394 · statement-is · dervorhergehenden Bezahlung der Steuern kann
daher die Aushingabe bezw. Ausstellung der Schriften sonst von einer
Zustimmung der Steuerbehörden abhängig gemacht werden, gleichgiltig
welchen steuerrechtlichen Zwecken dieses Erfordernis dienen soll. Der mit
der Schriftenausstellung betrauten Behörde steht es frei, von sich aus die
steuer-behörde von der Tatsache eines solchen Gesuches zu unterrichten,
damit die letztere eventuell zum Schutze bestehender Steueransprüche
die geeigneten und gesetzlich zulässigen Sicherungsmassregeln gegen das
Vermögen des Pflichtigen einleiten kann. Dagegen kann vom Bewerber nicht
verlangt werden, dass er seinerseits eine Bescheinigung der Steuerbehörde
über ihr Einverständnis mit der Schriftenherausgabe einhole, selbst wenn
damit nur der Zweck einer derartigen Unterrichtung der Steuerorgane über
die Abreiseabsicht verbunden ist. Die Verweigerung der Passverlängerung
bis zur Beibringung des fraglichen Visums zieht notwendig eine Verzögerung
in der Ausstellung der Ausweisschrift nach sich. Sie stellt sich daher
als eine, wenn schon nur vorübergehende, Zurückhaltung derselben aus
steuerrechtlichen Gründen dar, der sich der Bewerber als Einbruch in die
verfassungs_mässig gewährleistete persönliche Bewegungsfreiheit nicht
zu unterwerfen braucht.
Die Verfassungsverletzung liegt dabei schon in dem Verlangen der
Beibringung der Zustimmung der Steuerbehörde als Bedingung für die
Verlängerung des Passe-s überhaupt, nicht erst in der Verweigerung dieser
Zustimmung durch die Steuerhehörde bis zur Zahlung der rückständigen
Steuern oder Sicherheitsleistung dafür. Es ist deshalb auch gleichgiltig,
ob wirklich das städtische Steueramt im vorliegenden Falle diesen
Standpunkt gegenüber dem Rekurrenten eingenommen habe oder nicht. Dass
aber die Staatskanzlei als zur Passverlängerung zuständige Stelle
tatsächlich am 5. August 1925 die Verlängerung dem Rekurrenten gegenüber
Doppelbesteueru ng.' N° 55. BLIvom Einverständnis der Steuerbehörde
abhängig gemacht hat 'und' allgemein zu machen pflegt, wenn schon nur
zu dem in der Rekursantworti betonten Zwecke, ist unbestritten. s
Der Rekurs ist deshalb in der Meinung gutzuheiSsen',dass dieses Vorgehen
als unzulässig erklärt wird und vom Regierungsrat im angefochtenen
Entscheide nicht hätte geschützt werden dürfen. Mit der Aufhebung des
Entscheides imeben umschriebenen Sinne fällt auch die darin verfügte
Kostenauflage zu Lasten des Rekurrenten dahin. . si ., -
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
IV. DOPPELBESTEUERUNGDOUBLE IMPOSITION
55. Urteil vom 28. November 1925 1. S. Robert Schwarzenbach & 01° gegen
Kantons Bern und Zürich.
Fabrikationsgeschäft (Seidenstoffabrik) mit Hauptniederlas , sung in einem
Kanton und Ferggereien für den Verkehr mit den Heimarbeitern in einem
anderen. Steuerdomizil auch in diesem zweiten Kanton, begründet durch die
in den Ferggereien organisatorisch zusammengefasste Hausindustrie. Wie
ist das Gesamt-einkommen auf die beiden Kantone zur Besteuerung
zu Verlegen ? Verteilung nach. Erwerbsfaktoren . Was gehört unter
dieselben ? Kapitalisationszinsfuss für die Löhne des ständigen Personals
(Angestellte und Fabfikarbeiter). Einstellung der Aufwendungen für die
Entlöhnung der Heimarbeiter, weil es sich dabei nicht um Arbeitssondern
um Werklohn handle, als umlaufendes produktives Vermögen zum einfachen
Betrage ohne Kapitalisierung. Vorausbezug des, Hauptsitzes.
396 ' Staatsrmht. '
A._ _Die Rekurrentin, die Kollektivgesellschaft Robert Schwarzenbach &
Cie, betreibt die Fabrikation von Seidenstoffen. Ihr Betrieb ist, bis
auf einen kleinen, s im Berner Jura sich abspielenden Teil, vereinigt
am Geschäftssitz in Thalwil im Kanton Zürich. Dort vollzieht sich
insbesondere auch, neben der Fabrikation, -die gesamte leitende und
kaufmännische Tätigkeit. Im Kanton Bern unterhält die Rekurrentin in
Mervelier bei Delsherg eine Ferggerei und in Laufen eine kleinere Fabrik
verbunden mit einer Ferggerei. Durch Urteil vom 21. Dezember 1899 hat
das Bundesgericht ausgesprochen, dass die Ferggereien der Rekurrentin im
Berner Jura (die Fabrik in Laufen scheint damals noch nicht bestanden
zu haben) keine Steuerdomizile bilden, Weil sie nicht den Charakter
von Zweigniederlassungen haben. Seit 1915 versteuerte die Rekurrentin
in Laufen ein Einkommen von 3000 Fr. Für die Jahre 1920 und 1921 wurde
sie durch Entscheide der bemischeu kant. Rekurskommission vom ?. Juli
1923, die in der Folge durch Urteile des bernischen Verwaltungsgerichts
vom 30. Juni 1924 bestätigt wurden, verhalten, im Kanton Bern ein
Einkommen I. Klasse von 176,600 Fr. und 210,200 Fr. zu versteuern. Es
entspricht dies einer Quote von 5,81 und 0,91 % des nach den Regeln des
bernischen Steuerrechts ermittelten, in den betreffenden Steuerjahren
steuerpflichtigen Gesamteinkommens der Rekurrentin von 4,112,508
Fr. und 4,126,358 Fr. 50 Cts. nach Abzug eines Vorausbezugs von 25 %
zu Gunsten des Kantons Zürich. Die Quote selbst wurde bestimmt nach dem
Ver_ hältnis der Erwerbsfaktoren des Gesamtgeschäftes (kapitalisierte
Löhne und Saläre, Maschinen und Liegenschaften) in dem dem Steuerjahre
vorangehenden Geschäftsjahre zu den entsprechenden Erwerbsfaktoren der
Betriebe in Mervelier und Laufen, wobei aber bei Laufen nur die an Weber
im Kanton Bern entrichteten Löhne berücksichtigt wurden.
Die Ferggerei M e r v e l i e r ist ein Mittelpunkt für
'Doppenmteùemngsi. N° 55.' 397
die: von der Rekurrentin in Mer'velier und den-umliegenden
Dörfernbetriebene Heimindustrie. "Die Arbeiten, die hier für die
Rekurrentin ausgeführt werden, bestehen im Winden, Zetteln, Andrehen
und Wehen. Es sind ungefähr 150 Webstühle und eine entsprechende Anzahl
von Windund Zèttelmaschinen, die alle der Bekur-si rentin gehören, in
den Häusern der Weber (Weberinnen) aufgestellt. DieRekurrentin stellt
den Webern auch den Motor für den elektrischen Antrieb zur'Verfügung und
vergütet ihnen die Strommiete in Form eines Zuschlages zum Lohn. Die Weber
,werden im 'Stücklohnbezahlt; sie betreiben daneben Landwirtschaft und
haben keinen Anspruch auf fortlaufende Zuweisung von Arbeit. Im ersten
Stock des der Rekurrentin gehörenden Ferggereigebäudes in Mervelier wohnt
der .Ferggermeister, während das Erdgeschoss ganz und das Untergeschoss
zum. grossem-Teil den Zwecken der Ferggerei dient._ Im Erd-i geschoss
befinden sich u. a. das Bureau, ein grösserer Raum, worin hauptsächlich
die von den Webern abgelieferte Arbeit geprüft wird, und ein Magazin
zur Aufhewahrung der Strangseide, im Untergeschoss u. a. eine Werkstatt,
worin eine Zettelmaschine und zwei Andrehstiihle aufgestellt sind, die
von zwei (nicht ständig beschäftigten) Arbeiterinnen bedient werden. Der
Ferggermeister, welcher der Ferggerei versteht, ist ein festangestellter
Beamter. Er erhält von Thalwil die (bereits gefärbte) Seide in Strangen
zugesandt, verteilt sie zur Aufarbeitung unter die Weber und schickt
die gewobe-
' nen Tücher nach Thalwil, wo sie verschiedenen weitem
Behandlungen unterliegen; er bestimmt auch über Gesuche um Aufstellung von
Stühlen und über die Wegnahme von solchen. Das weitere ständige Personal
der Ferggerei besteht aus drei Webermeistern und, sechs Hilfsmeistern
(letztere im Stundenlohn bezahlt), zwei Angestellten für technische und
Bureauarbeiten, einem Schlosser zur Reparatur der Webstühle usw. und
einem Chauffeur für den in einem besonderen Garagegehäude
untergebrachten MotorlastWagen, der aber erst Anfang 1921 angeschafft
wurde und auch dem Betrieb in Laufen dient. Die von den Weber-n
abgelieferten Seidentücher ' werden in der Ferggerei vom Ferggermeister
und den WebermeiStern auf gute Ausführung geprüft. Bei unbefriedigender
Arbeit kann der Ferggermeister die für gute Leistungen zugesicherten
Zulagen entziehen oder kürzen. Die Webermeister kontrollieren ausserdem
die Weber bei der Ausführung der Arbeiten an Ort und Stelle und bringen
ihnen den Lohn. Der Kassabestand der Ferggerei beträgt zirka 6000 Fr.;
die daraus ausbezahlten Löhnewerden dem Ferggermeister auf Grund
seiner wöchentlichen Abrechnungen von Thalwil sofort
wieder vergütet. Buchungen werden nur über diese Lohnzahlungen gemacht. Im
Geschäftsjahr 1918/19 wurden an das Personal der Ferggerei Saläre in
der Höhe von 26,269 Fr. und an die Weber Löhne in der Höhe von 125,806
Fr. ausgerichtet. Für das Geschäftsjahr 1919/20 sind die entsprechenden
Zahlen 33,463 Fr. und 222,608 Fr.
In der Fabrik in L a u f e 11 sind 54 Webstühle aufgestellt und im
Betrieb, die durch im Stücklohn bezahlte Arbeiterinnen bedient werden. Bei
Heimarbeitern in und um Laufen waren in Betrieb 1919 65 und 1920 90
Stühle. Der grössere Teil hievon befand sich jedoch in solothurnischen
Gemeinden. Der Ferggermeister ist zugleich Fabrikleiter. Neben. der
Fabrik besitzt die Rekurrentin noch ein Gebäude, das den Zwecken der
Fabrikleitung und der Ferggerei dient und zugleich die Wohnung des
Ferggermeisters enthält. Die Verhältnisse der Ferggerei sind ähnlich wie
in Mervelier. In der Fabrik wurden folgende Löhne und Saläre ausbezahlt
: 1918/19 82,179 Fr., 1919/20 125,950 Fr. Die Ferggerei Laufen richtete
an die im Kanton Bern wohnenden Weber an Löhnen aus: 1818/19 25,016 Fr.,
1919/20 40,683 Fr.
B. Mit staatsrechtlichemsi Rekurs vom 14. September
Doppelbesteuerung'. N° 55. 399
1923 hat die Firma Robert SchWarzenbach & Cie beim Bundesgericht die
Anträge gestellt: Die angefochtenen Entscheide der Rekurskommission
des Kantons Bern vom 7. Juli, zugestellt am 20. Juli 1923, seien wegen
Doppelbesteuerung aufzuheben, evenmell der Steueranteil des Kantons Bern
nach Massgabe der in Betracht fallenden Erwerbsfaktoren herabzusetzen
und beim Zuspruch eines solchen Anteils der Kanton Zürich zu einer
Abrechnung mit dem Kanton Bern zu verhalten, eventuell der Rekurrentin
für die bernische Steuerquote ein Rückforderungsanspruch an den Kanton
Zürich zuzuerkennen. Sie bestreitet im Kanton Bern überhaupt ein
Steuerdomizil'zu haben und beruft sich hiebei im wesentlichen auf das
Urteil des Bundesgerichts vom 20. März-1920 in Sachen Sarasin Söhne
(BGE 46 I Nr. 31). Hinsichtlich der Fabrik in Laufen verneint sie das
Steuerrecht von Bern auch deshalb, weil diesem Betrieb im Verhältnis
zum Gesamtbetrieb (mit 1461 Webstühlen im Jahre 1919) keine quantitative
Erheblichkeit zukomme. Eventuell könnte ein Steuerdomizil nur für diese
Fabrik in Betracht kommen. Sollte Bern als steuerberechtigt anerkannt
werden, sei es für die Fabrik in. Laufen allein, sei es auch für die
beiden Ferggereien, so werde die Höhe der Einschätzung angefochten. Der
Gewinn der Rekurrentin sei nicht hauptsächlich eine Folge der Fabrikation
als solcher, sondern Vielmehr der Leitung. Das Unternehmen sei finanziell
ausserordentlich gut fundiert, besitze ein eigenes grösseres Stammkapital,
und es stünden ihm daher zu günstigen Bedingungen Millionenkredite zur
Verfügung ; es könne infolgedessen ss die Konjunktur in der günstigsten
Weise ausnutzen, sowohl im Ankaufe der Rohmaterialien, wie auch in der
Eindeckung der fremden Devisen zur Bezahlung der gekauften seidejwohei
ihm die genaue Kenntnis des Weltmarktes und die umsichtige und erfahrene
Geschäftsleitung zu gute komme. Mit diesen in erster Linie massgebenden
Erwerbsfaktoren stünden die rein me-
ns 51 I 1925 28
400 Stats:-echt.
chanischen Teilarbeiten in Mervelier und Laufen in gar keiner
Beziehung. Nach allgemeiner Erfahrung könne auf den Arbeitslöhnen für
rein mechanische Arbei ten ein Reingewinn von nur 4 bis 5 % angenommen
werden, wofür auf eine fachmännische Expertise abgestellt werde. Wollte
man aber die Berechnungsmethode der bernischen Behörden anwenden,
so müsste in Würdigung der erwähnten finanziellen und kaufmännischen
Elemente im Geschäftsbetriebe der Vorausbezug zu Gunsten des Kantons
Zürich auf 75% bemessen werden. Da die Rekurrentin in den Jahren 1920
und 1921 ihren vollen Geschäftsgewinn im Kanton Zürich versteuert habe,
wäre ihr, soweit Bern als steuerberechtigt anerkannt werden sollte,
ein Rückforderungsauspruch gegen Zürich zuzuerkennen.
C. Der Regierungsrat von Bern hat auf Anerkennung der grundsätzlichen
Steuerberechtigung des Kantons Bern angetragen. Ausserdem verlangt
er Herabsetzung des Vorausbezugs des Kantons Zürich auf 20% und eine
Berichtigung der Grundsätze, nach denen die Anrechnung der Erwerbsfaktoren
zu geschehen habe, zu
'Gunsten von Bern in verschiedenen Punkten.
D. Der Regierungsrat von Zürich hat sich den Anträgen und Ausführungen
der Bekurrentin angeschlossen, wobei er aber. anerkennt, dass Zürich
im Kanton Bern gelegenes Grundeigentum der Rekurrentin nicht besteuern
könne. für den Fall der Bejahung der Steuerpflicht der Rekurrentin
im Kanton Bern sei der Regierungsrat bereit, die Veranlagung der 3
Teilhaber der Firma diese, nicht die Firma Würden in Zürich für den
'Geschäftsgewiun besteuert entsprechend abzuändern und die allfällig zu
viel bezogenen Steuerbeträge zurückzuerstatten.
E. Es wurde eine Expertise angeordnet über die Frage: Welcher Teil des
Reingewinnes der Rekurrentin in den für die Steuerjahre 1920 und 1921
massgehenden Geschäftsjahren ist als auf der Fabrik in
Doppelbesteuerung N° 55. 401
Laufen und den Ferggereien in Laufen und Mervelier beruhend
zu betrachten ? Das Gutachten des Experten, Prof. Dr. Weyermann in
Bern, vom 28. September 1925 kommt zum Schlusse, dass das Präzipuum des
Hauptsitzes Thalwil auf 25% festzusetzen sei und der Anteil der Betriebe
im Kanton Bern am Rest des Reingewinnes für das Steuerjahr 1920, 2,4%
und für das Steuerjahr 1921, 2,25% betrage.
Das Gutachten ist den Parteien in Abschriit zugestellt
worden. Irgendwelche wesentliche Einwendungen gegen die Erwägungen,
Berechnungen und Schlüsse des. Experten sind von ihnen nicht erhoben
worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1. Da es sich ausschliesslich um eine staatsreehtlich'e Beschwerde
der Bekurrentin, und zwar aus Art. 46 Abs. II BV handelt über die im
Kanten Bern durch die dortige Rekurskommission getroffene und in der
Folge vom Verwaltungsgericht bestätigte Steuereinschätzung, hat sich das
Bundesgericht nur mit der Frage zu befassen, ob diese Einschätzung der
Rekurrentin gegenüber das bundesrechtliche Verbot der Doppelbesteuerung
verletze. Eine Abänderung der Veranlagung zu Ungunsten der Rekurrentin,
wie sie der Regierungsrat von Bern in seiner Rekursantwort verlangt,
kann dabei von vorneherein nicht in Frage kommen. Die Anträge des
Regierungsrates, es sei die Einschätzung zu erhöhen durch Herabsetzung
des Präzipuums für Zürich und auch noch in anderer Beziehung fallen
daher ausser Betracht (BGE 50 I 117 ErW.1). . -
2. Die neuere Praxis des Bundesgerichts hat die Voraussetzungen
des Steuerdomizils einer Unternehmung im Kanton einer sekundären
Betriebsstätte gegenüber früher erleichtert. Es wird nicht mehr, wie
noch zur Zeit des Erlasses des die Rekurrentin betreffenden Urteils vom
21. Dezember 1899, verlangt, dass die Betriebsstätte die rechtlichen
Merkmale einer Zweig-
402 Staatsrecht.
niederlassung habe, sondern es genügt, dass ständige körperliche
Einrichtungen oder Anlagen vorhanden sind und sich daselbst ein qualitativ
und quantitativ wesentlicher Teil des Geschäftsbetriebs vollzieht. Diese
Voraussetzungen sind für den Betrieb der'Rekurrentin sowohl in Mervelier,
Wie auch in Laufen erfüllt. Für die am letzteren Orte befindliche
Fabrik ist dies ganz klar und bedarf kaum weiterer Ausführung. Wenn die
Rekurrentin es deshalb in Abrede stellt, weil der hier vor sich gehende
Betrieb im Verhältnis zu demjenigen des Gesamtgeschäfts quantitativ
nicht erheblich sei, so übersieht sie, dass es bei diesem Erfordernis
nicht sowohl auf einen relativen, als auf einen absoluten Masstab
ankommt. Eine Fabrik mit 54 Wehstiihlen ist aber, für sich betrachtet,
ein industrieller Betrieb von ungefähr mittlerer Bedeutung.
Und was die beiden Ferggereien in Mervelier und Laufen anbetrifft,
so sind an beiden Orten ständige dauernde Anlagen vorhanden : die
Ferggereigebaude mit den dem Betrieb dienenden Einrichtungen. Zum Betriebe
der Ferggereien gehört sodann auch die Hausindustrie. Die einzelnen
Betriebsstellen der Weber stehen in keinerlei direkter Beziehung mit
dem Hauptgeschäftlin Thalwil, sondern hangen ausschliesslich von
der Ferggerei, ab, die allein den Verkehr mit Thalwil unterhält ;
sie sind auf die vermittelnde, leitende, überwachende, ergänzende und
Helfende Tätigkeit der Ferggerei angewiesen, wie umgekehrt in diesen
Funktionen die Aufgabe des Ferggereipersonals sich erschöpft. Zwischen
den Hausbetrieben und der Ferggerei als ihrem Mittelpunkt und damit auch
zwischen den Hausbetrieben unter sich besteht so ein enger technischer
und administrativer Zusammenhang, der sie als einen am Sitze und im
Gebiet der Ferggerei äusserlich lokalisierten einheitlichen Organismus
erscheinen lässt. Die Frage, ob der einzelne Weber, für sich betrachtet,
mehr als ein selbständiger Gewerbetreibender oder mehr nur als
Doppelbesteuerung, N° 55. . 403
Arbeiter der Rekurrentin anzusehen sei, ist zwar in ersterem Sinn
zu beantworten, wofür auf die Erwägungen des Urteils i. S. Sarasin
Söhne (BGE 46 I Nr. 31) verwiesen werden kann, die einen ähnlichen
Tatbestand betreffen und denen sich auch der Experte aus wirtschaftlichen
Überlegungen für den vorliegenden Fall durchaus anschliesst. Die Webstühle
stellen darnach Betriebsstätten der einzelnen Weber dar. Mit Rücksicht auf
den hervorgehobenen Zusammenhang dieser Betriebsstätten mit der Ferggerei
besteht daneben aber auch ein Gesamthausindustriebetrieb der Rekurrentin,
der je einen Bestandteil der beiden Ferggereien bildet. Er entspricht
zweifellos den von der Praxis aufgestellten Merkmalen qualitativer
und quantitativer Erheblichkeit. Die technischen Fabrikationsprozesse,
die sich darin vollziehen, die vermittelnde, leitende, überwachende und
kontrollierende Tätigkeit des Ferggermeisters und seines Personals sind
nach ihrer Bedeutung wesentliche Funktionen im Geschäftsbetriebe der
Rekurrentin. Und was den äussern Umfang des Betriebs der Ferggereien
anlangt, so kann auf das für die Fabrik in Laufen Gesagte verwiesen
werden. Für die kleinere Ferggerei Laufen käme dabei noch hinzu, dass
sie mit der dortigen Fabrik eine organisatorische Einheit bildet.
3. Zur Bestimmung der auf die bernischen Betriebe entfallenden Quote des
Reingewinnes war die Heranziehung eines wirtschaftlichen Sachverständigen
geboten. Die Berechnung nach der üblichen Erwerbsfaktorenmethode auf
Grund der nicht streitigen Daten (kapitalisierte Löhne und Saläre,
Maschinen und Liegenschaften) führte zu Beträgen für Bern, die nach einem
allgemeinen Eindruck als wesentlich übersetzt erscheinen mussten. Es
fragte sich daher, ob entweder jene Methode einer Berichtigung bedürfe,
sei es allgemein, sei es für den vorliegenden Fall, oder aber ob mit
Rücksicht auf die besondern Verhältnisse der Rekurrentin das Präzipuum
für den Hauptsitz in einer Höhe anzusetzen sei,
404 Staatsrecht.
die über das bisher Übliche (bis 30%) weit hinausgeht,
alles Fragen, die der Richter ohne die Hilfe eines solchen Gutachtens
nicht mit Sicherheit zu beantworten vermochte.
Für die vorgeschlagene Lösung hat sich der Experte auf ein durch eigene
Erhebungen beigebraehtes Material von Tatsachen und Zahlen gestützt,
welches das in ,den Rechtsschriften enthaltene, nicht streitige Material
zum Teil berichtigt und ergänzt. Da die Parteien keine prozessuaiischen
Einwendungen dagegen erhoben haben, dass die tatsächlichen Grundlagen
des Gutach--
tens, auch soweit sie den Akten gegenüber neu sind,
berücksichtigt werden, so ist darauf ohne weiteres abzu--
.stellen. Es ist dies um so eher am Platze, als ja eine Expertise
auf Grund eines lückenhaften, der Wirklichkeit nicht entsprechenden '
Tatbestandes keinen Wert hätte.
Den Schlüssen des Gutachtens ist ohne Bedenken zu folgen, wobei immerhin
noch eine'Reihe von Einzelbemerkungen anzubringen ist.
4. Bei Fabrikationsunternehmen, die Betriebsstätten in mehreren Kantonen
haben, wurde bisher die den einzelnen Kantonen zur Besteuerung zufallende
Quote des Reingewinns in der Regel in der Weise bestimmt, dass im
wesentlichen verglichen wurden die in einer Betriebsstätte wirkenden
Erwerbsfaktoren Kapital und Arbeit mit den entsprechenden Erwerbsfaktoren
des ganzen Geschäfts ; um die Jahreslöhne auf den gleichen Nenner mit den
festen Kapitalanlagen zu bringen, wurden sie dabei zum landesüblichen
Zinsfuss, meist 5% kapitalisiert. Der Experte schliesst. sich dieser
indirekten Bemessungsmethode auch für den vorliegenden Fall im allgemeinen
an, führt aber aus, dass sie, um ein zuverlässigeres Resultat zu liefern,
einer Berichtigung und verschiedener Ergänzungen bedarf.
a) Er beanstandet vor allem die 5%ige Kapitalisierung der Jahreslöhue
und die Koordinierung der soDoppelbesteuerung N° 55. 405
gewonnenen Ziffer mit den Werten der Grundstücke, Gebäude, MaschinenAuf
diese Weise werde praktisch der Lohnarbeitsfaktor im Vergleich zu den
sachlichen Kapitalanlagen ungeheuer stark betont. Die menschliche
Arbeitsleistung kann der Unternehmer kurzfristig engagieren, ständig
variieren, notfalls ohne besondere Verluste hier oder dort wieder
ausschalten; alles im Gegensatz 'zur Maschine und anderen sachlichen
Produktionsmitteln, deren Verwendung für ihn eine dauernde finanzielle
Festlegung, ökonomisch im Prinzip unvariabel, unredressierbar und
verderblich, bedeutet. Die Folge ist, dass, wegen dieser grossen
Verschiedenheit der Risiken, die Lohnarbeit im Vergleich zu der
Sachkapitalleistung und den für die Sachkapitalanlagen zu zahlenden
Preisen (kapitalisierte Leistung) wesentlich höher pro Leistungseinheit
dotiert werden kann und tatsächlich dotiert wird. Die bekannte Formel
lautet: Wer manuell produziert, fährt teurer, aber risikofreier.
Oder umgekehrt: Die dauernde Sachanlage wird nur dann gewählt, wenn sie
eklatante Preisvorteile vor einem Sukzessiv Kostenaufwand (Lohnarheit)
bietet, welche ihre Amortisation, Verzinsung und die oberwähnten
Sonderrisiken decken. Das genügt wohl schon, um darzutun, dass die
beiden Kategorien DaueranlageWerte und zwanzigfache Jahreslöhne
wirtschaftlich nicht auf der gleichen Ebene liegen, daher nicht einfach
koordiniert in eine Vergleichsrecbnung eingestellt werden dürfen. Es
wird das aber vollends dann klar, wenn man sich vor Augen halt,
dass eine Verzwanzigfachung der Jahreskosten eine Kapitalisation
auf ewig bedeutet, während die Preise der Maschinen usw. auf eine
befristete Gebrauchsdauer gegründet sind .... Wenn also freilich in
unserem heutigen System der Gewinnverteilung nach Erwerbsfaktoren von
einer gewissen Kapitalisierung der Lohnsummen nicht schlechthin Umgang
genommen werden kann, um Disparitäten zu vermeiden, da man ja auf der
andern Seite auch'die'Kapital-
406 Staatsrecht.
werte der Sachanlagen ansetzt, so bedarf doch das M a s s der
Lohnkapitalisierung nach dem Gesagten einer aufmerksamen Erwägung,
sobald der Betriebscharakter der verschiedenen Niederlassungen nieht
absolut homogen ist. Die Ungleichheit ist nun tatsächlich die fast
ausnahmslose Regel. Deshalb sollte für die praktische Handhabung der
Kapitalisationsfaktor der J ahreslohnsummen einheitlich so fixiert werden,
dass die derart kapitalisierten Löhne eines Geschäftsjahres wirklich in
die g l e i c h e R e i h e mit den Sachkapitalwerten treten dürfen. Das
führt zu der praktischen Frage, wie hoch demgemäss der L o h n K a p
i t a l is a t i o n s f a k t o r anzusetzen sei. Theoretisch ist es
klar, dass dafür kein allgemeiner Satz ziffermässig gegeben ist, wie
auch die Verkehrswerte der einzelnen Sachanlagen zu ihrer Erwerbsund
Produktionsbedeutung in einem sehr unterschiedlichen Verhältnis stehen.
Hier spricht u. a. das Mass der lokalen Gebundenheit-, nicht zuletzt
auch die spezielle Marktlage mit. Aber diese ffeineren Unterschiede
brauchen für den vorliegenden Zweck nicht berücksichtigt zu werden,
sondern es genügt offenbar, wenn dem oberwähnten g e n er e l l e n
Unterschied zwischen Anlagewerten und zwanzigachen Jahreslöhnen
durch eine angemessene, min d e r h o h e Kapitalisierung der J
ahreslohnsummen zu einem festen Satze im Durchschnitt Rechnung getragen
wird. Ein differenzierendes Vorgehen würde sich schon im Hinblick
auf die wünschenswerte Einfachheit der Handhabung und Vermeidung von
Streitigkeiten nicht empfehlen.
Wenn man alle erwähnten Momente in Rücksicht zieht und dabei die
Lohnarbeit eher etwas zu hoch, keinesfalls zu niedrig in die Rechnung
stellen will, so erscheint ein allgemeiner Kapitalisationssatz von
zehn Prozent als angemessen, also eine V e r z e h n f a c h u n g der
Jahreslohnsumme (anstatt der Verzwanzigfachung). Dies istDoppelbesteuerung
N° 55. ' 407
wohl der höchstzulässige Ansatz, wenn man tatsächlich noch eine
Vergleichsparität mit den Wertsummen der Grundstücke, Maschinen
etc. herstellen will. Kapitalisiert man die Löhne höher, so gelangt man
zu der gekennzeichneten, den tatsächlichen Verhältnissen zuwiderlaufenden
Hypertrophie der manuellen Betriebe in der Verteilungsrechnung. _ ,
Zur Illustration des Letztgesagten darf vielleicht, abgesehen Von den
Ziffern des vorliegenden Falles auf ein Erfahrungsbeispiel hingewiesen
werden: Die Brauerei zeichnet sich durch eine besonders hochgradige
Kapitalinvestition im Verhältnis zur Lohnarbeit in ihrem P r od u
k t i o n s hetriehe aus. Dagegen benötigt sie für ihre V e r s a
n d d e p o t s nur geringfügige feste Anlagen, aber relativ viele
Lohnarbeitskräfte. Bei der heutigen Verteilungsberechnung kann es
vorkommen, dass derjenige Kanton, in dem der Braubetrieb gelegen ist,
nicht viel höher im Steuerverteiler kommt als ein anderer Kanton, in
dem jene Brauerei lediglich den Versandt zentralisiert hat.
Diese Erwägungen des Experten sind durchaus überzeugend dafür, dass die
bisherige Kapitalisierung des Lohnfaktors auf Grund des landesüblichen
Geldleihzinsfusses (regelmässig 5%) zu hoch war und richtigerweise
durch einen anderen, zu einem niedrigeren Kapitalbets-age führenden
Kapitalisationssatz zu ersetzen ist, der nach dem Vorschlag des
Experten und aus Gründen der Rechtssicherheit durchweg und ohne weitere
Individualisierung der verschiedenen Fälle auf 10% festgesetzt werden
kann. Aus spätern Erwägungen wird sich freilich zeigen, dass auch die
Kapitalisierung mit 10 hier nur einzutreten hat bei den an das eigene
Personal der Unternehmung, 2. B. die Ferggereimeister und ihre Gehilfen,
bezahlten Gehälter und Löhne, nicht aber bei der Vergütung, die für
Produktionsleistungen an selbständige Gewerbetreibende entrichtet wird;
zu den letzteren gehören auch die Heimarbeiter.
408 Staatsrecht.
b) Nach der Auffassung des Experten sind die sachlichen Kapitalanlagen
bisher nicht vollständig berücksichtigt worden. In Betracht kommen
sollten nicht nur die Liegenschaften und Maschinen, sondern ausserdem
. die Betriebsstoffe Kohlen, Betriebsöl, Elektrizität, Schmiermaterial ,
ferner die Lager für Ersatzteile, wobei diese Stoffe gleich den Löhnen
mit 10% zu kapitalisieren wären, da es sich wie hier darum handle,
die kapitalisierten Jahreskosten in die Rechnung einzusetzen. Dass in
der Tat die Betriebsstoffe die vollkommenste Analogie zu den Löhnen
aufweisen, geht aus der einfachen Erwägung hervor, dass es eine Menge von
Leistungseffekten gibt, die bei älteren Maschinen-typen durch menschliche
Kraft, bei neueren durch mechanische erzielt werden, und dass überhaupt
die maschinelle Konstruktion nichts anderes ist als das Instrument,
um mittelst mechanischer Kräfte Arbeitsprodukte herzustellen. Es müssen
daher, wenn man nicht zu einem dem angewendeten System zuwiderlaufenden
Grundbilde und damit zu einer fehlerhaften Verteilung gelangen will, die
gesamten Betriebsund Unterhaltungskosten der sachanlagen (nicht nur die
zufällig in L ö h n e n bestehenden Teile derselben !) kapitalisiert in
die Rechnung einbezogen werden. Als Kapitalisationsfaktor empfiehlt sich
der gleiche, welcher für die Löhne Verwendung findet. Freilich könnte man
gute Gründe dafür anführenfdass hier sogar eine höhere Kapitalisation
als bei den Löhnen am Platze sei ; indes erscheint es Wiederum als
die Hauptsache, dass ü h e rh a u p t diese Posten kapitalisiert in die
Rechnung aufgenommen, d. h. jedenfalls den Löhnen als gleichwertig an die
Seite gesetzt werden. Im übrigen liegt es im Interesse einer einfachen
Handhabung, die Gleichsetzung mit der Lohnkapitalisation, also die
Verzehnfachung des Jahresaufwandes, hier allgemein vorzuschreiben.
Grundsätzlich ist der Standpunkt des Experten un--
anfechtbar. Praktisch kann es sich aber fragen, obDoppelbesteuemng. N°
55. 4.439
dieses Moment nicht, um nicht die Methode zu komplizieren und in der
Anwendung zu schwierig zu gestalten, häufig vernachlässigt werden
kann. Auch im vorliegenden Falle sind die Beträge, die unter dem Titel
kapitalisierte Betriebsstoffe in der Erwerbsfaktorenauf-stellung des
Experten stehen, verhältnismässig nicht _ sehr bedeutend (Gesamtgeschäft
1,958,270 bei ins-ss gesamt 79,809,257 und 2,733,290 bei 114,437,830;
bernische Betriebe 86,560 auf 1,961,529 und 55,680 auf 2524269). Bei
Übergehung des Momentes wäre daher das Ergebnis, das ja niemals der
Wirklichkeit mathematisch entsprechen, sondern immer nur ein annäherndes
sein kann, nicht wesentlich anders ausgefallen. Da der Experte nun einmal
auch diesen Posten in seinen Aufstellungen eingesetzt hat (wenigstens die
Betriebsstoffe, ein Lager von Ersatzteilen figuriert darin nicht) und die
Parteien hiegegen keine Einwendungen erhoben haben, mag es indessen für
den vorliegenden Fall dabei sein Bewenden haben. Fur künftige andere Fälle
muss sich das Gericht in dieser Frage immerhin alle Freiheit vorbehalten.
0) Eine weitere Lücke in der bisherigen Methode der Verteilung
nach Erwerbsfaktoren erblickt der Experte darin, dass neben den
kapitalisierten Löhnen nur das feste und nicht auch das umlaufende
Vermögen in die Rechnung eingestellt wurde. Hierunter fallen die
Werte der Roh-und Hilfsstoffe sowie die Leistungen von Dritten, welche
seitens der Unternehmung für den Fabrikationsprozess herangezogen
werden. Beispiele für letzteres: Die Farblöhne, welche seitens der
Spinnerei und Weberei an Lohnfärbereien gezahlt werden, die analogen
Aufwendungen für Mercerisieren, Appretieren, Bedrucken und viele ähnliche
Zwischen-und Ergänzungsprozesse, welche das betreffende Industrieunter-
nehmen nicht selbst besorgt. Hierhin gehört, wie wir sehen werden,
als wichtiges Beispiel auch die Beschäftigung von hausindustriellen
Arbeitern im Werklphn-
410 Staatsrecht.
vertrage. Man wird vielleicht den Einwand erheben, dass alle die hier
genannten Dinge doch eine wesentlich andere wirtschaftliche Funktion in
der Unternehmung und für deren Produktionsund Erwerbsprozess einnehmen,
als die vorher behandelten, den Unternehmer gleichsam bindenden
Kapitalanlagen. Dies ist unstreitig richtig und wird eben durch den
oberwähnten Gegensatz zwischen fester und umlaufender Kapitalanlage
gekennzeichnet. Aber es wäre verfehlt, daraus den Schluss zu ziehen,
dass die hier in Rede stehenden Objekte des umlaufenden Vermögens nicht
ebenfalls die Eigenschaft von Produktionsund Erwerbsfaktoren hätten,
demgemäss in die Verteilungsrechnung nicht einzubeziehen seien. Jede
Überlegung sowohl wie praktische Beob-achtung zeigt, dass Qualität und
Quantität dieser Objekte nicht nur allgemein für den Betrieb eine grosse
Rolle spielen, sondern speziell auch die wirtschaftliche Bedeutung der
einzelnen Niederlassung eines Unternehmens . merklich mitbestimmen. Der
graduelle Unterschied in der Mitwirkung des umlaufenden Vermögens
gegenüber den festen Anlagen und ihrem Zubehör wird nun in zwangloser
Weise für die Verteilerrechnung dadurch berücksichtigt, dass die Werte
des umlaufenden Vermögens nicht kapitalisiert werden. Das entspricht
vollkommen dem Unterschiede in der ökonomischen Bindung des Unternehmens
an die eine und andere Kategorie. Es bleibt noch die Frage, nach welchem
Grundsatze man diejenigen Gegenstände des umlaufenden Vermögens, welche
im Laufe des Produktionsprozcsses von einer Niederlassung zur andern w
a n d e r n, Zuzuteilen hat. Das scheint auf den ersten Blick vielleicht
nicht ganz leicht, wenn z. B. das Fertigfabrikat der einen Niederlassung
mit allen bisherigen Veredlungseffekten als Rohmaterial in eine andere
Niederlassung eingeht, oder gar wie das im vorliegenden Falle zutrifft ,
das Veredlungsprodukt dieser zweiten Niederlassung wieder als Halbfabrikat
in die erstereDoppelbesteuerung N° 55. 411
zurückgeht zwecks dortiger Weiterund Schlussverarbeitung. In derartigen
Fällen lässt sich naturgemäss nicht zu einer mathematisch genauen
Zurechnung gelangen. Eine solche ist aber auch für den gegebenen Zweck
nicht notwendig; es darf vielmehr genügen, wenn in dieser Hinsicht
eine Formel aufgestellt wird, die im Durchschnitt der dominierenden
wirtschaftlichen Zugehörigkeit der betreffenden Objekte zu der einen
oder zu der anderen Niederlassung gebührend Rechnung trägt. Letzteres ist
offenbar der Fall, wenn man die mehrere Betriebe passierenden Materialien
derjenigen Niederlassung als werbenden Faktor zurechnet, von welcher sie
erstmalig in den Bereich des Unternehmens hineingezogen werden. Diese
Verteilung hat übrigens den guten wirtschaftlichen Grund für sich, dass
tatsächlich die Heranziehung v o n a u s s e n, kaufmännisch gesprochen:
die Eindeckung , hier das wirtschaftlich Wesentliche ausmacht und für die
damit betraute Stelle den massgebenden Energieund Kapitalaufwand (werbende
Kraft) erfordert. Wenn also beispielsweise die eine Niederlassung
Rohstoffe bezieht, sie zurichtet und dann bei einer andern Niederlassung
veredeln lässt, um sie in letzterem Zustande schliesslich zu einem
Endprozess wieder an sich zu ziehen, so ist das Rohmaterial, welches die
erstgenannte Niederlassung von aussen bezieht, ihr zuzurechnen, ebenso
wie die von ihr vor der Weitersendung hinzugefügten Hilfsmaterialien
und Drittleistungen. Die zweite Niederlassung übernimmt das Objekt
wie fremdes Eigentum zur weiteren Veredelung. Es werden ihr demgemäss
nur ihre eigenen Hinzufügungen von Material und Drittleistungen in der
Verteilerrechnung zugewiesen, und falls nunmehr dieses Produktjwiederum
zur Weiterverarheitung sei es an die erstgenannte, sei es an eine dritte
Niederlassung weiter geht, so tritt es dort wieder als Verarbeitungsstoff
nic h t in die Verteilerrechnung, sondern nur seine neuerdings dort
empfangenen von
412 Staatsrecht.
aussen bezogenen Zusätze. Praktisch vollzieht sich die Zuteilung. nach
diesem Grundsatz sehr einfach: jede Niederlassung erhält diejenigen
Rohund Hilfsstoffe sowie Veredelungsleistungen zugewiesen, welche sie
von aussen in das Unternehmen hineinzieht. Massgebend ist natürlich
dabei nicht, von welcher Niederlassung aus die Z 3 h l u n g an den
Lieferanten erfolgt, sondern, welche Niederlassung die Lieferung kraft
der betrieblichen Zugehörigkeit besorgt. Hier bestehen Zweifel und
Schwierigkeiten praktisch nicht.
Grundsätzlich kann auch hier den wirtschaftlichen Überlegungen des
Experten zugestimmt werden, sowohl was die Heranziehung des Faktors
umlaufendes Vermögen überhaupt und das Kriterium für die Verteilung
auf verschiedene Betriebsstätten, wie auch den Verzicht auf die
Kapitalisierung anlangt. Auch hier muss aber das Bundesgericht für
künftige Fälle die Frage offen behalten, wie weit das Moment praktisch
zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Falle hat es fjedenfalls zu
geschehen, einmal wiederum weil die Parteien dagegen keine Einwendungen
erhoben haben und sodann namentlich auch deshalb, weil es sich ange-.
siehts der eigenartigen konkreten Umstände auch in besonderer Weise
äussert. Es handelt sich nämlich nicht nur allgemein darum, dass das
umlaufende Vermögen in die Erwerbsfaktorenaufstellung eingereiht wird
und zwar beim Gesamtgéschäft (die Berner Betriebe weisen keinen solchen
Posten auf ausser Heimarbeiterlöhne), sondern vor allem um die Frage,
ob die in Mervelier und Laufen an die Heimarbeiter bezahlten Löhne
unter diese Rubrik fallen und daher nicht zu kapitalisieren sind. Die
Frage ist deshalb zu bejahen, weil, wie bereits in Erwägung 2 bemerkt,
die Heimarbeiter der Rekurrentin richtigerweise als selbständige
Gewerbetreibende zu betrachten sind und man es daher bei ihrer
Vergütung nicht um Arbeits-, sondern um Werklohn zu tun hat, der nach
der zutreffenden Auffassung des
Doppelbesteuerung N° 55. , 413
Experten in die Kategorie des umlaufenden Kapitals fällt. Und dazu
kommt, dass der Kanton Bern gerade in diesem Punkte das Gutachten nicht
angefochten hat.
d) Die Anträge des Experten in Bezug auf die ber-_ nische Quote des
Reingewinns folgen im übrigen aus der Anwendung der erwähnten Grundsätze
auf die Rekorrentin auf Grund des von ihm erhobenen Materials an Tatsachen
und Zahlen. Es kann in dieser Beziehung auf die im Gutachten enthaltene
Tabelle verwiesen werden.
e) Was endlich das Präzipuum des Hauptsitzes Thalwil anlangt, so bemerkt
der Experte hierüber: Die bernische Behörde will ein solches von 25%
tolerieren. Ich gelange nach reiflicher Erwägung zu der Ansicht, dass bei
Anwendung der im Vorstehenden durchgeführten Berechnungsweise n 0 r m a l
i t e r ein Präzipualsatz von I 5 Prozent genügend ist. Hingegen möchte
ich für die beiden Untersuchungsjahre deshalb è ein 2 5 p r 0 z e n t i
g e s Präzipuum als angemessen erachten, weil in jener Periode infolge
der ausserordentlichen Handelskonjunktur am Seidenmarkte tatsächlich
ein ganz ungewöhnlich hoher Anteil am Geschäftserfolge durch rein
kommerzielle Betätigung beim Hauptsitze' erzielt worden ist. Hierzu habe
ich einlässliche Erhebungen durchgeführt, welche zeigen, dass in jenen
beiden Jahren, als typische ausserordentliche Nachkriegserscheinung,
allein durch die erwähnten kaufmännischspekulativen Massnahmen bei
der Zentrale im Durchschnitt rund 14 .des bilanzmässigen Globalgewinns
erreicht wurde. Hierin fallen sowohl kurzfristige Handelsgeschäfte in
Rohseide, wie Devisengeschäfte und ähnliche gerade damals durch die
Weltwirtschaftslage begünstigte Transaktionen. Diese Chancen sind wieder
geschwunden, wie sie gekommen waren, erheischen jedoch speziell für die
beiden Untersuchungsjahre eine besondere Berücksichtigung.
Auch hier ist dem Experten beizutreten. Der Kanton Bern wendet zwar ein,
der Posten feste Gehalt-steile
414 staatsrecht-
verschiedener Art von 1,291,805 Fr. und 1,992,479 ,
enthielten vielleicht erhebliche Beträge, welche an die Direktion
und Verwaltung als Tantieme ausgerichtet wurden; wenn dies zutreffe,
so rechtfertige sich, da der Hauptsitz dadurch bereits begünstigt sei,
eine Minderung oder gar Streichung des Präzipuums. Der Experte gelangt
aber zu seinem Schlusse, was das Präzipuum anlangt, auf Grund einer
allgemeinen Würdigung der Verhältnisse des Geschäfts der Rekurrentin in
den fraglichen Betriebsjahren und er hat dabei zweifellos nicht übersehen,
dass jener Posten, mag er nun Tantiemen oder Gratifikationen enthalten
oder nicht, die Quote des Hauptsitzes bereits verbessert.
5. Da der Kanton Zürich sich bereit erklärt hat, die Veranlagung der
Teilhaber der Rekurrentin entsprechend dem bundesgerichtlichen Urteil
abzuändern und zu Viel bezogene Steuerbeträge zurückzuerstatten,
erübrigt sie-h eine Verfügung über die Besteuerung der Rekurrentin in
diesem Kanton. '
Demnach erkennt das Bundesgericht :
Die Rekurse werden teilweise gutgeheissen und die Entscheide der
bernischen kant. Rekurskommission vom 7. Juli 1923, bestätigt durch
Urteile des bemischen Verwaltungsgerichts vom 30. Juni 1924, insoweit
aufgehoben, als in den für die Steuerjahre 1920 und 1921 massgebenden
Geschäftsjahren der auf die Fabrik in Laufen und die Ferggereien in
Laufen und Mervelier entfallende Teil des Reingewinns der Rekurrentin
nach Abzug eines Voraus von 25% zu Gunsten des Hauptsitzes Thalwil auf
2,4 % für 1920 und 2,25% für 1921 zu bemessen ist.
Vgl. auch Nr. 59. Voir aussi n° 59.
Gerichtsstand. N° se. 415
V. PRESSFRE IHEIT
LIBERTÉ DE LA PRESSE Vgl. Nr. 52. Voir n° 52.
VI. GERICHTSSTAND FOR,
56. Urteil vom 11. Dezember 1925 i. S. Trempler gegen Obergericht Zürich.
Umfang der Kognition des Bundesgerichts in Gerichtsstandsfragen
gemäss Art. 189 Abs. 3 OG. Anfechtung des Zuständigkeitsentscheids des
kantonalen Richters im Forderungsprozesse zwischen einem Franzosen und
einem in der Schweiz wohnhaften Deutschen, weil es sich um eine Forderung
handle, die gemäss dem Versailler Friedensvertrage ausschliesslich in
dem hier vorgesehenen Ausgleichsverfahren, bezw. in der Liquidation
des in Frankreich als Kriegsmassnahrae über das Vermögen des Beklagten
verhängten Sequesters geltend gemacht werden könne.
A. Der Rekurrent Trampler ist deutscher Staatsangehöriger und in Zürich
wohnhaft. Bis zum Kriege wohnte er in Paris, wo er unbeschränkt haftender
Teilhaber der Firma Trampler & Cie mit Sitz dort war. Bei Kriegsausbmch
musste er fliehen. Das Geschäftsund sein Privatvermögen wurde vom
französischen Staate unter Sequester gelegt. Nach der Behauptung _
der heutigen Rekursbeklagten wäre die Liquidation des Sequesters
abgeschlossen mit dem Ergebnis, dass die Firmagläubiger eine Dividende
von 16 % erhalten würden. Der 'Rekurrent bestreitet dies, indem die
Schlussquote noch nicht ausbezahlt sei; doch anerkennt er, dass für die
Gläubiger ein Verlust in Aussicht stehe, der sich nach Zertifikaten,
die ihnen im Jahre 1922 ausgestellt
AS 51 I 1925 29