1926 i. S. Meister gegen Amtsgerichtspräsident
Luzern Stadt, Geltung von Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV auch für die Klage gegen
mehrere in verschiedenen Kantonen wohnhafte Solidarschuldner.
Ausnahmen. Verzicht auf den Wohnsitzgerichtsstand durch konkludentes
Verhalten. Voraussetzungen für dessen Annahme.

A. Der Reknrsbeklagte Farner hat am 31. Dezember 1925 /2. Januar 1926
beim Amtsgericht Luzern Stadt eine Klage gegen 1. Max Beck, Geometer
in Luzern, 2. Hans Hindemann, Korporationsverwalter in Luzern, 3. Hans
Meister, Geometer in Aarau (den heutigen Rekurrenten) eingereicht. Er
verlangt damit die solidare Verurteilung der drei Beklagten zur Zahlung
einer Schadenersatzund Genugtuungssumme von 80,000 Fr. nebst Verzugszinsen
und die Publikation des Urteils in verschiedenen Zeitungen auf Kosten der
Beklagten. Die schriftliche Klagebegründung geht im Wesentlichen dahin :

a) dem Rekursbeklagten sei im Jahre 1914 von der Gemeinde Kriens die
Vermarkung und Vermessung des Gemeindegebietes übertragen worden. Nach
Beendigung des Werkes hätten Geometer Beck und Korporationsverwalter
Hindemann eine Anzahl interessierter Grundeigentümer bewogen, heim
Regierungsrat von Luzern eine Beschwerde gegen die Vermessungskom-mission
der Gemeinde Kriens und gegen den Rekurrenten einzureichen. Der
Regierungsrat habe eine Expertise angeordnet und den Rekurrenten Meister
als Experten bestellt. Dieser habe ein Gutachten erstattet, das eine
unberechtigte, unbelegte und in manchen Teilen
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Document : 52 I 120
Date : 19. Februar 1926
Published : 31. Dezember 1926
Source : Bundesgericht
Status : 52 I 120
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 120 . Staatsrecht. VII . PRESSFRE IHEIT LIBERTÉ DE LA PRESSE 18. Urteil vom 19.


Legislation register
BV: 4  55  59
BGE-register
51-I-169
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