3er Obligationenrecht. N°46.

48. Urteil der I. Zivitabtellung von 28. Mai 1919 i. S. Vogels gegen MW
Art. 53 OR: Freiheit des Bundesgericht es als Zivilgericht gegenüber dem
St raf u rt eil eines kantonalen Gerichtes. Es kann den festgestellten
Tatbestand unter einen anderen Deliktsbegriii subsumieren als der
kantonale Strairichter es getan. Körp e rv erl etzung im Rauihandel.

Haftung auch desjenigen Teilnehmers dem eine verletzende Handlung nicht
nachgewiesen ist.

A. Der belgische Internierte und heutige Kläger Vogels kehrte in der
Nacht vom Sonntag den 23. auf Montag den 24.Juni 1918 gegen 12 Uhr mit
einem andern belgischen Internierten Briard von einem von Internierten
in Gertlimatt bei Krattigen veranstalteten Konzert nach dem ihm
angewiesenen Aufenthaltsort Aeschi zurück. Mehrmals schon war es kurz
vorher zwischen Intemierten und Einheimischen zu Streitigkeiten gekommen,
und der Platzkommandant von Aeschi hatte es daher für nötig gefunden,
dem Vogels zum Schutz gegen solche Angriffe den Briard mitzugeben.

Beim Dorfeingang von Krattigen trafen die beiden mit dem Beklagten
Luginbühl und den'diesen begleitenden Heim und Ruchti zusammen. Heim, ein
als ruhig und gutmütig bekannter Mann, der die Belgier für Einheimische
ansah, streckte gegen die Ankommenden den Arm aus und rief ihnen
scherzWeise ein Halt wer da zu. Diese'Haltung scheinen die Internierten
als Angrifi aufgefasst zu haben; es kam zu einer Schlägerei, in deren
Verlauf der mit einem Stock bewaffnete Briard durch Stockhiebe dem Heim
eine blutende Wunde an der Schläfe und dem Ruchti eine solche an der
Stime beibrachte. Luginbühl, den Briard ebenfalls und zwar über den Arm
getroffen, hub sodann einen Stein auf und warf ihn gegen Briard.-Vogels
war unterdessen schon weiter gegangen. Als er sich, wenige Schritte von
dem Streitort

entfernt, umwandte, trat ihn ein Stein am rechten Auge.Obligationenrecht
N° 46. 305

Der folgenden Tags konsultierte Arzt konstatierte eine starke Reduktion
der Sehschärfe und eine Blutung im Innern des Auges; Der Kläger liess
sich sodann im Spitah von Dr. Musy in Freiburg behandeln. Die Sehkraft'
des Auges hlieh'jedoch erheblich reduziert.

B. Auf die Straiklage des Vogels hin wurde eine Untersuchung gegen
Luginbühl, Heim und Ruchti ein-= geleitet, die aber nur bezüglich des
Luginbühl zur Anklageerhebung, und zwar wegen Wsshandlung, führte.
In der Verhandlung vor erster Instanz machte Vogels adhäsionsweise eine
Schadenersatzforderung in richterlich festzusetzendem Betrage geltend. .

C. Der korrektionelle Richter des Amtes Frutigen hat mit Urteil vam'
21. september 1918 den Beklagten der Misshandlung schuldig gesprochen,
zu 8 Tagen

,Gefängnis und grundsätzlicher Schadenelsatzleistung

verurteilt, die Bestimmung des Umfanges der Schadenersatzpflieht aber
dem Zivilrichter vorbehalten.

Die erste Stratkammer des bernischen Obergerichts hat dieses Urteil
aufgehoben, den Angeklagten freigesprochen und Vogels mit seinen Anträgen
abgewiesen.

Sie ging aus von dem eingangs umschriebenen Tatbestand, glaubte aber
daraus, in Abweichung vom erstinstanzlichen Richter, nureine gewisse
Wahrscheinlichkeit, nicht aber einen sichern Beweis dafür ableiten
zu dürfen, dass ein von Luginbühl geworfener Stein es gewesen, der den
Vogels verletztnhabe. Gegen die Annahme, dass dieser Beweis geleistet sei,
spreche insbesondere die Darstellung Vogels, wonach mehrere Steine und
nicht nur von Luginbühl geworfen worden seien, und sodann der Umstand,
dass bei Nacht und in der Schnelligkeit, mit welcher solcheAVorfälle
zu geschehen pflegen, eine nähere Tatbestandsfeststellung _nicht mehr
möglich sei. Angesichts dieses Mangels eines _vollen Beweises des
Kausalzusammenhanges zwischen dem Steinwurf des Luginbühl und der
Verletzung Vogels, und da durch den Ueberweisungsheschluss' ,die Beurteian

305 Obligatienenrecht. N° ,46.

des ganzen Vorfalles unter dem Gesichtspunkte des Raufsihandels
ausgeschlossen sei, könne eine Verurteilung nicht erfolgen

D. Gegen dieses Urteil hat Vogels die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen mit dem Antrag auf Zuspreehung einer angemessenen vom Gericht
festzusetzenden Entschädigung. Aus der schriftlichen Berufungsbegründung
ist hervorzuheben :_ Nach der Aktenlage könne als Täter nur Luginbühl,
der zugehe, einen Stein geworfen zu haben, in Betracht kommen. Die
gegenteilige Feststellung der Vorinstanzsei aktenwidrig und daher für das
Bundesgericht nicht verbindlich. Aber auch Wenn die Beweiswürdigung vom
Standpunkte des .Strafrichters aus als unanfechtbar erscheinen würde,
wäre doch das Bundesgericht als Zivilgericht daran nicht gebunden. Die
Vorinstanz hätte übrigens den ganzen Vorfall. als Baukhandel beurteilen
solle. Was das Mass des Ersatz-es anbelange, so gehe der Kläger die
Erklärung ab, dass er unter der Voraussetzung, dass das Bundesgericht
seine Forderung ohne Rückweisung der Akten zuspreche, sich mit 5000
Franken begnüge.

Der Beklagte Luginbühl hat auf Anweisung der Beruiung antragen lassen,
weil an sich schon fraglich sei, dass die Verletzung des Vogels überhaupt
von einem an dem-fraglichen Abend geworfenen Stein herrühre, vollends aber
fehle der Nachweis, dass die Verletzung durch den von ihm gesehleuderten
Stein verursacht worden sei. Eventuell habe er in berechtigter Notwehr
gehandelt. Die Beweisführung zeige, dass die Internierten den Streit
begonnen. Ganz eventuell aber treffe Art.-44 zu, indenr Sein, Luginbühls,
Verschulden geringer Natur sei, während den. Kläger bezw. seinen
Begleiter, für den er einzustehen habe, die Hauptscth treffe.

list-is,Buridesgserist-Tit zieht in Erwägung : l.. Nach Art. 53.0R ist
der Zivilrichter in der Würdigun'g eines Tatbestandes, trotzdem derselbe
bereitsObligstionenrecbt. N° 46 se? Gegenstand eines Straiurteils geworden
ist, frei. Für das

. Bundesgericht aber als Berufungsinstanz im Adhäsions-

prozess ist diese Freiheit insofern beschränkt, als es gemäss Art. 81
Abs 1 OG die tatsächlichen Feststellungen des Vorderrichters, sofern
sie nicht aktenwidrig sind und'

' nicht blinde-rechtliche Beweisnormen verletzen, seinem

Entscheide zu Grunde zu legen hat Vergl WEISS, Berufung s 209; AS25 II
822, 33 II 96 -

Nun hat der Berufungskläger allerdings iin vorliegenden Falle eine
Aktenwidrigkeit darin gesehen, dass die Strafkammer den Beweis der
Täterschait Luginbühls nicht

' als voll erbracht ansehe. Allein hierin liegt eine Akten--

widrigkeit nicht. Die Vorinstanz hat unter Würdigung des
gesamtenBeweisergehnisses, speziell auch der Zugaho Vogels selber,
es seien nicht nur vom Beklagten Steine geworfen Werden, angenommen,
die Möglichkeit, dass einer der Begleiter des Beklagten den in Frage
kommenden Stein geworfen, sei nicht ausgeschlossen. Diese Folgerung
mag zweifelhaft erscheinen, auf alle Fälle ist sie aber mit den Akten
nicht unvereinhar, und nur wenn dies der Fall wäre, könnte man von einer
Aktenwidrigkeit sprechen. '

2. Fraglich kann daher nur sein, ob die von der Vorinstanz als
bewiesen angenommenen Tatsachen zu einer Verurteilung Luginbührls nach
zivilrechtlichen

. Grundsätzen genügen oder nicht. Diese Frage muss

v erneint werden, wenn man als Grundlage des Anspruches lediglich das
von der Vorintsanz in Betracht gezogeneDelikt der Misshandlung bezw. der
direkten Körperverletzung berücksichtigt. Auch für den Zivilrichter gilt,
dass aus dem Delikt der Körperverletztung nur haftbar gemacht werden kann,
wessen Schuld voll bewiesen und nicht nur wahrscheinlich gemacht ist.

3. Anders liegen die Verhältnisse dagegen dann, wenn man sich die Frage
stellt, ob nicht durch die MitWirkung am Streit der Bei-klagten auch
Wenn er den Stein.

Fodurch Vogels verlernt wurde, nicht sollte geworfen.

Ja-s Obligationcnrccht. N° lt.

haben an der Verletzung des Klägers mitschuld und daher dafür
verantwortlich sei. Die Vorinstanz konnte aus strafprozessualen Gründen,
weil eine Ueberweisung wegen Raufhandels nicht vorlag, diese Frage
nicht beantworten. Dem Bundesgericht aber kann dieser Umstand nicht
entgegengehalten werden. Es hat nicht zu untersuchen, ob das eingeklagte
strafrechtliche, sondern ob irgend ein den Ersatzanspruch des Klägers
rechtfertigendes zivilreelitiielies Delikt vorliegt. Wollte man statt
dessen lediglich die Frage der Körperverletzung

untersuchen, so würde man damit den die Anklage

erhebenden Behörden die Möglichkeit gehen, durch die Art der Formulierung
der Anklage die Ersatzansprüche der Ziv ilpartei (die diese Formulierung
nicht entscheidend beeinflussen kann, da Strafund Zivilanspmch nicht
denselben Voraussetzungen unterliegen) zu beeinträchtigen, Während
der Art. 53 unter anderem gerade solchen in der besondern Natui des
Strafprozesses begründeten Unzukömmlichkeiten und Abweichungen vom
ordentlichen Zivilprozess entgegentreten will

Geht man aber davon aus, das Bundesgericht habe das Bestehen eines
zivilreelitliehen Ersatzanspruches frei zu überprüfen, so muss die Klage
zugesprochen werden

Das Bundesgericht hat stets angenommen, die aktive Teilnahme an einem
zu einer Körperverletzung führenden _Raufhandel (und dass die Verletzung
bei diesem Rauthandel eintrat, steht für das Bundesgericht fest), mache
nach Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR auch den haftbar, der nur als Gehfiife, und ohne dass
ihm eine direkte Körperverletzung nachgewiesen werden kann, mitgewirkt
hat. Verglj insbesonder die eingehende Begründung im Urteil AS 25 H
8.822 Eine Teilnahme an der Verletzung des Vogels in diesem

Sinne aber kann vom Beklagten nicht in Abrede gestellt _

werden. Zunächst ist nicht bestreithar, dass es 'zu einem eigentlichen
Raufhandel gekommen ist, sodann aber gibt der Beklagte zu, seinem
Begleiter Ruchti beigestandenObligationenn scth N . 4 6309

und nachdem er selber einen Schlag erhalten, einen Stein geworfen
zu haben..

Luginbühl hat allerdings eingewendet, er habe nur in Notwehr an
der Rauferei teilgenommen. Allein, und dabei mag die Frage, welcher
Partei wirklich die Haupt-schuld an der Entstehung des Streites trifft,
dahingestellt bleiben, das würde ihn nur dann von der Schadenersatzpflicht
befreien, wenn er seinen angeblichen Angreifer selber geschädigt
hätte. Nun ergibt sich jedoch aus den Akten nichts, das auf eine aktive
Beteiligung Vogels am Rauihandel schliessen liesse. Auch Wenn man daher
Note-sehr annehmen wollte, so müsste der Beklagte dennoch, weil er dabei
einen Dritten verletzte, diesem gegenüber haftbar gemacht werden.

Gegen die Verurteilung des Beklagten spricht sodann auch nicht,
dass er allein ins Recht gefasst worden ist.. Nach Art. 50 haften
mehrere, die gemeinsam einen schaden verschuldet haben, solidarisch. Der
Ersatzberechtigte kann daher jeden der Mehreren heraus-greifen und einzeln
einklagen, und es muss diesem letzteren dann überlassen bleiben, auf
die Mitschuldigen Regress zu nehmen.

5. Die grundsätzliche Zusprechung der Klage , führt zur RückWeisung der
Akten an die Vorinstanz zur Bestimmung des Umfanges des Schadens und
sodann auch

des Masses, in welchem derselbe unter Berücksichtigung ')

aller Umstande vom Beklagten zu ersetzen ist. Dabei wird auch zu
untersuchen sein, inwieweit der Vom Beklagten angerufene Art; 44 OR in
Betracht kommen kann.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt und die Streitsache im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 45 II 304
Datum : 28. Mai 1919
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 45 II 304
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 3er Obligationenrecht. N°46. 48. Urteil der I. Zivitabtellung von 28. Mai 1919 i.


Gesetzesregister
OG: 81
OR: 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
BGE Register
33-II-90
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vogel • bundesgericht • stein • beklagter • vorinstanz • frage • raufhandel • verurteilung • weiler • zivilgericht • nacht • treffen • tag • anklage • schaden • notwehr • mass • entscheid • ersetzung • strafgericht
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