148 Staatsrecht.

reichten Scheidungsklage der Rekursbeklagten nicht zuständig, sondern es
ist der Scheidungsprozess der Parteien vor den vom Rekurrenten angerufenen
Gerichten des Kantons Unterwalden ob dem Wald durchzuführen. Mit
diesem Entscheide wird, wie schon bemerkt, die im dortigen Verfahren
hängige Appellation der Rekursbeklagten gegen den erstinstanzlichen
Kompetenzentscheid gegenstandslos; sie ist daher vom Obergericht _ in
diesem Sinne formell zu erledigen, worauf die materielle Instrucktion
des Prozesses vor dem Kantonsgericht ihren Fortgang nehmen kann. ·

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Der Rekurs wird in folgendem Sinne gutgeheissen : a) Das Urteil des
Obergerichts des Kantons Luzern (I. Kammer) vom 22. Dezember 1915 wird
aufgehoben... b) Die Rekursbeklagte hat sich auf das vom Rekurrenten im
Kanton Unterwalden ob dem Wald gegen sie eingeleitete Prozessverfahren
einzulassen, und es ist demnach ihre Appellation gegen das Urteil des
Ohwaldner Kantons5. Januar

gerichts vom ]. Februar

1916 gegenstandslos.

23. Urteil vom 25. Mai 1916 i. S. Kottmann gegen Kottmann-Strebel
und Aargau.

Gerichtsstand für die E h e s ch ei d u n g im Falle der A r t. 147 u
nd 148 ZGB. Kompetenz des Staatsgerichtshofs aus Art. 189 Abs. 3 OG.

A. Die Eheleute Kottmann-Strebel wohnten im Jahre 1903 in Muri
(Kt. Aargau). Zu jener Zeit erhob der Ehemann daselbst Scheidungsklage,
die dazu führte, dass das Bezirksgericht Muri mit Urteil vom 23. November
1904 die Ehe gemäss Art. 47 des BG über Zivilstand undGerichtsstand. N°
23. HQ

Ehe vom 24. Dezember 1874 auf die Dauer von zwei Jahren trennte. Seither
hat eine Wiedervereinigung der Eheleute nicht stattgefunden.

Im September 1913 reichte der Ehemann von Langnau (Kt. Bern) aus, wo er
damals seinen Wohnsitz hatte, während die Ehefrau seit dem Jahre 1910
Wegen geistiger Erkrankung in der Irrenanstalt St. Urban untergebracht.
ist, beim Bezirksgericht Muri neuerdings Klage mit dem Hauptbegehren
ein, die Ehe sei aus Schuld der beklagten Frau gänzlich zu trennen. Zur
Begründung machte er unter Berufung auf ,die Art. 147 und 148 , eventuell
142 u. 144 ZGB, die gemäss Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
Scth ZGB anwendbar seien, geltend,
seine Frau habe sich nach Ablauf der gerichtlich verfügten Trennungszeit
wiederholt geweigert, an ihren ehelichen Wohnsitz zu kommen, was eine
schwere Verletzung der ehelichen Pflicht bedeute, die zusammen mit dem
früheren Streit und Unfrieden und der gegenwärtigen Geisteskrankheit der
Frau jede Aussicht auf Wiederherstellung des ehelichen Verhältnisses
für alle Zukunft ausschliesse. Die Ehefrau liess auf Abweisung des
Seheidungshegehrens antragen, indem sie die Behauptung aufstellte,
sie habe die Wieder-wereinigung unter annehmbaren Verhältnissen nie
verweigert. und ausserdem einwandte, auf die Art. 148 und 142
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB
könne sich ihr Mann deswegen nicht berufen, weil er selbst die Schuld
am' ehelichen Zerwiirfnis trage. und die Voraussetzungen des Art. 141
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.

ZGB seien nicht gegeben; eventuell verlangte sie, es sei der Mann als
schuldiger Teil zu erklären.

Das Bezirksgericht Muri gelangte dazu, die Ehe gänzlich zu scheiden und
den Ehemann als schuldigen Teil zu erklären. Allein das Obergerichl des
Kantons Aargau, an welches der Ehemann wegen der letzteren Bestimmung
und der entsprechenden Regelung der Nebenfolgen appellierte, hob mit
Mehrheitsentscheid vom 3. D e z e m b e r 1 9 1 5 das bezirksgerichtliche
Urteil von Amtes wegen auf und wies die Klage wegen Unzuständigkeit des
Gerichts von der Hand. Es führt aus : ·

150 Staatsrecht.

Nach Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB, der zwingendes Recht enthalte und daher von Amtes
wegen zu berücksichtigen sei, hätte die vorliegende Klage im Kanton Bern,
am Wohnsitze des Ehemannes zur Zeit ihrer Einreichung, angebracht werden
sollen. Das ZGB habe für den Fall, dass zunächst ein Trennungsurteil
erlassen werde, keine besondere Regel aufgestellt, die den erstmals
angerufenen Richter als für den si Ehescheidun gsstreit der getrennten
Ehegatten ein für allemal zuständig erklären wiirde, sondern die Regelung
der Gerichtsstandsfrage auch für diesen Fall der allgemeinen Vorschriit
des Art. 144 unterstellt-Der §44 aarg. EG 2. ZGB wonach über die Begehren
im Sinne der Art. 147 und 148 ZGB das Gericht urteilt, bei dem die

frühere Klage angebracht war regle nur diei n n e r-

k a n t o n a l e n Verhältnisse und finde deshalb hier keine
Anwendung. Allerdings schreibe das ZGB nicht vor, dass nach Ablauf
der Trennungsfrist unter allen Umständen eine neue Klage eingereicht
werden müsse, sondern brauche in den Art. 147 und 148 den Ausdruck :
die Scheidung verlangen, und lasse demnach auch eine Rechtsvorkehr zu,
die vom Richter die Scheidung begehre, weil die Trennungszeit abgelaufen
sei, ohne dass ein neuer Prozess angehoben werde. Das habe aber zur
Voraussetzung einmal, dass durch das Trennungsurteil der Prozess nicht
definitiv erledigt, sondern bloss eingestellt worden sei (was hier nicht
zutrefie), und anderseits, dass das Begehren sich ausschliesslich auf
Tatsachen stütze, die bereits im Trennungsprozess vorgetragen worden
seien, während im Falle der Anrufung neuer Tatsachen, die unter allen
Umständen mit einer neuen Klage geltend zu machen seien, die Kompetenz
des Trennungsrichters in interkantonalen Verhältnissen gleichzeitig
mit dem Grunde, der für ihre Fortdauer ins Feld geführt werden könre,
entfalle. Denn der Richter am früheren Wohnsitz der Ehegatten sei zur
Beurteilung von Tatsachen, die noch nicht seiner Würdigung unterstellt
gewesen seien, die sich vielleicht gar nicht in seinem Bezirk, sondern
erst nachGerichtsstand. N° 23. 151

dem Wegzug der getrennten Ehegatten abgespielt hätten, in keiner Weise
besser geeignet, als der-Richter am neuen Wohnort. Die vorliegende Klage
stütze Sich aber nicht

"nur auf die im früheren Prozess geltend gemachten Ver -

'hàltnisse, sondern auch auf .d e seither ausgehroehene Geisteskrankheit
der Ehefrau, und auch nach der Rechtsantwort dieser letzteren seien die
Verhältnisse seitdem Trennungsurteil mit zu untersuchen, wobeiin Betracht
falle, dass sich der Ehemann in der Zeit zwischen dem früheren Urteil
und der neuen Klagestellung beinahe immer ausserhalb des Bezirks Muri
und des Kantons Aargau aufgehalten habe.Der aargauische Richter müsse
somit in diesem Falle seine Kompetenz auch aus Zweckmässigkeitsgründen
verneinen. ss , _

B. Gegen das vorstehende Urteil des Obergerichts hat der Ehemann
Kottmann mit Eingabe an das Bundesgericht vom 23. März 1916 rechtzeitig
staatsrechtliche eventuell zivilrechtliche Beschwerde erhoben und
beantragt, das Urteil sei aufzuheben und die Streitsache zur materiellen
Erledigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Es liege, wird zur Begründung vorgebracht, eine Feigerung der
obergerichtlichen Mehrheit, eine offenbar in die Kompetenz des Gerichts
fallende Rechtssache materiell zu behandeln, und damit eine gegen
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstossende Rechtsverweigerung vor. Die Argumentation des
angefochtenen Urteils stehe im Widerspruch mit den richtigerweise
als anwendbar erachteten Vorschriften des 2GB.Sowohl die Redaktion
der Art. 147 und 148, als auch deren Stellung nicht im Abschnitt Klage
. sondern im Abschnitt Urteil des Titels über die Ehescheidung führten
mit zwingender Notwendigkeit zu dem Schlusse, dass der eidgenössische
Gesetzgeber bewusst das ganze Verfahren von der Einreichung der Klage
his zur ganzlichen Scheidung oder zur Aufhebung der Trennung als ein
einheitliches betrachte, in der Weise, dass das Trennungsurteil nur
interimistischen Charakter habe und erst das Scheidungsnrteil des
Abschluss des Verfahrens bilde.

152 Staatsrecht.

Es sei deshalb prozessualisch undenkbar, dass in diesem
einheitlichen Verfahren zwei örtlich verschiedene Gerichte ihres Amtes
walteten. Diese Gesetzesauslegung entspreehe denn auch der Auffassung
des Gesetzesredaktors Prof. Huber, der ausführe (Erläute-rungen,
S. 136), dass nach Ablauf der Trennungszeit die Scheidung oder die
Aufhebung der Trennung auf Grund der früheren Klage zu verlangen
sei. Der § 44 aarg. EG zum ZGB kònnte, falls er der für die Ehescheidung
eidgenössisch geregelten Gerichtsstar dsordnung widersprechen sollte,
auch für innerkantonale Verhältnisse nicht aufrecht

erhalten werden; er gehe aber tatsächlich die richtige

Auslegung der Art. 14
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 14 - Volljährig ist, wer das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat.
? und 148 in Verbindung mit Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB. Das
Obei'gericht anerkenne selbst., dass nach den Art 14
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 14 - Volljährig ist, wer das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat.
? und 148 ZGB
ein Scheidungsbegehren ohne Anhebung eines neuen Prozesses zulässig
sei. Dagegen nehme es willkürlich an, neue Tatsachen müssten unter allen
Umständen mit einer neuen Klage geltend gemacht. werden. Diese Annahme
stehe in unlösharem Widerspruch mit Art. 148 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 14 - Volljährig ist, wer das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat.
ZGB ; denn wenn der
Richter das Urteil auf Grund der im früheren Verfahren ermittelten und
der seither eingetretenen Verhältnisse zu fällen habe, so seien die
Parteienberechtigt, nicht bloss auf die Trennungsakten zu verweisen,
sondern auch neue Tatsachen heranzuziehen. Der Gerichtsstand der
ursprünglichen Klage empfehle sich auch aus rein praktischen Erwägungen,
da der dortige Richter die alten Akten und die früheren Verhältnisse
bereits genau kenne.

Das Bundesgericht zieht i n E r w a g u. n g :

1. Die vorliegende Beschwerde ist als staatsrechtlicher Rekurs zu
behandeln ; denn sie betrifft eine Gerichtsstandsfrage eidgenössischen
R e c h t s, die gemäss Art. 189 Abs. 3 OG vom Bundesgericht als
Staatsgerichtshof, jedoch nicht bloss aus dem beschränkten Gesichtspunkte
der Rechts-,%

Gerichtsstand. N° 23. 153

verweigerung, sondern rechtlich frei zu beurteilen ist (vergl. hierüber
BGE 41 I N° 15 Erw. 1 S. 104 unddie dortigen Verweisungen). Wie schon
das BG über Zwil-

' stand und Ehe vom 24. Dezember 1874, so hat nämlich

auch das ZGB in Art. 144 den Gerichtsstand für die Ehescheidungsklage
ein h e i t I i c h geregelt, und zwar ohne Vorbehalt. Es bedarf daher
speziell auch die, hier streitige Frage, vor welchem Richter das nach
gerichtlicher Trennung der Ehegatten gemäss den Art. 147 und 148 ZGB
zulässige Begehren um gänzliche Scheidung der Ehe anzubringen sei, einer
einheitlichen Lösung aui Grund des eidgenössischen Rechts, für welche
mangels einer ausdrücklichen Vorschrift die Natur und das Verhältnis jenes
Begehrens zum vorausgegangenen Trennungsurteil bestimmend sein müssen. Und
hieraus folgt weiter, dass der einschlägigen Gerichtsstandsnorm des
%44 aarg. EG zum ZGSB keine selbständige Bedeutung zukommt : sie kann,
entgegen der Auffassung des Obergerichts, auch für innerkantonale
Verhältnisse keine Geltung haben, sofern sie der bundesrechtlichen
Ordnung widerspricht.

2 Der Rekurrent vertritt gegenüber der Annahme des Obergerichts, dass
das Scheidungsbegehren der Art. 147 und 148 ZGB nach der allgemeinen
Vorschrift des Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB über die Scheidungsklage beim Richter am
Wohnsitze des mit dem Begehren auftretenden Ehegatten anzubringen sei,
also selbs tän dig dem Art. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
.44 ZGB unterstehe, den Standpunkt, jenes
Begehren gehore als Bestandteil des einheitlichen mit dem Trennungsurteil
nur interimistisch abgeschlossenen Scheidungsprozesses vor den bei
Einleitung des früheren Verfahrens angerufenen und damals gemäss Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.

ZGB zuständigen Richter als solchen. _

Zur Verteidigung dieses Standpunktes lassen sieh verschiedene Momente
anführen. Einmal schen die Fassung der Art. 147 und 148 ZGB : Es ist
darin nicht der spezifische Ausdruck : auf Scheidung klagen, sondern die

I54 Staatsrecht.

juristisch unbestimmtere Wendung : die Scheidung verlangen gebraucht,
was anzudeute1 scheint dass hiezu keine neue Klage im Sinne des
Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB erforderlich sein soll. Auch erwähnt Art. 147 Abs. 3 bei
der auf unbestimmte Zeit ausgesprochenen Trennung die Möglichkeit des
Scheidungsverlangens ohne Unterschied neben der andern Alternative,
die Aufhebung der Trennung zu verlangen ; in diesem letzteren Falle
aber scheint es nahe liegend zu sein, sich an den Richter zu wenden,
der die Trennung ausgesprochen hat. Ferner die Stellung der beiden
Bestimmungen im Zusammenhang des Gesetzes, der Umstand dass sie sich nicht
im Abschnitt der Randnote Klage , sondern in demjenigen der Randnote
Urteil des Scheidungstitels befinden, sowie ihre Entstehungsgeschichte,
indem der Vorentwurf des Eidg. Justizund Polizeidepartements zum ZGB,
vom 15. Nowember 1900, die nach vorangegangener Trennung auf Verlangen
eines Ehegatten auszusprechende Scheidung deutlich als blosse Umwandlung
der Trennung durch den Trennungsrichter auffasste (vergl. Art. 171,
der von neuer Würdigung der früheren Klage spricht, und die vom
Rekur-renten angezogene Stelle der Huber'schen Erläuterungen hiezu,
wonach die Scheidung auf Grund der früheren Klage verlangt werden kann
:_S. 136 der ursprünglichen Ausgabe und S. 146 des Neudrucks von 1914) und
für diese Auffassung auch noch Aeusserungen Prof. Huber's anlässlich der
Gesetzesberaturig verwertet werden könnten (vergl. Amtl. stenogr. Bulletin
der Bundesverlsg, 1905, S. 632, 2. Spalte, und S. 647, 2. Spalte). Endlich
scheint dafür auch die rein praktische Erwägung zu sprechen, dass der
Trennungsrichter das Streitverhältnis bereits kennt.

Allein diesen Momenten kann bei näherer Prüfung doch keine entscheidende
Bedeutung beigemessen werden. Was die Entstehungsgeschichte der beiden
Bestimmungen betrifft, so hat der bundesrätliche Gesetzesentwurf vom
28. Mai 1904 den Vorentwuri' dahin abgeändert, dass er

n J.Gerichtsstand. N° 23. 155

den Ausdruck : auf Scheidung oder Aufhebung der Trennung klagen verwendet
(Art. 154 Abs. 2 und 3 und

Art. 155 Abs. 1) wobei jedoch in der zugehörigen Stelle

der Botschaft (S. 24) abwechselnd und gleichbedeutend damit auch die
Wendung : die Scheidung verlangen gebraucht wird und vom Urteil
deutlicher und ergänzend sagt, es erfolge im übrigen unter Würdigung
der im früheren Verfahren ermittelten oder seither eingetretenen
Verhältnisse (Art. 155 Abs. 2). Und diese letztere Bestimmung ist
wesentlich gleichlautend in das Gesetz (Art. 148 Abs. 3) übergegangen,
während das Wort klagen darin wieder durch verlangen ersetzt worden
ist (Art. 147 Abs. 2 und 3 und Art. 148 Abs. 1). Danach bieten aber
Entstehungsgeschichte und schliessliche Fassung des Gesetzestextes keinen
sicheren Anhaltspunkt dafür, dass das Verlangen der Scheidung nach
vorausgegangener Trennung nicht als Erhebung einer neuer selbständigen
Scheidungsklage, sondern als erneute Anrufung des Trennungsrichters
zur endgültigen Erledigung des früheren Verfahrens verstanden sein
soll. Ueberhaupt wurde bei der Ausarbeitung des Gesetzes unverkennbar
fortwährend wesentlich nur die materielle Seite des ir Rede stehenden
Scheidungsanspruchs ins Auge gefasst. für die Beantwortung der hier
streitigen Gerichtstands--

frage dagegen sind in erster Linie prozessrechtliche Er-

wägungen massgebend. Aus diesem Gesichtspunkte fällt in Betracht, dass
auch das nur zu einem Trennungsurteil führende Scheidungsverfahren
mit diesem Urteil p roz e s s u a l i s c h stets seinen endgültigen
Abschluss findet. Die Möglichkeit einer blossen Einstellung des Prozesses,
die das Obergericht verbehäit, besteht nicht. Der Prozess bleibt, selbst
wenn das Urteil bloss auf zeitliche Trennung lautet darüber hinaus nicht
hängig. Er kann deshalb mit dem späteren Begehren eines der Ehegatten um
gänzliche Scheidung nicht einfach fortgesetzt werden , vielmehr eröffnet
ein solches Begehren notwendigerweise ein p r 0 z e s s u a l i s c h
neues Verfahren. Dieses hat

156 Staatsrecht.

zudem auch einen andern Gegenstand, als das frühere. Schon die darin
geltend gemachten Begehren sind unter Umständen von denjenigen des
früheren Verfahrens verschieden ; denn das neue Verfahren m u s s auf
Scheidung gehen, während das frühere auf blosse Trennung gerichtet
sein konnte, und auch die gegenseitige Steltungnahme der Parteien kann
verändert, ja sogar völlig vertauscht sein indem möglicherweise diejenige
Partei, welche sich früher der von der andern Partei verlangten Scheidung
oder Trennung widersetzt hatte, nunmehr ihrerseits ebenfalls oder gar
allein und selbständig auf Scheidung antràgt. Und in jedem Falle hat
das neue Verfahren insofern eine veränderte tatsächliche Grundlage, als
das darin zu erlassende Urteil nicht wiederum von der Situation, wie sie
sich bei der E i n l e i t u n g des früheren Verfahrens bot, auszugehen,
sondern nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (Art. 148 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 14 - Volljährig ist, wer das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat.
ZGB) auf
die im früheren Verfahren ermittelten d. h. im T r e n n u n g s u r t e
il festgestellten und die seither eingetretenen Verhältnisse abzustellen
hat. Dabei kann es sich niemals ausschliesslich auf den Tatbestand des
Trennungsurteils stützen, so dass auch der in dieser Hinsicht gemachte
Vorbehalt des ()bergerichts als gegenstandslos erscheint ; denn ein
e neue Tatsache, nämlich die Nichtwiedervereinigung der Ehegatten,
muss stets geltend gemacht und mitberücksichtigt werden. da sie für
den Scheidungsanspruch auf Grund der vorausgegangenen gerichtlichen
Trennung gemäss Art. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
17 Abs. 2 ZGB wesentlich ist. Im Hinblick auch
auf diese. unter Umständen zu Beweiserhe'bungen nötigende Tatsache,
wie auf alle übrigen neuen tatsächlichen Vorbringen und die allenfalls
hierauf gestützten neuen Begehren, besteht aber von vornherein kein
Grund, die Streitsache dem Richter des früheren Verfahrens als solchem,
statt, nach der allgemeinen Bestimmung des Art. 144
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB, dem Richter am
Wohnsitzc des im neuen Verfahren die Scheidung verlangenden Ehegatten,
zuzuweisen Ueberdies ist,Gerichtsstand. N° 23. 15?

was den schon im Trennungsurteil niedergelegten Tatbestand betrifit,
der vermeintliche praktische Vorteil der Beibehaltung des früheren
Gerichtsstandes durchaus problematisch, da die Erinnerung des Richters
an die erstmals beurteilten Verhältnisse bei längerem Zeitablauf bis zum
Scheidungsurteil (wie gerade vorliegend. wo das neue scheidungsbegehren
erst 9 Jahre nach Erlass des Trennungsurteils gestellt worden ist)
wohl kaum erheblich ins Gewicht fallen dürfte, ganz abgesehen davon,
dass in solchen Fällen auch mit jenem Gerichtsstande die persönliche
Identität des erkennenden Gerichts für die beiden Urteile keineswegs
gesichert Wäre. Es fehlt demnach nicht nur jeder äussere, sondern auch
ein genügender innerer Zusammenhang zwischen den beiden Verfahren,
um die Beurteilung des auf Grund der Art. 147 und 148 ZGB gestellten
Scheidungsbegehren durch den zum Erlass des vorgängigen Trennungsurteils
zuständig gewesenen R chter als solchen auch nur für gewisse Fälle im
Sinne der obergerichtlichen Vorbehalte zu rechtfertigen. Eine derartige
Kompetenzattraktion ist vom Bundesgericht schon unter der Herrscha t
des BG über Zivilstand und Ehe vom 24. Dezember 1874 abgelehnt worden
(AS 10 N° 76 Erw. 1 S. 477 /78 und die dortige Verweisung). An dieser
Lösung darf nach dem ZGB umso unbedenklicher festgehalten werden, als
jenes ältere Gesetz die Trennung bloss als vorübergehende Massnahme, zum
Zwecke der Vermeidung oder aber der Vorbereitung der Scheidung, zuliess,
während sie heute ausserdem auch noch als zeitlich unbeschrankter, die
Scheidung ersetzender Zustand anerkannt ist; denn danach erscheint das mit
dem Trennungsurteil endigende Verfahren umsomehr als ein selbständiger
und in sich abgeschlossener Prozess. Vergl. für diese Auffassung auch
die Kommentatoren des ZGB: EGGER, Note 3 und GMüR, Note l 4 zu Art. 144.

3. _ Aus der vorstehenden Erwägung folgt, dass das Obergericht die
Kompetenz des aargauischen Richters zur Beurteilung des vorliegenden
Scheidungsbegehrens des

ZWEITEN-ZWEI-

Rekurrenten das sich übrigens in der Tat nach Form und Inhalt als
selbständige Scheidungsklage darstellt mit Recht verneint hat und
dass die diesem Entscheide widersprechende Gerichtsstandsnorm des §
44 aarg. EG zum ZGB als bundesrechtswidrig gänzlich unhaltbar ist.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Der Rekurs wird abgewiesen.

24. Urteil vom 16. Juni 1916 i. S. Brüstlein & Cie gegen Zürich,
Obergericht.

Klage des Bundes beimkantonalen Richter aus Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR gegen den
Bauunternehmer einer Strassenbahn wegen Schädigung der auf der Strasse
befindlichen Schwachstrom (Telephonund Telegraphen-)Leitungen anlässlich
der Bauarbeiten. Berufung des Beklagten aui Art. 5-10 ElG, um die
Rechtswidrigkeit der schädigenden Handlungen zu bestrei--

ten. Nichtzutreffen der Kompetenznormen von Art. 17 Abs. 6 und 11 BIG.

A. Die Rekurrentin Kommendit-Aktiengesellschaft John E. Brüstlein &
Cle mit Sitz in Zürich erstellte im Jahre 1913 auf der bernischen
Staatsstrasse als Unternehmerin à forfait die elektrische Strassenbahn
Steffisburg-Thun Interlaken. Das Zusamentreffen der für den Bahnbetrieb
angelegten Starkstromleitungen mit den Schwachstromanlagen der
Schweiz. Telegraphendirektion auf der Strasse machte eine Reihe von
Sicherungsmassnahmen nötig, die unbestrittenermassen 42,000 Fr. gekostet
haben. Die Rekurrentin hat s. Z. anerkannt, daran zu 2/3, also mit 28,000
Fr. beitragSpflichtig zu sein und auch 20,000 Fr. schon bezahlt. Den
Rest von 8000 Fr. hat die Eidgenossenschaft (Obertelegraphendirektion)
infolge nachträglicher Bestreitung der Zahlungspflicht am 4. Oktober
1915 beim Handelsgericht des Kan -Gerichtsstand. N' 24. si 159

tons Zürich eingeklagt. Zugleich hat sie im nämlichen Verfahren gegen
die Rekurrentin auch noch eine weitere Forderung von 3244 Fr. 95
Cts. abzüglich à conto erhalten 2070 Fr. 50 Cts. nebst Verzugszinsen
geltend gemacht, über die in der Klageschrift Nachstehend-es ausgeführt
wird : '

Die zweite Forderung der Klägerschaft betrug ur-_ sprünglich 3244 Fr. 95
Cts. nebst Zins à 5 % seit 1. Januar 1914. Daran sind laut Schreiben
der Sparund Leihkasse Steffisburg vom 17. Juni 1915 und Postcheck vom
gleichen Tage der Klägerschait im Auftrag und für Rechnung der Beklagten
2000 Fr. nebst Zins, zusammen. 2070 Fr. bezahlt worden, sodass dieser
Betrag in Abzug kommt. Die Forderung stützt sich darauf, dass Während
des Baues der elektrischen Bahnlinie Steffisburg-Thun-Interlaken die
Telegraphenund Telephonanlagen der Klägerin längs des Thunersees gestört
und beschädigt wurden. Das Detail ergibt sich aus den _beigelegten
acht Rechnungen. Die erste über den Betrag von 822 Fr. 40 Cts. betrifft
Reparaturkosten der Telephonlinie InterlakenBeatenbucht und die Mehrkosten
infolge der erforderlichen Umleitung der Gespräche und zwar für die Zeit
vom 24. Oktober 1912 bis 30. April 1913. Die zweite umfasst enlsprechende
Arbeiten im Mai und Juni 1913 mit dem Betrag von 1066 Fr. 65 Cts. Die
dritte über den Be-ss trag von 165 Fr. 15 Cts. bezieht sich auf die
Zeit vom l. Juli 1913 bis zum 1. Juli 1914. Die vierte bezieht sich
auf den Ersatz der durch Sprengarbeiten beim Balmbau beschädigten
Telephonleitungen. Sie lautet auf 424 Fr. 45 Cts. Die fünfte beschlägt
die Hebung von Verwicklungen und Drahtbriichen auf der Telephonlinie
ThunInterlaken, auf der Strecke Gunten-Merligen, verursacht durch
Felssprengungen der Bauunternehmung; ferner die provisorische Kabellegung
von Stange 51-55, die Drahtabnahme bei Gunten wegen Holzfàllen, die
Hebung verschiedener Störungen, die Unterbrechung durch Felssturz,
infolge der Sprengungen der Bahn, total 277 Fr. 90 Cts._
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 42 I 148
Date : 19. Januar 1916
Published : 31. Dezember 1916
Source : Bundesgericht
Status : 42 I 148
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 148 Staatsrecht. reichten Scheidungsklage der Rekursbeklagten nicht zuständig, sondern


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OG: 189
OR: 41
ZGB: 1  8  14  141  142  144  147  148
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