210 Schuldbetreibungs und Konkursrecht. N° 54.

54. Entscheid. vom 24. Dezember 1921 I. S. Manch.

Art. 47, 174. Ziff. 2 SchKG: Gesetzwidrige Betreibung des
Handlungsunfähigen' ist nichtig. Bei nicht manifester Geisteskrankheit
ist Voraussetzung die Pendenz des Entmündigungsveriahreus.

A. Auf Verlangen der Schweizerischen Bankgeschschaft in Aarau stellte
das Betreibungsamt Aarau am 28. September dem Samuel Manch einen
Zahlungsbefehl für 100,000 Fr. zu. Hiegegen erhob Fürsprech E. Isler, der
durch ihm am 18. Oktober zugestellten Beschluss von der Nachlasshehörde
zum Sachwalter des Mauch bezeichnet worden war, am 19. Oktober beim
Gerichtspräsidenten nachträglichen Rechtsverschlag, unter Berufung darauf,
dass Manch Während der Rechts-erschlagefrist ununterbrochen auf Reisen
abwesend war. Mitte November brachte der von Manch mit Zustimmung des
Sachwalters bestellte Vertreter ein Gutachten des früheren Direktors der
Irrenanstalt Königsfelden, Fröhlich, bei, wonach Manch von einem schweren
organischen Hirnleiden befallen sei, das ihn und zwar schon seit längerer
Zeit hindere, vernun'ftgemäss und in seinem Interesse zu handeln. Darauf
sistierte der Gericht-spräsident am 17. November das Verfahren betreffend
nachträglichen Rechtsvorschlag bis zur Erledigung des Verfahrens vor
der AB betr. Nichtigkeit der Zustellung des Zahlungsbefehls und hob als
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs unter Anrufung des
Art. 47 Abs. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 47
SchKG die Zustellung des Zahlungsbefehles als nichtig
von Amtes wegen auf, das Betreibungsamt gleichzeitig anweisend, den
Zahlungsbefehl der Vormundschaftsbehörde zuzustellen.

B. In Gutheissung der von der Schweizerischen Bankgesellschaft
erhobenen Beschwerde hat die obergerichtliche Aufsichtskommission
über die Betreibnngsund Konkursämter des Kantons Aargau durch
EntscheidSchuldbetreibunge und Konkursrccht. N° 54}, 211

vom 2. Dezember die Verfügung der untern Aufsichtsbehörde aufgehoben.

C. Diesen, Samuel Manch am 9. Dezember zugestellten Entscheid hat S. Hess,
der am 18. November von der Vormundschaitsbehörde zu dessen Vertreter
gemäss Art. 386 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 386 - 1 Die Wohn- oder Pflegeeinrichtung schützt die Persönlichkeit der urteilsunfähigen Person und fördert so weit wie möglich Kontakte zu Personen ausserhalb der Einrichtung.
1    Die Wohn- oder Pflegeeinrichtung schützt die Persönlichkeit der urteilsunfähigen Person und fördert so weit wie möglich Kontakte zu Personen ausserhalb der Einrichtung.
2    Kümmert sich niemand von ausserhalb der Einrichtung um die betroffene Person, so benachrichtigt die Wohn- oder Pflegeeinrichtung die Erwachsenenschutzbehörde.
3    Die freie Arztwahl ist gewährleistet, soweit nicht wichtige Gründe dagegen sprechen.
ZGB ernannt worden war, am 17. Dezember an
das Bundesgericht weitergezogen, mit den Anträgen, ihn aufzuheben und
die Verfügung des Gerichtspräsidcnten zu bestätigen, eventuell den
nachträglichen Rechtsvorschlag zuzulassen.

Die Schuldbelreibungsund Konkurskammer zieht in Erwägung:

Wie sich aus A1t.173 Ziff. 2 SchKG ergibt und vom Bundesgericht üb1igens
bereits mehrfach festgestellt wurde, ist eine in gesetzwidriger Weise
gegen einen handlungsunfähigen Schuldner geführte Betreibung nichtig
und daher in jedem Stadium des Verfahrens von Amtes wegen aufzuheben
(AS-30 I S. 431 = Sep. Ausg. 7 S. 171 und dortige Zitate). Allein eine
derart gesetzwidrige Betrcibuug eines Handlungsunfähigen liegt nur dann
vor, wenn der Schuldner, obwohl er einen gesetzlichen Vertreter hat
oder doch die Vormundschaftsbehörde mit dem Entmüudiguugsyerfahren
befasst ist, nicht am Wohnbezw. Amtssitz des Vertreters bezw. der
Vormundschaftsbehörde betrieben und die Betreihungsurkuudeu nicht ihnen
zugestellt werden. Solange dagegen die Vormundschaftsbehörde weder um
die Eröffnung des Entmündigungsverfahrens angegangen worden ist noch es
aus eigener Initiative eröffnet hat und auch keinerlei äussere Umstände
vorliegen, welche dem Betreibungsamt die Einleitung eines solchen
Verfahrens als geboten erscheinen lassen was im vorliegenden. Falle
nicht mit. Fug behauptet werden könnte , verstösst die Zustellung des
Zahlungshefehls an den Schuldner selbst nicht gegen Art. 47
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 47
SchKG,
ist daher auch dann nicht nichtig, wenn der Schuldner damals nicht hand-

AS i? III 1922 15

212 Schuldhetreibungsund Konkursrecht. N° 54.

lungsfähig war, ein Entmündigungsgrund also schon damals bestand, und
kann demgemäss von den Aufsichtsbehòrden nicht nachträglich aufgehoben
werden (AS 25 II s. 2.99 f. = Sep. Ausg. 2 S. 97 f.). Insbesondere liegt
es dem Betreibnngsamt nicht oh, der Zustellung vorgängig von sich aus
danach zu forschen, ob der Schuldner anfällig wegen Geisteskrankheit
oder Geistesschwäche nicht urteilsfähig sei. Ueber diese dem materiellen
Zivilrecht angehörende Frage zu befinden, steht ihm, und ebensowenig den
Aufsichtsbehòrden, nicht zu, ganz abgesehen davon, dass sich das Verfahren
vor den letzteren für die! hiefür nötige Instruktion auch nicht eignet.

2. Die danach notwendig werdende Entscheidung über die Zulässigkeit
des nachträglichen Rechtsverschlages fällt nicht in die Kompetenz der
Aufsichtsbehörden, sondern wird vielmehr vom Gerichtspräsideuten von
Aarau zu treffen sein, der denn auch das Verfahren nur sistiert hat.

Demnach erkennt die Schuldbelrund Konkurskammer:

Der Rekurs wird abgewiesen.

Schnldhetreibungsund Konkursreeht {Zivilabteilungen}. N° 55. 213

II. URTEILE DER ZIVILABTEILUNGEN

ARRETS DES SECTIONS CIVILES

55. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1921

i. S. Ersparniskasse des Amtsbezirks Interlaken gegen Boss.

Gemeinsamer Erwerb eines Grundstückes auf der Zwangsversteigerung durch
zwei Hypothekarsolidarbürgen ; Rechtsfolgen. Aus gemeinsamem Angebot
mehrerer an einer Zwangsversteigernng entsteht Solidarhaftung für die
überbundenen Hypothekarschnlden. OR Art. 143, 530, 5-14; SchKG Art. 1
Abs. 1 ; VZG Art. 59
SR 281.42 Verordnung des Bundesgerichts vom 23. April 1920 über die Zwangsverwertung von Grundstücken (VZG)
VZG Art. 59 - Bieten mehrere Personen gemeinsam und erklären sie nichts anderes, so wird ihnen das Grundstück zu Miteigentum zu gleichen Teilen zugeschlagen.
.

A. Am 29. September 1905 liess Fritz Kaufmann, Eigentümer des Hotels
Bellevue auf der Sehynigen Platte, eine dieses Grundstück im zweiten
Range belastende Pfandobligation für 62,000 Fr. zu Gunsten der
Klägerin, Ersparniskasse des Amtsbezirks Interlaken, errichten. In
der Folge leistete der Beklagte Johann Boss zusammen mit Samuel
Baumann, Peter Tschienner und Alfred Werken Solidarhürgschaft für
diese Pfandohligation. Im Jahre 1915 geriet Kaufmann in Konkurs. Auf
der zweiten Steigerung erwarben der Beklagte und Werren gemeinsam das
Hotel um 120,000 Fr. Dabei wurde ihnen die Pfandobligation; die nicht
fällig war, in dem durch von Kaufmann geleistete Ahza'hlungen auf 60,500
Fr. herabgesetng Betrage überbunden. Seither sind der Beklagte und Werren
als Miteigentümer des Hotelgrundstückes im Grundbuch eingetragen.

B. Mit der vorliegenden, zufolge von Prorogation beim Bundesgericht
direkt eingereichten Klage stellt die Ersparniskasse das Rechtsbegehren:
Es sei gerichtlich zu erkennen, es hafte der Beklagte solidarisch (und
nicht bloss anteilmässig, d. h. zur Hälfte) mit Al .
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 47 III 210
Date : 24. Dezember 1921
Published : 31. Dezember 1921
Source : Bundesgericht
Status : 47 III 210
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : 210 Schuldbetreibungs und Konkursrecht. N° 54. 54. Entscheid. vom 24. Dezember 1921


Legislation register
SchKG: 47
VZG: 59
ZGB: 386
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