· 178 Staatsrccht.
_Art. 4 BV nicht haltbar ist ; er widerspricht denn auch
unhestrittenermassen der in verschiedenen st. gallischen Gemeinden
eingelebten Wahlpraxis.
2. Im Sinne der vorstehenden Erwägung erweist sich die von den
Reknrrenten Schwarz und Mitbeteiligten seinerzeit beim Regierungsrat
erhobene Beschwerde, soweit sie die grundsätzliche Art der Feststellung
des Wahlergebnisses durch das Wahlbureau betraf, als unbegründet. Und
die jener Erwägung entsprechende Aufhebung des Regierungsratsbeschlusses
vom 21. Mai 1915 entzieht der staatsrechtlichen Beschwerde der gleichen
Rekurrenten die Grundlage, sodass hierauf nicht weiter einzutreten
ist. Dagegen erledigt sich mit diesem Urteil immerhin endgültig nur die
Anfechtung der beiden Wahlen A. Bauers, während es mit Bezug auf die
ebenfalls angefochtene Wahl G. Brunners dem Regierungsrate vorbehalten
bleibt, nunmehr noch darüber zu entscheiden, ob Brunner am 25. April 1915
das nach Art des Wahlhnreaus ziffermàssig richtig ermittelte absolute Mehr
der Stimmen erreicht hat oder aber mangels dieser Voraussetzung entgegen
dem Befunde des Wahlbureaus. als nicht gewählt erklärt werden muss.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs von Dr. Lutz-Müller und Mitbeteiligten wird für begründet
erklärt und in Aufhebung des Beschlusses des st. gallischen
Regierungsrates vom 21.Mai 1915 die Beschwerde von F. Schwarz und
Mitbeteiligten gegen die Feststellung des Ergebnisses der Rapperswiler
Gemeindewahlen vom 25. April 1915 durch das Wahlbureau abgewiesen.
Damit fällt der Rekurs von F. Schwarz und Mitbeteiligten an das
Bundesgericht dahin.
WVerbot der Doppelbesteuerung. N° 24. 179
III. VERBOT DER DOPPELBESTEUERUNG
INTERDICTION DE LA DOUBLE IMPOSITION
24. Urteil vom 24. März 1915 i. S. Spring gegen Solothurn eventuell Bern.
Liegenschaften unterstehen nicht nur hinsichtlich ihres Wertes,
sondern auch hinsichtlich des daraus fliessenden Einkommens (Ertrages)
ausschliesslich derSteuerhoheit des Kantons, in dem sie gelegen sind.
A. Der Rekurrent Friedrich Spring ist Eigentümer des Hofgutes
Niederhuggerwald , das zum grösseren Teil in der solothurnischen Gemeinde
Klein-Lützel, zum anderen in den angrenzenden bernischen Gemeinden
Liesberg und Röschenz liegt. Er bezahlt für die auf bernischem
Gebiet gelegenen Grundstücke im Kanton Bern die Vermögenssteuer
(Grundsteuer). Für das Jahr 1914 hat ihn überdies die Gemeinde
Klein-Lützel für den Ertrag dieser Grundstücke zur Einkommens-(Ertrags)
Steuer herangezogen. Einen von Spring hiegegen erhobenen Rekurs wies
der Regierungsrat des Kantons Solothurn am 31. Dezember 1914 mit der
Begründung ab :
Wenn ein steuerpkl chtiger ausserhalb der Wohngemeinde Liegenschaften
besitzt, schuldet er die Ve r m ü g e n s s t e u e r zweifellos der
Gemeinde, wo die Grundstücke li e g e n. Anders verhält es sich mit
dem Ertrag dieser Liegenschaften, sei es, dass sie vom Eigentümer
selber bewirtschaftet werden oder dass sie verpachtet sind. Der Ertrag
unterliegt ebenso unzweifelhaft der Einkommenssteuer der Wohn gemeinde
und zwar gleichgültig, ob diese Liegen schaften in einer andern Gemeinde
des Kantons oder in einem andern Kanten liegen.
Eine Einkommensteuer könnte nach allgemeinen
1 80 staatsrecht-
Steuergrundsätzen und auch nach konstanter Praxis des Bundesgerichts
am Ort der gelegenen Sache nur dann gefordert werden, wenn daselbst
ein selbständiger Betrieb stattfindet, der ein besonderes Steuerdomizil
begründen würde. Das trifft aber nicht zu, wenn Liegen schaften in einer
Nachbargemeinde gemeinsam mit dem diesseitigen genutzt werden.
Wenn der Kanton Bern den Rekurrenten für den Liegensehakteuertrag
mit E i n k o m m e n s s t e u e r belegt, obschon er dort weder ein
allgemeines Domizil noch ein besonderes steuerdemizil hat, hat sich
der Rekurrent bei den bernischen Instanzen dagegen zu beschweren. Der
Kanton Solothurn muss an seinem Einkommenssteueransprueh festhalten.
B. Gegen diesen Entscheid hat Spring die staatsrechtliche Beschwerde
an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage, es sei in Aufhebung
desselben die Gemeinde Klei'n-Lützel anzuweisen, die in den Gemeinden
Liesherg und Preschen-gelegenen Liegenschaften vom Einkommensbezw.
Ertragssteuerregister zu streichen. Er macht geltend, dass die
Steuerhoheit in Bezug auf Liegenschaften einzig dem Kanton zustehe,
in denen sie gelegen seien, und dass dieser Grundsatz nicht nur für
die Vermögenssondern auch für die Einkommenssteuer bezw. Ertragssteucr
gelten müsse. Die Besteuerung durch die Gemeinde Kiein Lützel bedeute
demnach eine unzulässige Doppelbesteuerung.
C. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat aus-f Abweisung des
Rekurses ungetragen und den Erwägungen seines Entscheides beigefügt : Die
Belegung des Ertrages auswärtiger Grundstücke mit der Einkommens--steuer
stehe mit dem Grundsatz, dass die Steuerhoheit über den Grundbesitz
dem Kanten der gelegenen Sache zukomme,nieht in Widerspruch : denn die
Einkommenssteuer sei keine Grundsteuer. Die lex rei silae könne sich in
steuersachen nur auf die Vermögensoder eigentliche Grundsteuer beziehen,
nicht auf die Einkommenssteuer.Verbot der Doppelbesteuerung N° 2 1. 181
Eine andere Regelung würde das Steuerrecht des Wohnsitzkantons vielfach
illusorisch machen und. zu Unbilligkeiten führen. .-
D. Der Regierungsrat von Bern hat sich dem Antrage des Rekurrenten,
dieser sei von der Pflicht zur Entrichtung der Einkommenssteuer für
die streitigen Grundstücke im Kanton Solothurn zu befreien, und der
Begründung dieses Antrags durch den Rekurrenten angeschlossen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
Die Frage, wo das Einkommen bezw. der Ertrag aus Liegenschaften
zu versteuern sei, ist vom Bundesgericht bereits in dem Entscheide
in Sachen Rätzer gegen Thurgau vom 3. Juni 1903 (AS 29 I S. 143
li.) beurteilt und zu Gunsten des Kantons der gelegenen Sache beantwortet
werden. Es hat damals ausgeführt : es sei ein feststehender Grundsatz
der bundesgerichtlichen Praxis, dass Liegenschaften der Steuerhoheit
desjenigen Kantons unterliegen in dem sie sich befinden. Die Frage, ob
in der Erhebung der Einkommenssteuer für den Liegenschaftsertrag eine
Besteuerung der Liegenschaft liege, sei zu bejahen. Die Liegenschaften
würden, wie übrigens alle Vermögensobjekte, regelmässig nach dem Wert
oder nach dem Ertrag besteuert. Entweder werde der Wert (Verkehrs ,
Verkaufswert u. s. w.) der Besteuerung zu Grunde gelegt oder diese
erfolge nach Massgabe des Durchschnittsertrages, den der Besitzer aus
der Liegenschaft ziehe oder ziehen könnte. in beiden Fällen, ob nun der
Pflichtige den Wert der Liegenschaft oder ihren Ertrag zu versteuern
habe, sei das Steuerobjekt identisch, nur die Art der Berechnung sei
verschieden. Es liege daher Doppelbesteuerung vor, wenn gleichzeitig
der Wert und der Ertrag einer Liegenschaft Versteuert werden müsse. Im
nämlichen Sinne hat sich das Bundesgericht in dem späteren Urteile in
Sachen Brasserie Beauregard gegen Freiburg (AS 32 l s. 276 k-
182 Staatsrecht.
E. 3) ausgesprochen und neuerdings erklärt, dass Liegenschaften
sowohl hinsichtlich ihres Wertes als ihres Ertrages ausschliesslich
der Steuerhoheit des Kantons, in dem sie liegen, unterworfen seien,
auch dann, wenn der Eigentümer in einem anderen Kanton wohne.
An dieser Praxis und den ihr zu Grunde liegenden Erwägungen, gegen
die der Regierungsrat von Solothurn nichts Stichhaltiges vorgebracht
hat, ist festzuhalten. Sie entspricht auch dem Standpunkt, der bei
den Vorarbeiten für eine gesetzliche Regelung der Materie und den
bezügl chen Beratungen stets eingenommen werden ist (vgl. Botschaften
des Bundesrates vom 26. November 1862, Bbl. 1862 III S. 519, und vom
6. März 1885, Bbl. 1885 I. S. 547, SPEISER, Referat über die Grundzüge
eines Bundesgesetzes betr. die Doppelbesteuerung in den Verhandlungen
des Schweiz. Juristenvereins 1902 S. 66 und den dazu gehörigen Entwurf
ebenda S. 80 Art. 4, BLUMENSTEIN, Gutachten betr. die' bundesgesetzliche
Regelung des Doppelbesteuerungsverbotes S. 82 und den dazu gehörigen
Entwurf Art. 11 sowie die hier enthaltenen weiteren Zitate).
Dass der Kanton Bern vom Rekurrenten keine Einkommenssteuer, sondern nur
die Grundsteuer erhebt, ist unerheblich. Eine Verletzung. des Verbots der
Doppelbesteuerung liegt nach feststehender Praxis schon dann vor, wenn
ein Kanton unberechtigter Weise in die Steuerhoheit eines anderen Kantons
eingreift. Darauf, ob und inwieweit der zur Besteuerung berechtigte
Kanton von seiner Befugnis tatsächlich Gebrauch macht, kommt nichts an.
Der Reknrs erweist sich demnach als begründet.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt: '
Der Rekurs wird gutgeheissen und demgemäss festgestellt, dass der Kanton
Solothurn und die GemeindeVerbot der Doppelbesteuerung. N° 25. , 188
Klein-Lützel nicht berechtigt sind, den Rekurrenten für den Ertrag seiner
im Kanton Bern gelegenen Liegenschaften zu besteuern.
25. Urteil vom 2. Juli 1915 i. S. Mühlemann gegen Standeskommission
Appenzell I. Rh.
Steuerhoheit in Bezug auf grundpfandversicherte Forderungen.
Bundesrechtswidrigkeit einer kantonalen Gesetzesvorschrift, wonach
die Steuer zwar als sog. Grundsteuer für den vollen Grundstückwert
vom _Grundeigentümer erhoben, diesem aber das Recht eingeräumt wird,
einen der-hypothekarischen Belastung des Grundstücks entsprechenden
Teil des bezahlten Betrages bei Entrichtung des Hypothekarzinses
abzuziehen, bezw. mit dem Zins zu verrechnen. Voraussetzungen für den
staatsrechtlichen Rekurs wegen Doppelbesteuerung gegen die Geltendmachung
des fraglichen Abzugsrechts durch den Schuldner. Rekursfähige kantonale
Verfügung ?
A. Der Rekurrent A. Mühlemann, Buehdrucker in Basel, ist Inhaber eines
vom 30. Dezember 1911 datierten Schuldbriefes '(Zeddels) über 2000 Fr.,
verzinslich zu4 %% auf 15. Juni jeden Jahres, haftend auf dem Hause N°
IB mit Hofstatt und Garten an der Gaiserstrasse in Appenzell. Da der
Zins per 15. Juni 1914 bei Verfall nicht bezahlt wurde, leitete er für
dessen Betrag (4 % % von 2000 = 90 Fr.) gegen den Pfandeigentümer
und Briefschuldner Hermann Broger Betreibung ein. Broger erhob
gegen den Zahlungsbefehl keinen Rechtsverschlag. Zufolge gestellten
Verwertungs-begehrens kam es zur Verwertung des Unterpfandes. Mit
Schreiben vom 28. November 1914 teilte darauf das Betreibungsamt Appenzell
dem Rekurrenten mit, dass sich bei der erfolglos verlaufenen ersten Gant
vom 25. November 1914 eine Unsicherheit betr. seiner Zinsguthaben ergeben
habe (Mühlemann hatte den Broger ausser für den vorerwähnten Zins auch