638 Obligationenreclit. N ° 83.

in der Regel auch jenes (vergl. BGE 42 II 595). Die den Klägern zugefügte
Verletzung in ihren persönlichen Verhältnissen, insbesondere in ihrer
sittlichen Ehre, ist nun eine ungewöhnlich schwere. Und es hat der
Beklagte die ehrenrührigsten Anschuldigungen wenn nicht geradezu im
Bewusstsein ihrer Unrichtikgeit, so doch jedenfalls grob fahrlässig
erhoben, indem er die bei deren Natur und Schwere unerlässliche vorgängige
Prüfung der Verhältnisse gänzlich unterliess. Er hat auch an seinen
Vorwürfen noch festgehalten, nachdem der Vorstand der Stimmen im Sturm
in seiner Entgegnung deren völlige Unbegründetheit dargetan hatte, und
das berechtigte Verlangen der Kläger um Genugtuung unter Erneuerung der
Angriffe zurückgewiesen. Bei dieser Sachlage muss in Uebereinstimmung
mit der Vorinstanz sein Verschulden als ein besonders schweres im Sinne
von Art. 49 OR bezeichnet werden. womit alle Voraussetzungen für die
Zusprechung einer Genugtuungssumme erfüllt sind.

6. Was deren Höhe betriiit, so besteht kein Anlass zu einer Abänderung des
Vorinstauzlichen Urteils, da der Beklagte es in quantitative-r Hinsicht
nicht anficht und die Kläger ihrerseits sich dabei beruhigt haben. Es
ist deshalb im vollen Umfange zu bestätigen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt : HDie Berufung wird abgewiesen
und das Urteil des

Obergerichts des Kantons Aargau vom 26. März 1917 bestätigt.

Obugationenrecht. N° 84. 639

84. Urteil der I.Zivi1abtei1ung vom 12. Oktober 1917 i. S. Basler
Lagerhausgesellschaft, Beklagte, gegen Berner Handelshank, Klägerin.

Lagergeschäft (Art. 482 bis 486 OR). Schadenersatzpflicht des Lagerhalters
wegen vertragswidriger Herausgabe gelagerter Ware. Einrede, dass der als
Schaden eingeklagte Wert dieser Ware dem darüber Verfügungsberechtigten
(der das Verfügungsrecht zu seiner Deckung als Kontokorrentgläubiger
des Einlagerers eingeräumt erhalten hat) bereits zugekommen unddeshalb
nicht mehr zu ersetzen sei, unbehelflich angesichts der Feststellung,
dass der Verfügungsberechtigte von der Beziehung des empfangenen Wertes
zu der ihm verhafteten Lagerware weder Kenntnis hatte, noch haben
musste. Quantitative Bemängelnng des Wertersatzanspruchs ; insbesondere
Abzug eines Mehrerlöses, der bei der unrechtmässigen Warenverwertung,
gegenüber dem Wert der Ware am Tage ihrer Rückforderung. seitens des
Verfügungsberechtigten, erzielt werden ist ?

A. Im Jahre 1911 eröffnete die Klägerin, die Berner Handelsbank in
Bern, dem Kaufmann A. Reichen-Rieder r in Frutigen als Kommanditär und
Prokuristen der Kaffeeimportfirma Lopes; Steiner & Cia in Sao Paulo
(Brasilien) einen Bankkredit'. Als Deckung für ihre Vorschüsse, die
meistens in Form von Wechselakzepten geleistet wurden, stellte ihr der
Kreditnehmer (ausser der Verpfändung von Wertpapieren und der Einräumung
der II. Hypothek von 110,000 Fr. auf einer Liegenschaft in Frutigen) in
die Schweiz eingeführten Kaffee seiner Firma in der Weise zur Verfügung,
dass er solchen Kaffee bei der beklagten Basler Lagerhausgesellsehait
in Basel einlagerte und der Bank die auf ihren Namen ausgefertigten
und ihr damit nach dem Reglement der Lagerhausgesellsehaft die
Dispositionsbefugnis über die Ware verleihenden Lagerscheine übersenden
liess. Bei Verkäufen ab diesem Lager hatte Reichen bei derBank um Freigabe
der Ware einzukommen und ihr als Gegenwert die auf seine Abnehmer

640 Obligmoflefitaht. N' 84.

gezogenen Wechsel zu überlassen, worauf die Bankdie Lagerhausgesellschaft
unter Rücksendung der betreffenden Lagerseheine anwies, die jeweilen
saekweise bestimmt . bezeichnete Kafleeinenge ZinVerfügung der Firma
Lopes, Steiner & Cie bezw. des Herrn A. Reichen Rieder in Frutigen zu
halten .

In der Zeit vom Frühjahr 1911 bis zum April 1913 gelangten insgesamt
mehr als 7000 Säcke (zu durchschnittlich 60 kg) Kaffee der Qualität good
average zur Einlagerung, wobei Reichen die Lagerscheine für 6044 Säcke
auf den Namen der Berner Handelsbank und für den Rest auf den eigenen
oder den Namen seiner Firma ausstellen . liess; _

Anfangs Juli 19i3 befand sich die Bank im Besitze von

9 Lager-scheinen (aus der Zeit vom Dezember 1912 bis April 1918) für
zusammen 2884 Säcke, als sie auf ihre Erkundigung über den Lagerbestand
vun der Lagerhausgesellschaft die Auskunft erhielt, dass nur noch
835 Säcke auf ihren Namen, nebst 379 Säcken auf den Namen Reichens,
eingelagert seien. Weitere Nachforschungen ergaben, dass Reichen, der
im November 1912 Von der Bank aufgefordert Werden war, den Dehetsaldo
seines Kontos herabzusetz'en, seit dieser Zeit und schon früher die Bank
nicht bei allen Verkäufen ab dem ihr Zur Verfügung gestellten Lager um die
Freigabe der Ware ersucht und darüber Wegen der mangelhaften Kontrolle der
Lagerliau'sge'sellschaft auch ohne ihre Weisung hatte verfügen können. Die
Ingerhansgesellsehakt stellte nun, unter Anerkennung ihres Verschuldensder
Bank auch den auf den Namen Reichens eingelagerien Kaffee, also insgesamt
1214 Säcke, zur Verfügung und versprach im übrigen, Reichen zu sofortiger
Regelung der Angelegenheit zu veranlassen Damit gab sich jedoch die Bank
nicht zufrieden, sondern machte die Lagerhausgesellschaft für die nach
den Lagerscheinen fehlenden 1670 Säcke verantwortlich und bezeichnete
den 29. Juli 1913 als Stichtag in dem Sinne, dass der Kafieepreis dieses
Tages für ihress Obligationenreem. N' 84. 641

Entschädigungsforderung massgehend sein solle. Hierauf wandte die
Lagerhausgesellsehakt ein, dass der Bank ein Schaden deshalb nicht
erwachsen sei, weil sie, wie Reichen angebe, auch für die ohne ihre
Einwilligung herausgegebenen Säcke Rimessen erhalten hehe und somit
für den Fehlhes'ta'nd gedeckt sei. Die Bank aber entgegnete, dass sie
die fraglichen Rimessen im, Glauben, sie stammten von Verkäufen freier
Kaiîeewrràte, als Verstärkung der Position Reichens entgegengenornmen und
anderseits für Reichen wiederum Zahlungen geleistet habe, die sie nicht
ausgeführt hätte. wenn ihr bekannt gewesen Wäre, dass . das zu ihrer
Deckung bestimmte Kafleelager nicht mehr ihren Lagerscheinen entspreche. ,

Nach weiterer fruchtloser Korrespondenz erhob die Berner Handelsbank am
8. Dezember 1913 gegen die Basler Lagerhausgesellschait in Basel K 1 a
g e mit dem Rechtsbeg'ehren, die Beklagte sei pflichtig zu erklären-,
der Klägerin die in den (näher beteichneten) 9 Lagerscheinen enthaltenen
2884 Säcke Kaffee im Totalgewicht von I72,431.5 kg auszuhändigen, und
zu Verurteilen, für jedes kilo, das sie nicht aushändige, der Klägerin
1 Fr. 90 samt 5% Zins seit 29. Juli 1913 zu bezahlen. Dabei erklärte die
Klägerin sich bereit, der Beklagten bei Erfüllung dieses Anspruchs einen
allfällig ausder Liquidation sich ergebenden Ueberschuss des Kontos
Reichen zur Verfügung zu stellen, sowie ferner, ihr gegen Bezah-lung
der Schuld Reichens die Rechte an diesen jetzt schon abzutreten

Die Basler LagerhausgeseIISChaft hat die Klage im Sinne der aus
ihrer Berufungserklärung (unten Fakt. C} ersichtlichen Einwendungen
bestritten. Sie hat sowohl der Firma Lopes, Steiner & C, als auch deren
Teilhaber Reichen den Streit Verkündet; diese haben sich jedoch am
Prozesse nicht beteiligt.

Im Laufe des Prozesses ist der zunächst noch vorhandene, von der
Beklagten nachträglich herichtigend auf 1211 Säcke angegebene Vorrat
des Kakkeelagerss im

6 12 Obligatlonenrecht. N° 84.

Einverständnis der Parteien bis auf 19 Säcke wertlosen Inhalts liquidiert
und der Gegenstand der Klage so unbestrittenennassen auf 1692 Säcke
beschränkt werden.

B. Das erstinstanzliche Zivilgericht gelangte aus der Erwägung, dass die
Beklagte nach den Bestimmungen des OR über den Hinterlegungsspeziell
Lager-vertrag die in den Lagerscheinen im Besitze der Klägerin genau
hezeichnete Ware zurückzugeben habe, ohne weiteres dazu, für den Fall,
dass diese Rückgabe nicht mehr möglich sei, der Klägerin den durch
gerichtliche Expertise des Sachverständigen Stöcklin Müller auf 141,247
Fr. 72 Cts. (3 Fr. 32 Cts. per kg) bestimmten Wert der Ware am Stichtagc
anzusprechen. Allein das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
hob diesen Entscheid mit Zwischenurteil vom 21. Dezember 1915 auf und
wies die Sache'zur Beweisauf'nahme über die Einwendung der Beklagten,
dass die Klägerin für den fraglichen Wertersatz bereits gedeckt sei,
im Sinne der Jslotive an die erste Instanz zurück. Hierauf ordnete
deren Instrnktionsrichter eine Weitere Expertise, mit der er den
Gerichtsschreibersubsti tuten Dr. Huber betraute. an, einerseits über
die Kaffee-Einlagerungen und Rfickzùge Reichens bei der Beklagten,
und anderseits über den Himessenverkehr zwischen Reichen und der
Klägerin, sowie über die Frage, ob und eventuell aus welchen nähern
Umständen anzunehmen sei, die Klägerin sei sich bewusst gewesen oder
habe sichnach Treu und Glauben bewusst sein müssen, dass die ihr Von
Reichen übermittelten Kundenwechsel den Gegenwert von Ware darstellten,
für die sie Lagerscheine der Beklagten besitze. An Hand des von
Dr. Huber erstatteten, sehr einlässljchen Berichts stellte sodann das
Zivilgericht fest, dass die Klägerin zwar durch Rimessen auch für den
Wert des ihr widerrechtlich entzogenen Kafiees voll gedeckt werden sei,
dass sie jedoch diese Verminderung des Kaffeelagers nichterkannt habe
und nach den Umständen nicht habe erkennen müssen, Und danach erklärte
dasObiigationenreeht. N° 84. 5 is

Gericht unter Berufung auf die ihm von der kantonalen Oberinstanz
verbindlich erteilten rechtlichen Weisungen die Klägerin für nicht
berechtigt, den direkten Wertersatz des fehlenden Kaffees zu fordern ;
dagegen sprach es ihr für indirekten Schaden aus weiterer Kreditgewährung
und Preisgabe einer Bürgschaftsicherheit 139,714 Fr. 42 Cts. zu. Das
Appellationsgericht aber erachtete bei gleicher Beweiswiirdigung
den Zuspruch des direkten Schadens in der Höhe des vom Experten
Stöeklin-Müller ermittelten WarenWertes für gegeben und erkannte demnach,
in Abänderung des erstinstanzlichen Hauptdispositivs, mit U r t e il
V. 0 m 23. A p r il 1917 :

Die Beklagte wird zur Zahlung von 141,247 Fr. 72 Cts. nebst Zins zu 5%
seit dem 29. Juli 1913 an die Klägerin verurteilt.

C. Hierauf hat die Beklagte rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht
ergriffen und unter Vorlage eines Gutachtens von Prof. Carl Wieland zur
Unterstützung ihres Rechtsstandpunktes folgende Anträge gestellt :

Hauptantrag I: Aufhebung des appellationsgcrichtlichen Urteils vom

23. April 1917 und Abweisung der Klage, weil

1. die Klägerin den vollen Gegenwert des verpkändetcsn Kaffees erhalten,
in der Klage aber einen andern Schaden. insbesondere den im Zwischenurteil
des Appellationsgerichts vom 21. Dezember 1915 vorbehaltenen schaden
aus Weiterer Kreditgewährung, nicht geltend gemacht habe ;

2. die Klägerin gewusst habe oder doch habe wissen müssen, dass die
erhaltenen Rimessen den Gegenwert des verpfändeten Kaffees in Basel
biideten.

Eventualantrag I:

Aufhebung des kantonalen Urteils und Erhebung der Beweise darüber, oder
RückWeisung der Sache zur Beweiserhebung darüber, dass der Klägerin kein
Schaden erwachsen sei, speziell

644 òbfigationemecm. N84.

1. dass das Guthaben der Klägerin an Reichen zur Zeit ihres
BürgschafteVerzichts vom 18. September 1912, auch wenn das Warenpfand
damals noch intakt gewesen ware, die Deckung bereits überstiegen hätte
(nach dereigenen, unrichtigen Warenhewertung der Klägerin, mit 100 Fr.
per Sack, um 50,000 Fr., und nach der richtigen Warenbewertung, mit 90
Fr. per Sack, um 73,000 Fr.), sodass nicht das Vertrauen auf das. ohnehin
ungenügende Pfand die Klägerin zum Bürgschaitsverzieht veranlasst habe,
sondern die Tatsache, dass Reichen neben seinem gedeckten Kredite stets
auch noch einen Blankokredit (von mindestens 50,000 Fr. und gelegentlich
his 189,000 Fr.) gehabt habe ;

2. dass das Warenpfand entgegen der Expertise nicht schon im Dezember
1911, sondern erst im Juni 1912 nicht mehr intakt vorhanden gewesen
sei und die späteren Zahlungen der Klägerin an Reichen höchstens Mo Fr.
betragen hätten, dass also auch für diese unbedeutenden Zahlungen nicht
das Vertrauen auf das Vorhandensein des Pfandes kausal gewesen sein
könne ;

3. dass Reichen bereits insolvent gewesen sei, als das Varenpfand die
Forderung der Klägerin nicht mehr gedeckt habe.

Eventualantrag II :

Aufhebung des kantonalen Urteils und direkte Herabsetzung der Forderung
der Klägerin, eventuell Rfickweisung der Sache zu neuer Beurteilung in
diesem Sinne, weil

1. der Pfandwert am Stichtage nicht141,247 Fr. 72 Cts., sondern (mjt
Rücksicht darauf, dass für die auf schwand entfallenden 52 Säcke, sowie
auch für die 721 vom Kantonschemiker beanstandeten Säcke, die zum Kaffee
der Klägerin gehörten, kein Schadenersatz verlangt werden könne) nur 132,
798 Fr. 50 Cts. betragen habe ;

2. die Klägerin durch den vorzeitigen Verkauf des Kaffees 45,302
Fr. 24 Cts. oder 39,010 Fr. 40 Cts. oder eine zwischen diesen beiden
Ziffern liegende Summe gewonnen habe, die sie nach den Grundsätzen der
compen-Obligationenrecht. N° 84. 645

satin luCri cum damno auf ihre Schadenersatzforderung anrechnen müsse ; --

3. die Schadenersatzfordernng der Klägerin nach richterlichem Ermessen
weiter zu reduzieren sei, z. B. weil die Klägerin Reichen stets auch
noch einen ungedeckten Kredit gewährt und den hieraus resultierenden
Schaden selbst zu tragen habe.

Hauptantrag II:

Es seien die (näher erörterten) Feststellungen des Zivilgerichts, welche
das Appellationsgericht durch Verweisung auf den erstinstanzlichen
Tatbestand zu den seinigen gemacht habe, als aktenwidrig zu berichtigen

D. An der Verhandlung vom 28. September 1917 hat der Vertreter der
Beklagten die schriftlich gestellten Berufungsanträge erneuert; der
Vertreter der Klägerin hat auf Abweisnng der Berufung und Bestätigung
des angefochtenen Urteils eingetragen.

Hierauf ist die Verhandlung abgebrochen und die Beratung des Gerichts auf
den heutigen Termin, zu dem die Parteivertreter Wiederum erschienen sind,
verschoben worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

i. Die rechtliche Grundlage des Prozesses bildet ein Hinterlegungsvertrag,
speziell ein Lagergeschäft im Sinne der Art. 482 bis 486 OR. soweit die
Beklagte auf Weisung Zeichens für den von diesem bei ihr eingelagerten
Kallee die Lagerscheine (die nach ihrem Lagerreglement dem Lagernehmer als
nicht übertragbare BeWeisurkunden ausgehändigt werden) auf den Namen der
Klägerin ausgestellt hat, hat sie diese letztere als gemäss Art. 486 , in
Verbindung mit den Art. 474 ii. OR ausschliesslich über den betreffenden
Kaffee verfügungsherechtigt anerkannt. Sie durfte deshalb von dem so
übernommenen Kaffee nicht ohne Weisung der Klägerin herausgeben. Gegen
diese Verpflichtung hat sie insofern verstossen, als

646 Obligationenrecht. N° 84.

sie dem von der Klägerin an Hand ihrer Lagerscheine auf den 29. Juli
1913 gestellten Rückgabehegehren mit Bezug auf 1692 Säcke, um die sich
der Prozess heute noch dreht, zugestandenermassen durch ihr Verschulden
nicht zu entsprechen in der Lage war und ist. (In der genannten Sackzahl
sind 19 Säcke inbegriifen, die Zwar noch vorhanden, jedoch wegen der
festgestellten Wertlosigkeit ihres Inhaltes vom Appellationsgericht
nach dem Antrage der Klägerin den fehlenden gleichbehandelt worden sind,
_ehne dass die Anfechtung der Beklagten sich speziell hiegegen richten
wiirde, weshalb es dabei ohne weiteres sein BeWenden haben muss). Die
Pflicht der Beklagten zur Rückgabe der 1692 Säcke Kaffee hat sich daher
gemäss Art. 97 OR verwandelt in die Pflicht zum Ersatz des Schadens,
den die Klägerin dadurch erlitten hat, dass sie über jenen Kaffee im
gewünschten Zeitpunkte nicht verfügen konnte.

2. Bezüglich dieser an sich nicht bestrittenen Schadenersatzpilicht
wendet nun die Beklagte in erster Linie ein, es fehle überhaupt an einem
zu ersetzenden schaden, da die Klägerin den als solchen geltend gemachten
Wert des fraglichen Kaffees bereits durch Reichen in der Form

ihr remittierter Kundenwechsel erhalten habe. Demge.

genüber hat die Klägerin in der Berufungsinstanz vorab Wiederum den
vom Zivilgericht ursprünglich geschützten Standpunkt vertreten, aus den
Leistungen Reichens an sie könne die Beklagte als an dem diesen Leistungen
zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis nicht beteiligte Drittperson für sich
grundsätzlich keine Rechte ableiten. Diese Argumentation ist aber deswegen
nicht durchschlagend, weil die Klägerin ihren vertraglich bestehenden
Wertersatzanspruch nach Treu und Glauben im Sinne des Art. 2 ZGB nicht
mehr erheben könnte, falls sie, wie die Beklagte mit der Einrede des
Dolus behauptet, bei Entgegennahme der Rimessen Reiche-us die tatsächlich
zur Deckung des streitigen Wertes hinreichen -, wenn auch nicht direkt
gewusst, so doch nach den Umständen hätteObiigationenrecht. N° 8 i. (;17

wissen müssen, dass die Rimessen auch aus dem Verkauf . ihr widerrechtlich
entzogenen Kajkees stammten. Das Appellationsgericht hat daher mit
Recht die Beklagte zum Beweise dieser Einredehehauptung zugelassen ; der
Beweis ist jedoch, wie beide Vorinstanzen zutreffend angenommen haben,
nicht gelungen. Die selbständigen Erwägungen des Appellationsgerichts
hierüber sind in ihrer tatsächlichen Grundlage, die nicht als aktenwidrig
angefochten werden ist, türden Berufungsrichter vesbindlich und in
ihrer rechtlichen Schlussfolgerung durchaus zu billigen. Die Klägerin
hatte nicht etwa von vornherein die Pflicht, eine direkte Kontrolle über
den Bestand des ihrer Verfügung unterstellten Kafleelagers auszuüben,
sondern durfte sich in dieser Hinsicht auf den Inhalt der in ihrem Besitze
befindlichen Lagerscheine der Beklagten solange ohne weiteres verlassen,
als sich ihr nicht zwingende Anhaltspunkte für deren Unzuverlässigkeit
boten. Solche Anhaltspunkte sind aber nicht durgetan. Ernsilich in
Betracht fällt nur die Tatsache, dass die Rimessen, Welche die Klägerin
namentlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1912 von Reichen erhalten
hat. den Wert der diesem freigegebenen Kaffeemengen unverkennbar
überstiegen. Allein diese Tatsache konnte sich

' die Klägerin nach den vom Appellationsgericht erörterten

Momenten in guten Treuen daraus erklären, dass Reichen auch noch über frei
veräusserliche Kaffeebestände verfügt und auch deren Erlös durch Zuweisung
der Kundenwechsel an sie zur Herabsetzung seiner Kontokcrrentschuld
verwendet habe. Es spricht denn auch nichts dafür, dass sie von den ohne
ihre formelle Bewilligung erfolgten Kaffeerückzügen Zeichens wirklich
Kenntnis gehabt hätte.

Die Beklagte macht indessen weiterhin geltend, ihre Haftung für den
Wert des fehlenden Kafiees sei gleichwohl dadurch getilgt werden, dass
die Klägerin diesen Wert tatsächlich doch von Reichen bereits erhalten
habe. Es handle sich, so hat ihr Vertreter vor Bundesgericht näher

eis Obiigationenrecht. N° 84,

ausgeführt, bei dieser Haftung um eine Schuld, die mit der Schuld
Reichens an die Klägerin insofern identisch sei, als die Klägerin von
der Beklagten den Kafieewert nur als Pfanddeckung beanspruchen körme,
dieser Anspruch aber sei mit der Schuldabtragung aus dem Pf a nd we rt
durch Reichen selbst befriedigt wurden. Zum gleichen Ergebnis gelangt
ferner auch das von der Beklagten vorgelegte Gutachten Professor Wielands
aus dem Gesichtspunkte der Rechtslehrevon der Leistung durch Dritte,
weil kraft eines Pfandnexus die Leistungen der Beklagten und Reichens
derart miteinander verbunden waren, dass die Leistung des einen für den
andern Zahlungsefkelct gewinnen musste . Diesen Argumenten kann nicht
beigeptlichtet werden. Allerdings stehen die Schuld Reicheus und diejenige
der Beklagten gegenüber der Klägerin, während sie an sich und äusserlich
durchaus verschieden sind, indem die erstere eine Darlehenschuld aus
dem Kontokorrentverhältnis Reichens mit der Klägerin, die letztere
dagegen eine Verbindlichkeit aus dem (insoweit zu Gunsten der Klägerin
abgeschlossenen) Lagergeschäft zwischen Rei-chen und der Beklagten
darstellt, dadurch in einem innern Zusammenhang, dass die Schuld der
Beklagten ss unverkennbar nur zur Sicherung der Schuld Reichens begründet
werden ist und daher mit deren Tilgung materiell ebenfalls erlöschen
muss. Allein dieser sit-herangezweck bedingt umgekehrt auch, dass die
akzessorische Schuld der Beklagten ohne selbständige Tilgung solange
wirksam bleibt, als die Hauptschuld Reichens besteht. Die selbständige
Tilgung einer akzessorischen Schuld kann aber jedenfalls nur durch eine
Leistung (des Schuldners selbst oder eines Dritten) bewirkt werden, die
für den Gläubiger als hierauf gerichtet erkennbar ist, da es dem Wesen
der akzessorischen Schuld nicht entspricht, vor der Haupt-schuld getilgt
zu werden, und eine zu solcher Tilgung erfolgende Leistung deshalb der
besondernausdrückliohen oder konkludente-n Kennzeichnung bedarf. Diese
Voraussetzung trifft jedoch bei den hier in Fragevano.-.;.ngn....I.. N°
54. (3426

stehenden Vechselzuweisung'en Reichens an die Klägerin offenbar
nicht zu. Es, lag nichts vor, woraus die Klägerin hätte schliessen
können, dass Reichen damit nicht einfach Abzahlungen auf seine eigene
Kontokorrentschuld machen wolle. Vielmehr konnte die Klägerin bei ihrer
festgestellten Unkenntnis des vertragswidrigen Verhaltens Reichens und
der Beklagten unmöglich annehmen, dass sie mit dem Empfang des Wertes
dieser Rimessen nicht nur ihre Forderung an Reichen, sondern zugleich
auch die ihr dafür bestellte Pfandsicherheit bei der Beklagten um diesen
Wert verringere. _

3. Aus dem Gesagten folgt; dass die Klägerin, entsprechend dem Entscheide
des Appellationsgerichts, grundsätzlich auf den eingeklagten Wertersatz
für den fehlenden Kaffee Anspruch hat, nicht, wie die Beklagte behauptet,
nur auf Ersatz eines weitern, den tatsächlich bereits empfangenen
Kaikeewert übersteigenden Schadens, der ihr aus ihrem, durch die
nachgewiesene Unkenntnis dieses Wertempiangs bedingten spätere Verhalten
gegenüber Reichen erwachsen sein sollte und für den sie heweispilichtig
wäre. Mit dem nochmaligen W'ertersatz wird die Klägerin, entgegen dem
Einwande der Beklagten, nicht ungerechtfertigt bereichert, da sie ja
das früher Empfangene auf die damalige Schuld Reichens angerechnet
hat und ihre Klageforderung, wie heute unbestritten ist, ihr ungedeckt
gebliebenes Guthaben an Reichen nicht übersteigt.

Nach diesem Entscheide bedürfen von den Berufungsanträgen der Beklagten
der Eventualantrag I zum Hauptantrag I, sowie der Hauptantrag II keiner
Erörterung, da ihr Inhalt danach nicht von Belang ist. Zu prüfen sind
dagegen noch die dem Eventualantrag II zum Hauptantrag I zu Grunde
liegenden Einwendungen bezüglich der Höhe des Entschädigungsanspruchs
auf dem grundsätzlichen Rechtsboden der Klage.

'a) Ein Abzug für die angeblich durch schwand bei Bearbeitung des
eingelagerten Kaffees verloren gegangenen

AS 431! 1917 43

kzso Öhligatlcnenrecht. N° 84. -

52 Säcke kann schon deswegen nicht in Frage kommen, weil die angefochtene
Entschädigungshemessung auf dem Wert des nnbearbeiteten Kaffees (im
Zustande, wie er eingelagert wurde) beruht und mangels jeden Nachweises
hiefür nicht anzunehmen ist, dass der Kaffee durch die Verarbeitung trotz
dem damit verbundenen Schwund an Wert eingebüsst habe. Und was die vom
Kantonschemiker beanstandet-en 721 Säcke betrifft, ist nach der für das
Bundesgericht verbindlichen Beweiswürdigung der Vorinstanz nicht sicher,
dass sie zu dem der Klägerin zur Verfügung gestellten Kaffee gehört haben;
auch ih r Wert kann daher nicht in Abzug gebracht werden.

b) Die Anrechnung eines Gewinns, welcher der Klägerin zufolge eines
Mehrerlöses aus dem ohne ihre Kenntnis verwerteten Kaffee im Zeitpunkte
der Verwertung, gegen über dem Wert des Kaffees am Stichtage, zugekommen
sein soll, auf ihren Schadenersatzansprnch ist mit dem Appellationsgericht
ebenfalls abzulehnen. Es geht in der Tat nicht an, in dieser Weise den
bei der unrechtmässigen

Verwertung erzielten Preis mit demjenigen des Stichtages.

zu vergleichen, da nicht ohne weiteres angenommen werden kann,
dass ohne das vertragswidrige Verhalten Reichens und der Beklagten,
das ja eine wesentliche Ver-v hasse-rung der finanziellen Situation
Reichens zur Klä-gerin zur Folge gehabt hat, die Verwertung-auch erst
an dein von der Klägerin nach Entdeckung jenes Verhaltens. als Stichtag
gewählten Tage stattgefunden hätte ; vielmehr lässt sich der Zeitpunkt
der Verwertung für den tatsächlich nicht eingetretenen normalen Verlauf
der Lagerhquidation, und damit der unter diesen Umständen erzielte Preis,
mit Sicherheit schlechterdings nicht hestimmen.

c) Endlich liegt auch zu einer Herabsetzung des Entschädigungsznspruehs in
Würdigung der gesamten Umstünde des Falles, nach dem von der Beklagten
in letzter Linie angerufenen richterlichen Ermessen , kein Grund
mr. Hiegegen spricht namentlich die unbestreitbarObligationenrecht. N°
NS. cis-i

grobfahrlässige Art der Vertragsverletzung der Beklagten. _ .

Der Entscheid des Appellationsgerichts ist somit auch in quantitativ-er
Hinsicht nicht zu beanstanden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Die Berufung der Beklagten wird abgewiesen und damit das Urteil des
Appellationsgerichts des Kantons BaselStadt vom 23. April 1917 in allen
Teilen bestätigt.

85. Urteil der I. Zivila'hteilung von 18. Oktober i. S. Hofer, Beklagter,
gegen Bummel, Kläger.

M ä k l e r V e r t r a g. Rechtliche Natur des VersprechensBestimmung der
Provision für Vciierverkaui von Baulandparzellen : Brnttooder Nettoerlös
'?

A. Durch Urteil vom 21. März 1917 hat die l. Appellationskamm'er des
Obergerichts des Kantons Zürich über die Streitfragen:

1. Ist der Beklagte verpflichtet, an den Kläger 2514 Fr. samt Zins zu 5%
seit 5. Januar 1906, zu be zahlen ?

2. Ist der Beklagte verpflichtet, anzuerkennen, dass ,) er bei einem
allfälligen Verkaufe der Parzelle N° 7631 im Schimmelquartier l, des
Kaufpreises an den Kläger zu bezahlen habe ?

erkannt :

]. Der Beklagte ist schuldig, an den Kläger 2614 Fr. nebst Zins zu 5%
seit 1. Februar 1916 zu bezahlen.

2. Auf das zweite Rechtshegehren wird nicht einge treten.

B. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berniung an das Bundesgericht
ergriffen, mit dem Antrag auf Ab-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 43 II 639
Datum : 26. März 1917
Publiziert : 31. Dezember 1918
Quelle : Bundesgericht
Status : 43 II 639
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 638 Obligationenreclit. N ° 83. in der Regel auch jenes (vergl. BGE 42 II 595).


Gesetzesregister
OR: 49  97  474  482bis  486
ZGB: 2
BGE Register
42-II-587
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • kaffee • wert • lagerschein • schaden • weiler • bundesgericht • stichtag • deckung • empfang • zins • zivilgericht • verhalten • weisung • kenntnis • vorinstanz • stein • tag • einwendung • erwachsener • wissen • bewilligung oder genehmigung • treu und glauben • ersetzung • rückerstattung • basel-stadt • pfand • frage • ehre • ermessen • entscheid • zahl • richtigkeit • kantonsgericht • sachverhalt • ertrag • lagerhalter • schadenersatz • verkäufer • wetter • prozessvertretung • bern • erlöschen der obligation • sachmangel • examinator • richterliche behörde • form und inhalt • sachverständiger • lagergebäude • ermässigung • beurteilung • rückübertragung • auskunftspflicht • kredit • bescheinigung • krediteröffnungsvertrag • indirekter schaden • kaufpreis • kaufmann • persönliche verhältnisse • prokurist • wiese • schuldner • sprache • genugtuung • termin • aargau • wertpapier • direkter schaden • gezogener wechsel • erste instanz • grobe fahrlässigkeit • hauptschuld • verurteilung • brasilien • vorrat • stelle • vorstand • verurteilter
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