268 Obligationenrecht. N° 33.

33. Urteil der I. Zivîlabteilung vom 8. Mai 1915 i. S. Wertenschlag,
Beldagter, gegen Baz-let, Kläger.

Oertliche Rechtsanwendung. Kriterien (Erw. 2). Kognition des
Bundesgerichts (Erw. 2, 4 b und 5). Auftrag, Stellvertretung und
Ermächtigung. Nachträgliche Genehmigung der Stellvertretung, Art. 38
Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 38 - 1 Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
1    Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
2    Der andere ist berechtigt, von dem Vertretenen innerhalb einer angemessenen Frist eine Erklärung über die Genehmigung zu verlangen und ist nicht mehr gebunden, wenn der Vertretene nicht binnen dieser Frist die Genehmigung erklärt.
OR (Erw. 3 und 4).

A. Durch Urteil vom 26. Januar 1915 hat die II. Zivilkammer des
Appellationshofes des Kantons Bern über das Klagebegehren :

Der Beklagte sei zu verurteilen, dem Kläger 2546 Fr. nebst Zins zu 5 %
seit 13. Februar 1912 zu bezahlen, erkannt:

Dem Kläger ist sein Klagsbegehren im vollen Lmfange zugesprochen

B. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht erklärt, mit dem Antrag auf Aufhebung und auf Abweisung
der Klage.

C. Der Kläger hat in seiner Antwort beantragt:

1. Es sei auf die Berufung (wegen Anwendbarkeit englischen Rechtes)
nicht einzutreten;

2. Eventuell: Es sei in Bestätigung der Urteiles der Vorinstanz das
Klagehegehren zuzuspreehen.

Das Bundesgericht zieht i 11 E r W ä g u n g :

1. Im Januar 1912 erkrankte Suzanne R... in London an
Blinddarmentzündung. Der Beklagte war mit ihr in engeren Beziehungen
gestanden, indem er sie gegenüber seinen Freunden Joe Rolando und Pierre
Gandillon (nach deren Aussage) als Verlobte bezeichnete, im Prozesse
dagegen von ihr als seiner Maitresse spricht. Spätestens am 13. Januar
1912 teilte Rolando dem Beklagten telegraphisch mit, Suzanne R... sei
unwohl. Rolando und Gandillon haben als Zeugen erklärt, sie

..sisisisisi... . V. _ _.

Obligationenrecht. N° 33. 269

hätten dem Beklagten Natur und Schwere der Erkrankung sowie die
Notwendigkeit der Vornahme einer Operation mitgeteilt, worauf er
sie angewiesen habe, sofort das N ötige zur Rettung der Patientin zu
veranlassen, er stehe dafür gut. Die Vorinstanz hat indessen auf diese
Zeugnisse nicht abgestellt, weil Rolando und Gandillon am Ausgang des
Prozesses interessiert seien.

Suzanne R... wurde auf Anweisung Rolandos vom Kläger in Behandlung
genommen und auf dessen Veranlassung schon am 14. Januar 1912 vom
Chirurgen Dr. Clayton Greene operiert ; sie blieb sodann bis am
9. Februar 1912 in der Privatklinik des Dr. Roberts. Am 15.Januar
1912 hatte der Beklagte an Rolando telegraphiert: Que devient Suze ,
ferner am nämlichen Abend, offenbar auf die Aufforderung, nach London zu
kommen : Suis affolé, impossibilité venir, consultez vite professeur,
télégraphiez-moi , sodann am 16. Januar : Maman très malade, deux
vies en mains, réponse état Suzanne, viendrai dans 3 jours , endlich am
17. Januar 1912 : Rassurez Suze, suis prés d'elle, faites l'impossible
pour la sauver . Aus einem Briefe des Beklagten an Rolando vom 22. Januar
1912 ist hervorzuheben: Il est évident que je ierai l'impossible pour
subvenir aux dépenses de Suze, mais elle aussi bien que moi connait
ma situation. Sans compter les notes du chirurgien et doeteur, je dois
actuellement à Genève fr.... Mais tranquillise-toi, je t'enlève toute la
responsebilité En ce qui concerne le professeur, dis-lui de patienter,
car d'ici quelques jours tout s'arrangera. Done laissez Suze aux soins du
chirurgien jusqu'a son complet rétablissement.... Je n'ai pas encore écrit
an ehirurgien, cn attendant dis-lui de bien soigner cette enfant. S'il
kaut une garantie auprès du chirurgien, je vous enverrai Sauwyer, mais
surtout ne délaissez pas ma Suzanne adorée. P. S. T ranquillisez le
ehirurgien, car il ne perdra rien. v

Für die Behandlung der Suzanne R... sandte der Kläger

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dem Beklagten Rechnung im Betrage von £ 100 sh 16. Dieser Betrag setzt
sich aus folgenden Einzelansätzen zusammen :

Chirurgien. . . . . . . . 52.10£

Soins de médecin . . . . 24. 3 Maison de sauté (4 semaines). 21. 0
Chloroformiste . . . . . 3. 3

100.16 £

Als die Bezahlung nicht erfolgte, erhob Dr. Barlet die vorliegende Klage,
die von der Vorinstanz in vollem Umfang-z geschützt wurde.

2. Es fragt sich in erster Linie, ob die Sache nach englischem oder nach
schweizerischem Recht zu beurteilen sei. Die Vorinstanz spricht sich
darüber nicht bestimmt aus ; sie hat tatsächlich schweizerisches Recht
angewendet, die Frage aber offen gelassen, ob es als einheimisches oder
als präsumptives englisches Recht anwendbar sei.

Dass die Parteien bei Begründung des Rechtsverhältnisses schweizerisehes
Recht deshalb im Auge gehabt haben müssen, weil sie sich im Prozess
darauf berufen haben, lässt sich hier nicht sagen. Denn die Art, wie
der Kläger in den Prozessschriiten von der Rechtsanwendung spricht,
gestattet diese Annahme nicht: er war über das anwendbare Recht im
Zweifel und berief sich daher auf das schweizerische u n d das englische,
Während der Beklagte offenbar sein eigenes Recht, das schweizerische,
als massgebend betrachtete. Ein bestimmter Parteiwille ist somit
hinsichtlich des anzuwendenden Rechtes nicht zu ermitteln; jedenfalls
rechtfertigt sich die Anwendung au sl ä n dis c h e n Rechtes kraft des
präsumptiven Parteiwillens und auch kraft der Eigenart des auszulegenden
Rech tsgeschäfts (Genehmigung der Vertretung) nicht. Bei dieser Sachlage
ist auf das inländische Recht als lex fori, als Recht des urteilenden
Gerichtes, abzustellen (vergl. auch BGE M) Il S. 485). Die Berufung ist

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also zulässig und der Streit nach schweizerischem Obligationenrecht
zu beurteilen.

3. In der Sache selber ist zu prüfen, ob ein Rechtsgrund bestehe,
demzufolge der Beklagte für die vom Kläger bezahlten Kosten der Operation
der Suzanne R... und ihres Klinikenfenthaltes, sowie für die eigenen
Leistungen des Klägers als behandelnden Arztes aufzukommen habe.

Die Vorinstanz hat dabei die Bestimmungen über den Auftrag und über die
Geschäftsführung ohne Auftrag herangezogen. Aber auch wenn der Beklagte
dem Rolando den Auftrag erteilt hätte, die Suzanne R... ärztlich behandeln
und operieren zu lassen, so stünde dem Kläger als Unterbeauftragten ein
Klagerecht gegen den Beklagten nicht zu. Artikel 399
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 399 - 1 Hat der Beauftragte die Besorgung des Geschäftes unbefugterweise einem Dritten übertragen, so haftet er für dessen Handlungen, wie wenn es seine eigenen wären.
1    Hat der Beauftragte die Besorgung des Geschäftes unbefugterweise einem Dritten übertragen, so haftet er für dessen Handlungen, wie wenn es seine eigenen wären.
2    War er zur Übertragung befugt, so haftet er nur für gehörige Sorgfalt bei der Wahl und Instruktion des Dritten.
3    In beiden Fällen kann der Auftraggeber die Ansprüche, die dem Beauftragten gegen den Dritten zustehen, unmittelbar gegen diesen geltend machen.
OR gibt wohl dem
Auftraggeber eine direkte Klage gegen den Unterbeauftragten, nicht aber
diesem eine solche gegenüber dem Oherauftraggeber. Gleich würde es sich
verhalten, wenn Rolando als Geschäftsführer ohne Auftrag gehandelt hätte
: eine nachträgliche Genehmigung dieser Geschäftsbesorgung durch den
Beklagten als Geschäftsherrn würde dem Kläger noch kein Recht gegenüber
dem Beklagten geben, weil der Kläger ein Dritter ist und ausserhalb
des Obligations-nexus steht. Die Vorinstanz beruft sich ferner auf
die neue Bestimmung in Art. 396 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 396 - 1 Ist der Umfang des Auftrages nicht ausdrücklich bezeichnet worden, so bestimmt er sich nach der Natur des zu besorgenden Geschäftes.
1    Ist der Umfang des Auftrages nicht ausdrücklich bezeichnet worden, so bestimmt er sich nach der Natur des zu besorgenden Geschäftes.
2    Insbesondere ist in dem Auftrage auch die Ermächtigung zu den Rechtshandlungen enthalten, die zu dessen Ausführung gehören.
3    Einer besonderen Ermächtigung bedarf der Beauftragte, wenn es sich darum handelt, einen Vergleich abzuschliessen, ein Schiedsgericht anzunehmen, wechselrechtliche Verbindlichkeiten einzugehen, Grundstücke zu veräussern oder zu belasten oder Schenkungen zu machen.251
OR, wonach in dem Auttrage auch
die Ermächtigung zu den Rechtshandlungen enthalten ist, die zu seiner
Ausführung gehören. Sie übersicht aber, dass unter Ermächtigung nicht
notwendig Ermächtigung zur Handlung im Namen des Ermächtigenden, also
Vollmacht zu di r e kt er Vertretung, zu verstehen ist; Ermächtigung
kann auch Erteilung der Machtvollkommenheit zur in di r e k t e n
Vertretung, also hier zur Beanspruchung der Dienste des Klägers durch
Rolando in ei g e n e m Namen, bedeuten. Die Streitfragen stellen sich
richtigerweise wie folgt: War Rolando vom Beklagten bevollmä ch tigt,
den Kläger beizuziehen? Hat er als direkter Stellvertreter

ss 41 n _ 1915 18

272 ' Obligationenrecht. N° 33. si

des Beklagten, in dessen Namen, den Vertrag mit dem Kläger abgeschlossen
? Eventuell ist die fehlende Vollmacht durch nachträgliche Gen e h mig
u n g der Stellvertretung durch den Beklagten ersetzt worden? Diese drei
Fragen sind auf Grund der Art. 32 ff
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 32 - 1 Wenn jemand, der zur Vertretung eines andern ermächtigt ist, in dessen Namen einen Vertrag abschliesst, so wird der Vertretene und nicht der Vertreter berechtigt und verpflichtet.
1    Wenn jemand, der zur Vertretung eines andern ermächtigt ist, in dessen Namen einen Vertrag abschliesst, so wird der Vertretene und nicht der Vertreter berechtigt und verpflichtet.
2    Hat der Vertreter bei dem Vertragsabschlusse sich nicht als solcher zu erkennen gegeben, so wird der Vertretene nur dann unmittelbar berechtigt oder verpflichtet, wenn der andere aus den Umständen auf das Vertretungsverhältnis schliessen musste, oder wenn es ihm gleichgültig war, mit wem er den Vertrag schliesse.
3    Ist dies nicht der Fall, so bedarf es einer Abtretung der Forderung oder einer Schuldübernahme nach den hierfür geltenden Grundsätzen.
. OR zu lösen.

4. a) Aus den Ausführungen der Vorinstanz ergibt sich, dass eine Vollmacht
des Beklagten an Rolando, in seinem, des Beklagten, Namen mit dem Kläger
einen Vertrag über ärztliche Behandlung der Suzanne R... abzuschliessen,
nicht bewiesen ist. Die Vorinstanz hat die Aussagen des Rolando und des
Gandillon, wonach der Beklagte eine solche Vollmacht tatsächlich erteilt
hätte, nicht als genügend beweiskräftig angesehen. Diese Beweiswürdigung
ist bundesrechtlich nicht anfechtbar und daher für das Bundesgericht
verbindlich. Die eingelegten Urkunden (Telegramme und Briefe) weisen
aber nur auf Aeusserungen des Beklagten hin, die n a ch Vornahme der
Operation der Hauptleistung, für welche der Kläger die Gegenleistung
verlangt erfolgt sind.

b) Die Vorinstanz nimmt als feststehend an, dass Rolando gegenüber dem
Kläger im Namen des Beklagten aufgetreten sei, also als dessen direkter
Stellvertreter den Vertrag mit dem Kläger abgeschlossen habe. Diese
Feststellung ist schon aus dem Grunde für das Bundesgericht verbindlich,
weil für diesen Rechtsvorgang englisches Recht zur Anwendung kommt.

c) Fehlt es an einer Vollmacht des Beklagten an R0lando, so liegt
dagegen eine nachträgliche Genehmigung der Stellvertretung und damit
des Vertrages mit Dr. Barlet durch den Beklagten vor : die Aeusserung
des Willens seitens des ohne Vollmacht Vertretenen, die Handlung des
Vertreters so gelten zu lassen, wie wenn die Vollmacht zum voraus erteilt
worden wäre. Der Genehmigungswille des Beklagten geht aus den Telegrammen
und Briefen, die er nach erfolgter Operation an Rolando gerichtet hat
und die, soweit wesentlich, in Erwägung l hievor wiedergegeben sind,
unzweideutig her-

Obligationenrecht. N° 33. 273

vor; insbesondere kann die Bitte des Beklagten an Rolando, dem Kläger
zu sagen, er möge sich gedulden, in einigen Tagen werde alles geregelt
werden, er werde nichts verlieren, schlechterdings nicht anders gedeutet
werden denn als Batifikation des Vorgehens des Rolando, als Genehmigung
der Stellvertretung im Sinne von Art. 38 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 38 - 1 Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
1    Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt.
2    Der andere ist berechtigt, von dem Vertretenen innerhalb einer angemessenen Frist eine Erklärung über die Genehmigung zu verlangen und ist nicht mehr gebunden, wenn der Vertretene nicht binnen dieser Frist die Genehmigung erklärt.
OR und als Uebernahme
der Verpflichtungen aus dem von Rolando mit dem Kläger abgeschlossenen
Vertrage. Die Genehmigung kann sich an den Vertreter, wie an den Dritten
richten; die Aeussemngen des Beklagten gegenüber Rolando genügten also;
einer weiteren Mitteilung an den Kläger bedurfte es zur Gültigkeit der
Genehmigung nicht. (Vergl. OSER, Komm. Anm. III 2 ad Art. 38.) ·

5. Mithin muss der Beklagte für die Rechnung des Klägers aufkommen,
soweit sie in Bezug auf die Höhe gerechtfertigt ist. Die Vorinstanz hat
sie in quantitativer Hinsicht nicht heanstandet; sie führt aus, dass laut
der von ihr angeordneten Expertise und den Zeugenaussagen weder das vom
Chirurgen noch das vom Kläger verlangte Honorar für Londoner Verhältnisse
übersetzt und die Ansätze auch im übrigen angemessene seien. Es handelt
sich hier um eine dem englischen Recht unterstehende Präjudizialfrage,
die sich der Kognition des Bundesgerichts entzieht. Folglich ist das
Urteil der Vorinstanz im Dispositiv zu bestätigen.

Demnach hat das Bundesgericht . erkannt: Die Berufung wird abgewiesen
und das Urteil der

II. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern vom 26. Januar
1915 bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 41 II 268
Date : 08. Mai 1915
Published : 31. Dezember 1915
Source : Bundesgericht
Status : 41 II 268
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 268 Obligationenrecht. N° 33. 33. Urteil der I. Zivîlabteilung vom 8. Mai 1915 i.


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