1 SG staat srecht.

der Initiative. Unter diesen Umständen besteht für das Bundesgericht
kein Grund, von der Annahme des Grossen Rates, dass die beiden
Initiativbegehren ein zusammenhängendes Ganzes bilden, abzuweichen,
zumal da es sich in Fragen, die speziell nur eine bestimmte einzelne
Kantonsverfassung betreffen, nicht ohne Not in Widerspruch mit der Ansicht
der obersten, zu deren Auslegung zuständigen, kantonalen Behörde setzt.

Handelt es sich aber um ein einheitliches Initiativbegehren, so konnte
es der Grosse Rat nach Art. 9 KV (vgl. die Ausführungen unter Ziff. 1
hievor) wegen der doppelten dafür.gewählten Form als formell mangelhaft
erklären und zurückweisen. Art. 104 KV, der sich auf ein Volksbegehren
bezieht, das mehrere unter sich verschiedenartige Gegenstände umfasst,
war demnach nicht analog anwendbar.

Da somit Art. 9 KV nicht als verletzt anzusehen ist, liegt auch die
Rechtsverweigerung, über die sich die Rekurrenten in zweiter Linie
beschweren, nicht vor.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Der Rekurs wird
abgewiesenNiederlassungsfreiheit. N° 23. 167

IV. N [EDE RLASSUNGSFREÎHEITLIBERTÉ D'ÉTABLISSEMEN'F

23. Urteil vom 11. Februar 1922 i. S. Wiederkehr gegen Regierungsrat
St. Gallen.

Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV: Pflicht zur Hinterlage von Ausweisschriften am Orte der
Niederlassung. Bei mehrfacher Niederlassung muss sich der Ort der späteren
Niederlassung mit einem Ausweis über die Hinterlage der Schriften am
Orte der früheren Niederlassung begnügen.

A. Der Rekurrent Max Wiederkehr, geb. 1895, von Gontenschwil (Kanton
Aargau), ledig, hielt sich seit seiner Geburt mit kurzer Unterbrechung
in Zürich auf, wo er seinen Heimatsohein eingelegt hat. Seit dem 1. Mai
1920 ist er bei der Firma Marchev & Cie angestellt, die in Flawil
(Kanton St. Gallen) eine Strumpfiabrik betreibt und in Zürich ein Bureau
besitzt. Wiederkehr arbeitete bis zum 20. März 1921 auf dem Bureau in
Zürich; von da an hatte er sich in der Hauptsache in Flawil zu betätigen,
muss aber, vom Geschäfte aus, jeden Samstag auf dem Bureau in Zürich
sein. Er hat infolgedessen in Flawil ein Zimmer gemietet ; in Zürich,
wo er jeweilen über den Sonntag bleibt, wohnt er mit Mutter und Schwester
in gemeinsamem Haushalt.

Das Kontrollbureau in Flawil verlangte von ihm die Hinterlegung seines
Heimatscheines, weil er dort Wohnsitz habe. Der Rekurrent weigerte sich,
weil er seinen Wohnsitz in Zürich beibehalten habe. Der Gemeinderat von
Flawil und auf Beschwerde hin der Regierungsrat des Kantons St. Gallen,
letzterer mit Entscheid vom 28. Oktober 1921, erklärten ihn aber für
verpflichtet, der Auflage nachzukommen, wobei

für den Fall der Nichterfüllung Einleitung des Straf--

AS 48 I 1922 12

168 Staatsrecht.

verkahrens und Wegwejsnng aus der Gemeinde angedroht wurde.

B. Gegen den Entscheid des Regierungsrates

hat Wiederkehr beim Bundesgericht Beschwerde erhoben, mit dem Antrage
auf Aufhebung. Er erklärt sich bereit, in Flawil einen Wohnsitzausweis
von Zürich einzulegen. Damit sei dem Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV Genüge geleistet ;
das Verlangen der Einlage der Originalansweisschriften gehe über jene
Verfassungsbestimmnng hinaus und verstosse, soweit es unter der Androhung
von Ausweisung und Busse erzwungen werden solle, auch gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

BV. Da der Rekurrent sich an den Sonntagen in Zürich befinde, würde er
dadurch ferner seines Stimmrechts beraubt und Art. 43
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
BV verletzt. Nach
der Auffassung der St. Galler Behörden wäre mit der Verpflichtung zur
Hinterlegung des Heimatscheins das Besteuerungsrecht verbunden, was mit
Art. 46 Abs. 2 ebenda unvereinbar sei.

C. Der Regierungsrat von St. Gallen hat Abweisung der Beschwerde
beantragt. Mit der Einlage eines Wohnsitzausweises, im Sinne von Art. 6
Ziff. 2 des kantonalen Fremdenpolizeigesetzes, habe sich die Gemeinde
Flawil

nicht begnügen können, weil der Rekurrent dort wohn L

haft und nicht als auswärts domizilierte Person zu betrachten sei. Die
Lösung der Streitfrage hänge von der Bestimmung des Domizils ab, wofür
die Art. 3 BGNA und 23 ZGB massgebend seien.'Hienach sei aber Flawil

das Domizil des Rekurrenten. Eine Verfassungsverletzung

liege deshalb nicht vor.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Da sich der Rekurrent bereit erklärt hat, in Flawil einen
Wohnsitzausweis von Zürich einzulegen, so dreht sich der Streit
lediglich darum, ob er angehalten werden könne, daselbst
seine Originalausweisschriften, d. h. den Heimatschein von
Gontenschwil, der' in Zürich liegt, einzulegen. Nun kann aber nach
Art.Niederlassungsfreiheit. N° 23. 169

45 BV die Niederlassung und damit auch der Aufenthalt einem
Schweizerbürger in einer andern als seiner Heimatgemeinde nicht
verweigert werden, wenn er einen Heimatschein oder eine gleichbedeutende
Ausweisschrift besitzt, von den daselbst vorgesehenen Ausnahmen, die hier
nicht zutreffen, abgesehen. In Fällen, wo jemand sich an verschiedenen
Orten niederlassen oder aufhalten will, kann die Einlage des Heimatscheins
jedenfalls? nur an einemverlangt werden, während die andern sich mit einem
Wohnsitzausweis begnügen müssen. so liegt die Sache hier, da der Rekurrent
einen Teil der Woche in Flawil zubringt, aber regelmässig für mindestens
zwei Tage nach Zürich zurückkehrt. Massgebend ist dabei nach wiederholten
Entscheidungen (AS 37 I S. 28 und Urteil i. S. Steck vom l. Februar
1919, nicht publiziert) die zeitliche Priorität deri'iederlassung. Der
Ort, wo sich der Schweizerbürger niederlässt, nachdem er bereits an
einem anderen Orte ebenfalls Niederlassung erworben hat, muss sich
deshalb auch dann mit der Verlegung einer blossen Bescheinigung'über
die Hinterlegung der Originalsehriften am letzteren Orte begnügen,
wenn der Aufenthalt hier mehr nur ein nebensächlicher ist und vor den
konkurrierenden Beziehungen zu dem neuen zweiten Aufenthaltsorte an
Bedeutung zurücktritt. Im vorliegenden Falle würde übrigens das Ergebnis
selbst dann kein'anderes sein, wenn man den Vorrang und damit das Recht
auf den Heimatschein demjenigen Orte geben wollte, zu dem die festeren
und näheren Beziehungen bestehen, da nach den tatsächlichen Verhältnissen
kein Zweifel bestehen kann, dass dies für den Rekurrenten Zürich ist. Es
und nicht Flawil müsste deshalb nach vielfachen Entscheidungen, welche
ähnliche Tatbestände betrafen, wenn darauf etwas ankäme, nach wie vor
auch als das Domizil des Rekurrenten im zivilrechtlichen Sinne gelten,
während sich das Verweilen in Flawil bloss als Aufenthalt darstellt. Das
Verlangen, dass der Rekurrent hier seinen Heimatschein zu hinterlegen

1 70 Staatsrecht.

habe, ist demnach als gegen Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV verstossend zurückzuweisen und
festzustellen, dass FlaWil sich mit dem angebotenen Wohnsitzausweise
zu begnügen hat (was bei richtiger Auslegung übrigens offenbar schon
auf Grund des kantonalen Rechtes, Art. 6 Ziff. 2 des st. gallische'n
Gesetzes über Niederlassung und Fremdenpolizei der Fall wäre).

2. -Die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 43
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 43 Aufgaben der Kantone - Die Kantone bestimmen, welche Aufgaben sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen.
BV wird dadurch
gegenstandslos. Auf diejenige wegen Verletzung von Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV aber
ist deshalb nicht einzutreten, weil von der Gemeinde Flawil und dem
Kanton St. Gallen, soweit ersichtlich, bis jetzt Steueransprüche an den
Rekurrenten nicht erhoben worden sind. Mit der Feststellung, dass, so
wie die Dinge liegen, Zürich als Wohnsitz des Rekurrenten anzusehen ist,
ist übrigens solchen Ansprüchen der Boden entzogen. ss

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen begründet erklärt und der
angefochtene Entscheid, insofern er den Rekurrenten zur Einlage seines
Heimatscheins verhält, aufgehoben, in der Meinung, dass der Rekurrent
innert neu zu setzender Frist in Flawil einen Wohnsitzausweis zu
hinterlegen hat.Doppelbesteuerung. N° 24. 171

V. DOPPELBESTEUERUN G

DOUBLE IMPOSITION

24. Urteil vom 28. Januar 1922 i. S. Terlinden & Gi"gegen Bern
und. Zürich. _Kollektivgesellschaft mit steuerpflichtigem Nebenhetrieb
in einem anderen Kanton. Der Kanton des Sitzes kann denjenigen Teil
der Bezüge der beiden am Sitze wohnenden Gesellschafter, der als
Arbeitsentgelt betrachtet werden kann, vorweg besteuem, sodass die dem
Kanton des Nebenbetriebes zur Besteuerung überlassene Quote des Rein-

gewinns sich nicht darauf erstreckt.

A. Die Kollektivgesellschafs' Terlinden & Cie, Kleiderfärberei und
chemische Waschanstalt in Küsnacht (Zürich) hat eines ihrer zahlreichen
Depots in der Stadt Bern. für die Besteuerung im Jahre 1919 wurde
das steuerpflichtige Einkommen der Firma Terlinden & Cie aus diesem
Depot im Jahre 1918 von der bernischen kantonalen Rekurskommission
auf 3400 Fr. festgesetzt. Eine Herabsetzung verlangende Beschwerde
der Firma wies das kantonale Verwaltungsgericht durch Urteil vom
12. September, zugestellt 26. Oktober 1921, ab. Unbestritten war, dass
2/8 des Gesamtreinertrages der Firma dem Kanton Zürich zur Besteuerung
zufallen und dass von dem verbleibenden 1/3 5,81 % auf das Depot in
Bern entfallen. Dagegen war 11. a. streitig, ob bei Bestimmung des
Gesamtreinertragcs je 12,000 Fr., welche die beiden in Küsnacht wohnenden
Kollektivgesellschafter Heinrich und Max Terlinden im Jahre 1918 als Salär
bezogen und an ihrem Wohnort versteuert hatten, als Geschäftsunkosten
abzuziehen seien, wie die Firma beanspruchte. Das Verwaltungsgericht
lehnte dies mit der Begründung ab: die Praxis des Bundesgerichts (AS 33
I S. 712; 34 I S. 668), wonach der Kollektivgesellschafter denjeni--
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 48 I 167
Date : 11. Februar 1922
Published : 31. Dezember 1922
Source : Bundesgericht
Status : 48 I 167
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 1 SG staat srecht. der Initiative. Unter diesen Umständen besteht für das Bundesgericht


Legislation register
BV: 4  43  45  46
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