VII. KULTUSFREIHEIT
LIBERTÉ DES CULTES
45. Urteil vom 30. Juni 1923 i. S. Katholisches Pfarramt Oerlikon und
Hauser gegen Zürich, Regierungsrat.
Verbot der Gottesdienste und des Kirchenbesuehes wegen insi
der betr. Gemeinde ausgehrochener Pockenepidemie. Anfechtung aus
Art. 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
|
1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
das Verbot infolge Erlöschens der Epidemie zurückgenommen worden
ist. Unzuständigkeit des BG inbezug auf die Rüge, dass die Massnahme
dem eidgen. Epidemiengesetz widerspreche und deshalb Art. 69
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
A. Ende April 1921 traten in der zürcherischen Gemeinde Oerlikon einige
Erkrankungen auf, die als Pocken (Variola) diagnostiziert wurden und sich
rasch vermehrten. Am 7. Mai 1921 untersagte die Gesundheitskommission
Oerlikon gemäss Weisung des Bezirksamtes aus Auftrag der kantonalen
Sanitätsdirektion bis auf weiteres jeden Gottesdienst und am 12. Mai
erschien folgende öffentliche Bekanntmachung derselben Kommission :
Auf Grund von § 31 der kantonalen Vollziehungsverordnung zum BG vom
10. Juli betreffend die Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien vom
9. März 1888 und in Bestätigung der vom Bezirksarzt bereits angeordneten
Massnahmen erlässt die kantonale Gesundheitsdirektion mit Datum vom
11. Mai nachstehende Verfügung : ss
Bis auf weiteres sind zwecks Bekämpfung der weiteren Ausbreitung
der Pocken alle Sehaustellungen, festlichen Anlässe, die mit
Menschenansammlungen Verbunden sind, Kinovorstellungen, Radrennen,
Festzüge, Kränz-Kultusfreiheit. N° 45. 357
chen, Tanz, Tanzstunden, Vereinsproben und der Gottesdienstverboten.
g 31 der genannten Vollziehungsverordnung lautet: Die Abhaltung von
Märkten und Massenzusammenkünften an einem epidemiseh ergriffenen Orte
kann durch Verfügung der Sanitätsdirektion verboten werden.
Infolge dieser Anordnungen liess das katholische Pfarramt Oerlikon alle
Predigten und Gesänge sowie alle lauten und gemeinsamen Gebete ausfallen-,
dagegen wurden nach wie vor sogenannte stille Messen gelesen und es stand
die Kirche auch dem Besuche der Gläubigen offen. Infolge eines Berichtes
der Gesundheitskommission, wonach Pfarrer Hanser sich geäussert habe, dass
er sich auch an diese Beschränkung am Fronleichnam (26. Mai) nicht halten
werde, wies sodann die kantonale Gesundheitsdirektion die Kommission an,
jeden Kirchenbesuch zu verbieten, was am 26. Mai geschah. Die Kirche
wurde an diesem Tage polizeilich bewacht und der Eintritt in sie durch
die Organe der Kantonspolizei verwehrt.
Eine von Bezirksrichter Köpfli in Zürich namens des katholischen
Pfarramtes Oerlikon und des Pfarrers Hauser gegen die beiden Verfügungen
vom 7. und 26. Mai erhobene Beschwerde wies der Regierungsrat des
Kantons Zürich am 24. September 1921 ab. Er stellte zunächst fest,
dass es sich bei den in Oerlikon aufgetretenen Krankheitsfällen
entgegen der Behauptung der Rekurrenten nicht 'bloss um eine leichtere
Blatternart, sondern nach dem Berichte des Bezirksarztes und den auf
Grund allgemeiner anerkannter Methoden vorgenommenen biologischen
Experimenten um wirkliche Pocken gehandelt habe, sodass nach § 1 BG
betrefffend gemein-gefährliche Epidemien von 1886 die Vorschriften
dieses Gesetzes und der dazu erlassenen kantonalen Vollziehungsverordnung
Anwendung gefunden hätten. Die Direktion des Gesundheitswesens sei danach
berechtigt gewesen, Gottesdienste und Kirchenhesuehe zu verbieten,
ASVI-1923 25
358 St aatsrecht.
da diese Veranstaltungen in der Regel als Massen-zusammenkiinfte
bezeichnet werden können. Ob dabei gepredigt, gesungen oder laut gebetet
werde oder ob bloss stille Messen stattfänden, sei gleichgültig; denn
die Pocken würden im Gegensatz zur Grippe viel weniger durch Anhauchen
(Tröpscheninfektion) als durch Berührung (direkt von Person zu Person
oder durch Vermittlung der Kleider, Kirchenbänke, gemeinsame Benützung
von Weihwasser usw.) verbreitet. Dass in solchen
Epidemienzeiten auch im Lesen stiller Messen die Gefahr -
von Massenzusammenkünften liege, anerkenne der Beschwerdeführer selbst,
wenn er ausführe, dass das gottesfürchtige Volk gerade in Zeitläufen der
Gefahr und Krankheit seinem religiösen Bedürfnis Geltung verschaffe und
die Kirche mehr besuche als sonst.
B. Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates haben das katholische
Pfarramt Oerlikon und Pfarrer Hauser persönlich den staatsrechtlichen
Rekurs ans Bundesgericht erklärt mit dem Antrage, der Entscheid und
die dadurch bestätigten Verfügungen der kantonalen Direktion des
Gesundheitswesens vom 7. und 26. Mai 1921 seien als verfassungswidrig
aufzuheben. Eswird Verletzung von Art. 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
|
1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
ersten Beschwerdegrund wird kurz geltend gemacht, dass nach jener
Verfassungsbestimmung die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen,
wozu nicht nur gemeinschaftliche Gottesdienste, sondern auch der
individuelle Kirchenhesuch gehörten, nur aus Gründen der Öffentlichen
Ordnung beschränkt werden dürfe. Über diese Grenze gingen aber die
angefochtenen Verfügungen hinaus, indem dadurch den Rekurrenten eine
unzulässige ausnahmsweise Behandlung zu teil geworden sei . Die Rüge
der Verletzung von Art. 69
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
Bundesgesetz betreffend gemeingefährliche Epidemien von 1886 den Kreis
der Zur Bekämpfung der darin genannten Krankheiten zulässigen Massnahmen
abschliessend umschreibe : die KantoneKultustreiheit. N° 45. 359
könnten weitergehende Bestimmungen deshalb nicht erlassen, ohne
in das durch die BV festgestellte Gesetzgebungsrecht des Bundes
in dieser Materie einzugreifen. Ein solcher Übergriff liege in §
31 der zürcherischen Vollziehungsverordnung vom 9. März 1888. Denn
das Bundesgesetz enthalte keine Bestimmung, aus der das Recht
abgeleitet werden könnte, zum Zwecke der Bekämpfung einer Epidemie den
Personenverkehr in einer Gemeinde allgemein, also auch für Einwohner,
die mit den Kranken oder den zu ihrer Pflege bestimmten Personen
nicht in Berührung gekommen seien, zu unterbinden oder erheblich zu
beschränken, insbesondere Gottesdienste oder gar den Besuch der Kirche
durch einzelne Gläubige in jener allgemeinen Weise zu verbieten, und es
ergehe sich auch aus der Botschaft des Bundesrates zum Gesetzesentwurfe,
dass man an eine derartige Massnahme nie gedacht habe. Sei demnach die
streitige. Verordnungsvorschrift verfassungswidrig so gelte dies aber
auch für die auf sie gestützten Verfügungen. Selbst wenn die Bestimmung
an sich als gültig angesehen werden müsste, wäre die ihr im vorliegenden
Fall gegebene Anwendung willkürlich, weil mit dem darin verwendeten
Begriffe der Massenzusammenkunft, wie schon die Zusammenstellung
mit den Märkten zeige, unmöglich auch Gottesdienst und Kirchenbesuch
gemeint sein können. Auch verstosse es gegen die Rechtsgleichheit, nur
die Kirchen zu schliessen, andere Lokale, die eine gleiche oder noch
höhere Gefahr für die Verschleppung der Epidemie bieten, wie Schulen,
Wirtschaften und Fabriken dagegen offen zu lassen. So habe allein die
Maschinenfabrik Oerlikon in jener Zeit 3000 Arbeiter beschäftigt und im
ganzen seien damals über 5000 Arbeiter in der Gemeinde tätig gewesen,
wie überhaupt das ganze geschäftliche und gewerbliche Leben in keiner
Weise unterbunden worden sei.
C. Gleichzeitig haben die Rekurrenten gegen den Entscheid wegen der
behaupteten Verletzung des eidgenössischen Epidemiengesetzes auch beim
Bundesrat nach
360 Staatsrecht.
Art. 189 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
Art. 194 ebenda ist die Priorität in der Behandlung der Sache dem
Bundesrat zugewiesen werden. Am 24. Oktober 1922 hat dieser sodann
die an ihn gerichtete Beschwerde abgewiesen mit der Begründung, das
Bundesgesetz vom 2. Juli 1886 stelle nur das Minimum der Pflichten auf,
die den Kantonen zur Seuchenbekämpfung ohliegen, verbiete ihnen aber
nicht, darüber hinausgehende, noch wirksamere Massnahmen zu treffen.
Zur Beurteilung der Frage, ob § 31 der kantonalen Ver,ordnung vom 9. März
1888 eine hinreichende Grundlage für die getroffenen Massnahmen bilde
und ob diese den konkreten Verhältnissen angemessen gewesen seien, sei
der Bundesrat nicht zuständig, weil es sich dabei um die .
Auslegung kantonalen Rechtes handle. Sollte diese Auslegung der
Bundesverfassung widersprechen, so wäre es Sache des Bundesgerichtes
dagegen einzuschreiten.
I). In der daraufhin erstattet-en Vernehmlassung zu der an das
Bundesgericht gerichteten Beschwerde hat der Regierungsrat von Zürich
deren Ahweisung beantragt und inbezug auf die Rüge ungleicher Behandlung
bezw. der Unterlassung gleicher Massnahmen gegenüber anderen, ebenso
gefährlichen Menschenansammlnngcn und Betrieben in tatsächlicher Beziehung
festgestellt:
a) Schulbesuch. Beim Auftreten von Pocken unter schulpflichtigen Kindern
wurde neben der sofortigen Einlieferung des Patienten ins Pockenspital
über alle als Pockenkontakte festgestellten Personen Internierung
ver-fügt. Im weitem wurden sämtliche Kinder des gleichen Hauses von
der Schule ferngehalten. Die Schulhehörden wurden jeweils sofort von
der Erkrankung eines Schülers benachrichtigt (Beilagen 1 und 2). Die
Lehrerschaft hatte auch darüber zu wachen, dass die von der Schule
ausgeschlossenen Kinder tatsächlich dem Unterricht fern blieben. Bei
der Feststellung von Pocken an einem Kinde, das in erkranktem Zustande
die Schule noch besucht hatte. wurde der Unterricht in der betreffenden
KlasseKuh-MeliN° 45. 361
sofort eingestellt, die Schüler durchgeimpft und das Zimmer einer
gründlichen Desinfektion unterzogen. Die Lehrerschaft wurde angewiesen,
dem Gesundheitswstand der Schüler vermehrte Aufmerksamkeit zuzuwenden,
jedes irgendwie unpässliche, namentlich mit Ausschlag behaftete Kind,
sogleich aus der Schule zu weisen und bei den Eltern auf ärztliche
Untersuchung zu dringen. Sämtliche Schulklassen wurden überdies durch
die Schulärzte der Primarund Sekundarschule dauernd kontrolliert.
Jedes der Schule fernhleibende Kind wurde vom Arzt sofort zu Hause
besucht. Auf diese Weise wurde bei 90 fehlenden Kindern Impffieber
festgestellt. Zwanzig in Pockenhäusern internierte Kinder konnten nicht
besucht werden. In die Ferienkolonie wurden nur solche Kinder aufgenommen,
die innert wirksamer Frist geimpft worden waren. Von der gänzlichen
Einstellung des gesamten Schulunterrichtes wurde Umgang genommenEs
geschah dies auf Grund der Erfahrungstatsache, dass bei richtiger
schulärztlicher Überwachung des Gesundheitszustandes der Schüler die
Gesunden wenigstens den grösser-i Teil des Tages in der Schule vor der
Berührung mit infekti'osen Kranken gesichert sind. Sind sie dagegen von
der Schule dispensiert, so haben sie. den ganzen Tag Gelegenheit, Zimmer
und Wohnung von Kranken zu betreten und sich auch sonst durch Berührung
mit Patienten der Ansteckung auszusetzen, ja nach verfügtem Schulschluss
sofort nachallen Windrichtungen und sogar ungeimpft in die Ferien zu
verstieben. Durch die dauernde ärztliche Überwachung der Schüler wurde
die. Kontrolle ,über den Umfang der Epidemie erleichtert ; sie allein
crmöglichte sogar in einzelnen Fällen die sofortige Feststellung neuer
Pockenherde.
b) Vorsichtsmassnahmen bei Wirtschaften, Hotels. An erwachsene Bewohner
von Pockenhäusern wurde die Bewilligung erteilt, ihren Beruf auszuüben
und die unbedingt notwendigen Kommissionen zu besorgen. Dagegen wurde
ihnen der Besuch öffentlicher Lokale, in erster
362 Staatsrecht.
Linie der Besuch von Wirtschaften verboten. Diese Massnahme hielt sich
im übrigen im Rahmen der durch die Rekurrenten angefochtenen Verfügungen
der Direktion des Gesundheitswesens.
c) Eigentliche Wirtschaftslokalitäten. Gestattet blieb stets der
gewöhnliche Wirtschaftsbetrieb, ausgenommen eine einzige Wirtschaft,
da in der Familie des Besitzers ein Pockenfall vorgekommen war. Die
Schliessung dauerte jedoch nur bis nach vollzogener Lokal-, Wohnungsund
Personaldesinfektion und Durchimpiung. Um in der ökonomisch schwierigen
und arbeitslosen Zeit durch gänzliche Schliessung gewerblicher Betriebe
viele Personen nicht völliger Verdienstund Brotlosigkeit auszusetzen,
wurde durchaus an dem Grundsatze festgehalten, gewerbliche Betriebe nur
im äussersten Notfalle einzuschränken. Mit den Wirtschaften konnte von
diesem Grundsatze keine Ausnahme gemacht werden. Sie hatten überdies
durch einschränkende Massnahmen während der Grippe-Epidemie und der
Maulund Klauenseuche bereits stark gelitten. Schliesslich darf auch
nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Verbot aller Veranstaltungen
(Anlässe, Versammlungen, Vereinsproben, etc.) das Wirtschaftsgewerbe
ohnehin fast ganz brach legte (vgl. Beilage 3).
d) Übertretung des Versammlungsverbotes. Die Vorschriften über das
Versammlungsverbot wurden von der Gesundheitsbehörde Oerlikon genau
gehandhabt. Wenn irgend eine Versammlung während der kritischen Zeit
abgehalten werden sein sollte, so Wäre dies vollständig ohne Wissen
der Behörden geschehen. Sofern die Rekurrenten in der Lage sind, solche
verbotenen Veranstaltungen zu melden, so beantragen wir Ihnen, die genauen
Angaben hierüber uns zur Aufklärung des Sachverhalts zuzustellen. Dem
Verbot vom 12. Mai 1921 wurde sofort Nachachtung verschafft und alle
in jener Publikation aufgezählten Anlässe, in einzelnen Fällen in der
letzten Stunde verhindert.
E. Replizierend haben die Rekurrenten die AngabenKultusfreibeit. N°
45. 383,
über den Umfang der hinsichtlich des Schulbetriebs getroffenen
Vorsichtsmassregeln zum Teil bestritten. Die Gesundheitskommission
habe jeweilen die Schulpflege benachrichtigt, wenn ein Schüler wegen
Beziehungen zu einer ansteckenden Krankheit interniert oder unter
Quarantaine gestellt worden sei; ferner sei beim Anktreten von P'ocken
in einer Klasse der Unterricht bis nach vollzogener Desinfektion
des Schulzimmers eingestellt worden. Wenn ein Kind einige Tage von
der Schule weggeblieben sei, habe es der Schularzt besucht. Von einer
kontinuierlichen Kontrolle der Schüler durch Ärzte, wie sie die Antwort
behaupte, sei nicht die Rede gewesen. Auch. sei es nach eingezogenen
Erkundigungen nicht richtig, dass den Bewohnern von Poekenhäusem der
Besuch öffentlicher Lokale, insbesondere der Wirtschaften verboten
worden sei.
F . Der Regierungsrat von Zürich hat demgegenüber an der Darstellung
in der Antwort festgehalten und ergänzend beigefügt: Die erfolgreiche
Bekämpfung einer Pockenepidemie erfordere vor allem die sofortige
Fest-stellung von Neuerkrankungen. Die beste Möglichkeit zu dieser
Kontrolle böten Schulbesuch und Arbeitsstätten : Schüler und Arbeiter
erschienen hier täglich und regelmässig. Die Abwesenheit jedes einzelnen
sei dem Aufsichtsführenden sofort ersichtlich. In Epidemienzeiten,
wo Schüler und Arbeiter ausdrücklich auf die bestehende Gefahr und die
Pflicht zu sofortiger Anzeige der Abwesenden aufmerksam gemacht Würden,
ermöglichten daher ihre Angaben die rasche und sichere Ermittlung von
neuen Erkrankungsherden. Ganz anders verhalte es sich mit dem durchaus
unkontrollierbaren Kirchenbesuch und den übrigen Veranstaltungen. Wo
Ausnahmen vom Versammlungsverbote gemacht worden seien, sei dies dem-nach
im Interesse der möglichst genauen Kontrolle über den Umfang der Epidemie
und ihrer wirksamen Be- kämpfung geschehen.
G. Schon der Bundesrat hatte in seinem Entscheide
364 staatsrecht-
die Frage aufgeworfen, ob nicht die an ihn gerichtete Beschwerde
infolge des Erlösehens der Pockenepidemie in Oerlikon und der im
Zusammenhang damit erfolgten Zurücknahme der angefochtenen Verfügungen
als gegenstandslos geworden zu betrachten sei. Auf [Anfrage des
bundesgerichtlichen Instruktionsrichters hat der Regierungsrat von Zürich
bestätigt, dass das Verbot des Gottesdienstes und Kirchenbesuehs schon am
10. Juni 1921 wieder aufgehoben worden sei. Da die Gesundheitsdirektion
jederzeit wieder in die Lage kommen könne, bei einer künftigen Epidemie
in irgend einer Gemeinde die gleichen Anordnungen zu treffen, würde es die
Regierung indessen begrüssen, wenn das Bundesgericht sich gleich-wohl zur
Beschwerde materiell ausspräche. Andererseits haben auch die Rekurrenten
erklärt, dass sie diese unter allen Umständen aufrechthalten und sich
mit der Abschreibung wegen Gegenstandslosigkeit nicht einverstauden
erklären könnten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1. Die Frage der Parteiund Rekursfähigkeit des katholischen Pfarramtes
Oerlikon braucht nicht untersucht zu werden, da unter allen Umständen
der ZweitRekurrent Hauser als Pfarrer einer religiösen Gemeinschaft
in der Gemeinde, auf die sich das angefochtene Kultusverbot bezieht,
zum Rekurse gegen dieses legitimiert ist.
2. Voraussetzung des staatsrechtlichen Reknrses wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte ist regelmässig ein aktuelles, praktisches
Interesse, das der Rekurrent an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit
der angefochtenen Verfügung hat. Es kann ausnahms-weise gegeben sein,
trotzdem die Aufhebung der Verfügung selbst keine unmittelbare Wirkung
mehr auszuüben vermag, weil sie inzwischen wieder zurückgenommen worden
ist oder das Gesuch, das damit abgewiesen wurde, sich auf die Einräumung
einer Befugnis für eine bestimmteKultusfreiheit. N° 45. 365
inzwischen schon abgelaufene Zeit bezog ; dann nämlich, wenn
der Rekurrent das Verhalten der Behörden in der Angelegenheit zur
Grundlage einer Sehadenersatzklage machen will und nach der kantonalen
Gerichtsorganisation unsicher ist, ob der damit befasste Richter die
Vorfrage der Rechtmässigkeit der betreffenden Verwaltungsverfügung in
seine Prüfung einbeziehen könnte, oder nicht vielmehr an die formale
Rechtskraft der Verfügung gebunden wäre (AS &? I S. 143 Erw. 1). Hier
kommt dieser besondere Tatbestand nicht in Betracht. Doch wird
überhaupt das gedachte prozessuale Erfordernis für die Zulässigkeit
der Beschwerdeführung da nicht streng festgehalten werden können, wo es
sich um Eingriffe handelt, die sonst überhaupt nie der Überprüfung des
Bundesgerichts auf ihre Verfassungsmässigkeitunterstellt werden könnten,
andererseits nach ihrer Natur und ihrem Gegenstand sich jederzeit in
gleicher Weise wiederholen können, wie es z. B. für die Beeinträchtigung
des Versammlungsreehts durch das Verbot einer auf einen bestimmten Tag
festgesetzten Versammlung oder die Verletzung anderer Freiheitsrechte
durch vorübergehende Massnahmen zur Bekämpfung eines ausserordentlichen
Notstandes (Epidemie, Seuche und dergl.) zutrifft. Soll die Beachtung der
verfassungsmässigen Garantien und ihre Auslegung in solchen Fällen nicht
dem Belieben der kantonalen Behörden überlassen bleiben, so kann daher
die Tatsache, dass die angefochtene Verfügung inzwischen wieder hinfällig
geworden ist, in ihren unmittelbaren Wirkungen nicht mehr beseitigt
werden kann, nicht dazu führen, das Eintreten auf den Rekurs Wegen
Gegenstandslosigkeit abzulehnen. Bei der jederzeitigen Wiederholbarkeit
des Eingriffs erschöpft sich das Interesse des Rekurrenten auch nicht an
der Erledigung des konkreten Falles. Ist dem die Beschwerde gutheissenden
Urteil ein unmittelbarer praktischer Erfolg versagt, so kann es doch
der kantonalen Behörde eine. Wegleitung für ihr Verhalten in der Zukunft
bieten. In der Natur der Sache liegt es
366 Staatsrecht.
dabei immerhin begründet, dass dem Bundesgericht in einem solchen Falle
dann, wenn die Zulässigkeit der Massnahme gerade im konkreten Falle,
der die Beschwerde ausgelöst hat, von der Feststellung hestrittener
tatsäch-licher Verhältnisse abhängt, Erhebungen darüber nicht
zugemutet werden können, sondern dass es sich auf die Entscheidung
der grundsätzlichen Frage beschränken wird, ob der Eingriff unter der
Voraussetzung des Zutreffens des von der kantonalen Behörde behaupteten
Tatbestandes statthaft war, bezw. welche tatsächlichen Bedingungen
dazu erforderlich gewesen wären. In diesem Sinne ist deshalb auf den
vorliegenden Rekurs einzutreten, wie es schon der Bundesrat hinsichtlich
der bei ihm erhobenen Beschwerde getan hat.
3. Die Rüge der Verletzung von Art. 69
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
Widerspruch der angefochtenen Verfügungen zu dem in Ausführung jenes
Verfassungsartikels erlassenen Bundesgesetze vom 2. Juli 1886. Sie
erledigt sich deshalb durch die Feststellung des Bundesrates als der
zur Aufsicht über die Anwendung dieses Administratibund Polizeierlasses
des Bundes nach Art. 189 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
ein solcher Widerspruch nicht vorliege, das Bundesgesetz die Kantone
nicht hindere, zur Bekämpfung einer Epidemie weitergehende Massnahmen zu
treffen, als es selbst von Bundesrechts wegen vorsieht. Es mag übrigens
noch auf die Urteile in Sachen Weiss'enhach, Squindo und Engel (AS
2311 S. 1546 ff. insb. Erw. 2; 40 1160; 47 I S. 141) ver-wiesen werden,
wo das Bundesgericht über die Bedeutung der in Art. 69
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 69 Kultur - 1 Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
|
1 | Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig. |
2 | Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern. |
3 | Er nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle und die sprachliche Vielfalt des Landes. |
Übertragung des Gesetzgebungsrechts an den Bund inbezug auf die Bekämpfung
übertragbarer oder stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von
Menschen und Tieren bereits die gleiche Anschauung vertreten hat.
4. Die angefochtenen Verfügungen vermögen sich nun in ihrem ersten Teile,
(1. h. soweit sich das damit erlassene Verbot gegen die Veranstaltung
eigentlicher,-
Kultusfreiheit. N° 45. 36?
gemeinschaftlicher Gottesdienste richtet, zweifellos auf eine solche
Vorschrift des kantonalen Rechts, nämlich § 31 der zürcherischen
Verordnung vom 9. März 1888 zu stützen. Der Ausdruck Massenzusammenkunft
umfasst nach dem Sprachgebrauch jede Veranstaltung, durch die
eine grössere Anzahl von Menschen zusammengeführt werden soll. Eine
Beschränkung nach dem Zwecke, dem die Versammlung dient, ist darin nicht
enthalten, wie denn derselbe für die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit
der Veranstaltung vom Standpunkte der Epidemienpolizei gleichgültig
ist. Dass die Bestimmung von Märktenund Massenzusammenkünften spricht,
schliesst diese weite Auslegung nicht aus, nachdem an ' dererseits
dem letzteren Begriffe kein Zusatz beigefügt ist, der ihm eine engere
Bedeutung geben würde, als ihm an sich zukommt. Es kann demnach
darunter ohne Zwang auch der Gottesdienst gebracht werden, sofern es
sich wenigstens nicht um eine religiöse Gemeinschaft handelt, die in
der betreffenden Gemeinde so wenige Anhänger zählt, dass eine erhebliche
Menschenansammlung mit ihren Kultusveranstaltungen von vorneherein nicht
verbunden sein kann. ,
In der gedachten Beschränkung stehen dem Verbote auch
gesundheitspolizeiliche Gründe zur Seite, die stark genug sind, um das
besondere Interesse an der freien Kultusausübung davor zurücktreten zu
lassen. Es genügt in dieser Beziehung auf den Bericht des eidgenössischen
Gesundheitsamtes an den Bundesrat zu der an diesen gerichteten Beschwerde
zu verweisen, wo die Massnahme ebenfalls grundsätzlich als durchaus
berechtigt bezeichnet wird, da es eine bekannte Tatsache sei, dass
neben der Isolierung der Patienten und ihrer nächsten Umgebung, das
Verbot der Veranstaltungen, welche zur Ansammlung zahlreicher Personen
am gleichen Orte oder im gleichen Raume führen können, eines der besten
Mittel zur Bekämpfung einer Epidemie in allen denjenigen Fällen bildet,
wo die Träger des Ansteckungsstoffes un--
368 Staatsrecht.
erkannt frei herumlaufen können und dadurch eine Gefahr für die
Gesellschaft bedeuten. So hat denn auch der Bundesrat schon bei der
Grippe-Epidemie von 1918 die Kantone und Gemeinden allgemein ermächtigt,
alle Veranstaltungen zu verbieten, welche zu Massenansammlungen führen
könnten. Danach kann aber das Verbot, unter der Voraussetzung der Währung
der Rechtsgleichheit, auch nicht unter Berufung auf Art. 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
|
1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
werden. Denn er gewährleistet die Freiheit gottesdienstlieher Handlungen
nur in den Schranken der allgemeinen Rechtsordnung, d. h. der zur Wahrung
der Interessen der Gesamtheit erlassenen allgemeinen Gebote der Bundesund
kantonalen Gesetzgebung, wobei es allerdings, um eine Beschränkung als
zulässig erscheinen zu lassen, nicht genügt, dass sie sich auf eine
solche Vorschrift des kantonalen Rechts zu stützen vermag, sondern die
Frage, ob der damit verbundene Eingriff in die Kultusfreiheit durch
hinreichende schutzwürdige Interessen der Allgemeinheit gerechtfertigt
wird, vom Bundesgericht frei zu überprüfen ist (AS 38 I S. 491 Erw. 2
u. 3 mit Zitaten und das Urteil vom 3. März 1923 i. S. Vogel gegen
Wald). Ob speziell im vorliegenden Falle ein solches Kultusverbot
nach den Umständen, der Stärke und Gefährlichkeit der Epidemie
geboten und begründet war, ist eine Frage, die nach dem in Erwägung
1 Ausgeführten heute nicht mehr untersucht· zu werden brauchte. Doch
darf auch sie unbedenklich bejaht werden, nachdem das unbeteiligte,
sachverständige eidgenössische Gesundheitsamt der Ansicht der kantonalen
Gesundheitspolizeibehörden'in dieser Beziehung wiederum beigetreten
ist und erklärt hat, dass die Gemeinde Oerlikon die Bestimmungen der
kantonalen Gesetzgebung in einer durch die aussergewöhnlichen Verhältnisse
gegebenen Weise angewendet habe.
Soweit sich das Verbot auf die Veranstaltung eigentlicher,
gemeinschaftlicher Gottesdienste beschränkt, kann auch von einer
rechtsungleichen Behandlung nicht ge-% ___pfim ...
Y-
Kultusfreiheit. N° 45. 369
sprechen werden. Läge sie vor, so wäre dadurch nicht nur
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
|
1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
ein Ausfluss der hier enthaltenen Garantie der Kultus-
freiheit ist, dass die allgemeinen Gebote der kantona-
len Rechtsordnung gegenüber Kultushandlungen nicht
strenger gehandhabt werden dürfen, als gegenüber andern ihnen
gleichzustellenden Veranstaltungen.
Insofern die Rüge sich darauf bezieht, das nur die Kirchen, nicht auch
die Schulen geschlossen worden seien, wird sie durch die Ausführungen
des Regierungsrates über die Verschiedenheit der Verhältnisse bei beiden
hinsichtlich der Gefahr einer weiteren Ausbreitung der Krankheit und ihrer
Bekämpfung hinreichend widerlegt. Selbst wenn der Umfang der Überwachung
des Schulbetriebes nicht ganz der in der Beschwerdeantwort vorausgesetzte
gewesen sei, sondern sich im wesentlichen auf die von den Rekurrenten
zugegebenen Massnahmen beschränkt haben sollte, so bleibt doch bestehen,
dass die Offenhaltung der Schulen zugleich eine Kontrolle über den
Gesundheitszustand der Schulkinder und das sofortige Eingreifen hei
dadurch zu Tage tretenden neuen Krankheitsfallen ermöglichte, welchen
Vorteilen gegenüber die damit verbundene Übertragungsgefahr als das
geringere Übel erschien, eine Erwägung, die für die Gottesdienste
nicht zutrifft. Ähnliches gilt für die Offen-lassung der grossen
Gewerbebetriebe. Auch wenn man hier jenes Motiv für nicht so
durchschlagend ansehen wollte, könnte doch deshalb der kantonalen
Behörde der Vorwurf ungleicher Behandlung nicht gemacht werden. Es
ist vom Bundesgericht schon wiederholt ausgesprochen worden, dass bei
der Beurteilung zur Bekämpfung von Epidemien oder Seuchen getroffener
Massnahmen vom Standpunkte der Rechtsgleichheit der Natur der Sache nach
nur ein relativer Massstab angelegt werden kann, weil das Interesse an
der Verhütung der Anstekkung, das in seiner äussersten Konsequenz die
Unterbindung jeden Personenverkehrs fordern wiirde, dabei
370 Staatsrecht.
stets und notwendigerweise mit dem ihn entgegenstehenden Anforderungen
des wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Widerspruch geraten wird,
welche die Aufrechterhaltung jenes Verkehrs erheischen. Der kantonalen
Behörde kann deshalb nicht verargt werden, wenn sie von einer Massnahme,
welche weite Kreise der Bevölkerung arbeitslos machen und ihrer
Einnahmen berauben würde, wie der Schliessung der Fabriken und grösseren
Gewerbebetriebe, solange absieht-, als es irgend wie angeht, und sich
auf diejenigen Eingriffe beschränkt, die ohne eine so schwerwiegende
Verletzung allgemeiner Interessen durchgeführt werden können (AS 46 I
S. 498 mit Zitat).
Die W i r t s c h a f t e n aber sind insofern nicht günstiger behandelt
worden, als die Abhaltung irgendwelcher Versammlungen, Vereinsoder
sonstigen festlichen Anlässe in ihnen ebenfalls unbedingt verboten
wurde. Wenn nicht weitergehend jeder Wirtschaftsbesuch überhaupt untersagt
wurde, so liegt hierin abgesehen davon, dass jedenfalls hinsichtlich des
Zutritts von Personen, die hier ihre Mahlzeiten einzunehmen genötigt sind,
eine Ausnahme hätte zugestanden werden m ü 5s e n, kein Widerspruch zum
Verbot der Gottesdienste. Denn im Gegensatz zu den letztern kann bei
diesem individuellen Wirtschaftsbesuche, der nicht durch irgend einen
besondern, verabredeten gemeinsamen Anlass, sondern einfach durch das
persönliche Bedürfnis, eine Erfrischung zu sich zu nehmen, hervorgerufen
wird, von der Abhaltung einer Massenzusammenkunft , überhaupt von
einer Zusammenkunft nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich
um ein gewöhnliches Zusammentreffen einer Anzahl von Personen, wie
es auch an jedem andern Orte stattfinden kann. Selbst wenn dadurch zu
gewissen Tagesstunden verhältnismässig zahlreiche Besucher im gleichen
Raume zusammengeführt werden sollten, hat man es dabei doch immer nur
mit einer zufälligen und nicht, wie beim Gottesdienst, der eben eine
veranstaltete Zusammenkunft ist, mit einerMakkxKultusfreiheit. N° 45. 371
notwendig vorhandenen sitnation zu tun. Es kann daher auch hier von
einer ungleichen Behandlung nicht die Rede
sein, wenn schon es stossen mag, das die Behörden sich in
dieser Beziehung nicht zu einem strengeren Vorgehen entschliessen
konnten und sich so den Anschein gaben, dem einfachen wirtschaftlichen
Interesse einiger Geschäftsleute grössere Bedentung beizumessen als dem
ethischreligiösen Interesse an der Aufrechterhaltung der Gottesdienste.
--
5. Anders verhält es sich, soweit durch die Ergänzungsverfügung
vom 26. Mai 1921 jeder , auch der individuelle, nicht zum Zwecke der
Teilnahme an irgend einer gemeinschaftlichen Kultushandlung erfolgende
Kirchenbesuch untersagt worden ist. In dieser Beziehung fehlt dem Verbote
zunächst schon die nach Art. 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
|
1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
dabei von einer Massenzusammenkunft" 1 Ssisssi'von 5,31 der Verordnung
vom März 1888 aus gleichen Erwägungen, wie sie soeben in anderem
Zusammenhange angestellt worden sind, offenbar nicht die Rede sein
kann. Im angefochtenen Entscheide des Regierungsrates wird aber für
die Massnahme keine andere Grundlage, als jene Vorschrift angeführt
; insbesondere wird sie nicht etwa auf § 28 der späteren Verordnung
betreffend die Bekämpfung von ühertragbaren Krankheiten vom 29. Februar
1912 zu stützen versucht, wonach für besondere Verhältnisse von den
Gemeinden weitere über die Vorschriften dieser Verordnung hinausgehende
Bestimmungen erlasseu werden können . Es wäre dies auch nicht wohl
möglich, weil die gedachte Bestimmung hiefür ausdrücklich nicht nur
wie § 31 der Verordnung von 1888 die Genehmigung der Direktion des
Gesundheitswesens, sondern des Regierungsrates fordert, die natürlich
durch die nachträgliche Abweisung eines gegen die Massnahme gerichteten
Rekurses durch den Regierungsrat in einem Zeitpunkt, wo jene schon wieder
dahingefallen ist, nicht ersetzt werden kann.
Das Verbot verstösst aber in diesem Punkte auch gegen
372 ss St aatsrecht.
die Rechtsgleichheit. Der individuelle Kirchenbesuch, der mit
keiner gemeinschaftlichen Kultushandlung in Verbindung steht, bildet
hinsichtlich der Verschleppung der Epidemie keine grössere Gefahr als das
Aufsuchen irgend eines andern Raumes, bei dem unter Umständen noch ein
Zusammentreffen mit einer oder mehreren anderen Personen stattfinden kann,
wie insbesondere der Wirtschaften. Es liegt deshalb darin, wo es sich bei
diesen andern Lokalitäten nicht etwa um lebenswichtige, für die Ernährung
der Bevölkerung, die Gewinnung des Lebensunterhalts vieler Personen oder
ähnliche Zwecke notwendige Betriebe handelt, eine Schlechterhehandlung
der Anhänger der verschiedenen Bekenntnisse hinsichtlich ihrer religiösen
Interessen, die durch keine hinlänglichen sachlichen Gründe gerechtfertigt
werden kann. Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass die
Zulassung des individuellen Kirchenbesuches dazu missbraucht werden
könnte, die statthafterweise verbotenen Gottes-dienste auf Grund einer
stillen Verabredung, zu einer bestimmten Stunde gleichzeitig in der Kirche
zusammenzutreffen, in Wirklichkeit doch abzuhalten. Ein solches Vorgehen
würde zweifellos eine Umgehung des Gottesdienstverbotes enthalten, gegen
die die Behörden mit den entsprechenden Repressivmassregeln einsehreiten
könnten. si '
Damit soll die Frage nichtpräjudiziert sein, ob nicht selbst das
Weitergehende Verbot des individuellen Kirchenbesuches unter Umständen
giltig erlassen werden könnte, wenn das kantonale Recht dazu die
Handhabe bietet und die zur Bekämpfung der Epidemie verfügten
Verkehrsheschränkungen auch sonst so weit gehen, dass darin eine
Ausnahmehehandlung nicht erblickt werden kann. Unter Voraussetzungen,
wie sie hier vorlegen, ist es jedenfalls vor Art. 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
|
1 | Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet. |
2 | Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden. |
3 | Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
haltbar, wenn schon man in der unvollständigen Art, in der die katholische
Kirchgemeinde Oerlikon sich der früheren, zulässigen Verfügung vom 7. Mai
1921 unterzogen hatte, undGerichtsstand. N° 46. 373
in dem Drange der Umstände dafür psychologisch eine Erklärung finden
mag. :
Demnach erkennt das Bundesgericht :
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen teil;weise gutgeheissen.
VIII. GERICHTSSTAND si
FOR
46. Urteil vom 12. Mai 1923 i. S. Schweiz. Bundesbahnen gegen Becker
und Glarus, Obergericht.
Klage gegen eine Bahnunternehmung auf Einzäunung eines" im Bahneigentum
stehenden Weges, an dem dem Kläger bei Ersteilung der Bahn zum Ersatz
eines untergehenden Weges ein Wegrecht eingeräumt worden ist. Kompetenz
der or-. deutlichen Zivilgerichte oder der Expropriationsbehörden
(Schätzungskommission und Bundesgericht) '? Einrede, dass der Kläger
den Anspruch auf Einfriedung durch Nichtanmeldung bei der früheren
Expropriation verwirkt bezw. durch Unterlassung der Geltendmachung in
jenem Expro , priationsverfahren darauf verzichtet habe.
A. Ende 1873 hat die Schweizerische Nordostbahn den Plan für die
linksufrige Zürichseebahn Zürich-Ziegelbriicke aufgelegt. Danach wurde
in der Gemeinde Bilten die Liegenschaft Hauseri des Peter Zweifel
durchschnitten. Der südlichen Grenze dieser Liegenschaft entlang, hatte
ein Flurweg geführt, an den verschiedene Grund--
eigentümer bestimmte Wegrechte von der Landstrasse. · her nach ihren
östlich gelegenen Liegenschaften besi
sassen, darunter Heinrich Becker. Die Nordostbahn, AS481 1923 J 26