390 Obligationenrecht. N° 68.

68. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juni 1914 i. S. Lammleth &
Comet-, Klägerin, gegen Schcnlam, Beklagten.

A g e n t u r v e r t r a g. Oertliche Rechtsanwendung. Umfang des
Provisionsanspruches des Agenten.

A. Mit Urteil vom 16. April 1914 hat das Handelsgericht des Kantons
Aargau über das Klagebegehren :

Es sei der Beklagte zur Zahlung von 5388 Fr. 45 Cts. nebst Zins Zu 5 %
seit 20. Juni 1910, eventuell seit dem Tag der Einbringung der Klage
zu verurteilen,

erkannt :

Die Klage ist abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil, das den Parteien am 6. Mai 1914 zugestellt wurde,
hat die Klägerin rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht erklärt,
mit dem Antrag auf Aufhebung und auf Gutheissung der Klage.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

l. Am 20. Oktober 1895 schlossen die Rechtsvorgänger des Beklagten,
Gebrüder Schonlau, Cellulosefabrik in Kaiseraugst, mit der Klägerin einen
Vertrag ab, wodurch sie der Klägerin ihre Generalvertretung in Frankreich
übertrugen und ihr auf allen direkten und indirekten Ge-schäften eine
Provision von 2 % der Fakturabeträge zusicherten. Das Verhältnis dauerte
zirka 15 Jahre lang. Auf Ende jedes Kalenderhalbjahres wurde zwischen
den Parteien abgerechnet und der Klägerin die geschuldete Provision
ausbezahlt. Es ergaben sich dabei nach den Akten niemals Anstände. Als
aber im Jahre 1910 das Verhältnis gelöst wurde, machte die Klägerin
eine Provisionsforderung von insgesamt. 5388 Fr. 45 Cts. geltend. Sie
begründete die Forderung damit, dass vier Abschlüsse, nämlich zwei mit
der Société des Usines Berges, Lancey, einer mit den Usines de Rioupéroux
und einer mit F. Peyron & Cie, Vizille, alle aus den Jahren 1907 und
1908,Obligationenrecht. N° 68. ' 391

vom Beklagten nachträglich annulliert worden seien ; sie habe trotzdem
Anspruch auf die entsprechende Provision, ebensowohl wie für die
Geschäfte, die voll abgewickelt worden seien. Die Abschlüsse mit den
Usines Berges waren tatsächlich am 4. März 1908 annulliert werden und in
der Semesterabrechnung auf 30. Juni 1908 nicht enthalten, ohne dass die
Klägerin s. Zt. dagegen protestierte. Der Beklagte bestritt die Forderung
von 5388 Fr. 45Cts. mit der Begründung, dass er die Provision nur auf

,dem Kaufpreis der wirklich fakturierten und gelieferten

Ware schulde; das ergebe sich schon aus dem Verträge, ferner aus den
gesetzlichen Vorschriften über den Kernmissionsvertrag ; endlich habe
die Klägerin auf die Pro-

vision für die annullierten Abschlüsse Berges verzichtet.

Am 20. Juni 1910 hat die Klägerin ihren Anspruch vor dem Handelsgericht
in Antwerpen eingeklagt und am 13. August 1913 hat sie den Beklagten vor
dem aargauischen Handelsgeiicht belangt. Dieses hat die Klage in vollem
Umfange abgewiesen.

2 Es fragt sich zunächst, welches Recht der Entscheidung zu Grunde zu
legen ist. An sich könnte die Anwendung schweizerischen, französischen
und belgischen Rechtes in Frage kommen. Massgebend ist der mutmassliche
übereinstimmende Wille der Parteien beim Abschluss des Vertrages, wie er
sich sus den Umständen des Falles ergibt. Wenn nun auch Frankreich das
vertragliche Wirkungsfeld für die Klägerin war, indem sie die Waren des
Beklagten daselbst absetzen musste, so fällt doch für das Rechtsverhältnis
zwischen der Klägerin und dem B e kl a gt en , das einzig Gegenstand des
Prozesses bildet, für Umfang und Entstehung des Provisionsanspruches
der Klägerin, das französische Recht ausser Betracht. Es liegen keine
besonderen Verhältnisse vor, welche'die Anwendung eines andern Rechtes
als des schweizerischen, des jus fori, rechtfertigen würden, wie denn auch
die Parteien sich sowohl vor der kantonalen Instanz als vor Bundesgericht
übereinstimmend auf dieses

AS 4011 19'Îà 27

392 Obligationen-sehtN° 68.

Recht berufen haben. Die Vorinstanz hat daher mit Recht eidgenössisches
Recht zur Anwendung gebracht und zwar das alte OR, da der Vertrag unter
dessen Herrschaft abgeschlossen wurde.

3. In der Sache selber ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass
ein Agenturvertrag vorliegt, d. h. ein Vertrag, wonach jemand für das
Handelsgewerbe eines

. andern dauernd Geschäfte vermittelt oder abschliesst, ohne dass
er in einem Dienstverhältnis zu ihm stünde. Denn die Klägerin hat die
Geschäfte für den Beklagten nicht, wie ein Kommissionär, in eigenem Namen
abgeschlossen, sondern im Namen des Beklagten. In Ermangelung heisonderer
Vorschriften sind jedoch für die Beurteilung des Agenturvertrages nach
schweizerischem Recht im allgemeinen die Bestimmungen über die Kommission
analog zur Anwendung zu bringen.

Der Vertrag, auf den in erster Linie abzustellen ist, lässt einen
sichern Schluss auf den Parteiwillen hinsichtlich des Umfanges und
der Entstehung des Provisionsanspruches der Klägerin nicht zu. Die
Worte pour une commission de 2 % sur le montant des factures et
sur toutes les affaires directes ou indireetes que vous traiterez en
France sprechenfreilich eher dafür, dass der Beklagte der Klägerin die
Provision nur für die tatsächlich zur Ausführung gelangten Geschäfte
schuldete. Allein die Parteien gingen offenbar von der Voraussetzung
aus, dass die perfekt'gewordenen Geschäfte sich normal abwickeln würden;
eine ausdrückliche Bestimmung für den Fall, dass ein Geschäft zwar zur
Perfektion, nicht aber zur Abwicklung gelangen sollte, und insbesondere
der bewusste Ausschluss der Provision für den Fall, dass ein Geschäft aus
einem in der Person des Geschäftsherrn liegenden Grunde nicht ausgeführt
wurde, sind im Vertrag nicht enthalten.

Wenn aber nicht schon das ganze Vertragsverhältnis darauf beruht, dass
die Provision nicht von den Abschlü ss e n berechnet werden solle,
sondern dass auf dieobligationenrecht. N° 68. seh

tatsächlich zur Ablieferung gelangten Warensendungen abzustellen sei, so
ergibt'sich diese Willensmeinung der Parteien aus ihrem spätern Verhalten,
aus der Art und Weise der Abwicklung des Vertrages. Es steht fest, dass
die Abschlüsse mit den Usines Berges am 4. März 1908 annulliert worden
sind und dass die Klägerin, trotzdem ihr die Annullierung bekannt war,
die Semesterabrec'hnung auf 30. Juni 1908, in der die Provision auf den
annullierten Abschlüssen nicht enthalten war, stillschweigend anerkannt
hat. Der Einwand, dass die Semesterabrechnungen nicht zur Berechnung der
Provision dienen sollten, sondern nur zur Orientierung der Klägerin über
die Geschäfte, an denen sie interessiert war, geht offensichtlich fehl;
es ist nicht erfindlich, welchen andern Zweek jene Abrechnungen hätten
erfüllen sollen als die Feststellung der Provisionsansprüche der Klägerin.
Auch auf den andern annnllierten Abschlüssen mit den Usines de Rioupéroux
und F. Peyron & Cie hat die Klägerin die Provision erst im Jahre 1910
verlangt, in dem der zwischen den Parteien bestehende Agenturvertrag
aufgelöst wurde. Während der Vertragsdauer von vollen 15 Jahren hatten
sich nach dieser Richtung nie Anstände ergeben. Aus diesen Gründen in
Verbindung mit der bei den Akten liegenden Korrespondenz ist mit der
Vorinstanz anzunehmen, dass die Klägerin zu der Zeit, als sie mit dem
Beklagten noch auf gutem Fusse stand, selber der Meinung war, dass die
Provision nur auf den effektiv gelieferten Quantitäten zu berechnen
sei. Das führt zur Abweisung der Klage.

4. Zum nämlichen Ergebnis gelangt man unter Heranziehung der Bestimmung,
dass der Kommissionär dann provisionsberechtig't ist, wenn das Geschäft
entweder zur Ausführung gekommen oder aus einem in der Person des Kommitt
ent en liegenden Grunde nicht ausgeführt worden ist. Der zweite Teil
dieses Rechts-. satzes war zwar in Art. 440
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 440 - 1 Frachtführer ist, wer gegen Vergütung (Frachtlohn) den Transport von Sachen auszuführen übernimmt.
1    Frachtführer ist, wer gegen Vergütung (Frachtlohn) den Transport von Sachen auszuführen übernimmt.
2    Für den Frachtvertrag kommen die Vorschriften über den Auftrag zur Anwendung, soweit nicht die Bestimmungen dieses Titels etwas anderes enthalten.
des alten OR nicht enthalten ;
er war aber in Doktrin und Praxis anerkannt,

394 Ohllgationemecht. N° 68...

vgl. insbesondere das schon vom Handelsgericht zitierte Urteil des
Bundesgerichts vom 27. Februar 1903 i. S. Eisenhut gegen Rohner, BGE
29 II 104 ll ; zudem ergibt er sich aus den allgemeinen Grundsätzen
über Treu und Glauben im Verkehr. Es wäre nun, entgegen der Auffassung
der Klägerin, ihre Sache gewesen, darzutun, dass die Nichtausführung
der Geschäfte Berges, Rioupéroux und Peyron auf einen in der Person des
Beklagten liegenden Grund zurückzuführen sei. Sie hat diesen Beweis nicht
erbracht, wie schon die Vorinstanz festgestellt hat. Einerseits bilden
die eingelegten Briefe der französischen Abnehmer keinen genügenden
Beweis dafür, dass der Beklagte mangelhafte Ware geliefert hat; es sind
einseitige _Parteibehauptungen. Aus dem nämlichen Grunde Wäre die von
der Klägerin beantragte Einvernahme der Direktoren der betreffenden
Firmen nicht schlüssig; jenem Beweisantrage ist daher keine Folge zu
geben. Anderseits bestand für den Beklagten keine Pflicht, die Käufer
auf dem Prozesswege, zumal in einem fremden Staate, zur Abnahme und
Bezahlung der bestellten Ware anzuhalten. Auf das angebliche schikanöse
Vergehen der _Käufer und auf die Stellungnahme der Klägerin ist hier im
Gegensatz zur Vorinstanz nicht abzustellen.

Demnach hat das Bundesgericht

erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerlchts des
Kantons Aargau 'vom 16. April 1914 bestätigt.

Obligatlonenrecht. N° 69. s 395

69. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Juni1914 i. S. Zürcher, Kläger,
gegen Lehmann, Beklagten. '

Klage auf Erfüllung eines Kaufund Dienstbarkeitsvertrages. Mangelnde
Identität zwischen dem vom Kläger produzierten Vertrag und demjenigen
Vertrag, dessen Erfüllung er verlangt. DaherAbweisung der Klage.

A. Am 17. Juni 1912 verurkundete ein bernischer Notar einen Kauf-und
Dienstbarkeitsvertrag zwischen dem Beklagten als Verkäufer und
Dienstbarkeitsbesteller einerseits und dem Kläger als Käufer und
Dienstbetrkeitserwerber anderseits. Als Kaufobjekt wurde darin
bezeichnet: von seiner (so. des Verkäufers) Gässlimatte, Gemeinde
Kehrsatz, Grundbuchblatt N° 163, nach dem Vermessungswerk Parzelle N°
144, Blatt 11, ein Abschnitt von 3200 mi, wie solcher abgesteckt ist
und ausgemarcht werden soll, grenzend an u. s. w. Die zu errichtenden
Dienstbarkeiten wurden wie folgt bezeichnet:

a) Quellen-, Nachgrabungs, Fassungsund Fortleitungsrecht.

Der Verkäufer, für sich und seine Nachbesitzer räumt dem Käufer,
ebenfalls für sich und seine Rechtsnachfolger, zum Vorteil der heutigen
Vertragssache ein unbeschränktes dingliches Quellen-, Nachgrabungs-,
Fassungsund Fortleitungsrecht in dem ihm verbleibenden Rest der Parzelle
N° 144 ein. "

b) Materialausbeutungsrecht.

Der Verkäufer räumt dem Käufer ferner ein dingliches Recht ein in der
in obigem Rest der Parzelle 144 sich befindlichen, an das Terrain des
Käufers anstossenden Grube bis am 31. Dezember 1922, nach Belieben Kies
und Sand auszubeuten und zu verwerten gegen eine Entschädigung von einem
Franken für den m3 Material, jeweilen nach Ausbeutung von 50 m8 in bar zu
bezahlen. Vom sog. Abgangsmaterial, d. h. Abdeckung, Schutt und Steinen,
kann Fritz Zürcher unentgeltlich so viel
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Document : 40 II 390
Date : 26. Juni 1914
Published : 31. Dezember 1914
Source : Bundesgericht
Status : 40 II 390
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 390 Obligationenrecht. N° 68. 68. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juni 1914


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OR: 440
BGE-register
29-II-104
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AS 4011/19