188 staatsrecht-

gerichts Wallis vom 19. September 1922 festgestellt, dass der Kanton
Wallis von der Rekurrentin ab 1921 während der für den Bau bewilligten
Frist den Wasserzins nicht erheben darf. Im übrigen wird auf die
Klage nicht eingetreten. Auf den staatsrechtlichen Rekurs wird nicht
eingetreten.

IX. STAATSVERTRÄGE

TRAITÉS INTERNATIONAUX

24. Urteil vom 2. Februar 1923 i. S. Lepeschkin gegen Zürich Chez-gamut.
Zivilprozesskonvention vom 17. Juli 1905. Frage der Anwendbarkeit im
Verhältniss zu Russland bezw. russischen Staatsbürgern. Stellung des
Richters in dieser Frage. Pflicht desselben zur Anwendung der Konvention
ohne Rücksicht auf ihre Erfüllung durch den betr. anderen Vertragsstaat,
solange nicht eine Rücktrittserklärung oder Retorsionsanordnung der
hiezu zuständigen politischen Bundesbehörde gegenüber diesem ergangen ist.

A. Die Rekursbeklagte 'Firma Gossweiler & Cie in Tiflis wirkte am
24. Dezember 1920 gegen den Rekurrenten Lepeschkin, der russischer
Staatsangehöriger (aus dem Staate Moskau) ist, in Zürich für eine
Forderung von 6000 Fr. nebst Zins zu 5 % seit dem gleichen Tage
Arrest auf gewisse dort liegende Aktiven aus und leitete auf den
vom Generalbevollmächtigten des Rekurrenten gegen die anschliessende
Betreibung erhobenen Rechtsvorschlag Klage auf Anerkennung der Forderung
samt Arrestund Betreibungskosten ein, wobei der Rekurrent als unbekannt
wo in Polen sich aufhaltend Staatsverträge. N° 24. , 189

bezeichnet wurde. Durch Urteil vom 18. Juli 1922 hiess das
Bezirksgericht Zürich die Klage in vollem Umfange gut. Der Rekurrent
erklärte dagegen die Berufung ans Obergericht. In Anwendung Von §
59 der züreherischen ZPO, wonach der Kläger oder derjenige, welcher
gegen einen erstinstanzlicben Entscheid ein Rechtsmittel ergreift,
für Prozesskosten und Prozessentschädigung angemessene Sicherheit zu
leisten hat, falls er in der Schweiz keinen Wohnsitz hat, verlangte das
Bezirksgericht am 8. August vom Rekurrenten die Leistung einer Kaution
von 1200 Fr. in bar oder durch Hinterlegung solider Wertschriften oder
durch Bürgschaft eines habhaften, Kantonseinwohners, unter der Androhung,
dass sonst der Berufungserklärung keine Folge gegeben werde.

Lepeschkin kocht die Verfügung dureh Rekurs beim Obergericht an. Er trug
den Beweis dafür an, dass er seit mehr als einem Jahre fest in Paris
domiziliert sei, und machte geltend, dass die Kautionsauflage unter diesen
Umständen gegen Art. 17' der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht
vom 17. Juli 1905 verstosse. Dem Rekurs war eine Auskunft des Chefs der
Justizabteilung des eidgen. Justizund Polizeidepartements an den Anwalt
des Rekurrenten vom 25. August 1922 beigelegt, worin zwar bestätigt wurde,
dass weder Frankreich noch Russland die erwähnte Übereinkunft gekündigt
hätten, inbezug auf den letzteren Staat dann aber beigefügt wurde:
Tatsächlich ist die Durchführung der Konvention in Russland zur Zeit
unmöglich. Insbesondere ist es gegenwärtig ausgeschlossen, in Russland
die Vollstreckbarerklärung von Kostenentscheiden gemäss Art. 18 und 19
der Übereinkunft zu erwirken. Unseres Erachtens fällt daher Russland
zur Zeit als Konventionsstaat nicht in Betracht. ,

Das Obergericht ermässigte mit Beschluss vom 25. Oktober 1922 die Kaution
auf 800 Fr. und setzte dem Rekurrenten zu deren Beibringung eine Nachfrist

1 9%}! Staatsrecht.

an, wies dagegen im übrigen den Rekurs ab. Durch eine Bescheinigung des
Polizetkommissärs von Maisons Lafitte bei Paris vom 28. September 1922,
so wurde ausgeführt, sei zwar dargetan, dass der Rekurrent seit Juli
1921 in jener Stadt wohne. Da Art. 17 der Internationalen Übereinkunft
sich nach der Praxis des Bundesgerichts auch auf den Rechtsmittelkläger
beziehe, Wäre daher der Rekurrent in der Tat von der Kautionspflicht
befreit, wenn Russland auch unter der gegenwärtigen Staatsform und
Regierung noch als Vertragsstaat zu betrachten wäre. Dem Berichte des
eidgen. Justizdepartements, auf den als amtliche Äusserung ohne Bedenken
abgestellt werden dürfe-, sei nun aber zu entnehmen, dass in Russland die
Erfüllung der Verpflichtungen aus der Konvention zur Zeit nicht erhältlich
sei. Die Hindernisse, auf die die Durchführung stosse, mögen sich zum Teil
daraus erklären, dass die gegenwärtige russische Regierung von anderen
Staaten, worunter der Schweiz, nicht anerkannt worden sei. Doch sei dies
unerheblich. Die Nichtanerkennung der R eg i e r u n g eines Staates
bedeute nicht die Aufhebung vertraglicher Beziehungen mit diesem Staate,
wie ohne weiteres daraus erhelle, dass bei-Anerkennung der namlichen
oder einer anders zusammengesetzten Regierung die Geltung der Verträge
unbestritten sei. Da Verträge nur Anspruch auf Vollziehung hätten, wenn
beide Vertragsparteien imstande seien ihren Verpflichtungen nachzukommen,
was hier nicht zutreffe, und es dem Rechte widersprechen wurde, den
einen Teil zur Erfüllung als gehalten zu betrachten, während feststehe,
dass der andere nicht erfüllen werde, habe deshalb die Konvention und
zwar auch für die Schweiz in ihren Wirkungen als suspendiert zu gelten
und könne der Rekurrent als russischer Staatsangehöriger in der Schweiz
aus ihr zur Zeit keine Rechte herleiten.

B. Mit der vorliegenden Beschwerde verlangt cheschkin die Aufhebung
dieses Entscheides des Ober-Stautsvefiz'ä gc. : 2-5... . Exil

gerichts wegen Verletzung des streitigen Staatsvertrages. Die Erklärung
des Chefs der Justizabteilung des eidgen. J ustizdepartements
vvom 25. August 1922 enthalte lediglich eine persönliche
Ansichtsäusserung. Irgend ein konkreter Fall, in welchem Russland den
Vollzug der Zivilprozessübereinkunft verweigert hätte, werde darin
nicht namhaft gemacht. So lange dies nicht möglich sei, diirfe aber
auch nicht ,einfach unterstellt werden, dass es nicht imstande oder
nicht Willens sei, seinen Verpflichtungen aus dem Vertrage nachzukommen
selbst wenn es wirklich denselben nicht sollte halten wollen oder
können, Würde dies überdies noch nicht ohne weiteres dazu berechtigen,
die Anwendung in der Schweiz gegenüber russischen Staatsangehörigen
ebenfalls zu 'suspendieren , sondern es würde der Schweiz dadurch nach
völkerrechtlichen Grundsätzen höchstens die Befugnis erwachsen den
Rücktritt von der Konvention zu erklären, was sie aber offiziell bis
heute nicht getan habe. Richtigerweise müsste auch ein solcher Rück-tritt
als ausgeschlossen gelten, weil es sich nicht um einen gewöhnlichen
rechtsgeschäftlichen Vertrag von Staat zu Staat, der unmittelbar vom einen
zum anderen einen Anspruch auf eine bestimmte Leistung gebe, sondern um
eine sog. rechtssetzende Vereinbarung zwischen mehreren Staaten handle,
die als solche allgemein verpflichtende, die sämtlichen Konventionsstaaten
bindende und der Willkür des einzelnen Staates entrückte Normen schaffe,
sodass deren Verletzung allein noch nicht gestatte, sie gegenüber dem
Verletzer als erloschen zu erklären (wofür auf JELLINEK, System der
subjektiven öffentlichen Rechte 2. Aufl. S. 313 verwiesen wird). Der Weg
für die Lossagung von der Vereinbarung sei durch Art. 29 derselben selbst
gewiesen, nämlich die Kündigung auf sechs Monate innert bestimmter Frist
durch Erklärung an die Regierung der Niederlande. Er könne nicht durch
eine suspendierung des Vollzuges zur Zeit im Sinne

1 92 staatsrecht-

des obergei'ichtlichen En'tscheides umgangen werden. Die
Unmöglichkeit, für einen allfälligen Kostenentscheid in Russland
die Vollstreckungsbewilligung zu erhalten, auf die der Bericht ,des
Departements hinweise, sei übrigens im vorliegenden Falle auch deshalb
unerheblich, Weil die Vollstreckung eines solchen Entscheides gegen
den Rekurren'oen in Frankreich zu geschehen hätte, wo sie ohne Zweifel
erhältlich sein werde.

Die nämlichen Einwendungen waren gegenüber dem zweiten Teile der Auskunft
des Justizdepartements schon in der kantonalen Rekursschrift ohne Erfolg
erhoben worden.

(.', Das Obergericht des Kantons Zürich ssI. Kammer hat auf
Gegenbemerkungen verzichtet. Die Rekursbeklagte Firma Gossweiler & Cie hat
Abweisung der Beschwerde beantragt. Sie bestreitet, dass der Rekurrent in
Paris Wohnsitz im Sinne des Art. 17 der Zivilprozesskonvention habe oder
doch am 8. August 1922, beim Erlass der angefochtenen Kauti'onsverfiigung
durch das Bezirksgericht, schon gehabt habe. Die blosse Tatsache, dass er
dort seit einiger Zeit polizeilich gemeldet sei, genüge hiefür nicht. Es
müsste der Wille dauernden Verbleibens hinzukommen.. Dafür fehle aber ein
Beweis. Wie andere russische Flüchtlinge, so beabsichtige offenbar anch
der Rekurrent in Paris nur solange zu bleiben, bis ihm eine Änderung
der Verhältnisse in der Heimat die Rückkehr gestatte, habe also dort
nur seinen zeitweiligen Aufenthalt. Auf die weiteren Ausführungen der
Antwort wird, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen Bezug
genommen werden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 17 der Haager Übereinkunft betr. Zivilprozessrecht vom
17. Juli 1905, der sowohl Frankreich als das Kaiserreich Russland
s.Z. beigetreten sind, darf Angehörigen eines Vertragsstaates, die in
einemStaatsverträge. N° 24. 193

anderen Vertragsstaate als Kläger oder intervenienten vor Gericht
auftreten, sofern sie ihren Wohnsitz in irgend einem der Vertragsstaaten
haben, wegen ihrer Eigenschaft alsAusländer oder deshalb, weil sie keinen
Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland haben, keine Sicherheitsleistung
oder Hinterlegung unter welcher Benennung es auch sei auferlegt
werden. Und Art. 18 und 19 verpflichten andererseits alle Vertragsstaaten,
Entscheidungen, wodurch ein nach Art. 17 von der Kautionspflicht befreit
gewesener Kläger oder Intervenient in die Prozesskosten verurteilt
worden ist, bei Erfüllung gewisser formeller Erfordernisse für ihr Gebiet
kostenfrei vollstreckbar zu erklären. _

2. Die Annahme des Obergerichts, dass der Rekurrent in einem
Vertragsstaate, nämlich Frankreich, domiziliert sei und es auch zur
Zeit derstreitigen Kautionsauflage schon gewesen sei, wird angesichts
der Bescheinignng des Polizeikommissariates von Maisons-Lafitte bei
Paris (act. 11), wonach er seit dem Juli 1921 ununterbrochen in dieser
Gemeinde wohnt, von der Rekursbeklagten zu Unrecht angefochten. Wenn
sogar der Wille,einen Ort inbestimmter Zeit wieder zu verlassen,
die zur Domizilbegründung erforderliche Absicht dauernden Verblejbens
nicht ausschliesst, falls nur der Aufenthalt auf eine gewisse Dauer
berechnet, nicht als bloss vorübergehender gedacht ist (AS 32 I s. 81,
EGGER zu Art. 23
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 23 - 1 Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
1    Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.23
2    Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.
3    Die geschäftliche Niederlassung wird von dieser Bestimmung nicht betroffen.
ZGB No. 2 c), so muss dies noch vielmehr gelten, wo
lediglich der Entschluss vorliegt, künftig einmal, wenn einstweilen
noch ungewisse Ereignisse es gestatten werden, wieder an einen anderen
Ort überzusiedeln. Dass aber den Rekurrenten zur Zeit noch mit einem
anderen Orte stärkere Bande verknüpfen würden, welche dazu führen
müssten, jenen und nicht Paris als Mittelpunkt seiner persönlichen
Beziehungen und Interessen zu betrachten, womit die Bestreitung des
Domizils in Paris unter diesen Umständen allein begründet werden könnte,
wird nicht behauptet.

194 Staatsrecht.

3. Da der Ausdruck Kläger in Art. k7 der Konvention auch denjenigen
umfasst, welcher gegen eine ihm ungünstige Entscheidung ein Rechtsmittei
ergreift, gleichviel welches seine Parteistellung im erstinstanzlichen
Verfahren war (AS 43 I S. 99, 451 s. 380), muss demnach der
Rekursgutgeheissen werden, wenn der Staat, dem der Rekurrcnt angehört.,
Russland auch heute noch als Vertragsstaat anzusehen ist oder nicht
Tatsachen vorliegen, welche dazu berechtigen, auch dann die Vollziehung
der Konvention gegenüber Angehörigen dieses Staates zur Zeit abzulehnen.

Für die Entscheidung der ersteren Frage spielt es keine Rolle, dass
die Konvention von Russland noch unter dem Kaiserreiehe abgeschlossen
worden ist. Es ist ein anerkannter unddurchaus unbestrittener Grundsatz
des internationalen Rechts, dass Veränderungen in der Regierungsferm
und inneren Organisation eines staates grundsätzlich auf seine
völkerrechtlichen Rechte und Pflichten keinen Einfluss auszuüben,
insbesondere die Rechte und Pflichten aus von ihm abgeschlossenen
staats-ertragen nicht aufzuheben vermögen. (LlszT, Völkerrecht
9. Auflage S. 52, ULLMANN, Völkerrecht iin Öffent. Recht der Gegenwart
(1908) S. 135 § 35, NlpPOLD, der völkerrechtlicher Vertrag S. 239
und 240 mit. Zitaten). Dass hier mit der Änderung der Regierungsform
eine tiefgreikende Umgestaltung der ganzen inneren Rechtsordnung, der
Beziehungen der Individuen unter sich und zum staate Hand in Hand gegangen
ist, die einen in grundsätzlichem Gegensatz zu der in allen andern
europäischen Staaten geltenden Ordnung stehenden Zustand geschaffen hat,
mag wohl, wenn damit gewisse tatsächliche V orhedingungen dahingefallen
sind, im Hinblick auf die und auf deren Fortdauer der Vertrag allein
geschlossen werden war, den anderen Vertragsstaaten unter Umständen
ein Recht zum Rückfritte aus dem Gesichtspunkte der völkerrechtliehen
sog. clausula rebus sic siantibus gaben. Davon, dass

-W.W-..sp _, .staats-einzige No 24. ss 195

Russland damit überhaupt die Eigenschaft eines Staates und snhjekts des
Völkerrechts verioren habe, wie. es die Rekursioeklagte behauptet, kann
nicht die Rede seinAls solcher erscheint es nach den völkerrechtlich
massgehenden Begriffsmerkmalen, solange es noch eine die Bevölkerung
eines bestimmten Gebietes unter einer selbständigen und unabhängigen
Herrschaftsgewalt zusammenfassende organisierte Gemeinschaft darstellt,
wie auch die Anerkennung oder Nichtanerkennung seiner Regierung durch
die Staaten dafür grundsätzlich ohne Bedeutung ist (Liszr,
S. 47 ff., Ullmann S. 129 ff. § 29, 30 insbes. S. 127 H).

Die Vorinstanz spricht denn auch den russischen Staatsangehörigen das
Recht sich auf die Konvention zu berufen, nicht aus derartigen Erwägungen
ab. Der Gesichtspunkt, von dem sie ausgeht, ist vielmehr derjenige der
Retorsion. Aus der auf die oben erwähnte Auskunft der Justizabteilung des
eidgen. Justizdepartcments gestützten Feststellung, dass von Russland die
Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der Konvention gegenüber der Schweiz
zur Zeit nicht erwirkt werden könne, wird das Recht des schweizerischen
Richters hergeleitet, auch seinerseits die Anwendung des Vertrages
gegenüber Russen zu verweigern, solange als nicht hierin eine Änderung
eingetreten sei. Damit wird aber die Stellung der Gerichte gegenüber den
Normen eines rechtssetzenden staatsvertrages verkannt. Die Verpflichtung
der rechtsanwendenden Behörden des einzelnen Vertragsstaates Zur Beachtung
eines derartigen Vertrages ergibt sich nicht aus dem Vertrage selbst,
der zunächst nur eine Bindung zwischen den beiden Staaten als solchen,
als Suhjekten des Völkerrechts schafft. Es ist dazu ein Akt des nach
internem Staatsrecht zuständigen Organs notwendig, der die Vollziehung der
Vertragsbestimmungen anordnet und ihnen damit auch im internen Verhältnis
verbindliche Kraft verleiht. (ULLMANN S. 253 sub VI, Lnnnxn Staats--

196 Staatsrecht.

recht 4. AuflsiBd. II §60, FLEINER Bundesstaatsrecht § 77). 'Die Annahme
eines Staatsvertrages durch die Bundesversammlung hat demnach rechtlich
eine doppelte Bedeutung : sie enthält einmal die zur Begründung der
völkerrechtlichen Bindung der Schweiz an den Vertrag erforderliche
Genehmigung desselben verbunden mit der Ermächtigung an den Bundesrat zum
Austausch der Ratifikationsurkunden; andererseits die Ausstatttung des
Vertragsinhalts mit Gesetzeskraft, seine Verbindlichkeiterklärung si für
Behörden und Bürger des eigenen Staates. Die Normen des so genehmigten
Vertrages stehen in. ihren Wirkungen einem internen ,Gesetze gleich und
müssen von den internen Behörden vollzogen werden, solange nicht der Akt,
der ihnen jene verbindliche Kraft verlieh, durch einen entgegengesetzten
Akt desOrgans, das ihn erlassen hat, wieder aufgehoben werden ist. Die
Aufgabe des Richters, bei dem ein Anspruch aus dem Vertrage von einem
Angehörigen des anderen Vertragsstaates geltend gemacht wird, beschränkt
sich demnach darauf zu prüfen, ob die Voraussetzungen, welche der Vertrag
selbst für die Entstehung des Anspruchs aufstellt, erfüllt sind; ist dies
der Fall, so muss der Anspruch anerkannt und kann nicht _aus Gründen
verneint werden, welche höchstens die staatliche Gewalt, von der die
Erhebung des Vertragsinhalts zum Bestandteil des inneren staat-

lichen Rechts ausgegangen ist, zum Widerruf des be-

"treffenden Aktes veranlassen konnte

!

stand des ss letzteren selbst aber unberührt lassen DieLösung könnte
ubrigens im vorliegenden Falle im End-

ergebnis auch dann keine andere sein, wenn man im__

Lgensatz zum Gesagten die interne staatsrechtliche Verbindlichkeit
des Vertrags und die völkerrechtliche Bindung der Schweiz nicht
auseinanderhalten wollte. Wenn die Lehre des Völkerrechts, wie schon
angedeutet,--

die Möglichkeit der Lossage von einem Staatsvertrage

wegen wesentlich veränderter Verhältnisse wo es

den We1terbe-_

Staatsverträge. N° 24. , 197

sich um den Wegfall eines Zustandes handelt, dessen Fortdauer die
ausdrückliche oder stillschweigende Voraussetzung des Vertragsschlusses
bildete grundsätzlich, freilich mit erheblichen Abweichungen hinsichtlich
der Bedingungen des Aufhebungsgrundes im einzelnen anerkennt und
wenn ferner unbestritten ist, dass der Bruch, die Nichterfüllung des
Vertrages durch den anderen Staat zu einer solchen Lossag'e berechtigt,
so steht doch andererseits fest, dass weder im einen noch im anderen
Falle von einem ipso jure eintretenden Erlöschen der vertraglichen,
Verbindlichkeiten die Rede sein kann, sondern der Staat, welcher von
diesem Rechte Gebrauch machen will, seinen dahingehenden Willen in
den Formen des Völkerrechts dem Vertragsgegner zu eröffnen hat. Beide
Tatbestände geben somit lediglich die Befugnis, den Rücktritt vom
Vert'rage zu erklären, ihn zu kündigen, wodurch erst die rechtgemässe
Befrei-

ung von demselben bewirkt werden kann (LISZT S. 170

bis 171, ULLMANN § 84 S. 284 sub VI, NIPPOLD S. 235 ff.). Die
Rücktritts-Kündigungserklärung aber kann der Natur der Sache nach wie
der Vertragsschluss nur dem Organe zustehen, dem die Verfügung über die

Eingehung vertragsmässigei Verbindlichkeiten gegen-ss

über anderen Staaten überhaupt staatsund volkarechtlich zukommt. Ùnd nicht
anders verhält es sich für die daneben allenfalls in Betracht fallende
vorübergehende Einstellung des Vollzuges zum Zweck der Re-.-torsion,
d. h. der Vergeltung für die Verletzung des

Vertrages durch den anderen Teil bis zu deren Behebung Auch sie
könnte als ein völkerrechtliches Mittel zur Ausübung eines indirekten
Erfüllungszwangs gegenüber dem anderen Staat nur Von der Gewalt ausgehen,
die über die Gestaltung der internationalen Beziehungen der Schweiz
zu entscheiden hat (wobei dahingestellt bleiben mag, ob auch hiefür
ein Beschluss der Bundesversammlung nötig wäre oder zu einem solchen,
die Geltung des Vertrages an sich unberührt lassenden

1 98 Staatsrecht.

Schritte der Bundesrat auf Grund von Art. 102 Ziff. 8
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 102 * - 1 Der Bund stellt die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicher für den Fall machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag. Er trifft vorsorgliche Massnahmen.
1    Der Bund stellt die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicher für den Fall machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag. Er trifft vorsorgliche Massnahmen.
2    Er kann nötigenfalls vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen.
BV allenfalls
selbständig befugt wäre). Nur gestützt auf eine derartige
Rücktrittserklärung oder Retorsionsanordnung der dazu allein
zuständigen obersten politisschen Bundesbehörden könnte die Anwendung
des Vertrages gegenüber Angehörigen des anderen Staates demnach auch
im vorliegenden Falle versagt werden. Eine Befugnis der internen
Gerichte und Yollzugsbehörden, von sich aus dazu zu schreiten, weil
Umstände eingetreten seien, welche der Schweiz das Recht der Lossage vom
Vertrag oder doch der Ergreifung von Vergeltungsmassregeln im erwähnten
Sinne geben, wie sie die Vorinstanz für sich in Anspruch nimmt, ist
durch das Wesen der Sache, die Tatsache ausgeschlossen, dass es eine
inter-nationalrechtliehe Bindung der Schweiz als staat gegenüber einem
anderen Staate und nicht ein blosses individuelles Recht des einzelnen
Angehörigen des anderen Vertragsstaates ist, welche dabei im streite
steht. Wie die Entscheidung der Frage, ob und welche vertragliche
Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten eingegangen werden sollen, in
erster Linie durch Biwagungen der Zu'eckmässigkeit, Rücksichten auf die
internationale Lage bedingt wird, so gilt dies auch für die andere Frage,
welche Folgen aus dem Verhalten des Vertragsgegners nach abgeschlossenem
Vertrage oder aus bestimmten in seiner Person eingetretenen Umständen für
die weitere Anerkennung und Erfüllung jener Verbindlichkeiten gezogen
werden sollen: Rücksichten der allgemeinen Politik und der künftigen
GeStaltung des beidseitigen Verhältnisses können dabei die politischen
Instanzen, denen die Gestaltung der Beziehungen der Schweiz zu anderen
Staaten obliegt und zusteht, sehr wohl dazu führen, von der Möglichkeit
des Vertragsrücktritts oder der Anordnung von Repressalien, selbst wenn
das Recht dazu an sich gegeben wäre, keinen Gebrauch zu machen oder
einstweilen da-

mit noch zuzuwarten. Und Wie ein tatsächlich von

--

...

"'_""-v-..

· -

Staatsverträge. N° 24. _ mg

jenen Organen erklärter Rücktritt vom Vertrage oder angeordnete
einstweilige Einstellung des Vollzugs als Repressalie für den Richter ohne
weiteres massgebend sein müsste, auch wenn er den schritt für unbereehtigt
hält, so hat er sich auch mit dem Verzichte darauf einfach abzufinden
Es kann ihm unmöglich zustehen, seine eigene Auffassung dadurch an die
Stelle derjenigen der zur Äusserung eines rechtlich erheblichen Willens
in dieser Beziehung allein berufenen Gewalten zu setzen, dass er von
sich aus die Anwendung von Vertragsbestimmungen aus Erwägungen ablehnt,
wie sie. dem angefochtenen Entscheide zu Grunde. liegen.

Der angefochtene Entscheid ist deshalb in der Meinung aufzuheben, dass
die Behandlung der vom Rekurrenten gegen das hezirksgerichtliche Urteil
erklärten Berufung nicht von der Leistung der in § 59 der zürcherisehen
ZPO vorgesehenen Kaution abhängig gemacht werden darf. Ob die Anferlegung
einer solchen auch deshalb unzulässig Wäre, weil der Rekurrent, obwohl
Russe, doch nicht in diesem Lande, sondern in einem anderen Vertragsstaate
wohnt, wo für die Vollstreckung eines allfälligen Kostenentscheides
gegen ihn vertragswidrige Hindernisse nicht zu gewärtigen sind, kann
unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Beschwerde wird gutgeheissen und
der angefochtenc Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich I. Kammer
vom 25. Oktober 1922 aufgehoben.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 49 I 188
Date : 02. Februar 1923
Published : 31. Dezember 1924
Source : Bundesgericht
Status : 49 I 188
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 188 staatsrecht- gerichts Wallis vom 19. September 1922 festgestellt, dass der


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