308 Staatsrecht.

Parces motifs, le Tribunal federal prononee:

Le recOurs est admis, le jugement attaqué est annulé et le Tribunal
civil du district de Lausanne est déclaré compétent pour statuer sur la
demande de divorce de la recourante.

44. Urteil vom 30. September 1915 i. S. A. Bächler & die gegen Uri.

Staatsrechtliche Anfechtung eines Strafurteils, das in einem andern Kanton
erlassen worden ist, wegen Unzuständigkeit des erkennenden Richters,
erst gegenüber dem Versuche der Urteilsvollstreckung im Wohnsitzkanton
des Rekurrenten. Gerichtsst and für Vergehen betr. den Ver-

kehr mit Wein gemäss den Art. 50 und 51 LMPG. Kompetenz des
Staatsgerichtshofs aus Art. 52 LMPG.

A. Am 2. Februar 1915 wurden in Göschenen von einer Weinheferung der
Firma A. Bächler & Cie, Weinhandlung in Kreuzlingen, an' den Wirt des
Bahnhofhüfiets Göschenen, bestehend aus drei Fässern, welche als Hallauer
coupiert, Weisser Tafelwein und Waadtländer coupiert bezeichnet waren,
Proben entnommen. Ueber deren Untersuchung erstattete die Urschweizerische
Lebensmittel Untersuchungsanstalt Brunnen der Sanitätsdireklion des
Kantons Uri am 8. März 1915 folgenden Bericht: Der Hallauer entspreche
weder im Geschmack noch in den Gehaltszahlen einem Weine aus dem Kanton
Schaffhausen ; es liege mit Bezug hierauf eine Uebertretung von Art. 173
der bundesrätlichen Lebensmittelverordnung vom 8. Mai 1914 vor; der
Wein dürfe nur unter der Bezeichnung Rotwein ausgeschenkt werden. Beim
Weis-sen Tafelwein undGerichtsstand. N° 44. 307

heima Waadtländer handle es sich überhaupt nicht um ,rein gehaltene,
sondern um gestreckte Weine.

Auf Grund dieses Berichts beschloss der Regierungsrat des Kantons
Uri am li./26. März 1915 die Ueberweisung der Firma A. Bächler &
Cie, wegen Zuwiderhandlung gegen die erwähnte Verordnung, an den
Straf-richter, und am 29. März 1915 lud die Staatsanwaltschaft Uri
sie, unter Angabe des vorstehenden Tatbestandes als Klage , auf den
3. Mai 1915 zur Verhandlung vor Kreisgericht Uri vor. Hierauf bestritt
die Firma in Zuschriften ihrer Vertreter an die Staatsanwaltschaft
vom 3. und 20. April 1915 die Zuständigkeit des Urner Richters und
verlangte, die ergangene Vorladung sei, nötigenfalls durch Revision
des regierungsrätlichen Ueberweisungsbeschlusses, aufzuheben und die
Angelegenheit an das thurgauische Verhörrichteramt zu verweisen, wo
bereits eine allseitige Strafuntersuchung wegen ihres Weinhandels
gegen sie anhängig sei. Die Staatsanwaltschaft gab dem Regierungsrate
von dieser Einsprache Kenntnis und ersuchte um rechtzeitige Mitteilung
seiner Verfügung. Eine solche erfolgte jedoch vor dem angesetzten
Verhandlungstermin nicht. Als die Firma A. Bächler & Cie zur Verhandlung
vom 3. Mai 1915 nicht erschien, beschloss das Kreisgericht gemäss dem
Antrage der Staatsanwaltschaft, die sich in rechtlicher Hinsicht auf die
Art. 41, 48 und 50 des Lebensmittelgesetzes und die Art. 162 Abs. 1, 173
und 192 der Lebensmittelverordnung berief, es sei jene wegen Uebertretung
des Art.]73 eingangs erwähnterVerordnung in contumaciam verurteilt zu
70 Fr. Busse, 2 Fr. Gerichtsgeld und zur Zahlung der Untersuchungskosten
von 36 Fr. Erst mit Beschluss vom 22. Mai 1915 stellte der Regierungsrat
sodann fest, der Einsprache der Firma A. Bächlei& Cie habe keine Folge
gegeben werden können, da als Ort der Deliktshandlung bezw. wo der
Erfolg eintrat , .im vorliegenden Falle Göschenen, wohin der Wein ge-

308 staatsrecht.

liefert und wo die Probe entnommen worden sei, bezeichnet werden müsse ;
übrigens sei die Einsprache zufolge des kreisgerichtlichen Urteils vom
3. Mai 1915 gegenstandslos geworden.

Diese beiden Entscheidungen wurden der Firma A. Bächler & Cie in der
Weise zur Kenntnis gebracht, dass die Staatskassaverwaltung Uri sie mit
Schreiben vom 31. Mai 1915 unter Betreihungsandrohung zur Zahlung der laut
Strafliste des Kreisgerichts Uri vom 3. Mai 1915 dem Kanton schuldigen
(einzeln aufgeführten) Beträge von zusammen 108 Fr. aufforderte und dazu
in einer Fussnote bemerkte, die Einsprache ihrer Vertreter sei durch
Regierungsbeschluss vom 22. Mai 1915 als unbegründet erklärt worden.

B. Mit Eingabe ihrer Vertreter vom 21. Juli 1915 hat die Firma A. Bächler
& Cie gegen den Entscheid des Kreisgerichts Uri vom 3. Mai und des
Regierungsrates Uri vom 22. Mai 1915 den staatsrechtlichen Rekurs an das
Bundesgericht ergriffen, mit dem Antrage, das angefochtene Urteil und die
gegen sie im Kanton Uri angehobene Strafuntersuehung seien aufzulieben.

Zur Begründung wird unter Berufung auf Verletzung der Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV
vorgebracht, die in Frage kommenden Delikte, speziell die Uebertretung
des Art. 173 der bundesrätlichen Verordnung vom 8. Mai 1914, seien
in Kreuzlingen begangen worden und deshalb dort zu beurteilen,
was durch Ueberweisung der vorliegenden Akten an das thurgauische
Verhörriehteramt veranlasst werden möge ; tatsächlich habe 'die
thurgauische Untersuchungsbehörde schon gegen Ende Dezember 1914
eine Hauptund Staatsuntersuchung gegen die Rekurrentin angehoben,
wobei insbesondere von allen ihren Weinen Proben entnommen worden
seien, deren Prüfung noch andaure; die einzelnen Weinliekerungen der
Rekurrentin nach auswärts, wie eine solche hier beanstandet werde,
seien nur die Ausstrahlungen der ihr an ihrem Geschäftssitze zur Last
gelegten Delikte.Gerichtsstand. N° 44. 309

C. Im Auftrage des Kreisgerichts Uri und des Re _ gierungsrates des
Kantons Uri hat die uruerische Staatsanwaltschaft sich wesentlich wie
folgt vernehmen lassen: Die Rekurrentin habe schon durch die Vorladung
vom 29. Màrz 1915 von der sie in Anklagezustand versetzenden Verfügung
des Regierungsrates Kenntnis erhalten und hätte hiegegen schon damals
Beschwerde führen können. Durch ihr Wiedererwägungsgesuch gegenüber dieser
Verfügung sei die Rekursirist nicht verlängert worden; zudem könne der
Regierungsratsbeschluss vom 22. Mai 1915 auch deswegen nicht angefochten
werden, weil ihm zufolge des vorangegangenenmateriellen Entscheides
des Kreisgerichts Uri jede praktische Bedeutung abgehe. Die Anfechtung
des kreisgerichtlichen Entscheides selbst aber sei unbegründet. Der
Weinpanschen den schon das Urner Landbuch mit Strafe bedroht habe,. müsse
nach althergeb'rachter, praktischer und gesunder Rechtsanschauung, an
der die Bundesverfassung nichts geändert habe, auch da zur Rechenschaft
gezogen werden können, wo die Panscherei wirksam geworden sei. Diesem
praktischen Sinne des alten Rechtes sei denn auch das Bundesgericht
gefolgt (AS 40 l N° 12 S. 108 111). Da hier keine thurgauische Behörde
interveniert habe, liege ein Kompetcnzkonflikt zweier Kantone nicht
vor. Auch habe die Rekurrentin nicht einmal behauptet, wegen des
gleichen 'ergehens zweimal in Untersuchung gezogen worden zu sein ;
vielmehr ergehe sich aus ihrem Verlangen, die Göschener Affäre sei
zur Untersuchung an den thurgauisehen 'erhörrichter zu überweisen,
dass dieser sich damit noch nicht befasst habe, dass also das hierauf
bezügliche Untersuchungsverfahren in Uri jedenfalls zuerst eröffnet
werden sei. Demnach werde beantragt, ( es sei die Rekursbeschwerde als
unbegründet abzuweisen bezw. es sei auf dieselbe nicht einzutreten.

D.Der Verhörriehter des Kantons Thurgau hat auf Anfrage des
Instruktionsrichters am 6. September 1915 mitgeteilt: Die Untersuchung
gegen die Inhaber

310 Staatsrecht.

der Firma A. Bächler & Cie, die Mitte Dezember 1914 eröffnet worden
sei, gehe jetzt ihrem Abschlusse entgegen. Sämtliche Weine der Firma
seien untersucht worden, und es werde sowohl wegen Uebertretung des
Kunstweinverbotes, als auch wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 173 der
Lebensmittelverordnung vom 8. Mai 1914 in einer ganzen Anzahl von Fällen
Ueberweisung stattfinden. Der spezielle Tatbestand, welcher Gegenstand
der Beurteilung durch das Kreisgericht Uri gebildet habe, sei in der
thurgauischen Untersuchung nicht releviert worden. Es sei aber mit
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die in Göschenen beanstandeten
Weine identisch seien mit solchen, die im Thurgau Gegenstand der
strafrechtlichen Beurteilung bilden werden, da hier die sämtlichen offenen
Waadtländer und die sämtlichen offenen Hallauer der Firma, sei es als
Kunstwein, sei es wegen falscher Deklaration, beanstandet worden seien.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

. 1. Die Einrede der Rekursv'erspàtung, worauf die Bemerkung in
der Vernehmlassung der Urner Behörden. die Rekurrentin hätte schon
gegenüber der Vorladung vom 29. März 1915 Beschwerde führen können,
in Verbindung mit dem Nichteintretensantrage, abzuzielen scheint,
entbehrt der Begründung. Im Strafverfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen
die Vorschriften der Lebensmittelpolizei besteht nach dem allgemeinen
Grundsatze des Bundesgesetzes vom 24. Juli 1852 über die Auslieferung von
Verbrechern oder Angeschuldigten, dem die'Spezialbestimmung in Art. 51 des
eidg. Lebensmittelpohzeigesetzes vom 8. Dezember 1905 (LMPG) entspricht,
zwischen den Kantonen keine weitergehende Rechts. hülfepflicht, als die,
auf gestelltes Verlangen den Angeschuldigten auszuliefern oder den Vollzug
des auswärtigen Strafurteils zuzusichern. Solche Rechtshülfe hat aber
vorliegend der Kanton Uri vom Kanton ThurgauGerichtsstand. N° 44. 311

nicht verlangt, und es ist demnach das vom Kreisgericht Uri
erlassene Kontumazialurteil im Kanton Thurgau nicht ohne weiteres
vollstreckbar. Unter diesen Umständen durfte sich die Rekurrentin
gegenüber der Vorladung Trom 29. März 1915 mit ihrer Bestreitung der
Kompetenz des Urner Richters begnügen und hatte keine Veranlassung, sich
gegen das Verfahren der Urner Behörden im Wege des staatsrechtlichen
Rekurses zur Wehr zu setzen, bevor das im Kanton Uri ergangene Urteil
gegen sie im Kanten Thurgau vollzogen werden wollte. Gegenüber dem
im schreiben der Staatskassaverwaltung Uri vom 31. Mai 1915 liegenden
Versuche des Urteilsvollzuges aber ist der Rekurs rechtzeitig erhoben
worden. 2. Gegenstand der Anfechtung bildet die strafrechtliche Verfolgung
der Rekurrentin im Kanton Uri, die zum Erlass des kreisgeriehtliehen
Kontumazialurteils vom 3. Mai 1915 geführt hat; bestritten wird die
örtliche Zuständigkeit der Urner Behörden in der Angelegenheit. Nun
beschlägt der dem Kreisgericht Uri zur Beurteilung überwiesene
Straitatbestand den gemäss Art. 54 LMPG in Titel XIII der bundesrätlichen
Ausführungsverordnung vom 8. Mai 1914 näher geregelten Verkehr mit
Wein, nämlich einerseits die hinsichtlich des Produktionsortes nnwahre
Bezeichnung von Wein (Zuwiderhandlung gegen Art. 173 der Verordnung),
und anderseits die Verwendung der zusatzlosen Bezeichnung Wein für
nicht rein gehaltene, sondern gestreckte d. h. gallisierte Weine
(Zuwiderhandlung gegen Art. 172 Abs. 1 in Verbindung mit den Art. 192 und
194 der Verordnung). Im Dispositiv seines Urteils spricht das Kreisgericht
allerdings nur von Übertretung des Art. 173. Allein der vom Gericht zum
Urteil erhobene Antrag der Staatsanwaltschaft stützt sich auch auf die
Art. 172 Abs. 1 und 192. Es kann deshalb keinem Zweifel unterliegen, dass
das Gericht tatsächlich den ganzen Überweisungstathestand beurteilt und
lediglich'aus Versehen das Dispositiv unvollständig formuliert hat. Dieser
Tatbestand fällt laut Art. 283 der

AS 41 i 1915 2'

312 Staatsrecht.

Verordnung unter die strakbestimmungen des Gesetzes, zu denen (Titel
II: Art. 36-53 LMPG) auch die in den Art. 50 und 51 enthaltenen
Gerichtsstandsnormen gehören. Die streitige Gerichtsstandsfrage
ist somit keine solche des kantonalen Strafprozessrechts, die
der bundesgerichtlichen Kognition nur aus dem von der Rekurrentin
geltend gemachten Gesichtspunkte der Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV unterstehen
würde. Massgebend für ihre Beantwortung sind vielmehr ausschliesslich
die erwähnten bundesgesetz-lichen Vorschriften, über deren Anwendung
das Bundesgericht als Staatsgerichtshof nach Art. 52 LMPG direkt zu
befinden hat. Und zwar sind diese Vorschriften schon von Amtes wegen,
trotzdem die Rekurrentin sie nicht angerufen hat. zu berücksichtigen, da
es sich im vorliegenden Falle d e r Sache n ach um einen interkantonalen
Kompetenzkonflikt handelt, den als solchen der Bundesstaatsgerichtshof
unabhängig von den Recht sauflassungen der Parteien zu entscheiden berufen
ist, Dabei fällt in Betracht: Nach Art. 50 LMPG hat die strafrechtliche
Verfolgung der Lehensmittelpolizeivergehen entweder am Orte, wo das
Vergehen begangen worden ist, oder am Wohnozt des Angeschuldigteu zu
erfolgen; in keinem Falle dürfen für das gleiche Veigehen mehrere
strafrechtlicheVerfolgungen eintreten , sondern das Verfahren ist an
dem Orte durchzuführen, an welchem es zuerst eröffnet wurde , wobei
Gehülfen und Begünstiger stets in das Verfahren gegen den Haupturheher
mit einzubeziehen sind. Diese Einheit des Verfahrens wird anschliessend,
in Ari. 51, speziell bei interk a n t o n ale r Zuständigkeitskonkui'renz
ausdrücklich vorgesehen sowohl für den Fall der Mittäterschait (wenn ein
Vergehen in mehreren Kantonen begangen worden ist, hinsichtlich aller
Mitschuldigen : Abs. 1), als auch für den Fall der Vergehenskonnexität
(wenn ein Täter mehrere zusammenhängende Delikte in verschiedenen
Kantonen verübt hat: Ab. 2). Dagegen erwähnt das Gesetz nicht besonders
den hier gegebenen Fall, in wel-Gerichtsstand. N° 44. 313

chem ein Vergehen von einem Täter in der Weise begangen werden ist,
dass sich die strafbare Tätigkeit im Gebiete mehr als eines Kantons
abgespielt hat. Nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 50 darf
jedoch auch in diesem Falle nur ein e Strafverfolgung eintreten.
Schwierigkeiten bietet bei solchen Tatbeständen lediglich die
Bestimmung des Begehungsortes, indem es sich fragen kann, ob dieser
nur an ein em der durch die strafbare Tätigkeit berührten Orte etwa
an demjenigen der Haupttätigkeit oder überall da anzunehmen sei, wo
irgend ein Merkmal des straftatbestandes verwirklicht worden ist. Als
Begehungsort aber kommt nach der Natur der Zuwiderhandlungen gegen
die Lebensmittelpolizeivorschriften über den Verkehr mit Wein, weil
diese Vorschriften zum Schutze der Konsumenten aufgestellt sind, vorab
der Ort in Betracht, an den der Wein zum (unmittelbaren oder bloss
mittelbaren) Konsum geliefert worden ist. Folglich muss vorliegend
in jedem Falle nach den beiden erwähnten Auffassungen _ Göschenen,
wohin die beanstandeten 'eine, zu dortiger Verwendung für den Konsum,
unter angeblich vorschriftswidriger Bezeichnung geliefert worden sind,
als Begehungsort angesehen und aus diesem Gesichtspunkte allerdings
die Zuständigkeit der Urner Behörden zur Strafverfolgung als an sich
gegeben anerkannt. werden. Allein die gleiche Zuständigkeit auch der
thurgauischen Strafbehörden steht schon im Hinblick auf den Sitz der
Rekurreniin und Wohnort ihrer Teilhaber in Kreuzlingen {also auch wenn
daselbst, wo die angebfich verschriftswidrige Bezeichnung und Fakturierung
der beanst anderen Weine stattgefunden hat, deswegen kein Begehungsort
anzunehmen wäre) ausser Frage. Gemäss Art. 50 LMPG entscheidet somit über
die Berechtigung zur An süb u n g dieser Zustän-digkeit die Priorität
der Untersuchungseröfinung. In dieser Hinsicht steht aktenmässig fest,
dass, während die das Urner Strafverfahren gegenüber der Rekurrentin
einleitende Untersuchungsmassnahme erst von Anfangs

314 Staatsrecht.

Februar 1915 datiert, im Kanton Thurgau schon seit Mitte Dezember 1914
eine den Weinhandel jener betreffende allgemeine Strafuntersuchung
schwebt. Diese umfasst zwar, laut Mitteilung des Verhörrichters,
die den Gegenstand des Verfahrens im Kanton Uri bildende Göschener
Weinheferung als solche nicht ; doch darf nach ihrer, vom Verhörrichter
bestätigten Ausdehnung auf das gesamte Weinlager in Kreuzlingen, wobei
dessen sämtliche Hanauer und Waadtländer Weine wegen unrichtiger
Herkunftsbezeichnung oder als nicht rein gehalten (Kunstweine)
beanstandet worden sind, unbedenklich angenommen werden, dass die in
Göschenen erfolgten Beanstandungen dem Vergehenstatbestande nach -weil
auch in Kreuzlingen noch vorhandene Weine betreffend darin inbegriffen
sind. Bei dieser Sachlage aber geht es schlechterdings nicht an,
mit Bezug hierauf den Urner Behörden die Priorität der Strafverfolgung
zuzuerkennen. Es'kann sich fragen, ob nicht schon durch den gesetzlichen
Vergehensbegriff des in Verkehrbringens sämtliche Lieferungen eines
bestimmten, den Art. 172 oder 173 der bundesrätlichen Verordnung
vom 8. Mai 1914 nicht entsprechenden Weines, obschon jede derselben
alle Merkmale des betreffenden Vergeh'ens aufweist, gleichwohl zu
einem einheitlichen, am Versendungsoder an einem der verschiedenen
Lieferungsorte insgesamt zu beurteilenden Straftatbestande, also
zu einem Vergehen im" Sinne des Art. 51 Abs. 1 LMPG, zusammengefasst
werden. (Vergl. zu der dem Art. 50 des Gesetzes entsprechenden Bestimmung
des nationalrätlichen Kommissionsentwurfes Art. 33 das Votum Gottofrey,
der unter den Tatbestand des Art. 51 Abs. 1 des damaligen Art. 33 bis
ausdrücklich auch diesen Fall subsumiert hat : Amt]. Stenogr. Bulletin
der Bundesversammlung, 1904, S. 89/90.) Unzweifelhaft aber ergibt
sich die Vorschrift einheitlicher Beurteilung solcher Einzelvergehen
aus Art. 51 Abs. 2LMPG; denn zufolge der Gleichartigkeit ihres
GegenstandesGerichtsstand. N° 44. 315

(Wein des gleichen Vorrates) erscheinen dieselben als Zusammenhänge-nd
im Sinne dieser Gesetzesbestimmung. Deshalb muss die erste
Untersuchungseröffnung hinsichtlich dieses Vergehenstatbestandes die
Priorität für die Gesamtheit der feststellbaren einzelnen Vergehen
begründen, also die Attraktion der Zuständigkeit auch für diejenigen
Einzelvergehen bewirken, welche nachträglich anderweitig zuerst erfasst
werden, da anders ja der Wille des Gesetzes, mehrfache Bestrafungen für
zusammenhängende Vergehen auszuschliessen, nicht verwirklicht Würde.

Erweist sich demnach vorliegend die Durchführung des besonderen
Strafverfahrens im Kanton Uri neben dem früher eröfineten allgemeinen
Strafverfahren des Kantons Thurgau als bundesrechtlich nicht statthaft,
so muss das angefochtene Kontumazialurteil des Kreis-, gerichts
Uri, und zwar in allen seinen Wirkungen nicht etwa nur hinsichtlich
seiner Vollstreckbarkeit ausserhalb des Kantons Uri aufgehoben und die
Beurteilung des ihm zu Grunde liegenden Tatbestandes den thurgauischen
Strafbehörden überwiesen werden.

Demnach hat das Bundesgericht c r k an n t :

Der Rekurs wird dahin begründet erklärt, dass das Kontumazialurteil des
Kreisgerlchts Uri vom 3. Mai 1915 aufgehoben und der Regierungsrat des
Kantons Uri eingeladen wird, die Strafanzeige der Urschweizerischen
Lebensmittel-Untersuchungsanstalt Brunnen gegen die Rekurrentin vom
8. März 1915 dem Verhörrichter des Kantons Thurgau in Frauenfeld zu
überweisen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 41 I 306
Date : 30. September 1915
Published : 31. Dezember 1915
Source : Bundesgericht
Status : 41 I 306
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 308 Staatsrecht. Parces motifs, le Tribunal federal prononee: Le recOurs est admis,


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