190 Obligaticnenrecht. N° 31.
31. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1924 1. S. Schürch gegen
Bühler.
OR Hirt56: Haftung des Tierhalters (für Schadigung infolge Aufspringen
eines Rjndes). Voraussetzungen der Exzeption des Tierhalters; Verteilung
der Behauptungsund der Beweislast. Berücksichtigung des Selbstverschuldens
des Opfers. Schadensberechnung ; Frage des Abzuges für Vorteile der
Kapitalabfindung.
A. Der Ehemann und Vater der Kläger fuhr am 8. November 1921 mit seinem
Sohn Eduard auf dem einem Bekannten, Fritz Kohler, gehörenden und
von diesem selbst geführten Bockwagen von seinem Wohnort Roggwil nach
Lotzwil,_ um daselbst seiner Berufsarbeit als Fischer obzuliegen. Im
Dorfe Lotzwil kam aus der Gegenrichtung eine aus 16 Häuptern bestehende,
von 4 Personen zur Zeichnung geführte Viehherde, was Kohler veranlasste,
soweit als möglich nach rechts zu fahren und beim Haus Wolf anzuhalten,
wobei zwischen dem Wagen und dem die Strasse auf der andern Seite
begrenzenden Gartenzaun ein Zwischenraum von ungefähr 4,75 Meter übrig
blieb. Diesen Halt benützten die beiden Bühler, um abzusteigen und die
Fischereigerätschaften abzuladen. Während der Sohn Bühler zu diesem Zweck
hinter den Wagen trat, blieb der Vater, welcher auf der linken Seite vom
Wagen gestiegen war, dort stehen und sprach noch simit dem auf dem Wagen
sitzen gebliebenen Kohler, den Rücken gegen die Strasse zukehrend. In
diesem Moment sprang wenige Meter vor der Begegnung mit dem Fuhrwerk eines
der Rinder auf ein anderes, letzteres wich seitwärts gegen das Gefährt aus
und riss dabei jenes mit. Dabei stiess dessen Vorderbem an)Vater Bühler,
der durch die Wucht des Stosses zu Boden geworfen wurde. Er fiel auf einen
spitzigen Stein und erlitt einen Schädelbruch. Noch am gleichen Tage starb
Bühler. Mit der vorliegenden Klage ver-Ohligationenrecht. N° 31. . 191
langen die Witwe und die beiden unerwachsenen Kinder des Bühler vom
Eigentümer der beiden Rinder Ersatz der Kosten der verursachten Heilung
und Bestattung, sowie Ersatz des Schadens wegen Verlust des Versorgers....
B. Durch Urteil vom 12. Dezember 1923 hat der Appelationshof des Kantons
Bern den Beklagten zurBezahlung von Schadenersatz im Betrage von 8000
Fr. an Witwe Bühler, von 3500 Fr. an Martha Bühler und 2000 Fr. an Ernst
Bühler verurteilt ..... --
C. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an des Bundesgericht
eingelegt mit dem Antrag auf Anweisung der Klage.
D. Die Kläger haben sich der Berufung angeschlossen mit dem Antrag,
der ihnen zugesprochene Schadenersatz sei angemessen zu erhöhen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1. Die Vorinstanz hat sich bei der Beurteilung der Frage der Haftung
des Beklagten auf Grund eines Gutachtens von folgenden Gesichtspunkten
leiten lassen: An und für sich habe das Treiben der Viehherde durch
eine ländliche Ortschaft im gegebenen Fall es war kurze Zeit nach dem
Herbstweidgang nicht gegen die dem Tierhalter obliegende Diligenzpflicht
verstossen. Doch hätte der Beklagte das Aufspringen brünstiger oder
bösartiger Tiere dadurch verhindern sollen, dass er solche Tiere einzeln
führte bezw. führen liess oder dann deren Kopf auf die Vorderbeine
niederband. Da er nicht behaupte, eine derartige Massregel getroffen zu
haben, hätte er sich nur durch den Nachweis befreien können, dass das
aufspringende Tier weder brünstig noch bösartig war. Indessen habe er
den Nachweis weder dafür zu erbringen vermocht, dass die aufspringende
Kuh im neunten Monat trächtig war, wie er behauptete, noch dafür, dass
ihm angesichts der Eigenschaften des aufspringenden Tieres hinsichtlich
seiner besondere Vorsichtsmassregeln nicht von vorneheiren zugemutet
werden konnten.
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Demgegenüber macht der Beklagte mit seiner Berufung hauptsächlich gelten,
die Kläger haben gar nicht behauptet, das aufspringende Tier sei brünstig
oder bösartig gewesen und er, Beklagter, habe hievon Kenntnis gehabt;
darum habe keine Veranlassung für ihn bestanden, nach dieser Richtung
den Entlastungsbcweis anzutreten. Dieser Standpunkt geht fehl. Wird die
Haftung des Tierhalters infolge Aufspringens eines Rindes aktuell, so
versteht es sich von selbst, dass sich sein Exzeptionsbeweis gerade auf
die Vorkehren gegen das Aufspringen konzentrieren muss, Vorkehren, die
ohne weiteres geboten erscheinen, weil das Aufspringen eine Gefährdung,
hauptsächlich durch das besprungene Tier, das sich dem Aufspringen durch
Entfliehen zu entziehen sucht, nach sich zieht. Erfahrungsgemäss ist nun
mit dem Aufspringen zu rechnen vor allem bei brünstigen Kühen, dann aber
auch bei bösartigen, und endlich bei solchen, welche ohne bösartig oder
brünstig zu sein, doch die Gewohnheit haben, aufzuspringen (sog. Reiter
). Daher hatte der Beklagte allen Anlass, Beweis dafür anzutreten, dass
er mit Bezug auf diejenigen Tiere, bei welchen allfälliges Aufspringen
befürchtet werden musste, eine der erwähnten Vorsichtsmassregeln
getroffen habe, und bezw. dass das aufspringende Tier nicht zu jener
Kategorie gehörte, oder, wenn er es nicht zu identifizieren vermochte,
dass sich in der Herde überhaupt keine derartige Tiere befanden ausser
diejenigen, bei denen er jene Vorsichtsmassregel allfällig getroffen
hatte. In der Tat hat der Beklagte denn auch Beweis dafür angetreten,
dass die aufspringende Kuh im neunten Monat trächtig gewesen sei,
und bezeichnet er nun vor Bundesgericht die Annahme der Vorinstanz,
dass er diesen Beweis nicht erbracht habe, als aktenwidrig, mit dem
Hinweis darauf, die Kläger haben seine bezügliche Behauptung gar nicht
bestritten, weshalb sie des Beweises nicht bedurft habe. Diese Rüge ist
jedoch nicht zu hören, weil nach kantonalem Prozessrecht zu entscheiden
ist und daher vomObligationenrecht. N° 31. _ . 193
Bundesgericht nicht nachgeprüft werden kann, ob schon die blosse
Unterlassung derBestreitung einer Behauptung der 'Gegenpartei als
Geständnis angesehen werden dürfe. Würde dem Beklagten der Beweis für
die Hochträchtigkeit der aufspringenden Kuh gelungen sein, so wäre damit
übrigens noch nicht dargetan, dass er nicht aus andern Gründen als
wegen ihrer Brunst Vorsichtsmassregeln gegen das Aufspringen bei ihr
hätte treffen müssen, sei es dass sie bösartig war oder aber sonstwie
die Gewohnheit hatte, trotz der Trächtigkeit aufzuspringen. Nachdem aber
jene Beweisführung gescheitert ist, hätte sich der Beklagte nur durch den
Nachweis befreien können, dass er eine der erwähnten Vorsichtsmassregeln
bei sämtlichen brünstig-en und bösartigen Tieren und bei allfälligen
Reitern getroffen, oder aber, dass das aufspringende Tier keine dieser
Eigenschaften aufgewiesen habe. Allein der Beklagte behauptet selbst gar
nicht, irgend etwas gegen das Aufspringen vorgekehrt zu haben. Anderseits
aber hat er auch nicht Beweis dafür angetreten, dass sich in der Herde
keine brünstigen oder bösartigen Tiere und keine Reiter befanden, ja
er hat sich die Beweisführung in ersterer Beziehung überhaupt dadurch
verunmöglicht, dass er über die Brünstigkeit nicht Kontrolle führte,
wie dies nach dem Gutachten in jedem geordneten Betrieb geschieht. Wäre
nach diesen Richtungen Beweis geführt, so erschiene dargetan, dass ein
Tier unversehens aufgesprungen ist, bei dem dies schlechterdings nicht
voraus'gesehen werden konnte. Dann erst hätte zugunsten des Beklagten
angenommen werden können, der Schaden wäre auch eingetreten bei Anwendung
der erwähnten Vorsichtsmassregeln gegenüber denjenigen Tieren, bei welchen
allfällig mit dem Aufspringen gerechnet werden musste, und würde daher
nichts mehr darauf ankommen, ob der Beklagte jene Vorsichtsmass-regeln
getroffen habe oder nicht. ,
2. Der Vorinstanz ist im weitem auch darin beizustimmen, dass den
Getöteten ein erhebliches Selbstver-
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schulden trifft. Auch unter der Voraussetzung, dass der Tierhalter alle
ihm zuzumutenden Vorkehren gegen das Aufspringen, sowie gegen bösartige
Tiere trifft, bietet eine frei dahin getriebene Herde immer gewisse
Gefahren, besonders weil sich, wie ausgeführt, das Aufspringen trotzdem
nicht gänzlich vermeiden lässt und weil auch nicht bösartige Tiere aus
irgend einer Veranlassung plötzlich andere stossen können und endlich auch
wegen unbändiger Bewegung der einzelnen Tiere. Diese Gefahren konnten
Bühler nicht unbekannt sein. Durch seitliche Beaufsichtigung der Herde,
deren Fehlen die Kläger vor allem rügen, hätten sie sich auch nicht
beseitigen lassen, wie in dem von der Vorinstanz eingehalten Gutachten
speziell hinsichtlich des Aufspringens dargetan wird. Indem Bühler der
dicht neben ihm vorbeiziehenden Herde den Rücken kehrte, setzte er sich
ausser stand, den ihm anfällig drohenden Gefahren auszuweichen. Mochte er
anfänglich auch angenommen haben, die Herde Werde ihn nicht behelligen,
weil die strasse genügend Platz für deren reibungsloses Vorbeiziehen bot,
so' hatte er doch allen Anlass, auf das Vieh zu achten, als er durch eine
Bemerkung Kohlers darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es gegen den
Wagen hin dränge. Indessen kann diese Selbstverschulden, obwohl es als
grobes anzusehen ist, doch nicht die gänzliche Befreiung des Beklagten
von seiner gesetzlichen Haftpflicht als Tierhalter zur Folge haben,
sondern nur eine Ermässigung seiner Schadenersatzpflicht.
3. Ob die Vorinstanz bei der Bemessung der Ersatzpflicht von dem von
den Klägern behaupteten Einkommen auszugehen hatte oder aber das vom
Experten berechnete höhere Einkommen hätte berücksichtigen dürfen,
ist eine Frage des kantonalen Prozessrechts, zu deren Nachprüfung das
Bundesgericht nicht zuständig ist, ebensowenig wie zur Nachprüfung der
Würdigung des Beweisergebnisses, welche die Vorinstanz veranlasste, der
Behauptung der Kläger in diesem Punkte denObligationenrecht. N° 32. , 195,
Vorzug vor den Mutmassung des Experten zu gehen, da die Verletzung einer
Beweisnorm des Bundesrechts dabei nicht in Betracht kommt. Dagegen erweist
sich freilich als rechtsirrtümlich der von der Vorinstanz gemachte Abzug
für die Vorteile der Kapitalabfindung, nachdem sie der Kapitalisierung
den Zinsfnss von 4 1/2 % zu Grunde gelegt hat (vgl. AS 46 II S. 53). Doch
rechtfertigtsmh deswegen eine Änderung des angefochtenen Urteils nicht,
weil jener Abzug ausgeglichen wird durch die dem Bundesgericht richtig
erscheinende stärkere Berücksichtigung des Selbstverschuldens des
Getöteten. Den Abzug der aus Versicherung bezogenen Summen hat der
Beklagte vor Bundesgericht mit Recht nicht mehr bean--
sprucht. Demnach erkennt das Bundesgericht :
Hauptund Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil des
Appelationshofes des Kantons Bern vom 12. Dezember 1923 wird bestätigt.
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Mai 1924
i. S. Genossenschaftsapotheke Biel gegen Vial. Markenrecht und unlauterer
Wettbewerb: Usurpation der Bezeichnung Vin de Vial . Diese ist nicht
Gememgut. Auch die Bezeichnung des Konkurrenzproduktes als Vla]ersatz
ist unzulässig.
A. Der Kläger H. Viel hat am 16. Juli 1921 unter Nr. 50,053 die
Wortmarke Vin de Vial für einen von ihm erfundenen und hergestellten
pharmazeutischen Wein im schweizerischen Markenregister eintragen las-sen.
Die Beklagte ihrerseits ist Inhaberin einer am 11. November 1920 unter
Nr. 48,126 eingetragenen Bildmarke, welche in kreisförmiger Umrahmung
das Bild eines Ratsherrn und eines Arbeiters zeigt, die, vor einem Hause
mit der Aufschrift -: Genossenschaftsapotheke Biel,