50. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juni 1919 i. S. Mumenthaler gegen Luzern.

Haftung des Werkeigentümers, der zwar das Übliche, nicht aber
das nach den Umständen Erforderliche und ihm Zuzumutende vorgesehen hat.- Unfall, herbeigeführt durch
Kippen eines Hydrantendeckels.

=A. Der Kläger erlitt am 13. Oktober 1916 in der Haldenstrasse in
Luzern einen Unfall. Er trat auf einen Hydrautendeckel, der lese in
einem entsprechenden Falze des Schachtrahmens lag, dabei kippte der
Deckel um, und, der Kläger fiel Vornùber, sich am rechten Fuss erheblich
verletzen-i _

Mit der vorliegenden Klage verlangte Murnenthaler von der Beklagten als
Werkeigentümeiin wegen fehlerhafter Anlage beziehungsweise mangelhaften
Unterhaltes der Schachtbedeckung 20,000 Fr. Schadenersatz. .

DieBeklagte hatdemgegenüber jede Haftung bestritten, weil die Anlage an
sich nicht fehlerhaft und auch gut unterhalten gewesen sei. ss

B. Beide kantonalen lnstanzen haben die Klage

abgewiesen, das Obergericht, weil die Konstruktion, die --

die Beklagte für die Bedeckung ihrer Hydranten gewählt habe, nach
dern eingehalten Gutachten allgemeingüblich und seit Jahren allgemein
in Gebrauch sei. Auch sei durch Zeugenheweis erhärtet, dassin Luzern
und insbesondere bei der ,streitigen Anlage nie-ein Unfall vorgekommen
Ferner habe der Kläger nicht etwa dar-getan, dass zufolge Abnützung der
fragliche Verschluss dem Normaltyp dieser Schachthedeckungen gegenüber
sich verändertObligätienenrerht, N°_.'n.

habe. Unter diesen Umständen könne weder von mangel-

, halter Anlage noch ungenügendem Unterhalt die Rede

sein. Auf mangelhafte Unterhaltung dürfe aber auch dann nicht geschlossen
werden, wenn man, der Ansicht der Experten folgend, annehme', der Unfall
sei dadurch

' möglich geworden, dass ein Fremdkörper habe in den

Falz des Schachtrahmens eindringen können, denn um hieraus auf schlechten
Unterhalt schliessen zu dürfen, hätte bewiesen werden müssen, dass die
Beklagte es an der ordentlichen und ,ühungsgemässen Reinigung habe fehlen
lassen. -

C.Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung ' an das Bundesgericht
ergriffen, mit dem Antrag auf

} Zusprechung der Klage eventuell. Rückweisung zur Be-

weisergänz'ung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Das Bundesgericht hat in konstanter Praxis daranfestgehalten,
dass für die Frage, ob der Werkeigentümer das Werk richtig angelegt
beziehungsweise unterhalten habe, nicht bloss auf die bei Erstellung und
Unter halt solcher Werke bestehende Uebung abgestellt werden kann.'Wenn
der Werkeigentümer nicht haften will, v muss er nicht nur das Uebliche,
sondern das nach den Umständen (speziell auch nach der Funktion, die dem
betrefienden Werk znko'mmt), G e b o t e n e vorgenommen haben,-AS 38 II
S; 74 und Urteil i. S. Nieriker gegen Geiger vom 12.'NOVember 1915. Damit
ist gesagt, dass den Werkeigentümer ein Abusus nicht befreit. Anderseits
aber dürfen von ihm auch nicht übertriebene z. B. zu kosts'pielige, mit
den Interessen des Publikums in keinem Verhältnis stehende, Aufwendungen
verlangt werden. '

2. 'Geht man hievon aus, so ist zunächst die Einwendung des Beklagten
als unerheblich zurückzu'weisen, der streitige SchachtverSchluss sei
gleich konstruiert gewesen, wie die Anlagen dieser Art in den meisten

334 Ohiigationenrecht. N° 50.

grösseren Schweizerstädten. Massgebend ist vielmehr, ob die Beklagte
bei Anwendung dieser Konstruktion das durch die Verhältnisse Gebotene
vorgesehen hat.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verschluss einen Teil der
Strassenoheriiäche ausmachen, Tausende und Ahertausende von Begehungen
aushalten und dadurch dem Verkehr dienstbar sein sollte.

Den diesen Verhältnissen entsprechenden Anforderungen hat die fragliche
Anlage nicht genügt. Zunächst

zeigt der Unfall selbst und sodann auch die Tatsache,

dass nach demselben der Deckel, wie von zwei Zeuginnen bestätigt wird,
noch zweimal durch blosse Fusstritte zum Kipper: gebracht werden konnte,
dass die Konstruktion Mängel aufgewiesen hat. Diese Unzulänglichkeit geht
aber auch aus dem Expertengutachten hervor. Wenn auch die sachverständigen
erklären, der Verschluss durch lose Einlegung des Deckels in einen
Rahmenfalz sei allgemein üblich und hahe bisher noch nicht zu derartigen
Unzukömmlichkeiten geführt, dass eine Konstruktionsänderung als geboten
erschienen wäre, so geht doch anderseits aus ihrem Gutachten selber
hex-Vor, dass solche Unzukömmlichkeiten in erheblichem Masse bestanden
haben. Die Experten stellen insbesondere fest, 'es sei unter Umständen
kleinen Fremdkörpern, Sand, Steinen, Zigarrenstummeln, usw. möglich,
in den Falz einzudringen und sich dort so, zu lagern, dass der Deckel

einem Stoss von oben nachgebe. Ferner-lasse die fragliche

Konstruktion es zu und bringe damit wiederum die Gefahr

des Kippens, dass nach Gebrauch der Deckel nicht ganz geschlossen,
beziehungsweise dass er von Unberechtigten aus seiner richtigen Lage
verschoben werde. . Die Experten sagen aber weiter, wenigstens die ersten
beiden der angeführten Mängel könnten, ohne die Wegnahme des Deckels
zu erschweren, durch eine kleine, nicht kostspielige Aenderung',
wie sie nachher die Beklagte vorgenommen habe, nämlich durch das
"Anbringen von stiften auf der Unterseite des Deckels, i'erhessert
werden.Dbligationenrecbt. N° 50. 335

Hieraus geht hervor, dass die Beklagte zwar das Ueb-

. liche, nicht aber das durch die Verhältnisse Gebotene und

ihr Zuzumutende vorgesehen hat. Siehätte durch eine kleine, nicht
teure, den Hauptzweck der Anlage (leichte Zugänglichkeit im Falle
der Feuersgeiahr) nicht beeinträchtigende Verbesserung die dem Verkehr
drohende Gefahr erheblich vermindern können. Sie darf daher ihr Werk, da
sie diese Verbesserung nicht vorgenommen, nicht als mangelkrei bezeichnen.

3. Was sodann den Kausalzusammenhang zwischen der Tatsache der
mangelhaften Anlage und dem Unfall anbelangt, so ist er ohne weiteres
als nachgewiesen zu betrachten, sagen doch die Zeuginnen Schneider
und Felder aus, der Deckel habe ihrem Fusstritt nach dem Unfall,
trotzdem er geschlossen und ein Fremdkörper nicht wahrnehmbar gewesen
noch Zweimal nachgegeben. Es darf daher unbedenklich angenommen werden,
der Unfall habe sich in gleicher Weise, das heisst auch durch Kippen des
richtig geschlossenen Deckels und nicht etwa zufolge einer Verschiebung
desselben durch unbefugte Hand, für die die Beklagte nicht einzutreten
hätte, erereignet. ss

4. Danach ist 'die Klage von der Vorinstanz zu unrecht abgewiesenwordem
und es sind die Akten, da sie über das Quantitativ des Schadens nicht
genügend Aufschluss gehen, zur Feststellung desselben und des von der
Beklagten zu leistenden Ersatzhetrages an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt, die Klage grundsätzlich zugesprochen
und die Sache zur Feststellung des

Schad'enersatzhetrages an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 45 II 332
Date : 13. Mai 1919
Published : 31. Dezember 1920
Source : Bundesgericht
Status : 45 II 332
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 50. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juni 1919 i. S. Mumenthaler gegen Luzern. Haftung des...


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