454 ' . Obligationenrecht. N° 69. '

es. Urteil a,;:. nvnabteiluns' vom 10. Oktober 1919 i. S. Niederer
gegen ID:-exel.

Ausleg'un g einer die Erfüllung eines Kaufvertrages mit Rüekischt ati-,f
die Kriegsverhältnisse suspendierenden Klausel. '

A. Durch Vertrag vom ·3. Juli 1915 verkaufte die Beklagte Niederer &
,Cie, Baumwollzwirnerei in St. Gallen, dem Kläger Drexel, in Hohenems,
Oesterreich, 1000 kg Sehiifligern und zwar 54 J2zu 5 Fr. 90 (Its... 6.0
/ 2 zu 6 Fr. 10 Cts. und 80/2 zu 8 Fr., lieferbar Ende Dezember 1915,
zahlbar in Franken, franco Schweizerstation. An diesen Kontrakt sind
nur 58,3 kg 54 ,f 2 und zwar am 4. Mai 1916 geliefert worden. Schon am
10. März 1916 hatte ein Sohn des Klägers in Vertretung des Vaters eine
von der Beklagten formularmässig hergestellte Erklärung fol, genden
Inhalts unterzeichnet : Hiemit gehe ich die Erklärung ab, dass ich die
mit der Firma A. Niederer & Cle in, _St. Gallen abgeschlossenen Kontrakte
"vom 3. August 1915 circa 950 kg als noch zu Recht bestehend betrachte
und dass deren Erfüllung nur zu Folge der eingetretenen Schwierigkeiten
suspendiert sein soll. Sobald diese Schwierigkeiten behoben sind und
die Verhältnisse derart sind, wie sie zur Zeit der Kontraktahsehlüsse
bestanden haben, soll die Firma A. Niederer & C.le auch

wieder liefern, jedoch maximal bis zum derzeitigen Monatsquantmn.' '
_ ss . Hohenems, 10. Marz 1916. Ferd. Drexel. Auf diese Erklärung
hat sich die Beklagte gegenüber den Mahnungen des Klägers, sie solle
ihrer Liekerpklicht nachkommen, und gegenüber der vorliegenden Klage auf
Erfüllung des Kaufvertrages berufen. Sie hat den Standpunkt eingenommen,
die Verhältnisse auf dem Gar'nmarkt, speziell-die Preise, seien n'och
nicht so, wie zur Zeit,des Abschlusses des Vertrages, sie-werden es kaum
je wieder werden, die Klage müsste daher-eigentlich

Obligationenreeht. ND 69. . 455

ganz, zum mindesten aber zur Zeit abgewiesen werden. Der Kläger hat
demgegenüber den Standpunkt eingemmen, die fragliche Erklärung sei, weil
zu allgemein gefasst, unsittlich, eventuell seien die darin umschriebenen
Voraussetzungen der Lieferpflicht der Beklagten erfüllt.

B. Das Handelsgerieht St.Gallen hat die Klage gingt-heissen Es
ver-warf die Einrede, die Erklärung vom 10. März sei imsittlich,
und legte die fragliche Abmachung dahin aus, die Parteien haben unter
den Schwierigkeiten , nach deren Beseitigung die lieferpflicht wieder
aufleben solle, nur Ausfuhrbezw. Bezugsschwierigkeiten verstanden nicht
aber Schwierigkeiten "hinsichtlich der Preise. Wenn daher auch heute der
Preis z. B. für Garn 60/2 statt 6 Fr. 10 ,Cts., 18 Fr. R) Cts. betrage,
so berechtige das doch die Beklagten nicht ihre Lieferung zurückzuhalten
Bezugsund Ausfuhrschwierigkeiten aber bestehen nicht mehr. Zudem müsse
die Beklagte ja france Schweizerstation liefern. sz

.C Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen und Abweisung der Klage ' eventuell Rückweisung der Akten zur
Beweisergänzung verlangt.

Der Kläger hat auf Anweisung der Berufung antragen _ . lassen. si .

Das. Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Hinsichtlich der Einrede der Unsittlichkeit der streitigen Erklärung
ist den Ausführungen der Vorinstanz in allen Teilen zuzustimmen.

2. Fraglich bleibt daher nur, was bei richtiger Auslegung dieser Erklärung
unter dem Passus zu verstehen ist, die Lieferung solle stattfinden sobald
diese Schwierigkeiten gehoben sind und die Verhältnisse derart sind,
Wie sie zur Zeit der Kontraktabschlüsse bestanden

haben. _ _ Dabei ist ohne weiteres dem Handelsgerieht beizu--

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pflichten, wenn es annimmt, es habe sich für die Parteien nicht darum
handeln können, mit der Erfüllung des Vertrages zuzuwarten, bis alle
Schwierigkeiten behoben und alle Verhältnisse genau die gleichen
geworden, wie

zur Zeit des'Vertragsabschlusses, sondern nur um ein

Zuwarten bis zu dem Zeitpunkt, in dem die wichtigsten geschäftlichen
Grundlagen wiederum die gleichen geworden seien. Denn dass eine
vollständige Gleichheit je wieder eintreten werde, musste auch schon
damals den Parteien sehr zweifelhaft erscheinen.

Bei-zustimmen ist der Vorinstanz aber ferner auch si

darin, dass die von der Beklagten formularmässig Ver"fasste Erklärung nach
allgemeinen Auslegungsgrund Sätzen im Zweifel eher zu ihren Ungunsten,
die Begriffe

Schwierigkeiten und " Verhältnisse wie sie zur Zeit der
Kontraktabschlüsse bestanden haben daher eher eng zu interpretieren
sind. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass diese Auslegung zu Ungunsten der
Beklagten eben snur im Zweifel stattfinden darf, d. h. nur, wenn bei all-

seitiger Abwägmig der Umstände eine abweichende

.' Feststellung des Vertragsinhaltes nicht angezeigt erscheint. ' 3. Als
Umstand, der für die Auslegung massgebend sein könnte, käme in erster
Linie die Vorgeschichte der streitigen Abmachung in Betracht. Allein
diesbezüglich fehlt es an den erforderlichen Feststellungen. Die Parteien
streiten sich darüber, auf wessen Veranlassung sie zu Stande gekommen,
und wo sie untcheichnet worden ist, und das Handelsgericht hat darüber
keine Erhebungen gemacht.

Lassen sich somit aus dieser Vorgeschichte für die In-

terpretation keine Anhaltspunkte gewinnen, so bleibt '

dem Richter nur übrig, neben dem Wortlaut auf die allgemeinen
wirtschaftlichen Verhältnisse im Garnhandel

abzustellen, die zum Abschluss der Uebereinkunft geführt);

haben können. _ în dieser Hinsicht ist von der Vorinstanz aktenmässig

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festgestellt, dass nach Abschluss des Kaufvertrages vom 3. Juli 1915
beiden Parteien in der Vertragserfüllung erhebliche Schwierigkeiten
erwachsen. Zur Zeit des Vertragsabschlusses bestanden weder die SSS
bezw. ESS, noch Austuhrverbote und Kontingentierungen. Nach Abschluss des
Vertrages dagegen kam eine Erschwerung nach der andern. Für den Kläger
entstanden Schwierigkeiten hinsichtlich des Bezuges und hinsichtlich der
Ausfuhr; Nur noch beschränkte Quantitäten durften zu Veredelungszwecken
ins Vorarlberg ausgeführt werden. Dazu kam die stetige Verschlechterung
der Valuta. Diesen Umständen ist es offenbar zuzuschreiben, dass
der Kläger bis zur Ausstellung der Erklärung noch kein Garn bezogen
hatte. Auf Seiten der Beklagten traten Schwierigkeiten insofern ein,
als die Preise stetig stiegen, sodass sie die Ware, die der Kläger nicht
bezog, anderweitig zu viel höheren Preisen hätte verkaufen können. Sie
hatte daher alles Interesse die Ablieferung der Ware hinauszusehieben. ,
Berücksichtigt man diese Verhältnisse und überdies die Tatsache, dass man
angesichts derselben an der weiteren Verbindlichkeit des Kaufgeschäftes
zweifeln konnte, so ergibt sich ohne weiteres, dass eine Verständigung
und Beseitigung der Unsicherheit im Interesse beider Parteien lag. Ist
dem aber so, so darf auch nicht angenommen werden, die Erklärung sei
dennoch nur im Interesse der Beklagten abgegeben worden, wie das der
Meinung des Handelsgeriehtes entspricht. Wäre diese Meinung richtig, so
müssten allerdings diese einseitig zu Gunsten einer Partei statuierten
Rechte im engsten Sinne interpretiert werden. Viel näher aber liegt nach
dem Gesagten, dass es sich im vorliegenden um einen Vergleich handelt,
bei dem jede Partei neben den eigenen auch den Interessen der Gegenpartei
Rechnung tragen musste. Dass die Erklärung nur vom Kläger unter zeichnet
wurde, ändert hieran nichts, hatte doch die Beklagte ihr Einverständnis
schon durch vAlcifassung und

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Verlegung des Formulars bekundet. Ebensowenig ist entscheidend, dass
rein änsserlich das Schriftstück eher wie ein Zugeständnis des Klägers
formuliert ist.

Geht man hievon aus, dass es sich nämlich für die Parteien sowohl um die
Berücksichtigung der Interessen des Klägers als derjenigen der Beklagten
handelte, so liegt nun aber kein Grund mehr vor, die der Beklagten
eingeräumten Rechte möglichst eng zu interpretieren. Massgebend
muss vielmehr sein, der oben umschriebene Zweck, die bestehenden
Schwierigkeiten zu beseitigen und den abnormalen Verhältnissen Rechnung
zu tragen, und es darf, namentlich wenn man noch die allgemeine Fassung
der Erklärung berücksichtigt, unbedenklich angenommen werden, dass
der Kläger der Beklagten ermöglichen ,wollte, sich in allen wichtigen
Punkten den ahnet-malen Verhältnissen anzupassen. Diese Anpassung aber
war nur möglich, wenn die Lieferung nicht nur in die Zeit normaler
Bezugsund Aus_l'uhrVerhältnisse, sondern auch in die Zeit normaler,
d. h. denjenigen zur Zeit des Abschlusses entsprechender, Preisbedingungen
hinausgeschoben wurde.

Für die Beklagte lag das Hauptinteresse an der Hinaus--

schiebung der Lieferung darin, dass sie die Ware, die der

ss Kläger nicht bezog, anderweitig Verkaufen und damit sisi von
den höheren Preisen profitieren ,konnte. Da aber der Kontrakt nicht
aufgehoben wurde, hatte sie damit zu ' rechnen, die Game später für
den Kläger wieder beschaffen zu müssen. Die Erklärung, durch die die
Lieferung aufgeschoben wurde, konnte daher den Plänen der Beklagten
nur dann entsprechen, und das war auch dem Kläger ersichtlich, wenn sie
sich auch auf die Preisverhältnisse bezog. Riskierte die Beklagte doch
sonst, angesichts der stetig steigenden Preislage, die Garne unter viel
ungünstigeren Preisverhältnissen herstellen und dennoch zu Vertragspreisen
an den Kläger abgeben zu müssen.

4. Das Handelsgericht hat demgegenüber allerdings noch 'erwogen, der,
Kläger hätte bei Einbeziehung der

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Preise unter die Verhältnisse, die für das Wiederaufleben der
Lieferpi'licht massgebend sein sollten, gar kein Inte-

ss resse an der Aufrechterhaltung des Vertrages gehabt, weil

er nach Wegfall derBezugsschwierigkeiten usw. und nach dem Wiedereintritt
normaler Preisverhältnisse sich die Garne ja jederzeit auch von Dritten
zu den gleichen Bedingungen werde erstehen können. Allein dem ist
entgegenzuhalten, dass man damals noch nichtwusste, ob man nach dem Krieg
genügende Mengen Garne werde erhalten können. Der Kläger hatte also alle
Veranlassung sich auch für die Zeit normaler Preisund Ausfuhrverhältnisse
die nötige Ware zu sichern.

5. sind aber unter den Verhältnissen, die denen zur Zeit des
Kaufabschlusses gleich sein müssen, bevor Lieferung verlangt werden
kann, auch die Preisverhältnisse verstanden, so ist die vorliegende
Erfüllungsklage verfrüht, denn nach vorinstanzlieher Feststellung sind
die Gampreise heute noch circa dreimal höher als im Juli 1915.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt und die Klage im Sinne der Motive
zssur Zeit abgewiesen.

' Vgl. Nr. 58. _ Voir n° 58.
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Document : 45 II 454
Date : 10. Oktober 1919
Published : 31. Dezember 1920
Source : Bundesgericht
Status : 45 II 454
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 454 ' . Obligationenrecht. N° 69. ' es. Urteil a,;:. nvnabteiluns' vom 10. Oktober


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