534 Obligationenrecht. N° 81 .

merken, dass sich die Beklagte im damaligen Zeitpunkte bewusst sein
musste, dass dem Kläger dadurch kein * Ersatz für die ihm durch die
Entlassung als Fabrikarbeiter zugefügte Schädigung geboten wurde; hatte
doch schon vor der Entlassung des Klägers die über die Uhrenindustrie
ausgebrochene Krise einen Umfang angenommen, dass die Firma Bill &
Co. sich genötigt sah, ihren Betrieb vom 22. Dezember 1924 bis zum
5. Januar 1925 überhaupt ganz einzustellen. Unter diesen Umständen waren
natürlich die Verdienstaussichten für einen Heimarbeiter, der, wie Bill
in seiner Einvernahme selber hervorgehoben hat, begreiflieherweise erst
nach den Fabrikarbeitem berücksichtigt werden konnte, ausserordentlich
klein. Ebenso musste sich die Beklagte bewusst sein, dass der Kläger in
der damaligen Krisenzeit, deren Ende nicht vorauszusehen war, infolge
des herrschenden Arbeitsmangels auf keine Anstellung in einem andern
Betriebe rechnen konnte, auch wenn es was hier dahingestellt bleiben mag
zutreffen sollte, dass die Beklagte keine besonderen Schritte unternommen
hat, um dem Kläger eine solche Anstellung zu verunmögliehen. '

7. Muss somit die vorliegende Verdrängung, weil sie von der Beklagten
durch unzulässige Ausnutzung ihrer Machtstellung bewerkstelligt werden
ist, als unerlaubt bezeichnet werden, so berechtigt das den Kläger jedoch
nicht, die Aufhebung der bezüglichen Verbandsbeschlüsse der Beklagten zu
verlangen, wie dies in Klagebegehren Ziffer 1 geschah. Denn ein Recht
zur Anfechtung von Vereinsbeschlüssen steht gemäss Art. 75
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
ZGB nur
den Vereinsmitgliedern, nicht aber einer dem Verein nicht angehörenden
Drittperson zu. Dagegen muss der Anspruch des Klägers auf Ersatz des
ihm durch die unerlaubte Verdrängung entstandenen Schadens gutgeheissen
werden. Die Angelegenheit ist daher zur Feststellung des Umfanges dieses
Schadens an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Drums:-echt. N° 82. 535

Demnach erkennt das Bundesgericht .-

Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 25. Juni 1925 aufgehoben und die Angelegenheit zur
neuen Beurteilung im Sinne der Motive an die Vorinstanz. zurück-

gewiesen.

VI. PROZESSRECHT

PROCEDURE

82. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. November 1925 i. S. Courvcisier
gegen Moser.

Berufung, Streitwert. OG Art. 63 Ziff. 1, 71 Abs. III u. IV. Bei nicht
in einer bestimmten Geldsumme bezifferten Schadenersatzansprüchen ist
schon im kantonalen Verfahren anzugeben nicht nur, dass der geforderte
Höchstbetrag 4000 Fr., sondern dass er 8000 Fr. erreiche, damit das
mündliche Berufungsveriahren stattfinden kann.

A. Am 19. Oktober 1924, abends, erlitt der Kläger Courvoisier auf
der Staatsstrasse Biel-Reuehenette einen Unfall, indem er mit seinem
Motorrad auf einen Erdund Kieshaufen stiess. Er machte den Beklagten
Moser, der eine Strassenbauunternehmung betreibt, und vom Staat Bern
mit der Wiederherstellung des Strassenbetts beauftragt worden war,
für die Folgen des Unfalls verantwortlich, und hob am 26. Februar 1925
beim Appellationshof des Kantons Bern Klage an, mit dem Rechtsbegehren,
derBeklagte habe ihm eine a angemessene Entsehädigung nebst gesetzlichem
Zins zu bezahlen. In der Klageschrift heisst es, der Streitwert übersteige
4000 Fr., ohne dass dieser oder die geforderte Summe ihrer Höhe nach
näher angegeben werden. Aus den Akten ist auch nicht ersichtlich, dass der
Kläger später den geforderten Betrag präzisiert hätte. Insbesondere ergibt

536 Prozessrecht. N° 82.

sich nicht aus den Angaben des Klägers über den eingetretenen Schaden,
dass jener etwa einen 8000 Fr. erreichenden Betrag fordern wollte.

. B. Der Appellationshof des Kantons Bern hat mit Urteil vom 10. Juli
1925 die Klage abgewiesen.

C. Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht
erklärt, mit dem Bemerken, der Streitwert übersteige 8000 Fr., und dem
Antrag auf Gutheissung der Klage im Betrag von 15,000 Fr.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Da im Klagehegehren die geforderte Schadenersatzsumme nicht
ziffermässig angegeben ist, sondern der Kläger die Bestimmung der
Entschädigung in das richterliche Ermessen gestellt hat, wobei in der
Klageschrift lediglich bemerkt wird, der Streitwert übersteige 4000
Fr., und den Akten nicht zu entnehmen ist, dass der Kläger in einem
spätern Stadium des kantonalen Verfahrens die Klagesumme näher beziffert
habe, herrscht Ungewissheit darüber, ob vor der kantonalen Instanz der
Streitwert 8000 Fr. erreicht habe oder nicht. Es fragt sich, ob bei dieser
Sachlage die nachträglichen Angaben in der Berufungserklärung genügen,
um das mündliche Berufungsverfahren als" anwendbar zu betrachten, oder,
ob das schriftliche Verfahren Platz greife.

2. Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheidungen darauf hingewiesen,
dass das Erfordernis des Art. 63 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
OG, wonach bei Schadenersatzund
ähnlichen Ansprüchen, soweit dieselben nicht in Ziffern ausgedrückt sind,
in der Klage anzugeben ist, ob der geforderte Höchstbetrag mindestens
4000 Fr. erreicht, nicht nur Bedeutung habe dafür, ob die Zuständigkeit
des Bundesgerichts in Hinsicht auf den Streitwert gegeben sei, sondern
auch für die Lösung der Frage der Anwendbarkeit des mündlichen oder des
schriftlichen Berufungsverfahrens, und es nicht angehe, die mangelnde
Präzisierung erst in der Berufungserklärung an das

Prozessrecht. N° 82. 537

Bundesgericht nachzuholen. So wurde im Urteil vom 19. April 1902
i. S.. Krauss und Gen. g. Assfalg (BGE 28 II 326/27) ausgeführt,
dass wenn es im Willen der Parteien stünde, schon in der Klage einen
Streitwert anzugeben oder nicht, sie nicht nur einer, ihrem Streitwert
nach zur Berufung nicht zulässigen Rechtsstreitigkeit durch entsprechende
Festsetzung des Streitwerts in der, bundesgerichtlichen Instanz die
Berufungsfähigkeit erteilen könnten, sondern nach ihrem Belieben das
mündliche oder das schriftliche Verfahren vor Bundesgericht einträte,
je nachdem sie als Streitwert 2000 bis 4000 Fr. (nunmehr 4000 bis 8000
Fr.) oder einen höheren Betrag in der Berufungsschrift festzusetzen
sich entschlossen; ein solches Prozessverfahren stehe aber mit der
Notwendigkeit einer geordneten und raschen Abwicklung der Berufungen
nicht im Einklang, und liege am allerwenigsten im Interesse der
Parteien selbst. Ferner ist zu verweisen auf BGE 40 II I66, wo das
Bundesgericht seine Kompetenz mit der Begründung verneint hat, der
Kläger habe unterlassen, nach Art. 63
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
Ziff. ] OG anzugeben, ob der
geforderte Höchstbetrag 2000 Fr. bezw. 4000 Fr. (d. h. nunmehr 4000
Fr. bezw. 8000) erreiche oder nicht, sowie auf eine Bemerkung in BGE
47 II 224 Abs. 2, dass der Streitwert mindestens 4000 Fr. (jetzt 8000
Fr.) betragen müsste, da keine die Berufung begründende Rechtsschrift
eingereicht worden sei, was nach dem Zusammenhang nur den Sinn haben
kann, dass der aus den kantonalen Akten sich ergebende Streitwert zum
mindesten jenen Betrag erreichen müsste. Endlich hat das Bundesgericht
in einem neuesten Urteil vom 27. November 1924 i. S. Kundertg. Kundert
(BGE 50 II 431 f.) ausgesprochen, dass kraft des zwingenden Charakters
der im Interesse einer geordneten Prozessführung aufgestellten Vorschrift
des Art. 63 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
OG die Beurteilung eines nicht bezifferten Anspruches
durch das Bundesgericht selbst dann versagt bleibe, wenn die betreffende
Streitsache infolge Geltend--

538 Prozessrecht. N° 82.

machung weiterer Ansprüche, durch die allein schon die bundesgerichtliche
Kompetenz gegeben sei, zur Beurteilung durch das Bundesgericht gelange;
denn wenn es den Parteien anheimstünde, die Höhe eines derartigen
Anspruchs erst vor Bundesgericht festzusetzen, so hätten'sie es in der
Hand, durch Einsetzung eines entsprechend hohen Betrages zu bewirken,
dass in einer Streitsache, die sonst im schriftlichen Verfahren zu
erledigen wäre, eine mündliche Parteiverhandlung angeordnet werden
müsste. Dafür, dass die Präzisierung des Streitwertes, aus der sich die
Lösung der Frage ergiht, ob jeweilen das mündliche oder das schriftliche
Berufungsverfahren zutreffe, nicht erst anlässlich der Berufung an das
Bundesgericht erfolgen darf, spricht auch der Umstand, dass _es, wie für
die Frage der Zuständigkeit des Bundesgerichts an sich, so auch für die
Bestimmung des einzuschlagenden Berufungsverfahrens auf den Streitwert
nach der Prozesslage vor der letzten kantonalen Instanz ankommt (OG
Art. 59 in Verbindung mit 71; WEISS, Berufung 75 u. 108 VI). Darnach muss
bei Schadenersatzund ähnlichen Streitigkeiten im Sinn von Art. 63 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.

OG, bei denen nach dem Streitwert das mündliche Berufungsverfahren in
Frage kommen kann, richtigerweise schon in der Klage, spätestens aber
vor der obern kantonalen Instanz angegeben werden, ob der Streitwert
8000 Fr. erreicht oder nicht; erfüllt der Kläger dieses Erfordernis
nicht und ergibt sich auch sonst aus den kantonalen Akten nicht, dass
tatsächlich ein 8000 Fr. erreichender Betrag gefordert wird und vor der
obern kantonalen Instanz noch streitig war, so trifft das schriftliche
Berufungsverfahren zu, selbst wenn in der Berufungserklärung nachträglich
angegeben wird, der Streitwert erreiche oder übersteige 8000 Fr. Denn
damit das mündliche Berufungsverfahren angeordnet wird, muss nach
Art. 71 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
OG feststehen, dass der Streitwert 8000 Fr. erreicht.
3. Im vorliegenden Fall hätte deshalb der Kläger

Prozessrecht. N° 83. ' 539

eine die Berufung begründende Rechtsschrift einreichen sollen. Da
im schriftlichen Berufungsverfahren die schriftliche Begründung der
Berufung eine Prozessvoraussetzung ist (Art. 67 Abs. IV OG; BGE 51 II
343
ff : Plenarentscheid des Bundesgerichts vom 3. Juli 1925 i. S. Moos
g. Kaufmann), macht die Unterlassung dieser Verkehr die Berufung
unwirksam.

Demnach erkennt das Bundesgericht: Auf die Berufung wird nicht
eingetreten.

83. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Dezember 1925
i. S. Erbengemeinschaft Stamm gegen Stamm.

Die Erben eines während der Dauer des Scheidungsprezesses verstorbenen
Ehegatten sind nicht befugt, den bei dessen Tod noch pendenten
Scheidungsprozess fortzusetzen. Sie haben auch keinen Anspruch auf
Feststellung des Scheide ungsanspruches des verstorbenen gegen den
über-lebenden Ehegatten, um damit einen Ausschluss des letztem von der
Erbberechtigung wegen Erbunwürdigkeit zu erwirken.

Das ZGB enthält keine Vorschrift, wonach ein infolge Weiter- zuges
nicht in Rechtskraft erwachsenes Scheidungsurteil infolge des Todes
eines Ehegatten rechtskräftig werde.

A. Mit Urteil vom 24. Juni 1925 hat das Kantons-' gericht Schaffhausen die
von Frau Verena StammWalter gegen ihren Ehemann Georg Stamm eingereichte
Scheidungsklage gutgeheissen und die Ehe der Parteien als mit heute
gänzlich geschieden erklärt. '

B. Gegen diesen Entscheid hat der Beklagte am30. Juni 1925 die Berufung
an das Obergericht des Kaki- tons Schaffhausen erklärt.

C. Noch bevor über diese Berufung entschieden werden konnte, starb die
Klägerin am 15. August, worauf ihr ehemaliger Vertreter, Dr Isler, am
10. September beim Obergericht den Antrag stellte, es sei die B e r u
f u n g als durch den Tod der Klägerin gegen -
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 51 II 535
Datum : 05. Januar 1925
Publiziert : 31. Dezember 1925
Quelle : Bundesgericht
Status : 51 II 535
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 534 Obligationenrecht. N° 81 . merken, dass sich die Beklagte im damaligen Zeitpunkte


Gesetzesregister
OG: 63  71
ZGB: 75
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 75 - Beschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Gericht anfechten.
BGE Register
28-II-325 • 40-II-1 • 47-II-223 • 50-II-430 • 51-II-343
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
streitwert • bundesgericht • beklagter • frage • ehegatte • schaden • tod • schriftliches verfahren • klageschrift • rechtsbegehren • kantonales verfahren • vorinstanz • entscheid • kantonsgericht • richterliche behörde • begründung des entscheids • unternehmung • berechnung • beschwerdeschrift • rechtskraft
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