46 staatsrecht-

7. Urteil vom 18. Februar 1915 i. S. Spinnier 'Weber gegen Regierungsrat
Aargau.

Art. 3} litt. c und e BV. Ungültigkeit einer kantonalen
Gesetzesbestimmung, durch die auch a 1 k o h 0 l f r e i e Wirtschaften
der Bedürfnisklausel untersteilt werden.

A. Der Rekurrent Fritz Spinola-Weber, der in seinem Hause an der
Marktgasse in Rheinfelden eine Konditorei eingerichtet hat, kam im
Oktober 1914 um die Bewilligung ein, in Verbindung damit einen E rf
rischung sraum zu betreiben, in dem, wie er erklärte, nur alkoholfreie
Getränke abgegeben werdensollten.

Von der kantonalen Finanzdirektion mit seinem Gesuche wegen mangelnden
Bedürfnisses abgewiesen, rekurrierte Spinnler an den Regierungsrat,
der jedoch am 27. November 1914 die Verfügung der Finanzdirektien
bestätigte. In der Begründung des regierungsrätlichen Entscheides wird
festgestellt, dass schon der Vorbesitzer der Liegenschaft, Fricker,
im Frühjahr 1914 um ein Kaffeewirtschaftspatent nachgesucht habe, aber
abgewiesen worden sei, nachdem der Gemeinderat von Rheinfelden in seinem
Berichte erklärt habe : in Rheinfelden treffe es schon heute auf je 100
Einwohner eine Wirtschaft, sodass man allgemein der Ansicht sei, es seien
deren zu viele. Viele Wirte beklagten sich, dass sie keine befriedigende
Existenz hätten. Die weitaus grösste Zahl der Fabrikarbeiter sei in
der Stadt niedergelassen und für die auswärtigen sei bereits genügende
Gelegenheit zn billiger Verköstigung vorhanden. Ein Bedürfnis für die
Errichtung einer neuen Kafi'eewirtschaft bestehe demnach nicht. Da sich
seither die wirtschaftlichen Verhält--

nisse nicht gebessert, sondern eher verschlechtert hätten,

habe die Finanzdirektion somit das Gesuch des Rekurrenten mit Recht
abgewiesen. Dass auch bei alkoholfreien Wirtschaften die Bedürfnisfrage
zu berücksichtigen sei, könne nach § 12 des Wirtschaftsgesetzes keinem

Handelsund Gewerbefreiheit. N° 7. 47

Zweifel unterliegen und sei vom Regierungsrat stets festgehalten
worden. In dem Rekursfaile Z'berg habe der Bundesrat diesen Standpunkt
ausdrücklich als richtiganerkannt.

B. Gegen den Entscheid des Regierungsrats hat Spinnler Weber die
staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit dem
Antrage, ihn wegen Verletzung der verfassungsmässig gewährleisteten
Gewerbefreiheit aufzuheben. Die Begründung des Rekurses ist" soweit
wesentlich aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.

C. Der Regierungsrat des Kantons Aargau hat auf Ahweisung der
Beschwerde eingetragen und zur Unterstützung in Ergänzung der
Motive seines Entscheidesausgeführt: die Annahme des Rekurrenten,
dass sich die Bedürfnisklausel nicht auf die sog. alkoholfreien oder
Kaffeewirtschaften beziehe, sei irrig. Art. 31 litt
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
. c BV gestatte den
Kantonen ausdrücklich die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes den durch
das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen zu unterwerfen. Von
diesem Rechte habe der Kanton Aargau Gebrauch gemacht, indem er in g 12
seines Wirtschaftsgesetzes bestimmt habe, dass neue Wirtschaften und
zwar ohne Ausnahme also auch die in §3 Ziff. 4 des Gesetzeserwähnten
Kaffeewirtschaften einzig nach Massgabe des durch die Bevölkerung und den
Verkehr der Gemein de sich ergebenden öffentlichen Bedürfnisses bewilligt
werden dürften. Ein öffentliches Bedürfnis sei nach Abs. 2 ebenda
grundsätzlich besondere örtliche Verhältnisse vorbehalten überall da als
nicht vorhanden anzunehmen, wo auf 250 Einwohner eine Wirtschaft bereits
bestehe. Gestützt hierauf habe der Regierungsrat stets den Standpunkt
eingenommen, dass auch bei Kaffeewirtschaftsgesuchen die Bedürfnisfrage
in Betracht zu ziehen sei. Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV und § 12 des Wirtschaftsgesetzes
seien nicht nur aufgestellt worden, um dem Alkoholmissbrauch zu steuern,
sondern auch im Interesse des-

48 staatsrecht-

öffentlichen Wohle. Von diesem Gesichtspunkt sprächen nun gewiss manche
Gründe dafür, dass auch die Zahl der Kai'feewirtschaften nicht ins
Ungemessene vermehrt werde. Die Tendenz des Gesetzes sei, allgemein
den Wirtshausbesuch einzuschränken. Die alkoholfreien Wirtschaften
könnten, wenn sie in einer Ortschaft in Ueberzahl vorhanden seien,
auf das öffentliche Wohl ebenfalls schädigend einwirken, indem sie den
Wirtschaftsbesuch forderten. Die Preise für alkoholfreie Getränke mit
Zuckerbäckerzutaten seien ziemlich hoch und wenn den Leuten zu viel
Gelegenheit geboten werde, solche Sachen zu geniessen, so verlören
sie dort ihr Geld und ihre Zeit ebensogut wie in den gewöhnlichen
Wirtschaften. Nachdem der Bundesrat diesen Standpunkt in verschiedenen
Entscheidungen als zulässig geschützt, habe daher für die Regierung kein
Anlass bestanden, von der bisherigen Praxis abzugeben.

Das Bundesgericht zieht i n E r w ä g u n g :

streitig ist, ob der Bedürfnisklausel der kantonalen
Wirtschaftsgesetzgebungen auch die sog. alkoholfreien Wirtschaften
unterstellt werden dürfen, d. h. ob sich der Vorbehalt des Art. 31 litt
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
. c
BV, der es den Kantonen freistellt, die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes
auf dem Wege der Gesetzgebung den durch das öffentliche Wohl geforderten
Beschränkungen zu unterwerfen, auf alle Wirtschaftsbetriebe schlechthin
oder nur auf solche beziehe, in denen geistige Getränke abgegeben werden.
.Diese Frage muss im Gegensatz zu den Entscheidungen des Bundesrats als
früherer Rekursbehörde in Sachen Egger und, Z'berg (Bbl. 1902 I S. 1
ff., 1904 VI S. 521 H., Salis II Nr. 941) im letzteren Sinne entschieden
werden.

Wie aus der einlässlichen Darstellung der Entstehungsgeschichte der
Vorschrift bei BURCKHARDT (Kommentar S. 284 ff.) hervorgeht, wurde die
Verfassungsrevision

Handelsund Gewerbefreiheit. N° 7. 49

von 1885, die zur Aufnahme der neuen Art. 31 litt
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
. c und Art. 32 bis
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
in
die BV führte, veranlasst durch zwei Postulate vom 23. Dezember 1881 und
30. Juni 1882, die den Bundesrat einluden, Bericht darüber zu erstatten,
ob nicht dem sich steigernden, übermässigen Alkoholgenu ss und dem
allzu stark um sich greifenden Wirtschaftswesen Schranken gesetzt werden
könnten. In seiner Botschaft an die Bundesversammlung betreffend die
auf die A l k o h o l f r a g e bezüglichen Postulate und Petitionen vom
20. November 1884 (Bbl. 1884 IV S. 372 H.) führte darauf der Bundesrat
aus, die Erfahrung zeige eine fortschreitende Zunahme des Alkoholismus: es
liege darin eine Gefahr für die Zukunft des Vaterlandes. Alle Massnahmen
der Kantonen und alle Anstrengungen der Privatinitiative hätten sich als
unzureichend zur Beseitigung des Uebels erwiesen. Am schlimmsten hätten
sich die Verhältnisse in denjenigen Teilen der Schweiz gestaltet, in
denen eine Unzahl kleiner Schnapsbrennereien bestünden, die einerseits
die Vielen Hilfskräfte, die sie beschäftigen, in die Gewohnheit des
Schnapsgenusses hineinziehen, andererseits wegen ihrer starken Verbreitung
jedermann bequeme Gelegenheit zur Beschaffung wohlfeilen Schnapses hören
und deren Produkte wegen der darin enthaltenen Fuselöle eine besonders
schädliche Wirkung auf den menschlichen Organismus ausübten. Als Mittel
zur Abhilfe schlug der Bundesrat vor, die Fabrikation und den Verkauf
gebrannter Wasser bundesgesetzlich zu reglementieren und durch Besteuerung
derselben sowie durch Erhöhung des Zolls auf importiertem Sprit den
Branntwein erheblich zu verteuern, andererseits aber die unschädlichen
oder doch weniger schädlichen andern alkoholhaltigen Getränke (Wein,
Bier und Most) dadurch wohlfeiler zu machen, dass die Ohmgelder und
die sonstigen auf dem Handel mit solchen Getränken lastenden Gebühren
abgeschafft würden. Dagegen lehnte er die Vorschläge auf Revision des
Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV durch Zulassung der Beschränkung der

AS 4-1 I 1915 4

50 Slam:-echt.

Zahl der Wirtschaften mit der Begründung ab, dass dieses Mittel
sich bisher überall als zur Verminderung des Alkoholkonsums unwirksam
erwiesen habe. Eine wirksame Besserung auf diesem Gebiete sei nur durch
energische Mitwirkung der Privatinitiative und der Kantone zu erwarten.
Sache der ersteren werde es sein, durch Sorge für gute Ernährung, durch
Errichtung von Speiseanstalten, Volksküchen, Suppenanstalten, Kai f
eeh allen, Konsumvereinen und ähnlichen Einrichtungen das Bedürfnis
nach starken geistigen Getränken zu vermindern. Von den Kantonen aber
müsse erwartet werden, dass sie von den heute schon in ihrer Kompetenz
liegenden Mitteln vollen Gebrauch machten, indem sie durch strenge
Wirtschaftspolizei der Versuchung zum Alkoholismus entgegenträten, durch
strenge Getränkepolizei deren schlimme Folgen zu mildern trachteten, durch
strenge Sittenpolizei und Bestrafung der Trunksucht warnend einwirkten,
endlich die Privatinitiative 'n allen angedeuteten Richtungen ermunterten
und unterstützten. Bei diesem Vorgehen mit vereinten Kräften sollte es
gelingen, den Kampf gegen den Alkoholismus mit Erfolg zu bestehen. Die
Kommission des Nationalrates stimmte den Anträgen des Bundesrates
auf Reglementierung und Besteuerung der Fabrikation und des Verkaufs
gebrannter Wasser (heutiger Art. 32 bis) zu; zugleich beschloss sie
aber im Gegensatz zum Bundesrat, noch einen Schritt weiter zu gehen,
und auch'den Begehren um Beschränkung der Zahl der Wirtschaften durch
Aufnahme einer dem heutigen Art. 31 litt. c entsprechenden Vorschrift
in die Verfassung entgegenzukommen, wobei sie zur Begründung in ihrem
Berichte vom 31. Januar 1885 (Bbl. 1885 I S. 453 ff. insbesondere
S. 476-479) geltend machte: wenn die bundesrätliche Botschaft aus der
Tatsache, dass die schlimmen Folgen der Trunksucht besonders in denjenigen
Kantonen hervorträten, die verhältnismässig weniger Wirtschaften zählten,
schliesse, dass die Zunahme der Trunksucht nicht die Folge der Vermehrung
der Wirt-

Handelsund Gewerbefreiheit; N° 7. 51

schaften sei, so gehe der Schluss in dieser Allgemeinheit zu weit. Er möge
zutreffen für Gegenden, die viel Obst und Wein produzieren, ferner für
solche, wo auch ohne Vermittlung des Wirtshauses der Schnaps leicht zu
bekommen sei. In Gegenden aber, in denen weder Obst noch Wein wachse und
keine Brennereien sich fänden, wo somit. Most, Wein und Schnaps aus dem
Wirtshaus bezogen werden müssten, wachse mit der Zahl der Wirtshäuser,
mit der Bequemlichkeit, sich diese Getränke zu verschaffen, ohne Frage
auch der Konsum. Gesetzt aber auch, es möchten Zweifel an der Wirksamkeit
der Massregel gehegt werden, so dürfte nicht vergessen werden, dass
von einer grösseren Zahl von Kantonsregierungen, von gemeinnützigen
Gesellschaften, aus dem schosse der Bundesversammlung selbst dringend
nach dieser Massregel gerufen werde, die viele als das einzig oder doch
vornehmlich wirksame Mittel gegen den Alkoholismus bezeichnen. Gegenüber
diesen Stimmen dürften die Bundesbehörden nicht durch ablehnende Haltung
die Verantwortlichkeit auf sieh laden, eine grosse Zahl derjenigen,
die besonders berufen sein werden, an dem Werke mitzuwirken, ihm mehr
oder weniger zu entfremden und sie zu entmutigen. Die auf Grund dieser
Beschlüsse redigierten neuen Art. 31 liti . c und 32 bis wurden in der
Folge vom Nationalrat, Ständerat und in der Abstimmung vom 25. Oktober
1885 auch vom Volke angenommen.

Aus diesen Feststellungen erhellt, dass der bei Erlass des Art. 31 litt
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
. c
BV verfolgte Zweck ausschliesslich die Bekämpfung des Alkoholismus war
und dass man dementsprechend mit den Ausdrücken Wirtschaftswesen und
Wirtschaftsgewerbe lediglich solche Betriebe im Auge hatte, in denen
alkohclhaltige Getränke abgegeben werden, während man die Entstehung
sog. alkoholireier Wirtschaften ( Speiseanstalten, Kaffeehallen ,
usw.) umgekehrt geradezu begünstigen wollte. Hirdiese Auslegung spricht
auch übrigens die

52 Staatsrecht.

Tatsache, dass die Vorschrift das. Wirtschaftsgewerbe zusammen und auf
gleicher Linie mit dem Kleinhandel mit geistigen Getränken nennt,
da diese Gleichstellung nur dann erklärlich ist, wenn man annimmt, dass
man auch beim Wirtschaftsgewerbe nur an den Verkauf geistiger Getränke
gedacht und den Unterschied zwischen beiden lediglich darin erblickt habe,
dass in einem Falle (Kleinhandel) die geistigen Getränke über die Gasse,
im andern (Wirtschaft) zum Konsum an Ort und Stelle abgegeben werden--

Angesichts dessen kann unerörtert bleiben, welches die Tragweite der
vom Verfassungsgesetzgeber gebrauchten Wendung . durch das öffentliche
Wohl geforderte Beschränkungen sei, ob damit nur die Begrenzung der
Zahl der Wirtschaften nach Massgabe des Bedürfnisses habe vorbehalten
werdenwollen, wie BURCKHARDT a. a. O. S. 277 annimmt, oder ob der Begriff
des öffentlichen Wohles in einem weiteren Sinne auszulegen und eine
derartige Begrenzung daher auch noch aus anderen, mit der Bedürfnisfrage
nicht unmittelbar zusammenhängenden, allgemein volkswirtschaftlichen
Erwägungen (Bewahrung des Publikums vor durch die Ueberkonkurrenz
bewirkter Gefahr der Ausbeutung oder'Verlockung zu Luxusausgaben
usw.) angeordnet werden könne, welche Auffassung den eingangs erwähnten
Entscheidungen des Bundesrats in Sachen Egger und Z'berg und der
Rekurs-antwort des Regierungsrats von Aargau im vorliegenden Falle zu
Grunde liegt. Selbst wenn man grundsätzlich der letzteren Auffassung
beitreten wollte, wäre damit für die vorliegende Frage nichts gewonnen,
weil die Folgen einer solchen extensiven Auslegung auf alle Fälle nur
diejenigen Wirtschaften treffen könnten, in denen geis t i g e G e t r
ä n k e abgegeben werden. Die sog. alkoholfreien Wirtschaften könnten
dadurch nicht berührt werden, weil sie nach dem Gesagten überhaupt nicht
unter den Begriff des Wirtschaftswesens im Sinne von Art. 31 litt
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
. c BV
fallen.Handelsund Gewerbefreiheit. N° 7 i}:

Dadurch wird selbstverständlich das Recht der Kantone nicht berührt, die
Ausübung auch dieses Gewerbes wie jedes beliebigen anderen gestützt auf
den allgemeinen Vorbehalt des Art. 31 litt. e aus polizeilichen Gründen an
bestimmte Bedingungen zu knüpfen und hinsichtlich der Person des Inhabers,
der Lokale und der Art der Führung diejenigen Anforderungen zu stellen,
die im Interesse der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit und
Sittlichkeit sich als geboten erweisen. Eine Beschränkung der Zahl
der fraglichen Betriebe erscheint dagegen unter keinen Umständen als
statthaft-, weil darin ein Eingriff in den Grundsatz der Gewerbetreiheit
selbst liegt, zu dem es einer ausdrücklichen verfassungsmässigen
Ermächtigung bedürite, eine solche aber hier infolge der Beschränkung
der Geltung des Art. 31 litt. c auf den Vertrieb geistiger Getränke fehlt.

Die Vorschrift des § 12 des aargauischen Wirtschaftsgesetzes, welche
alle in gi ebenda genannten Betriebe mit Einschluss derjenigen, in denen
lediglich alkohclfreie Getränke abgegeben werden, der Bedürfnisklausel
unterstellt, muss demnach insoweit als verfassungswidrig angesehen
und daher der angefochtene Entscheid in der Meinung aufgehoben Werden,
dass die aargauischen Behörden nicht befugt sind, dem Bekurrenten die
Bewilligung zum Betriebe des projektierten ,Erfrischungsraumes wegen
mangelnden Bedürfnisse-s zu verweigern.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Der Rekurs wird als begründet erklärt und der damit angefochtene Entscheid
des Regierungsrates des Kantons Aargau vom 27. November 1914 aufgehoben.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 41 I 46
Date : 18. Februar 1915
Published : 31. Dezember 1915
Source : Bundesgericht
Status : 41 I 46
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 46 staatsrecht- 7. Urteil vom 18. Februar 1915 i. S. Spinnier 'Weber gegen Regierungsrat


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BV: 31  32bis
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1884/IV/372 • 1885/I/453 • 1902/I/1