384 Erbrecht. N° 62.

gestanden habe, so liegt doch nicht eine für den Richter verbindliche
Anerkennung dieses Rechtes vor, welche der Entscheidung auch heute noch
zu Grunde gelegt werden müsste, nachdem der Beklagte das Wahlrecht als
verwirkt verneint wissen will.

3. Gegen die Beurteilung des Rentenansprnches durch die Vorinstanz
wendet die Klägerin speziell noch ein, dass er weder vom Bezirksamt zum
Gegenstand einer Entscheidung, noch vom Beklagten zum Gegenstand der
Widerklage gemacht worden sei, wodurch ihr verschlossen wurde, ihren
Anspruch auf Herabsetzung dieser Rente mindestens noch einredeweise
gemäss Art. 533 Abs. 3 ZGB geltend zu machen; ausserdem handle es sich um
eine rechtlich unmögliche Verfügung. Allein auf diese Streitpunkte kann
eigentlich gar nicht mehr eingetreten werden, nachdem die Klägerin Dîsp. 2
des Urteils der Vorinstanz nicht angefochten hat, obwohl die Zulassung
der Verrechnung mit dem Rentenanspmch in d i e s e r Urteilsbestimmung
zum Ausdruck gelangt ist dadurch, dass der Hauptklageantrag 2 nicht
schlechtweg, sondern nur im Sinne der Motive zugesprochen wurde. Sodann
ist nach kantonalem Prozessrecht zu beurteilen und daher vom Bundesgericht
nicht nachzupriifen, oh die Vorinstanz auf die Verrechnungseinrede
des Beklagten eintreten durfte, obwohl sie im Verfahren vor dem
Teilungsamt nicht erhoben worden zu sein scheint und nicht vermittelst
eines selbständigen Begehrens um Abänderung der Entscheidung dieses
Amtes geltend gemacht wurde; namentlich ist in einem von kantonalen
Gerichten instruierten Prozess die Anrufung des Art. 4 BZP durchaus
verfehlt. Übrigens hinderte diese Art und Weise der Geltendmachung die
Klägerin nicht, die Herabsetzungseinrede replicando zu erheben; sie ist
jedoch nicht genügend substantiiert werden. Material] wäre gegebenenfalls
der Vorinstanz beizustimmen, welche den Standpunkt der Klägerin, dass
die Verfügung rechtlich unmöglich sei, mit zu-Sachenrccht. N° 63. 385

treffenden Gründen si zurückgewiesen hat; dies ergibt sich schon aus dem
sub Ziff. 2 hievor Ausgeführten, wonach die übermässige Belastung eines
Erben mit Rentenverpflichtungen ihm einfach einen Herabsetzungs-anspruch
verleiht.

Demnach erkennt das Bundesgerichi :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von
St. Gallen vom 18. Mai 1925 hestätigt.

II I. SACHENRECHT

DRO ITS RÉELS

63. Urteil der II. Zivilahteilung vom 10. September 1925 i. S. Gerber
gegen Kanton Luzern.

Bundeszivilprozess (Gesetz vom 22. November 1850): Art. 45, 89,98
ff. Inwiefern ist neues Vorbringen in der Duplik zulässig ? (Erw. 2).

Haftpflicht der Kantone für die Grundhuchbeamten:

Besteht sie schon vor Einführung des Grundbuches nach ZGB ? (Erw. 2).

Frage, ob die Entkräftung und Löschung von Inhaberschuldhriefen ohne
Löschungsbewilligung des letzten Inhabers einen Akt gesetzwidriger
Grundhnohkührung darstellt, besonders im Hinblick auf die Organisation
des Grundbuchwesens im Kanton Luzern (Erw. 3).

Verjährung: Geltung der einjährigen Frist des Art. 60 OR (Erw. 4).

ZGB Art. 801, 856, 857, 864, 955, 964, Schlusstitel Art. 47, 48; OR
Art. 60, 127, 138.

Der Kläger war Eigentümer von sechs im Jahre 1918 errichteten
Inhaberschuldbriefen zu 5000 Fr. und zehn gleichartigen Pfandtiteln zu
2000 Fr. auf der Liegen-

386 Sachenrecht. N° 63.

schaft Mattmannhof in Inwil (Kanton Luzern) des Peter Bieri; ausserdem
war eine weitere Forderung des Klägers an Bieri von 6600 Fr. durch
Grundpfandverschreibung auf der gleichen Liegenschaft versichert.
Als Bier-i einen Teil dieser Liegenschaft an Hermann Zemp weiterverkaufte,
nahm die Hypothekarkanzlei Rothenburg gemäss Art. 833 ZGB und Art. 87 der
Gnmdbuchverordnung eine Verteilung der Grundpfandrechte auf die beiden
Teilstücke vor und brachte sie den Grundpiandgläubigern am 13. August 1920
zur Kenntnis mit dem Beifügen, dass sie Ahbezahlung ihrer Pfandforderungen
innert Jahresfrist verlangen können. Hierauf kündete der Kläger am
7. September 1920 seine sämtlichen Kapitalforderungen zur Zahlung
innerhalb eines Jahres von heute hinweg . Nachdem die Rück-zahlung von
vier Schuldbriefen zu 5000 Fr. und acht Schuldbriefen zu 2000 Fr. sowie
der Grundpfandverschreibung bereits vorzeitig stattgefunden hatte,
also noch je zwei Schuldbriefe zu 5000 Fr. und 2000 Fr. ausstanden,
richtete die Gemeindekanzlei Inwil am 15. Juli 1921 folgendes Schreiben
an den Kläger:

Wie mir Peter Bieri ...... mitgeteilt, haben Sie ihm versprochen,
die vier Schuldbriefe ...... der Gemeinderatskanzlei Inwil zur
Kassationreinzusenden und werden Sie andurch höflich ersucht, diese. Titel
umgehend anherzusenden, damit die Ablösung erfolgen kann.

Gleichzeitig werden Sie ersucht, die beiliegende Bescheinigung
betreffend Grundpfandverschreibung zu unterzeichnen und gleichzeitig
mit den Schuldbriefen anherzusenden, indem die Rückgabe des
Grundpfandverschreibungsaktes nicht genügt.

Am I. August sodann schrieb die Gemeindekanzlei Inwil an den Kläger,
welcher der Aufforderung keine Folge gegeben und sich auch nicht sonstwie
geäussert hatte : Bezugnehmend auf unsere Zuschrift vom 15. Juli 1921
ersuchen wir Sie hiernit'nochmals um umgebende Einsendung der vier
Schuldbriefe ...... von zusammen

Sachenrecht. N° 63. 387

14,000 Fr ...... auf Bieri ...... , sowie der Löschungsbewilligung
betreff Grundpfandverschreibung. Bieri hat die ganze Ablösung in Ordnung
und erleidet durch die Verzögerung Schaden.

Hierauf sandte der Kläger die betreffenden Schuldbriefe und die
unterzeichnete Löschungsbewilligung für die Grundpfandverschreibung an die
Gemeindekanzlei Inwil und diese leitete mit Schreiben vom 12. Augnse 1921
sowohl die Schuldbriefe als den Auszug über dit Grundpfandverschreibung
nebst der Löschungsbewiliigung an die Hypothekarkanzlei Rothenburg zur
Kassation weiter, welche am 17. August erfolgte. Gleichzeitig legte die
Gemeindekanzlei der Hypothekarkanzlei die Konzepte für neue Inhaberoder
Eigentümerschuldbriefe mit gleicher Piandstelle vor, deren Errichtung
Bieri schon früher beantragt hatte; diese wurden ihm dann am 31. August
von der Hypothekarkanzlei ausgeliefert. Am 11. März 1922 schrieb der
Kläger an die Gemeindekanzlei Inwil: Ich habe Ihnen seinerzeit die vier
Schuldbriefe ab Mattmannhof ...... zur Ablösung geschickt. Peter Bieri
wird die Schuldscheine aber nicht eingelöst haben, denn ich erhielt weder
Kapital noch Zins. Ich möchte Sie hiemit bitten, mir Auskunft zu erteilen,
wie es mit dem Bieri stehe und was ich zu tun habe.

Zwei Tage später wurde über Bieri, der die neu el'-' richteten
Schuldbriefe längst versilbert hatte, der Konkurs eröffnet; die
Liquidation wurde im summarischen Verfahren durchgeführt. Der Kläger
wurde mit seiner Forderung an Schuldbriefkapital und -zinsen in fünfter
Klasse zugelassen; laut Verteilungsliste vom 20. Oktober 1922 wird
ihm keine Dividende ausgerichtet, was ihm das Konkursamt übrigens
schon am 18. September 1922 mitgeteilt hatte. Am 20. September
1922 erhob der Kläger zunächst Schadenersatzldage für 14,000 Fr.
gegen Gemeinderatsschreiber Rast in Inwil; doch wurde er durch Urteil
des Obergerichts des Kantons Luzern

3'88 Sachenrecht. N° 63.

vom 8. Februar 1924 abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung,
der Kläger habe seine Klage nicht auf das kantonale Sonderrecht über die
Beamtenverantwortlichkeit gestützt und namentlich auch das vorgeschriebene
Vorverfahren nicht durchgeführt.

Mit der vorliegenden am 23. Oktober 1924 an das Bundesgericht gerichteten
Klage verlangt der Kläger unter Anrufung des Art. 955 ZGB Verurteilung des
Kantons Luzern zur Zahlung von Schadenersatz im Betrage der verlorenen
Schuldbriefforderungen nebst Zwischenund Verzugszinsen. Der Beklagte
hat auf Abweisung der Klage antragen lassen ......

Während der Dauer des Prozesses wurde Bieri, gegen welchen der Kläger
Strafanzeige erstattet hatte, durch Urteil des Kriminalgerichts des
Kantons Luzern vom 8. Mai 1925 wegen Unterschlagung, begangen durch
Verbrauch des Erlöses der neuer-richteten Schuldhriefe, bestraft; doch
hat er gegen dieses Urteil die Appellation erklärt, die gegenwärtig noch
hängig ist.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. (E.inrede der mangelnden Aktivlegitimation.)

2. Sodann hat der Beklagte die Einrede der man gelnden Passivlegitimation
erhoben mit der Begründung, den Kanton Luzern könne keinerlei
Verantwortlichkeit aus der Führung des Grundbuches gemäss Art. 955 ZGB
treffen, solange dort nicht das Grundbuch nach ZGB eingeführt Werde,
was bisher noch nicht geschehen sei. Obwohl dieser Standpunkt erst in
der Duplikschrift eingenommen wurde, kann der Beklagte doch nicht etwa
damit ausgeschlossen werden, wie der Kläger in der heutigen Verhandlung
angedeutet hat, weil die Tatsache, dass das Grundbuch nach ZGB im
Kanton Luzern noch nicht eingeführt worden ist, nicht erst in jenem
Prozesstadium, sondern schon vorher, insbesondere Vom Kläger selbst,
behauptet wurde und die Einrede im übrigen ausschliessiich eine Frage der

Sachenrecht. N° 63. 389

Hechtsanwendung beschlägt, welche dem Bundesgericht von Amtes wegen
obliegt. Diese Rechtsfrage aber hat das Bundesgericht im Urteil vom
27. November 1924 i. S. Gebr. Fretz A..-G. gegen den Kanton Waliis
bereits in für den Beklagten ungünstigem Sinne gelöst. Dort ist
ausgeführt worden, dass die Haftpflicht der Kantone gemäss Art. 955 ZGB
für ungesetzliche Schuldbriefausstellung auch da besteht, wo weder das
Grundbuch nach ZGB bereits eingeführt, noch eine andere Einrichtung
ihm gleichgestellt, sondern gemäss Art. 48 des schlusstitels des
ZGB kantonalen Formen Grundbuchwirkung beigelegt worden ist, weil die
Ausstellung des SchuldbriefPfandtitels gemäss Art. 856 und 857 ZGB eine
vom Inkrafttreten des ZGB an notwendigerweise vorzu-nehmendeAmtsfunktion
des Grundhuchverwalters darstellt, dabei also Grundbuchführung und
Pfandtitelausstellnng nicht auseinandergehalten werden können, mit
anderen Worten letztere seit dem Inkrafttreten des ZGB einen Teil
der Grundbuchführung bildet, und das Sachenrecht des ZGB auch ohne
Anlage des Grundbuches nach ZGB in Kraft getreten ist mit der einzigen
Einschränkung, dass eine Grundbuchwirkung zugunsten des gutgläubigen
Dritten ausgeschlossen ist (Art. 47 , 48 Abs. 3 des Schlusstitels des
ZGB). Die Verantwortlichkeit der Kantone für den aus der Führung des
Grundbuches entstandenen Schaden bildet nicht etwa nur das Gegenstück
der Grundbuchwirkung zugunsten des gutgläubigen Dritten, sondern
lässt sich unter dem allgemeinen Gesichtspunkt rechtfertigen, dass der
gesamte rechtsgeschäftliche Verkehr betreffend Liegenschaften nur durch
Vermittlung der Grundbuchführung vor sich gehen kann. Nicht wesentlich
anders als mit der Schuldbriefausstellung verhält es sich bezüglich der
Entkräftung des Schuldbrief Pfandtitels gemäss Art. 864 ZGB und Art. 64
der Grundbuchverordnung; infolgedessen kann auch die Haftpflicht der
Kantone gemäss Art. 955 ZGB für ungesetz--

390 Sachenrecht. N° 63.

liche Schuldbriefentkräftung in Verbindung mit der Löschung im kantonalen
Pfandregister nicht Ver. neint werden.

3. Zu Unrecht bestreitet der Beklagte, dass der Kläger durch einen
Akt gesetzwidriger Grundbuchführung in dem eben umschriebenen Sinne
geschädigt worden sei. Nach Art. 964 ZGB bedarf es zur Löschung
eines Eintrages einer schriftlichen Erklärung der aus dem Eintrage
berechtigten Person, und diese Vorschrift gilt nach dem Ausgeführten
auch im Kanton Luzern, we zwar die Grundbücher noch nicht angelegt
worden sind, jedoch gemäss Art. 48 des Schlusstitels des ZGB und § 131
EG zum ZGB der Eintragung einer Löschung im Hypothekarprotokoll diejenige
Wirkung zukommt, welche das ZGB derLöschung eines Grundpfandeintrages im
Grundbuch beilegt, nämlich das Grundpfandrecht zum Untergang zu bringen
(Art. 801 ZGB). Bei Inhaberpfandtiteln ist aus dem Eintrag berechtigt
der jeweilige Inhaber der Urkunde; infolgedessen bedarf es zu deren
Löschung, welche ihrerseits die Entkräftung des Pfandtitels voraussetzt
(Art. 864 ZGB), einer schriftlichen Erklärung des Inhabers der Urkunde,
der sie zur Entkräftung vorzulegen in der Lage ist. Vorliegend hat nun
aber der Hypothekarschreiber von Rothenburg die in Rede stehenden
Inhaberschuldbriefe des Klägers entkräftet und deren Löschung
im Hypothekarprotokoll eingetragen, ohne durch eine schriftliche
Löschungsbewilligung des Klägers dazu ermächtigt zu sein ; auf diese
Weise hat der Kläger durch einen Akt gesetzwidriger Grundbuchführung
die Pfandsieherung' der den Schuldbriefen zu Grunde liegenden Forderung
an Bieri verloren, welche sich ohne diese Sicherung als wertlos erwies,
während das Pfand volle Deckung bot, wie ernstlich nicht bestritten ist.

Demgegenüber liesse sich nicht etwa einwenden, dass -

der Hypothekarschreiber zur Entkräftung der Schuldbriefe und Löschung
derselben befugt gewesen Wäre,

Sachenrecht. N° 63. 391

wenn auch nur eine schriftliche Löschungsbewilligung des Schuldners
Bieri vorgelegen hätte, Weil er nicht wusste, dass ein anderer
als Bieri letzter Inhaber der Schuldbriefe war. Abgesehen davon,
dass dieses Tatbestandsmoment sich nicht verwirklicht hat, sodass es
bei der Beurteilung nicht in Betracht fallen kann, stellt schon die
Entgegennahme der Schuldbriefe durch den Gemeinderatsschreiber von
Inwil einen Akt der Grundbuchführung dar. Im Kanton Luzern ist nämlich
die Handhabung der Forrnen, welchen bis zur Einführung des Grundbuches
Grundbuchwirkung zukommt, nicht ausschliesslich den Hypothekarschreibern
(Kreisbezw. kantonalen Beamten) übertragen, sondern unter diese und die
Gemeinderatsschreiber (Gemeindebeamte) aufgeteilt ; so sind letztere
insbesondere berechtigt, Pfandtitel zur Entkräftigung entgegenzunehmen,
wie das Obergericht in seinem Urteil in Sachen des Klägers gegen
Gemeindeschreiber Rast ausdrücklich festgestellt hat und sich
unwiderleglich daraus ergibt, dass das kantonale Gesetz vom 16. Mai 1917
betreffend die teilweise Abänderung des Gesetzes über den Gebührentarif
vorsieht, dass hiefür wie noch für eine ganze Reihe anderer Verrichtungen
im Grundpfandund Handänderungswesen _dem Gemeinderatsschreiber eine Gebühr
zu entrichten ist, welche im vorliegenden Fall denn auch im Gebührenbuch
der Gemeinderatskanzlei Inwil eingeschrieben wurde. Unter diesen Umständen
hätte der Beklagte nicht den Standpunkt einnehmen können, es sei für den
Grundbuchverwalter nicht ersichtlich gewesen, dass nicht Bieri die aus dem
Eintrag der Schuldhriefe berechtigte Person war, welcher deren Löschung
zu bewilligen zukomme; denn bezüglich der Entkräftung von Pfandtiteln
ist als Grundbuchbeamter ebensoon wie der Hypothekarschreiber auch der
Gemeinderatsschreiber anzusehen, welchem sie eingereicht worden sind. Wäre
aber der Kläger von Rast um eine Löschungsbewilligung angegangen worden,
so AS 51 II -1925 26

392 Sachenrecht. N° 63.

hätte sich sofort herausgestellt, dass er nur gegen Bezahlung der
Schuldbriefe in deren Entkräftung und die Löschung der bezüglichen
Einträge einwillige; ' die Schädigung Würde also bei Beobachtung der
Vorschrift des Art. 964 ZGB, welche dem Schutz der dinglich Berechtigten
gegen ungerechtfertigt-e Löschung ihrer dinglichen Rechte zu dienen
bestimmt ist, vermieden werden sein. Danach kommt für die Haftpflicht
des Beklagten nichts darauf an, ob mit dem Kriminalgericht angenommen
werde, Gemeinderatsschreiber Rast habe durch seinen Brief vom 15. Juli
1921 den Kläger absichtlich darüber getäuscht, dass das zur Einlösung der
Schuldbriefe notwendige Geld bereits auf der Gemeindekanzlei bereit liege,
oder ob, wie jener behauptet, Bieri ihm vor-getäuscht habe, der Kläger
gebe sich damit zufrieden, dass er,'Bieri, ihm seinerzeit den Erlös
aus den an Stelle der eingeforderten neu zu errichtenden Schuldbriefe
abliefern werde.

4. Weiter hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben,
davon ausgehend, dass die einjährige Verjährungsfrist des Art. 60 OR
gelte. Dieser Auffassung scheint zunächst Art. 12 ? OR entgegenzustehen,
wonach all e Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas
anderes bestimmt, mit Ablauf von zehn Jahren verjähren. Die Anwendung
dieser Vorschrift auf die Verantwortlichkeit der Kantone für die
Grundbuchführung lässt sich nicht etwa unter dem Gesichtspunkte verneinen,
dass die Haftpflicht des Staates für seine Beamten dem öffentlichen Recht
angehöre, nachdem die Ordnung dieser besonderen Art der Haftpflicht des
Staates durch eine Vorschrift der Bundeszivilgesetzgebung erfolgt ist. Nun
hat aber das Bundesgericht ausgesprochen, dass die Vorschrift des Art. 60
(früher 69) OR über die Verjährung der Ansprüche auf Schadenersatz aus
unerlaubten Handlungen nicht nur für solche Ansprüche gelte, welche
sich auf Vorschriften stützen, die im Abschnitt über die Entstehung
der Obligationen

Sachenrecht. N° 63. 393

durch unerlaubte Handlung (Art. 41 ff ., früher 50 ff.) des OR
untergebracht sind, sondern auch für Ansprüche ähnlicher Art, welche
sich auf anderweitige Vorschriften stützen, nämlich:

Art. 876 OR (wegen unbefugten Gebrauchs einer Firma, AS 21 S. 601 f.);

Art. 273 SchKG (wegen ungerechtfertigten Arrestes, AS 31 II S. 257
f. Erw. 2a);

Art. 671 OR (Verantwortlichkeit der Gründer einer Aktiengesellschaft,
AS 32 II 277 ff. Erw. 4; 33 II S. 257; 34 II S. 27 ff. Erw. 2);

Art. 672 OR (Verantwortlichkeit bei Emission von Aktien oder Obligationen
einer bereits konstituierten Aktiengesellschaft, Urteil vom 29. Dezember
1908, abgedruckt in den Blättern für Zürcherische Rechtsprechung, neue
Folge 8 S. 163);

Art. 833 ZGB, früher Art. 61 aOR (Verantwortlichkeit des Familienhauptes,
AS 43 II S. 210 ff.). Diese Rechtsprechung beruht in erster Linie auf
der Überlegung, dass es sich in allen diesen Fällen gleichwie in den in
Art. 41 ff . OR geregelten um die Verletzung von Rechten, Rechtsgütern
oder rechtlich geschützten Interessen handelt, die nicht durch Vertrag,
sondern durch die allgemeine Rechtsordnung oder anfällig durch besondere
Schutzgesetze begründet sind; ausserdem wird sie durch Gründe praktischer
Natur gerechtfertigt. Dagegen ist nicht entscheidende Bedeutung
beigemessen worden dem Umstand, ob ein Verschulden sei es eigenes
oder fremdes Voraussetzung der Haftung sei; so besteht die Haftung des
Gläubigers aus ungerechtferting Arrest gemäss Art. 273 SchKG und diejenige
des Familienhauptes gemäss Art. 333 ZGB (vgl. darüber AS 43 II S. 211)
unabhängig von irgendwelchem Verschulden, wie denn ja auch die Haftung
des Urteilsunfähigen gemäss Art. 54 OR, die Haftung des Geschäftsherrn
gemäss Art. 55 OR (vgl. AS 50 II S. 493 und die dort zitierten Urteile),

394 Sachenrecht. N ° 63.

die Haftung des Tierhalters gemäss Art. 56 OR (ng

AS 41 II S. 241 1". Erw. 3 und die dort zitierten Urteile) und die
Haftung des Werkeigentümers gemäss Art. 58 ' OR ein Verschulden
nicht vor-aussetzen Nicht wesentlich anders geartet ist die Haftung
der Kantone aus der Grundbuchführung; auch hier steht nicht die
Nicht-erfüllung vertraglich übernommener Pflichten seitens des Kantons
bezw. Grundbuchbeamten in Frage, sondern die Haftung wird begründet
durch die Verletzung von bei der Grundbuchführung zu beobachtenden
Rechtsverschriften, mögen diese nun allgemeine Geltung beanspruchen
oder aber besonders für die Grundbuchführung aufgestellt worden
sein. Am nächsten steht die Haftung des Staates aus Grundbuchführung
der Haftung des Geschäftsherrn, wie schon in den Erläuterungen zum
Vorentwurf (2. Ausgabe, Band II S. 427) hervorgehoben wurde: einerseits
werden Funktionen des Staates durch dessen Beamte wahrgenommen,
gleichwie der Angestellte und Arbeiter für den Geschäftsherrn tätig
ist, und anderseits setzt, wie die Haftung des Geschäftsherrn für
seine Angestellten und Arbeiter, so die Haftung des Kantons für die
Grundbuchbeamten deren Verschuldennicht voraus, sondern besteht sie
auch für die Folgen entschuldbaren Rechtsirrtums. Diese Erwägungen
rechtfertigen dje Anwendung der kurzen Verjährungsfrist des Art. 60 OR
auch auf die Haftpflicht des Staates für die Grundbuchbeamten gemäss
Art. 955 ZGB. Ebenso erheischen Gründe praktischer Natur diese Lösung. Es
würde nämlich zum Nachteil des Staates ausschlagen, wenn der Geschädigte
trotz Kenntnis seines Schadenersatzanspruches noch zehn Jahre zuwarten
diirfte, bis er damithervortreten müsste ; denn nach so langer Zeit wäre
der Beweis des Verschuldens des Beamten erschwert, welchen der Kanton
leisten muss, sofern er Rückgriff auf ihn nehmen Will. Ebenso wäre es
für den Grundbuchbeamten unerträglich, dass für eine so weit zurück-

Sachenrecht. N° 63. 395

liegende Verfehlung noch der Rückgriff auf. ihn genommen werden könnte,
und doch lässt sich nicht wohl annehmen, dass die Rückgriffsklage
verjähren würde, bevor dem Kanton auch nur Gelegenheit geboten wäre,
sie zu erheben.

Bei Anwendung der Verjährungsnorm des Art. 60 OR erweist sich die
Verjährungseinrede des Beklagten in der Tat als begründet, da der Kläger
durch das Schreiben des Konkursamtes vom 18. September 1922 und übrigens
schon durch ein vorangegangenes Zirkular vom 3. August 1922, sowie durch
den Auszug aus der Verteilungsliste, welcher ihm anlässlich der Auflage
derselben wird zugestellt worden sein, also mehrfach bereits im Jahre
1922 Kenntnis davon erlangte, dass seine infolge Entkräftung und Löschung
der Schuldbriefe unversichert gewordene Forderung an Bieri vollständig
verloren sei; so war es ihm denn auch schon damals möglich gewesen, gegen
den Gemeinderatsschreiher Rast Klage zu erheben. Sodann ergab sich für ihn
direkt aus dem. Gesetz, dass der Kanton Luzern ersatzpflichtig sei. Auch
ist die Verjährung nicht etwa unterbrochen worden, sei es durch die Klage
gegen Rast oder die adhäsionsweise Geltendmachung einer Zivilfordemng im
Strafprozess gegen Bieri, da weder ein Solidarschuldverhältnis vorliegt,
noch die geforderte Leistung unteilhar ist, sodass Art. 136 OR auch
dann nicht zutreffen würde, Wenn Rast als ebenfalls direkt belangbarer
Mitschnldner des Kantons angesehen werden wollte. (Damit erledigt sich
auch die exceptio rei judicalae, welche vom Beklagten nur für den Fall
erhoben worden ist, dass in der Klage gegen Rast ein Unterbrechungsgrund
erblickt werden sollte.) Die Verjährung war also lange vor Erhebung der
vorliegenden Klage im Oktober 1924 vollendet.

5. Nicht begründet sind dagegen die übrigen Einwendungen des
Beklagten. Ursache der Schädigung des Klägers war die Entkräftung und
Löschung der

396 Sachenrecht. N° 63.

Schuldbriefe, durch welche er um die"'dingliche Sicherung seiner Forderung
an Bieri gekommen ist, und nicht die verbrecherische Handlungsweise des
letzteren; Vielmehr 'wäre es einfach eine nachträgliche Wiedergutmachung
des Schadens gewesen, wenn Bieri den Erlös aus den neu errichteten
Schuldbriefen dem Kläger abgeliefert hätte ...... Daraus endlich, dass der
Kläger erst ein halbes Jahr nach dem Fälligwerden der Schuldbriefe wegen
Nichteingang des Geldes reklamierte, kann der Beklagte nichts herleiten,
da einerseits der Kläger auf Grund des Schreibens der Gemeindekanzlei
vom 15. Juli 1921 sich darauf verlassen durfte, dass die Schuldbriefe
nicht entkräftet und gelöscht werden, ohne dass deren Gegenwert geleistet
werde, ja eigentlich, dass sich dieser Gegenwert schon in den Händen der
Gemeindekanzlei befinde, und anderseits anzunehmen ist, dass auch eine
schon wenige Wochen nach dem Fälligwerden der Schuldbriefe (7. September
1921) erfolgte Reklamation nicht mehr rechtzeitig eingetroffen wäre, um
die Versilberung der neuen Schuldbriefe durch Bieri zu verhindern, welche
ihm bereits am 31. August ausgehändigt worden waren. Ohne nähere Prüfung
der Begründetheit der erhobenen Zinsforderung ist also festzustellen,
dass der Beklagte dem Kläger jedenfalls den eingeklagten Kapitalbetrag
schuldig geworden und einzig infolge vollendeter Verjährung berechtigt
ist, die Zahlung dieser Summe zu verweigern. '

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Klage wird abgewiesen.

Sachenrecht. N° 64. 397

84. Urteilder II. Zivilabteilung vom 16. September 1925 i. S. Hauser
gegen Gebr. Kienzel.

'Immissionsverbot. Art. 684 ZGB:

Bei dcr Prüfung der Übermässigkeit der Einwirkungen eines Grundstückes
auf sein Nachbargrundstück muss auch der erst zukünftige Zustand des
betroffenen Grundstückes berücksichtigt werden. Ist eine Liegenschaft
infolge ihrer Lage b au reif und können die darauf geplanten Bauten
schlechte Gerüche und unangenehme Geräusche nicht ertragen, so sind diese
Einwirkungen übermässig, auch bevor diese Bauten erstellt sind (Erw. 3).

Tatsächliche Feststellungen, an die das Bundesgericht bei Prüfung eines
Immissionsverbotes gebunden ist (Erw. 4).

A. Der Kläger beabsichtigt auf seinem Grundstück (Sektion C 446) in der
äussern Schafmatt , die an das zum grossen Teil fast zu einer Vorstadt
von Basel gewordene Dorf Binningen anschliesst, eine Grosszüchterei und
mästerei für etwa 40 Stück Schweine zu errichten. Gegen sein Gesuch um
Baubewilligung erhoben die Beklagten Einsprache als Eigentümer eines
angrenzenden Gartenlandstückes von etwa 35 a (Sektion C225), das sich zu
Bauland umwandeln wird, sobald an Stelle des zwischen den Grundstücken
der Parteien gelegenen Feldweges eine Fahrstrasse erstellt sein wird,
was im Verlaufe dieses Jahres geschehen soll. Auf die Aufforderung der
Behörden hin, die Baueinsprache zu beseitigen, erhob der Kläger Klage
mit dem Begehren, die Einsprache sei zurückzuweisen und ihm Bau und
Betrieb der geplanten Grossmästerei zu gestatten. Er machte geltend,
die Anlage sei für den wirtschaftlichen Betrieb seines Milchhandels,
den er auf seiner Liegenschaft führt, zur Verwertung der Milchresten
notwendig, da hierzu die bisher gehaltenen drei Schweine nicht genügten
; dieser Notwendigkeit gegenüber vermöchten die geringen Aussichten der
Beklagten, dass ihr Grundstück je bebaut werde, nicht aufzukommen; schon
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 51 II 385
Data : 18. maggio 1925
Pubblicato : 31. dicembre 1925
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 51 II 385
Ramo giuridico : DTF - Diritto civile
Oggetto : 384 Erbrecht. N° 62. gestanden habe, so liegt doch nicht eine für den Richter verbindliche


Registro di legislazione
CC: 47  48  333  533  684  801  833  856  857  864  955  964
CO: 12  41  54  55  56  58  60  136  671  672  876
LEF: 273
PC: 4
Registro DTF
32-II-273
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
convenuto • diritti reali • registro fondiario • tribunale federale • ipoteca • danno • autorità inferiore • titolo finale • quesito • casale • conoscenza • posto • autorizzazione o approvazione • durata • capo di famiglia • maiale • sezione • risarcimento del danno • obiezione • società anonima • entrata in vigore • moneta • volontà • atto illecito • ufficio dei fallimenti • decisione • edificio e impianto • tribunale cantonale • domanda indirizzata all'autorità • costituzione di un diritto reale • emissione • immissione • legittimazione ad agire • procedura • motivo • bisogno • utilizzazione • responsabilità dello stato • responsabilità fondata sul diritto privato • domanda di assistenza giudiziaria • lavoratore • autorità giudiziaria • motivazione della decisione • licenza edilizia • dividendi del fallimento • azienda • rimedio di diritto cantonale • autonomia • esame • avente diritto • costituzione della società • giorno • denuncia penale • erede • diritto successorio • coscienza • intermediario • responsabilità dell'incapace di discernimento • all'interno • procedura sommaria • ricusazione • debitore • sentenza di condanna • birra • domanda riconvenzionale • lettera • attestato • terreno edificabile • duplica • interesse giuridicamente protetto • copertura • incontro • termine • procedura preparatoria • funzione • pegno • procedura penale • segretario comunale • diritto esclusivo • dispensa • d'ufficio • interesse
... Non tutti