468 Obligationenrecht. N° 81 .

81. Urteil der II. Zivilebteilung vom 16. Dezember 1920 i. S. SPB-Iti
gegen Ober.

OR Art. 181 Abs. 2, 585: Uebernahme des Geschäfts einer aufgelösten
Kollektivgesellschaft durch zwei der bisherigen Gesellschafter. Die
übrigen Gesellschafter haften nur noch während zwei Jahren (Erw. 1).

OR Art. 492, 564 ; SchKG Art. 218 : Unzulässigkeit der Bürgschaftsleistung
des Teilhabers der Kollektivgesellschaft für Gesellschaftsschulden
(ob im beschränkten Sinne des Verzichts auf die Einrede der.Vorausklage
gültig?) (Erw. 2).

A. Im Jahre 1908 gewährte Hermann Frey der Kollektivgesellschaft
Burkhard, Hiltpolt und Spälti ein nach drei Jahren je auf das Ende eines
Halbjahres mit vorausgehender sechsmonatlicher Frist kündbares Darlehen
von 20,000 Fr., für das die Gesellschafter als Privatpersonen Bürgund
Selbstzahlerschaft leisteten. Am 10. Juli 1914 löste sich die Gesellschaft
auf, und eine neue, aus den beiden bisherigen Gesellschaftern Burkhard
und Hiltpolt gebildete Kollektivgesellschaft übernahm ihre Aktiven und
Passiven. Am 24. Dezember 1918 kündigte Frey das Darlehen sowohl gegenüber
dieser Gesellschaft als auch gegenüber Spälti. Mit vorliegender Klage
macht seine Universalerbin die Forderung gegen letzteren geltend, soweit
sie nicht durch Zahlung der Nachlassdividende der Gesellschaft (12,000
Fr.) und der Konkursdividende aus dem Nachlasskonkurs des Gesellschafters
Burkhard (636 Fr.) bereits getilgt worden ist, indem sie ihn einerseits
als Gesellschafter, andererseits als Burgen in Anspruch nimmt.

B. Durch Urteil vom 1. Juli hat das Handelsgericht des Kantons Zürich
die Klage zugesprochen und zwar gestützt auf die Bürgschaftserklärung,
indem es in bewusstem Gegensatz zu BGE 45 II S. 299 ff. annahm,
die Gesellschaftsschuld sei, wirtschaftlich gesprochen, eine der
Bürgschaftsleistung durch die GesellschafterObligationenrecht. N°
81. 469 zugängliche Schuld eines Dritten, für deren Zulassung

praktische Bedürfnisse sprechen.

C. Am 26. August hat der Beklagte die Berufung gegen dieses ihm am
gleichen Tage zugestellte Urteil erklärt mit dem Antrag auf AbWeisung
der Klage.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Soweit sich die Klage auf die frühere Zugehörigkeit des Beklagten zu
der in der Folge aufgelösten Kollektivgesellschaft Burkhard, Hiltpolt
und Spälti stützt, ist sie wegen Verjährung ahzuweisen. Nach Art. 585 OR
tritt die Verjährung der Klagen gegen einen Kollektivgesellschafter aus
Ansprüchen gegen die Gesellschaft bei deren Auflösung im allgemeinen zwar
erst nach Ablauf einer Frist von fünf Jahren ein, welche bei auf Kündigung
gestellten Forderungen mit dem Tage beginnt, auf den die Kündigung seit
der Eintragung der Auflösung in das Handelsregister erstmals zulässig
ist (Art. 586 und 130 Abs. 2 OR). Wird aber ihr Vermögen bezw. Geschäft
unter Mitteilung an die Gläubiger oder Auskündung in den öffentlichen
Blättern von einem Dritten übernommen, so greift die Bestimmung des
Art. 181 Abs. 2 OR platz, und es haften daher die bisherigen Schuldner,
nämlich die aufgelöste Gesellschaft sowohl als'deren Gesellschafter,
für die damit verbundenen Schulden nur noch während der Frist von zwei
Jahren, welche bei auf Kündigung gestellten Forderungen mit dem Tage
beginnt, auf den die Kündigung seit der Mitteilung odor Auskündigung
erstmals zulässig ist (Art. 130

ss Abs. 2 GB). Der Vorrang dieser zweijährigen gegenüber

der fünfjährigen Verjährungsfrist ergibt sich daraus. dass das Gesetz
an die richtig bekannt gemachte Vermögens-' bezw. Geschäftsübernahme
ausnahmlos die Folge der zeitlichen Beschränkung der Haftung des
bisherigen Schuldners auf zwei Jahre knüpft, ferner aus dem Zweck der
Bestimmung des Art. 181 Abs. 2 OR, die im Interesse des Geschäftsverkehrs
in solchen Fällen auf

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eine rasche Abklärung der Haftungsverhältnisse abzielt, und schliesslich
aus der Ueberlegung, dass sich diese zeitliche Beschränkung der Haftung
der bisherigen Schuldner als Korrelat dafür, dass der Gläubiger ohne
sein Zutun neben ihnen einen neuen Schuldner erhält, bei der Uebernahme
des Geschäfts einer Handelsgesellschaft ebenso rechtfertigt, wie
anderswo. Deshalb kann auch nichts darauf ankommen, ob die Vermögensbezw.
Geschäftsübernahme erst n a c h erfolgter Auflösung der Gesellschaft,
also in einem Zeitpunkt stattfindet, da die fünfjährige Verjährungsfrist
bereits zu laufen begOnnen hat. Nun ist dem von den Gesellschaftern
abgeschlossenen Vergleich zu entnehmen, dass die Gesell-

schaft Burkhard, Hiltpolt und Spälti am 10. Juli 1914 si

aufgelöst wurde und Burkhard und Hiltpolt unter Gründung einer neuen
Gesellschaft die Aktiven und Passiven jener übernahmen, und dass
nicht etwa nur der Beklagte ausschied oder ausgeschlossen wurde und
die beiden andern Gesellschafter die Gesellschaft fortsetzten, in
welchem Falle nicht eine Vermögensühernahme angenommen werden könnte,
sondern eine Vermögensanwachsung vorläge. Der Umstand, dass Uebernehmer
ausschliesslich solche Personen waren, welche der alten Gesellschaft
angehört hatten -und deshalb für deren Schulden ohnehin hafteten, steht
der Annahme einer Vermögensoder Geschäftsübernahme nicht entgegen, weil
die neue Gesellschaft mindestens formell einen neuen Schuldner darstellt
und das Gesetz nicht voraussetzt, dass materiell ein neuer Schuldner
eintrete (vgl. in diesem Sinne auch BECKER, Note 9 zu Art. 181). Durch
Publikation der entsprechenden Handelsregistereinträge im Handelsamtsblatt
wurde dem Alternativfordernis der Auskündung in öffentlichen Blättern
entsprochen, während allerdings das am 2. Januar 1914 an Frey gerichtete,
die Veränderung vorläufig ankündigende Schreiben, wie auch das Zirkular,
d. d. 1. Juli 1914, eher auf eine Fortsetzung der Gesellschaft nach
Ausscheiden des BeklagtenObligationenreeht. N° 81 . m

schliessen lassen, worauf aber in diesem Zusammenhange nichts ankommen
kann. Da das Darlehen in der Folge erstmals auf den 30. Juni 1915
gekündigt werden konnte, trat die Verjährung am 30. Juni 1917 ein, und
zwar nicht nur gegenüber'der alten Gesellschaft, sondern auch gegenüber
deren Gesellschaftern als solchen, die ja zufolge Auflösung jener sofort
auch persönlich belangt werden konnten. Die vorliegende Klage aber wurde
erst im Jahre 1919 anhängig gemacht.

2. Aber auch soweit sich die Klage auf die vom Beklagten geleistete
Bürgund Selbstzahlerschaft stützt, kann sie im Gegensatz zur Auffassung
der Vorinstanz nicht zugesprochen werden. Wie das Bundesgericht in
ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, ist die Kollektivgesellschaft
nicht eine juristische Person (BG 45 II S. 302 und dortige Zitate). Auf
diese Praxis zurückzukommen liegt heute um so weniger Anlass vor,
als der jetzt vorliegende Entwurf zu einem Bundesgesetz betreffend
Revision der Titel 24 his 33 des OR diese Frage durch die Ueberschrift
des 24. Titels ( die Handelsgesellschaften ohne Persönlichkeit) im
gleichen Sinne ausdrücklich gesetzlich zu regeln'vorschlägt (vgl. dazu
S. 11 des Berichts vom März 1920). Wird der Kollektivgesellschaft
eigene Rechtspersönlichkeit nicht zuerkannt, so kann niemand anders als
Träger ihrer Verhindlichkeiten in Frage kommen als die Gesellschafter
selbst. Hieraus folgt, dass die Verbürgung von Gesellschaftsschulden
durch die Gesellschafter ausgeschlossen ist, weil die Bürgschaft
ihrem Begriffe nach Uebernahme der Haftung für eine fremde Schuld
bedeutet (Art. 492 OR). Vergeblich versucht die Vorinstanz etwas
anderes daraus herzuleiten, dass die Kollektivgesellschaft unter ihrer
Firma von den Privatverbindlichkeiten der Gesellschafter verschiedene
Gesellschaftsverbindlichkeiten eingehen kann, für die, unter Ausschluss
der Konkurrenz der Privatgläuhiger der Gesellschafter, des von deren
Privatvermögen gesonderte Gesellschaftsvermögen haftet.

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Denn nach der positiven Vorschrift des Art. 564 OR haften die
Gesellschafter eben doch solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen
für die Gesellschaftsverbindlichkeiten, und zwar vom Zeitpunkt ihrer
Entstehung an. Mag auch diese Haftung dahin eingeschränkt sein, dass
der Gesellschafter erst dann belangt werden kann, wenn die Gesellschaft
aufgelöst oder erfolglos betrieben werden ist, so heschlägt dies doch
einzig die Art seiner Haftung und vermag nichts daran zu ändern,
dass sofern die Kollektivgesellschaft nicht als juristische Person
aner-kannt wird keine andere vom Rechte anerkannte Person als
Träger der Gesellschaftsverbindlichkeiten vorstellbar ist als die
Gesellschafter selbst. Ob die Verbürgung der Gesellschaftsschuld durch
einen Kollektivgesellschafter als ein Verzicht des letzteren auf die ihm
nach Art. 564 Abs. 3 zustehende Einrede der Vorausklage aufzufassen und in
diesem beschränkten Sinne rechtsgültig ist, braucht für den vorliegenden
Entscheid nicht erörtert zu werden. Der hier vertretenen Lösung ist
übrigens auch deswegen vor derjenigen der Vorinstanz der Vorzug zu geben,
weil sie im Gegensatz zu dieser mit dem Zweckgedanken in Einklang steht,
welcher dem Art. 218 SchKG zu Grunde liegt. Wenn dort bestimmt Wird,
dass bei gleichzeitigem Konkursverfahren über die Kollektivgesellschaft
und einen Teilhaber derselben die Gesellschaftsgläubiger im Konkurse
des letzteren nur den im Gesellschaftskonkurs'e unbezahlt gebliebenen
Rest ihrer Forderungen geltend machen können, so will dadurch verhindert
werden, dass die Gesellschaftsgläubiger, die zu ihrer Befriedigung doch
in erster Linie das Gesellschafts-erwägen in Anspruch nehmen können,
die auf diese Weise erzielte Deckung zum Schaden der Privatgläuhiger
noch dadurch weiter sollen vermehren können, dass sie ohne Rücksicht auf
die aus dem Gesellschaftsvermögen bereits erlangte teilweise Deckung im
vollen Umfange ihrer Forderungen mit den Privatgläubigern in Konkurrenz
treten, die ihrerseits von der BefriedigungObligationen-send N' 82. 473

aus dem Gesellschaftsvermògen ausgeschlossen sind (Art. 569 OR). Die
Anerkennung der Bürgschaft der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden
aber würde zur Folge haben, dass die Gesellschaftsgläubiger ihre
Forde-rungen sowohl im Gesellschaftskonkurse als im Privatkonkurse der
Gesellschafter im vollen Betrage geltend machen könnten. In der Tat zieht
auch die französische Rechtsprechung, die die Kollektivgesellsehaft
als juristische Person anerkennt, diese Konsequenz (THALLER, Sociétés
commerciales I Nr. 196), die aber für das schweizerische Recht durch
Art. 218 SchKG ausdrücklich abgelehnt wird. Die Auffassung der Vorinstanz
würde zu einer Umgehung der zwingenden Bestimmung führen, die das SchKG
über die Konkurrenz der Gesellschaftsgläubiger mit den Privatgläubigern
im Privatkonkurse der Kollektivgesellschafter aufstellt.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 1. Juli 1920 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

82. Urteil der II. Zivilabtoilung vom 20. Dezember 1920

i. S. Schmid gegen Schmid. Nu tzniessung an Aktien:
BezugsberechtigtbeiAusgabe von G r a t i s a k t i e n ist der
Aktieneigentümer, der

Nutzniesser erwirbt nur Nutzniessungsrechte an den neuen Aktien.

A. Am 27. Dezember 1914 starb in Luzern J . H. Schmid-Bub. Aus seinem
Nachlass erhielten die Kläger, als Intestaterbcn des elterlichen Stammes,
li. a. 6 Aktien der Almninium Industrie A. G. in Neuhausen zu Eigen-

AS 45 n isn) se
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 46 II 468
Datum : 16. Dezember 1920
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 46 II 468
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 468 Obligationenrecht. N° 81 . 81. Urteil der II. Zivilebteilung vom 16. Dezember


Gesetzesregister
OR: 130  181  492  564  569  585  586
SchKG: 218
BGE Register
45-II-299
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kollektivgesellschaft • schuldner • gesellschaftsschuld • vorinstanz • beklagter • juristische person • darlehen • frist • tag • weiler • bundesgericht • konkursdividende • handelsgesellschaft • handelsgericht • deckung • frage • unternehmung • veröffentlichung • bilanz • entscheid • auflösung der gesellschaft • gerichts- und verwaltungspraxis • beendigung • parentel • burg • sender • richtigkeit • 1919 • schaden • not • gründung der gesellschaft • zitat • konkursverfahren • schweizerisches recht • privatperson • wille
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