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V. VERBOT DER DOPPELBESTEUERUNGINTERDICTION DE LA DOUBLE IMPOSITION
60. Urteil vom 4. November 1915 i. S. Z'graggen gegen Uri und Luzern.
Inhalt des Rekursantrages. Verb o t der interkantonalen D op p el b e
s t e u eru n g : Grundsatz der proportionalen Verlegnng der Schulden
auf das Gesamtvermögen Behauptungsund Beweisp flieht beim Anspruch auf
Schuldenabzug.
A. Das Steuergesetz für den Kanton Uri vom 2. Mai 1886 (mit Abänderungen
vom 7. Mai 1893 und 5. Mai 1907) enthält folgende Bestimmungen :
A r t . 2. Der Vermögenssteuer ist unterworfen : ..... b) das im Kanton
befindliche Grundeigentum (Ge bäude, Liegenschaften und deren Zubehör)
eines aus Wärts wohnenden Eigentümers.
A r t . 4. Von dem steuerpflichtig-en Vermögen dürfen ,all fällige
Schulden in Abzug gebracht werden. Der Schuldenabzug kann jedoch nicht
eintreten bei den Steuergegenständen des Art. 2 litt. b.
A r t . 21 sieht alle 5 Jahre eine allgemeine Revision der
steuerregister und für in der Zwischenzeit eintretende Aendernngen der
Steuerverhältnisse alljährliche Zwisehenrevisionen vor, die nach Art. 9
Abs 2 der landrätlichen Vollziehungsverordnung zum Steuergesetz jeweilen
im Monat Dezember durchzuführen sind.
B. Der in Luzern niedergelassene Rekurrent, Ingenieur Ernst Z'graggen,
ist Eigentümer des in Flüelen gelegenen Schlösschens Rudenz im
Katasterwerte von 30,000 Fr., das er vor Jahren durch Vermächtnis einer
Tante schuldenfrei ( frei und ledig und los ), jedoch mit der Auflage
erworben hat, jeder seiner zwei Schwestern eine jährliche Rente von 200
Fr. auszurichten. Er hat
' Verbot der Doppelbssteuemng. N° 60. 417
seither darauf Gülten in der Höhe von 20,000 Fr. errichtet und gegen
deren Verpfändung bei der Ersparniskasse Uri in Altdorf ein Darlehen
von 16,000 Fr. aufgenommen.
Mit Zuschrift an den Gemeinderat Flüelen vom 31. Mai 1915 verlangte
Z'graggen, der bisher in Flüelen mit dem vollen Katasterwerte
seines Besitztums besteuert worden ss war, dass zur Ermittlung des
steuerpflichtigen Liegenschaftswertes der kapitalisierte Betrag der
erwähnten, darauf haftenden Renten, sowie die der Ersparniskasse
zu verzinsende Hypothekarschuld in Abzug zu bringen seien. Die
Gemeindebehörde antwortete absehlägig mit dem Bemerken, dass Aenderungen
in Vermögen und Erwerb jeweilen vor Neujahr dem Gemeinderat einzureichen
seien und übrigens in der Gemeinde liegende Güter auswärtiger Besitzer
nach ihrem vollen Sehntzungswerte, ohne Abzug von Hypotheken, etc.,
besteuert würden. Und der Regierungsrat des Kantons Uri, an den Z'graggen
diesen Bescheid unter ausdrücklichem Hinweis auf die in ähnlichen Fällen
bereits vom Bundesgericht erlassenen Verfügungen und Urteile weiterzog,
wies seinen Rekurs mit B e s c h l u s s v o In 26. J u ni 1 915 gestützt
auf Art. 2 litt. b und Art. 4 des Steuergesetzes als unbegründet ab.
C. Hierauf hat Z'graggen rechtzeitig beim Bundesgericht einen
staatsrechtlichen Reknrs wegen Doppelbesteuerung eingereicht und
beantragt, der Regierungsrat des Kantons Uri sei zu veranlassen,
auf seinen Entscheid im Sinne der Gutheissung der bei ihm gestellten
Schuldenabzugsbegehren zurückzukommen.
D. Der Regierungsrat des Kantons Uri hat sich auf den Rekurs wesentlich
wie folgt vernehmen lassen : Gemäss dem kantonalen Steuerrecht habe
die Reklamation des Reknrrenten, weil sie nicht schon im Dezember der
Vorjahres, sondern erst anlässlich der Steuereinkassierung angebracht
worden sei, nicht mehr gehört werden können ; zudem sei sie auch
unbegründet, da das Steuergesetz den Schuldenabzug eines auswärts
Wohnenden
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nicht gestatte. Allerdings habe das Bundesgericht in seiner neuesten
Praxis für diesen Fall einen dem Verhältnis der Gesamtschulden zum
Gesamtvermögen entsprechenden Schuldenabzug zugelassen, allein, wie
auch Prof. SPEISER (Zeitschr. f. schweiz. Recht, 1915, S. 102) gestehe,
werde durch diesen Grundsatz anstelle der Einfachheit Komplikation
geschaffen. Die Kontrolle über die Gesamtvermögensverhältnisse des
Steuerpflichtigen sei bekanntlich schon dem Wohnsitzkanton ' nicht
immer leicht, dem Liegenschaftskanton aber wohl in sehr vielen Fällen
unmöglich. Der Liegenschaftseigentümer habe es in der Hand, bis auf
den Schatzungswert der Liegenschaften Hypotheken, die er selber in der
Hand behalte, zu errichten, um sie dem Liegenschaftskanton gegenüber
in Abrechnung zu bringen. Dieser-Kanten habe auf das übrige Vermögen
des Steuerpflichtigen keinen Anspruch, selbst wenn es ausschliesslich
in Hypothekartiteln des Kantons bestände (BURCKHARDT, Kommentar zur
BV, S. 440, Note 1). Der Ausschluss des Schuldenabzugs durch den
Liegenschaftskanton beruhe zweifellos auf wichtigen wirtschaftlichen
und bodenständigen Gründen, die das Bundesgericht denn auch Während
vier Jahrzehnten respektiert habe. Noch i'm Urteil vom 24. März
1915i. S. Spring gegen Solothurn und Bern habe übrigens das Bundesgericht
daran festgehalten, dass Liegenschaften sowohl hinsichtlich ihres Wertes,
als auch ihres Ertrages auch dann ausschliesslich der Steuerhoheit des
Kantons, wo sie lägen, unterworfen seien, wenn-der Eigentümer in einem
andern Kanton wohne. Wenn der Liegenschaftskanton berechtigt sei, die
Hypothekarzinsen vom Reinertrag nicht in Abzug zu bringen, so sollte
er auch berechtigt sein, den Schuldenabzug bei Liegenschaften nicht zu
gestatten. Vorliegend speziell halte weder die Rentenschuld, noch die
durch die Gülten lediglich faustpfändlich versicherte Darlehensschuld
des Rekurrenten auf der Liegenschaft in Flüelen ; bei diesen beiden
Schulden handle es sich vielmehr um
Verbot der Doppelbesteuerung N° 60. 419
solche rein persönlicher Natur, die der Rekurrent von
seinem beweglichen Vermögen in Luzern in Abzug brin-
gen möge. Wenn aber auch der bundesgerichtliche Ente scheid i. S. Stricker
Müller (AS 39 I S. 570 H.) als massgehend angesehen würde, so könnten
diese Schulden doch nicht schlechtweg, sondern nur proportional zum
Gesamtvermögen, in Abzug gebracht werden. Der Rekurrent habe jedoch in
dieser Beziehung keinerlei Angaben gemacht, obschon er hiezu und zur
Beibringuug der entsprechenden Beweise pflichtig gewesen wäre. Uebrigens
könne auf seine Begehren nicht eingetreten werden, da das Bundesgericht
zum Erlasse positiver Anordnungen nicht kompetent sei (AS 40 I S. 173). Es
werde deshalb beantragt, auf den Rekurs sei nicht einzutreten ; eventuell
sei er als unbegründet abzuweisen.
E. Der Regierungsrat des Kantons Luzern, dem ebenfalls Gelegenheit
zur Vernehmlassung geboten werden ist, hat sich auf die Einreichung
einer Erklärung des Stadtrates von Luzern beschränkt, wonach dieser mit
Rücksicht darauf, dass der Rekurrent in Luzern nur 5000 Fr. fahrendes und
17,000 Fr. liegendes Vermögen versteuere und der Rekursentscheid daher
auf den Luzerner Steueranspruch keinen merklichen Einfluss ausüben könne,
keine Stellung zum Rekurse nimmt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der auf formeller Beanstandung des 'Rekursbegehrens beruhende
Nichteintretensschlnss des Regierungsrates von Uri geht fehl ; denn der
Rekurrent verlangt tatsächlich nicht eine direkte positive Anordnung
des Bundesgerichts, die der Natur des staatsrechtlichen Rekurses
zuwider-laufen würde, sondern zielt mit seinem Antrage-, es sei der
Regierungsrat zu veranlassen, auf seinen Entscheid in näher bezeichneten]
Sinne zurückzukommen, unverkennbar ledigliehdarauk ab, die (allerdings
nicht ausdrücklich verlangte) A u f h e b u n g des
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angefochtenen regierungsrätlichen Entscheides und dessen Ersetzung durch
einen 11 e 11 en, den abgewiesenen Begehren entsprechenden Entscheid
des Regierungsrates zu erwirken.
2. Die Kantone Uri und Luzern, zwischen deren Steuerhoheiten der
vorliegende Konflikt besteht, haben b e i d e das System der allgemeinen
Reinvermögenssteuer (Art. 4, erster Satz, des zur Zeit noch geltenden
Urner Steuergesetzes : oben Fakt. A ; § 20 des Luzerner Steuergesetzes
vom 30. November 1892). Folglich ist der in Art. 4, Nachsatz, jenes
Urner Gesetzes als Ausnahme vorgesehene Ausschluss jedes Schuldenabzugs
für die Besteuerung des kantonalen Liegenschaftsbesitzes a u s w ä r
t 5 W 0 h 11 e n d e r Eigentümer (den auch das jüngst erlassene und
mit Neujahr 1916 in Kraft tretende neue Steuergesetz des Kantons Uri
in Art. 4 Abs. 2 übernommen hat) nach der vom Bundesgericht erstmals
i. S. Stricker-Müller gegen Appenzell A. Rh. und Baselstadt (AS 39 I N°
103 S. 570 fs.) entwickelten Auffassung bundesrechtlich unstatthaft. An
dieser Auffassung hat das Gericht seither stets festgehalten (Urteile
i. S. Kraftwerke Bezuau Löntsch si.-G. gegen Glarus und Aargau: AS 40 I N°
6 S. 56 si.-, i. S. Rothlin gegen Thurgau und St. Gallen vom 30. April
1915 undssi. S. Florin gegen Thurgau vom 2. Juli 1915). Ihr widerspricht
nicht, wie der Regierungsrat des Kantons Uri in. seiner Vernehmlassung
zu behaupten scheint, das Urteil i. S. Spring gegen Solothurn und
Bern vom 24. März 1915 (AS 41 I N° 24 s. 179 ff.). Denn der in diesem
Urteil festgehaltene Grundsatz, dass die Besteuerung des ausserhalb des
Wohnsitzkantons des Steuerpflichtigen befindlichen liegenschaftlichen
Vermögens nach Wert oder Ertrag ausschliesslich dem Liegenschaftskanton
zustehe', berührt die hier und in jenen andern Urteilen streitige Frage,
ob der Liegenschaftskanton dabei schlechthin den vollen Wert oder
Ertrag dieses Vermögens heranziehen dürfe oder aber auf die Schulden
des Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen
Verbot der Doppelbesteuerung N° 60.{ 421
habe, in keiner Weise, da mit der Anerkennung der ausschliesslichen
Steuerheheit des Liegenschaftskantons nicht ohne weiteres gesagt
ist, dass derselbe berechtigt sei, den Abzug der Hypothekarzinsen vom
Liegenschaftsertrage oder entsprechend auch den Schuldenabzug vom_
Liegenschaftswerte auszuschliessen.
Die derart feststehende, sowohl von SPEISER an der vom Regierungsrat
angeführten Stelle, als auch von BLUEENSTEXN in seinem Gutachten und
Entwurf, zu Hunden des Schweiz. .lustizund Polizeidepartenients, über
die bundesgesetzliche Regelung des Doppelbesteuerungsverhotes (S. 86
und 118) gebilligte neue Praxis aber wird durch die Einwendungen
der regierungsrätlichen Vernehmlassung nicht erschüttert. Der
Regierungsrat verkennt die Bedeutung dieser Praxis, wenn er annimmt,
dass der Steuerpflichtige danach durch h_-'pothekarische auch nicht
effektive, sondern bloss formell bestehende Belastung seines auswärtigen
Liegenschaltsbesitzes dem Steueranspruche des Liegensehaktskantons
einseitig Abbruch tun könnte. Er übersieht dabei. dass nach dem
Grundsatze propertionaler Verlegung der Schulden auf das Gesamtvermögen
Hypothekarschulden den Liegenschaften, auf denen sie versichert
sind, nicht ausschliesslich, sondern nur im Verhältnis des Wertes
dieser Liegenschaften zum Gesamtvermögenswert angerechnet werden, dass
steuerrechtlich überhaupt nur solche Schulden zu berücksich-tigen sind,
über deren effektiven Bestand im Zweifelsfalie sich der Steuerpflichtige
auszuweisen vermag (z. B. durch Vorlage unverdächtiger Zinsquittungen),
und dass das Bundesgericht bei Einführung der streitigen Praxis ferner
auch die Beanstandung von Schulden, welche Zwar ellektiv bestehen, jedoch
erkennbar lediglich zum Zwecke einer Verschiebung der Steuerverhältnisse
eingegangen werden sind, ausdrücklich vorbehalten hat (vgl. Urteil
i. S. Stricker-Müller, a. a. 0. Erw. 5, S. 583 584). Auch ist nicht
einzusehen, warum die zur richtigen Einschät--
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zung des Liegenschaftsbesitzes eines auswärtswohnenden Steuerpflichtigen
erforderliche Kontrolle der GesamtVermögensverhältnisse desselben für
den Liegenschaftskanton besonders schwierig, in sehr vielen Fällen sogar
unmöglich sein sollte, da ja auch diesem Kanton hiezu sein eigenes
steuerrechtliches Feststellungsverfahren zu Gebote steht, wobei ihm
namentlich die Ermittlung der Taxation des betreffenden Steuerpflichtigen
an seinem auswärtigen Wohnorte entscheidende oder doch wesentliche
Anhaltspunkte bieten wird.
Auf dem Boden der neuen bundesgeriehtlichen Praxis sodann ist der
Hinweis des Regierungsrates darauf, dass vorliegend nicht hypothekarisch
versicherte, sondern rein persönliche Schulden in Frage standen,
unbehelflich, da der Schuldenabzug zur Bestimmung des steuerpflichtigen
Reinvermögens naturgemäss alle Schulden umfassen muss.
3. Erweist sich demnach der angefochtene Ent-
scheid des Urner Regierungsrates zwar als grundsätzlich _
unhaitbar, so kann immerhin das Begehren des Rekurrenten urn Abzug
der namhaft gemachten Schulden vom Schatzungswerte seiner Liegenschaft
_in Flüelen nicht geschützt werden. Vielmehr wendet der Regierungsrat
eventuell zutreffend ein, dass der Rekurrent in Flüelen nur auf den Abzug
der dem Verhältnis des Wertes seiner dortigen Liegenschaft zum Werte
seines Gesamtvermögens entsprechenden Q u o t e jener Schulden Anspruch
habe, mit diesem Anspruche aber im heutigen Verfahren deswegen nicht
gehört werden könne, weil er es an den zur Ermittlung der fraglichen
Schuldenquote erforderlichen Angaben und Nachweisen habe fehlen
lassen. In der Tat kann der Steuerpflichtige den ihm bundesrechtlich
zustehenden proportionalen Schuldenabzug nur beanspruchen, wenn er den
Steuerbehörden nach Vorschrift des kantonalen Taxationsverfahrens die
Angaben und Beweismittel unterbreitet, deren sie zur sachlichen Prüfung
des Anspruchs bedürfen. Das hat aber der Re--
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kurrent vorliegend mit Bezug auf die massgehende Quote der angerufenen
Schulden nicht getan und muss deshalb mit seinem Rekurse für das laufende
Steuerjahr abgewiesen werden. Dagegen bleibt es ihm unbenommen,
' seine Unterlassung im nächsten Steuerjahre gutzumachen
und dieBeachtung der gegenwärtigen Doppelbesteuerungspraxis des
Bundesgerichts seitens der Urner Steuerbehörden nötigenfalls im Wege
eines neuen staatsrechtlichen Rekurses durchzusetzen.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt, :
Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen,
61. Urteil vom 11. November 1915 i. S. Dampfschiffgesellschaft des
Vierwaldstätterseel gegen Uri, Schwyz, Obund Nidwalden einerseits,
und Luzern anderseits.
Bedeutung einer Aenderung der Doppelbesteuerungspraxis des si
Bundesgerichts für die R e c ht 3 k r af t vorher ergangener Urteile,
Besteuerung einer Dampfs chiffg esells chait mit Stationsanlagen in
mehreren Kantonen. Grundsätze für die quotenmässige Verteilung des
Steuerrechts unter diese
Kantone.
A. Die Dampfschiifgesellschaft des Vierwaldstättersees, eine
Aktiengesellschaft mit sitz in Luzern, die für ihren Betrieb auf dem
Gebiete der fünf Seeuferkantone Luzern, Schwyz, Uri, Ohund Nidwalden
insgesamt 45 Dampfschiifstationen mit Landungsbrücken und teilweise auch
noch weiteren Stationseinrichtungen benutzt, ist vom Bundesgericht durch
Urteil vom 28. September 1898 (AS 24 I N° 83 S. 444 ff.) als mit Bezug
auf ihr Mobiliarvermögen und ihren Erwerb allgemein der Steuerhoheit
bloss des Kantons Luzern mit Ausschluss der