II. ERBRECHT DROIT DES SUCCESSIONS
46. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Oktober 1923 1. S. Valosio
gegen Zürrer und Genossen. ZGB Art. 511 Abs. 1. Mehrfache letztwillige
Verfügung. Die "gesetzliche Vermutung der Aufhebung der früheren Versagung
durch die spätere kann nur durch schlüssigen
Nachweis der gegenteiligen Absicht des Erblassers widerlegt werden.
A. Der in Erlenbach ((Zürich) wohnhaft gewesene, am 7. April 1921 in
Rehetobel (Appenzell) verstorbene kinderlose Wir-wer Christian Heinrich
Meier von Bubikon hat zwei eigenhändige letztwillige Verfügungen
hinterlassen. In der ersten, vom 13. Januar 1919, hat er bestimmt :
Von meinem dereinstigen Nachlasse soll erhalten Hermann Meier in Zürich
als Legat eintausend Franken. Mein ganzer übriger Nachlass, möge er
bestehen in was es sein möge, soll meine Haushälterin Frau Luise Valosio
geb. Suter von Langnau am Albis in Erlenbach erhalten; ich setze sie
also zu meiner Universaierbin ein. Allfälh'ge pflichtteilsberechtigte
Erben setze ich auf den Pflichtteil zurück.
Die zweite Verfügung, vom 5. November 1920, lautet :
Zu Gunsten Frau Luise Valosio geb. Suter setze ich in Anerkennung ihrer
langjährigen mustergültigen Führung meines Haushaltes folgendes Legat
aus : Den gesamten vorhandenen Hausrat, samt Inhalt an Kleidern, Wäsche
(LeibTischBettwäsche), Schmuck, kurz : Alles mit Ausnahme des Geldes
und der Wertschriften. Eine gallfällige Erbschaftssteuer soll meinen
übrigen Nachlass belasten.
Erbrecht. N° 46. 325
In einem vom 25. September 1920 datierten, T estament überschriebenen
Schriftstück hatte der Erblasser erklärt, er vermache seiner langjährigen
Haushälterin Frau Luise Valosio für ihre musterhafte Führung seiner
Haushaltung als Geschenk sämtlichen bei seinem Ableben noch vorhandenen
Hausrat, Wäsche, Kleider, Schmuck etc., und bitte die tit. Behörden, nach
seinem Ableben die Erbberechtigten davon in Kenntnis _zu setzen. Nach
Besprechung mit dem Notar seines Wohnortes hat er dann die oben
wiedergegebene letztwillige Verfügung vom 5. November 1920 in der Weise
errichtet, dass er den ihm vom Notar aufgesetzten Text wörtlich abschrieb.
Durch die erste Verfügung Würden der eingesetzten Erbin nach der
Berechnung der Vorinstanz ungefähr 21,000 Fr. zufallen, während die ihr
durch die zweite Verfügung vermachte Fahrhabe laut Inventar nur einen
Wert von zirka 1200 Fr. besitzt.
B. Mit der vorliegenden Klage verlangt die in den beiden letztwilligen
Verfügungen genannte Frau Luise Valosio geb. Suter von den gesetzlichen
Erben (mit zweien hat sie sich im Laufe des Prozesses verständigt, und
die Klage gegen sie zurückgezogen) die Überlassung und Herausgabe des
gesamten Nachlasses an sie nach Abzug der gesetzlichen Pflicht-teile der
Beklagten. Sie stützt sich auf die letztwillige Verfügung vom 13. Januar
1919 und macht geltend : Das zweite Testament (vom 5. November 1920)
sei nach dem Willen des Erblassers nur eine Ergänzung des ersten. Meier
sei der irrtümlichen Meinung gewesen, er müsse ihr den Hausrat noch
besonders verschreiben, wenn sie ihn sicher erhalten solle. Er habe
ihr, wie sein Entwurf (vom 25. September 1920) zeige, damit ein Geschenk
machen wollen. Von Geld und Wertschriften stehe in diesem Entwurfe nichts;
der Notar aber habe geglaubt ihn verbessern zu müssen und dabei den Sinn
verändert. Vom ersten Testament sei damals nicht gesprochen werden. Der
Erblasser habe
326 Erbrecht. N° 46.
keinesfalls beabsichtigt, es aufzuheben und sie, die Klägerin, zum
Vorteil seiner Verwandten schlechter ' zu stellen; denn er habe, wie
aus seinen Briefen an sie sowie aus schriftlichen Äusserungen Dritter
hervorgehe und durch Zeugen bestätigt werden könne, mit ihr andauernd die
herzlichsten Beziehungen unterhalten, sie im Falle der Auflösung ihrer
Ehe (sie ist von ihrem unbekannt abwesenden Manne, einem Italiener,
gerichtlich getrennt) heiraten und ihr all sein Hab und Gut zuwenden
wollen. Mit seinen Geschwistern, den Beklagten, dagegen, die sich nie
um ihn bekümmert, habe er nicht in gutem Einvernehmen gestanden.
C. Die Beklagten haben Abweisung der Klage beantragt und geltend gemacht
: Das zweite Testament habe, weil dem ersten -widersprechend, dieses
gemäss ZGB 511 aufgehoben und nach der Absicht des Testators aufheben
sollen. Meier werde wegen der Hintansetzung seiner Geschwister, mit
welchen er gut gestanden, Gewissensbisse empfunden haben; möglich sei
auch, dass er das zweite Testament nach einem Zwist mit der Klägerin
errichtet habe, wie er in jedem Liebesverhältnis vorkommen könne; überdies
habe die Klägerin schon zu Lebzeiten 'Meiers aus dessen Vermögen namhafte
Zuwendungen. erhalten.
D. Das Bezirksgericht Meilen hat durch Urteil vom 12. Oktober 1922 die
Klage in dem Sinne abgewiesen, dass das Testament vom 13. Januar 1919
als durch das zweite Testament vom 5. November 1920 aufgehoben erklärt
wird . Auf Berufung der Klägerin hat das Obergerieht des Kantons Zürich
am 14. Februar 1923 dieses Urteil bestätigt.
E. · Gegen das ihr am 24. März zugestellte Obergerichtliche Urteil hat
die Klägerin am 7. April die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit
dem Antrag auf Gutheissung der Klage. In der heutigen Verhandlung hat sie
diesen Antrag erneuert mit dem Beifiigen, dass das im ersten Testamente
dem Hermann Meier ausge-
Erbrecht. N° 46. 327
setzte Legat von 1000 Fr. anerkannt werde, und eventuell die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz beantragt zur Abnahme des anerbotenen
Zeugenbeweises dafür, dass der Erblasser zwischen der Errichtung der
ss beiden T estamente seine liebevolle Gesinnung ihr gegenüber nicht
geändert und sie durch das zweite Testament nicht schlechter habe
stellen wollen als durch das erste. Die Beklagten haben auf Abweisung
der Berufung angetragen.
Dus Bundesgericht zieht in. Erwägung :
Nach ZGB 511 Abs. 1 ersetzt eine später errichtete letztwillige Verfügung
die frühere, soweit sie sich nicht zweifellos als deren blosse Ergänzung
darstellt . Ob eine blosse Ergänzung vorliegt oder nicht, hängt davon ab,
wie der Erblasser die Verfügung verstanden wissen wollte. Diese Frage
untersteht der bundesgerichtlichen Prüfung in gleicher Weise wie die
Frage nach dem Parteiwillen bei Verträgen, die das Bundesgericht in
ständiger Praxis als in seine Kognition fallend erklärt hat.
Nach allgemeiner Auslegungsregel und nach der in der Fassung des
Gesetzes selbst ( soweit sie sich... darstellt) enthaltenen Weisung
ist das Verhältnis der beiden letztwilligen Verfügungen zu einander
zunächst aus ihrem Wortlaut zu ermitteln. Erscheint hiernach die spätere
nicht ohne weiteres als blosse Ergänzung der früheren, so steht es dem
durch die frühere Verfügung Bedachten frei, durch ausserhalb der beiden
Urkun-den liegende Umstände zu beweisen, dass der Erblasser tatsächlich
die frühere Verfügung bloss ergänzen, nicht aufheben wollte. Aber dieser
Beweis muss nach Vorschrift von ZGB 511 Abs. 1 ein durchaus schlüssiger,
jeden vernünftigen Zweifel ausschliessender sein. Dabei kommt, soweit
nur die Aufrechterhaltung der früheren Verfügung in Frage steht und aus
der späteren keine Rechte hergeleitet werden wollen, nichts darauf an,
328 Erbrecht. N° 46.
ob der angebliche Wille des Erblassers sich mit dem Wortlaut der späteren
Verfügung verträgt oder nicht. Dagegen ist klar, dass im letzteren Falle
die strengsten ' Anforderungen an den Beweis gestellt werden müssen,
wenn das Ergebnis für den Richter 2 W e i f e 1 l o s sein soll, wie es
das Gesetz verlangt.
Beurteilt man die beiden letztwilligen Verfügungen vom 13. Januar
1919 und vom 5. November 1920 nach ihrem Wortlaut, d. h. misst man
ihnen den Sinn bei, der ihren Worten natürlicherweise zukommt, so sind
sie schlechterdings unvereinhar, sodass von einer blossen Ergänzung
der ersten durch die zweite nicht die Rede sein kann. In der ersten
Verfügung wird die Klägerin als Universalerbin eingesetzt, durch die
zweite erhält sie ein Legat; sie hätte also ein Vermächtnis an sich
selbst auszurichten. Nach der ersten soll ihr mit Ausnahme eines Legates
von 1000 Fr. und allfälliger Pflichtteile der ganze Nachlass zufallen,
nach der zweiten der Hausrat, nicht aber das Geld und die Wertschriften,
welche den grössten Teil des Nachlasses ausmachen. Nach der zweiten
Verfügung soll eine die Klägerin als Legatarin treffende Erbschaftssteuer
den übrigen Nachlass belasten, eine ganz sinnlose Bestimmung, wenn die
Klägerin diesen übrigen Nachlass ebenfalls erhält.
Dieser Widerspruch zwischen den beiden Verfügungen ist nun derart
augenfällig, dass er auch einem rechtsunkundigen und im schriftlichen
Ausdruck ungewandten Testator nicht entgehen konnte. Mochi-e auch
dem Erblasser der rechtliche Unterschied zwischen Erbeneinsetzung
und Legal. nicht geläufig sein, mochte er sich über die ihm vom Notar
eingegebene Bestimmung betreffend die Erbschaftssteuer keine weiteren
Gedanken machen, so konnte er doch nicht übersehen, dass in der zweiten
Verfügung zwischen dem Hausrat einerseits, dem Geld und den Wertschriften
anderseits unterschieden und dieser letztere Teil seines Vermögens von
der Zuwendung an die Klägerin ausdrücklich ausgenom-
Erbrecht. N° 46. 329
men wird. Wenn er, nur um ja sicher zu sein, dass die Klägerin neben
allem andern auch den Hausrat erhalte, das noch besonders verfügen
wollte, so musste es ihm auffallen, dass in der ihm vom Notar hiefür
vorge-schlagenen Fassung nun nicht etwa nur die Zuwendung dieses Hausrats
an die Klägerin ausgesprochen, sondern die Klägerin deutlich auf diesen
Hausrat beschränkt wurde. Er hätte daher, wenn diese Beschränkung seinem
Willen nicht entsprochen hätte, den Notar darauf aufmerksam gemacht
und das angebliche Missverständnis Wäre aufgeklärt worden. Im übrigen
wird man mit der Vorinstanz annehmen dürfen, der Notar werde die vor-'
liegende Fassung nicht aufs Geratewohl, sondern nur nach gehöriger
Erforschung des Willens des Erblassers gewählt haben, mag er nun dessen
Entwurf gesehen haben oder nicht.
Bei dieser Sachlage könnte der Beweis dafür, dass der Erblasser
trotz alledem an der Einsetzung der Klägerin als Universalerbin habe
festhalten wollen, in einer dem Art. 511 Abs. 1 genügenden Weise kaum
anders erbracht werden als durch eine nach der Errichtung der zweiten
Verfügung erfolgte Äusserung seinerseits, aus welcher klar hervorginge,
dass er den ihm vom Notar aufgesetzten Text missverstanden und was
ersieh denn eigentlich dabei gedacht hat. Eine solche Ausserung liegt
nicht vor. Die den Standpunkt der Klägerin noch am meisten stützende,
zum Beweis verstellte Tatsache, dass der Erblasser damals noch, als
er von einem Besuch in Rehetobel zur Errichtung der zweiten Verfügung
heimreiste, sich geäussert, die Klägerin müsse für ihre Dienste belohnt
werden mit allem was er habe, und dass er nachher geschrieben, die Sache
sei nun in Ordnung, genügt nicht, weil sie den Widerspruch zwischen dieser
angeblichen Absicht des Erblassers und dem, was er wirklich verfügt hat,
unerklärt lässt. Auch mit dem Nachweis, dass der Erblasser seit der
Errichtung der ersten Verfügung seine liebevolle Gesinnung gegenüber der
330 Sachenrecht. N° 47.
Klägerin nicht geändert habe, ist es nicht getan ; denn wenn darnach auch
der Beweggrund für die Schlechterstellung der Klägerin nicht sichtbar ist,
kann ein solcher dennoch vorhanden und wirksam gewesen sein.
Somit muss es hier bei der gesetzlichen Vermutung der Aufhebung der
früheren Verfügung durch die spätere sein Bewenden haben, was die
Abweisung der auf die frühere Verfügung gestützten Klage zur Folge hat.
Demnach erkennt das Bundesgericht :
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 14. Februar 1923 bestätigt.
III. SACHENRECHT
DROITS REELS
47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. September 1923 i. S. Manhat
gegen Ennis.
R ü c k k' a u s s :* e c h t. Die Verwirkungsfrist des Art. 683 Abs. 2
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 683 |
ZGB findet auch Anwendung auf altrechtliche Rückkauisrechte, insbesondere
Zugreehte, die nach altem kantonalem Rechte länger dauerten. Art. 683
Abs. 2 ist eine um der öffentlichen Ordnung willen erlassene Bestimmung
im Sinne von Art. 2 Scth.
A. Durch Kaufvertrag vom 23./26. Januar 1907 erwarb der Kläger Mullis
vom Beklagten Manhart dessen Wiese Oberberg in Flums Grossberg, nebst
Scheune, Wiesenhäuschen, Valdboden und einem auf der Liegenschaft im Bau
befindlichen Kurhaus. Der Kaufpreis betrug 66,000 Fr. Laut Ziffer 2 der
Kaufbedingungen trat der Käufer in den vom Verkäufer mit Zimmermeister
Beeler abgeschlossenen Bauvertrag ein;
Sachenrecht. N° '47. 331
die Zahlung der Akkordsumme für die Fertigstellung des Baues und die
Lieferung des allfällig noch nötigen Holzes blieben jedoch Sache des
Verkäufers. Ferner räumte der Käufer dem Verkäufer ein dingliches Zugrecht
ein, wie es das st. gallische Gesetz betreffend Grenzverhältnisse,
Dienstbarkeiten und Zugrecht vom 22. August 1850 kennt : danach waren
der Beklagte und seine leiblichen Nachkommen berechtigt, das Kaufsobjekt
mit den von Beeler gemäss Vertrag zu erstellenden Mobilien nach Umfluss
von 20 Jahren zum nämlichen Kaufpreis zurückzukaufen, wobei der Kläger
für allfällige Weiterbauten nichts berechnen, das für solche Bauten
erforderliche Holz aber vom Kaufsobjekt nehmen und das von ihm selber
angeschaffte Mobiliar behalten durfte. ,
Wegen Verzögerung und Mangelhaftigkeit in der Ausführung des Baues musste
der Beklagte dem Kläger laut Vergleich vom 31. Dezember 1910 den Betrag
von 5562 Fr. vergüten.
Am 26. März 1921 brannte das Kurhaus nieder. Der Kläger erhielt eine
Gehäudeversicherungsentschädigung von 150,948 Fr. (98,900 Fr. + 52,048
Fr. Zusatzversicherung), und von der Mobiliarversicherungsgesellschaft
eine Entschädigung von 88,130 Fr. (einschliesslich 9000 Fr. für Effekten
Fremder).
B. Mit der vorliegenden, im März 1922 (also 5 Jahre vor Ablauf der 20
jährigen Frist) erhobenen Klage verlangt nun der Kläger Feststellung, dass
das zu Gunsten des Beklagten begründete Rückkaufsrecht nicht mehr bestehe,
sowohl weil die Verwirkungsfrist des Art. 683 Abs. 2
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907 CC Art. 683 |
seit erfolgter Vormerkung im Grundbuche) abgelaufen, als auch weil die
Erfüllung infolge des Brandes unmöglich geworden sei. Eventuell fordert
der Kläger gerichtliche Feststellung, dass im Falle des Wiederaufbaues
des Kurhauses der Beklagte bei Geltendmachung des Rückkaufsrechts den
Mehrbetrag der Baukosten über die Gebäudeassekuranzsumme von