34 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

dass die Kinder von Dissidenten nicht zur Teilnahme am Unterricht
gezwungen werden könnten, folgt noch nicht, dass diese dafür auch
keine Steuern zu bezahlen hätten. Zur Anwendung des Art. 49 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.

BV genügt es eben ganz zweifellos, dass der Unterricht überhaupt
kirchlich-konfessionelle Elemente aufweist, mögen sie auch vor den
allgemein bürgerlichen zurücktreten Art. 49 Abs. 6 zieht aber für die
Besteuerung nicht alle Konsequenzen, die sich folgerichtig aus dem
allgemeinen Prinzip der Glaubensund Gewissensfreiheit ergäben, sondern
verlangt u. a., dass die Steuer für eigentliche Kultuszwecke erhoben
werde. Hier reicht es also nicht aus, dass der Unterricht auch einen
konsessionellen Zweck verfolgt, sondern dieser konfessionelle Zweck
und Charakter müsste entweder der ausschliessliche sein oder doch zum
mindesten gegenüber dem allgemein bürgerlichen vorwiegen, was nach dem
Gesagten nicht der Fall isi.

5. Höchstens könnte sich, sofern man von jener weiten Definition
des eigentlichen Kultuszweckes ausgehen wollte, fragen, ob nicht die
Rekurrenten von dem für die Kosten des Religionsunterrichts erhobenen
Steuerbetrage mit Rücksicht auf den kirchlich-konfessionellen Einschlag
des Unterricht-s teilweise zu befreien seien. Indessen muss auch
eine solche Teilung, ganz abgesehen davon, ob sie nach der Verfassung
überhaupt zulässig wäre, abgelehnt werden. Denn es handelt sich hier
nicht um eine Einrichtung, bei der kirchlicher und bürgerlicher Nutzen,
wie etwa beim sukzessiven Gebrauche einer Sache für den einen und den
anderen Zweck, prozentual auseinandergehalten werden könnten· Vielmehr
hat die ganze Einrichtung insgesamt den einen und den anderen Charakter
und vom Standpunkte der Schule aus ist der Religionsunterricht in seiner
Gesamtheit notwendig und nützlich. Der Gedanke einer quantitativen
Teilung ist also ausgeschlossen; --

erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.

IV. Schuldverhast. N° 5. 35

IV. Schuldverhaft. Contrainte par corps.

5. genen vom 24. Januar 1913 in Sachen Zwitter gegen Obetgericht gm.

Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Ins tanz enzuges bei
Beschwerden wegen Verletzung der_Rechts gle ichheit .(A rt. 4 BV):
Stellung des urnerischen Landrates als K a ss ationslns tanz, i-m Sinne
des Art. 34 der landra'tlichen Verordnung vom 30. März 1886, gegenüber
obergertchtl ich en S t ra fu rtellen, gemäss der auf Art. 59 litt. n
urn. KV gestützten Praxis. Keine Verletzung des Grundsatzes null a
poena sine lege ; dessen Anwendung bei mangelnder Kodifikation des
Strafrechtes im betreffenden Kanton (Uri). Abschaffung des Schuldverhafts
(Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV). Die Erschöpfung des kantonalen Instansenzuges ist bei
Anruf-ung dieser Ve;'fass'ungsbestimmung nic ht erforderlich. Das Verbot
des Sehnldverhafts gilt auch für Ford erungen öffentlieh-rechtllcher
Natur, insbesondere von Prozesskosten ; es steht der urteilsmdssigen
Auflage von Stra-fpmeesskosten als Busse entgegen.

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage:

A. Durch Urteil vom 11. Mai 1912 hat das Obergericht des Kantons
Uri, in Bestätigung der Auffassung des Kriminalgerichts, den
Rekurrenten Dr. jur. Alban Müller der Unterschlagung, des Betrugs,
der Pfandunterschlagung und des leichtsinnigen Schuldenmachens schuldig
befunden und erkannt:

Dr. Alban Müller wird verurteilt:

1. Zu einer Zuchthaussirafe von 3 Jahren Unter Abzug

.der ganzen Untersuchungshaft (seit 21. Januar 1911).

2. Zur Ehrentsetzung auf die Dauer von 5 Jahren.

3. Zur Bezahlung sämtlicher Gerichts(799 Fr.)) Atzungs(keine)
und Untersuchungskosten (637 Fr. 20), als Busse zu bezahlen oder
abzuverdienen.

. 6. . . . . .

Den Tatbestand der Unterschlagung, die von Amtes wegen zu verfolgen sei,
haben die beiden Justanzen darin erblickt, dass

36 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

Müller in drei Fällen (Schilter, Müllersche Familienstiftung, Klufer)
ihm von Drittpersonen zur Ausbewahrung übergebene Wertpapiere ohne
nachgewiesene Einwilligung der Eigentümer für eigene Schuldverpflichtungen
verpfändet habe. Und der Pfandunterschlagung ist Müller schuldig erklärt
worden, weil er eine Kommanditeinlage bei der Firma Bürgisser & Cie. in
Zürich trotz vertraglicher Verpfändung eines Teilbetrages derselben zu
Gunsten der Ersparniskasse Uri in Altdorf vollständig zurückgezogen und
sie dabei nicht zur Befriedigung seiner Pfandgläubigerin verwendet habe,
so dass diese letztere um den Betrag der Pfanddeckung geschädigt worden
sei. Auf diesen Tatbestand treffe in analogiam Art. 74 des urnerischen
EG zum SchKG zu. ,

B. Gegen das vorstehende Urteil hat Müller rechtzeitig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dein Antrage,
jenes Urteil sei als gegen Art, 4 und 59 Abs. 3 BV verstossend in seinem
vollen Umfange aufzuheben, und es sei das Obergericht des Kantons Uri
einzuladen, ein neues Strafurteil

zu fällen unter Ausserachtlassung der Anklage betr. die angebliche -

Pfandunterschlagung und die drei angeblichen Unterschlagungsfälle,
sowie unter Verzicht aus die Durchführung des Schuldverhaftes betr. die
Gerichtsund Untersuchungskosten.

Jn der Rekursbegründuug wird zunächst in formeller Hinsicht betont, der
kantonale Jnftanzenzug sei erschöpft, da es gegen Obergerichtsurteile
in Strafsachen gemäss dem Justizreglement des Kantous Uri, speziell dem
Anhang dazu, kein Rechtsmittel gebe. Sodann werden zur Substantiierung
des Rekursantrages folgende Beschwerdegründe geltend gemacht:

1. Esliege eine ausnahmsweise und daher die Rechtsgleichheit verletzende
Behandlung des Rekurrenten darin, dass er wegen der angeblichen
Unterschlagungen von Amtes wegen, obschon kein Strafantrag Geschädigter
vorgelegen habe, verfolgt worden sei.

2. Eine Rechtsverweigerung und Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV bedeute ferner
die Bestrafung des Rekurrenten wegen Pfandunterschlagung, indem ihr ein
Tatbestand zu Grunde liege, der in Zürich (wo die fragliche Kommandite
behoben worden sei) hätte verfolgt oder doch jedenfalls unter Anwendung
des zürcherischen Rechts, nach welchem er nicht strafbar gewesen wäre,
hätte be-

IV. Schuldverhaft. N° 5. 37

urteilt werden müssen, während die Urner Gerichte auf das urnerische
Recht abgestellt hätten. Dabei hätten sie überdies durch die analoge
Anwendung von Art. 74 des EG zum SchKG, die überhaupt unstatthaft sei
und zudem der Begründetheit des Analogieschlusses ermangle, gegen den
Grundsatz: nulla poena sine lege verstossen.

3. Endlich ordne das Dispositiv 8 des angefochtenen Urteils, soweit es den
Rekurrenten verpflichte, die Gerichtsund Unter- suchungskosteu im Betrage
von insgesamt 1436 Fr. 20 als Busse zu bezahlen oder abzuverdienen, im
Widerspruch mit Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV einen eigentlichen Schuldverhaft an;
denn durch die Verfügung, dass die erlaufenen Kosten als Busse zu bezahlen
seien, könne der Kostenforderung natürlich nicht der Charakter eines
Geldstrafanspruchs, für den an sich jede rechtliche Grundlage fehle,
verliehen werden, da ja auf diese Weise das verfassungsmässige Verbot
des Schuldverhafts einfach umgangen werden könnte.

C. Das Obergericht des Kantons Uri hat durch die kantonale
Staatsanwaltschaft auf Abweisung des Rekurses antragen lassen. Die
Vernehmlassung bemerkt einleitend: Ob die kantonalen Jnstanzen mit dem
obergerichtlichen Entscheide durchlaufen seiensei mindestens fraglich;
denn wenn auch das Gesetz sich aus.

, schweige, so ergebe doch eine Prüfung der Praxis des Landrates,

dass diese Behörde des öftern sich als Rekursund Kassationsinstanz auch in
Strassachen erklärt habe. Immerhin werde aus die Erhebung der Einrede der
mangelnden Erschöpfung des Jnstanzenzuges verzichtet, da das Obergericht
die Beurteilung der Vorwürfe des Rekurrenten durch das Bundesgericht
wünsche. In der Sache selbst wendet sodann die Vernehmlassung speziell
der Beschwerde wegen Verletzung des Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV gegenüber wesentlich
ein: Es stehe ausser Zweifel, dass die kantonalen Gerichte befugt seien,
sofern die in Betracht fallenden Strafgesetze es gestatteten, neben der
Freiheitsftrafe eine Geldbusse als Zustrafe auszufüllen Nun beruhe aber
das urnerische Strasrecht auf Gewohnheitsrecht und Gerichtspraris, und
gemäss beständiger Praxis sälle der Richter neben der Freiheitsstrafe
noch eine Geldbusse aus. In diesem Sinne hätten die beiden Jn-

38 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

stanzen auch vorliegend eine Geldbusse ausgesprochen und für den Fall
der Nichtbezahlung ihre Verwandlung in Gefängnis angedroht. Dass diese
Busse gerade in der Höhe der Untersuchungsund Gerichtskosten angesetzt
worden sei, habe keine rechtliche Bedeutung, da der Richter mangels einer
Strafnorm die Bussen nach Belieben, auf Grund seines freien Ermessens,
ansetzen dürfe. Die Bussumwandlung verfolge nicht den Zweck, den Schuldner
durch diese Repressalie zur Zahlungsleistung zu zwingen, sondern bezwecke,
an Stelle der Geldzahlung als einzige Möglichkeit der Abbüssung der Strafe
die Haft zu setzen-C Sie qualifiziere sich daher nicht als Schuldverhaft
im Sinne von Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV, wofür zum Beweise folgende Urteile des
Bundesgerichts angerufen würden: Keller gegen Schaffhausen, Witschy
gegen Freiburg, Hübscher gegen Schafshausen (AS 5 Nr. 8, 6 Nr. 64, lli
Nr..81). Sollte übrigens das Bundesgericht gegenteilig entscheiden, so
hätte dies natürlich nur die Aufhebung des Disp. 3 des obergerichtlichen
Urteils zur Folge, und es stände dann in der Kompetenz des Obergerichts,
die Busse neu zu formulieren und auszufällen.

D. Nach Schluss des Schriftenwechsel-s hat die Staatsauwaltschaft des
Kantons Uri auf das Ansnchen des Instruktionsrichters mit Schreiben vom
30. September 1912 noch die Auskunft erteilt, unter Abverdienen einer
Busse sei nach dem urnerischen Recht die Umwandlung von Geldbussen in
Freiheitsstrafen verstanden, für die das einschlägige Landsgemeindegesetz
vom 1. Mai 1892 massgebend sei, indem die dem Beklagten auferlegten
Untersuchungsund Gerichtskosten als Geldbussen erklärt würden.

Ferner hat auf die Anfrage des Jnstruktionsrichters beim Landrate
des Kantons Uri, ob gegen ein vom Obergericht als Appellationsinstanz
gesälltes Strafurteil ein an ihn gehendes Rechtsmittel zulässig sei,
mit dem offenbare Gesetzesverletzungen gerügt werden können, der
Regierungsrat des Kantons Uri im Auftrage des Landratspräsidiums mit
Zuschrift vom 11. Januar 1913 geantwortet, der Landrat habe aus Art. 10
seines Regiementes vom 17..Juni 1889, der eigentlich nichts anderes
bedeute, als eine Bollziehungsvorschrift zu Art. 59 litt. n KV, je

w. Schuldverhaft. No 5. 39

und je seine Kompetenz zur Behandlung von Kassationsklagen in Strafsachen
hergeleitet. Zum Belege hiefür wird auf fünf, in Form von Auszügen aus
dem Landratsprotokoll vorgelegte Entscheidungen (i. S. Gemeinderat Waffen
gegen Müller-, vom 17. Oktober 1892; Fidel Dittli, vom 27. Dezember
1893; Staatsanwaltschast gegen Anton Plauen, vom 12. April 1899;
Jos. M. Planzer, vom 18. November 1890; Albin Furger, vom 28. Dezember
1891) verwiesen; --

in Erwägung-

1. Da nach feststehender Praxis die Erschöpfung des kantonalen
Justanzenzuges ein wesentliches und von Amtes wegen zu prüfendes
Erfordernis der Zulässigkeit "des staatsrechtlichen Rekurses wegen
Verletzung der Rechtsgleichheit bildet, so ist zunächst, obschon das
Obergericht hierauf nicht besteht, über die Frage der Erfüllung dieser
prozessualeu Rekursvoraussetzung zu entscheiden. Dabei fällt in Betracht:

Nach Art. 66 um. KB (vom Jahre 1888) ist das Obergericht die höchste
richterliche Behörde, der als Appellations-, wie auch als Rekursund
Kassationsinstanz strafgerichtliche Funktionen übertragen find. Allein
neben den richterlichen Behörden weist die Verfassung auch dem
Landrate, den sie zwar als die stellvertretend gesetzgebende und oberste
Verwaltungsbehörde bezeichnet, doch. insofern ebenfalls Gerichtsbarkeitvzm
als Art. 59 unter den Befugnissen des Landrates aufführt:

n. Die Beurteilung der gesetzlich zulässigen Reknrse und
Kassationsbegehren gegen Entscheide der ihm unmittelbar untergeordneten,
vollziehenden und richterlichen Behörden.

Mit Rücksicht auf diese Kompetenznorm der Verfassung hat dann das
Regletnent für den Landrat vom 17. Juni 1889 in Art. 10 Abs. 3
auch für Kassationsoder andere gesetzlich zulässige Begehren gegen
oder-gerichtliche Urteile eine Frist angesetzt. Und in Ausführung des
verfassungsmässigen Kompetenzvorbehalts ist in die Zivilprozessordnung als
§ 66 Abs. 2 unter dem Titel: Von dem Rekurs oder der Beschwerdestellung
und dem Kassationsbegehren die Bestimmung aufgenommen worden:
Beschwerdestellung gegen Entscheide des Obergerichts ist laut Verfassung
..... an Landrat zu bringen.

40 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

Dagegen fehlt eine entsprechende Gesetzesbestiminung auf dem Gebiete des
Strafprozesses, der im Kanton Uri überhaupt keine eigentliche Kodifikation
erfahren hat, sondern bloss in einer vom Landrat am 30. März 1886 als
Anhang zum landrätlichen Neglement für die Justizbehörden des Kantons,
vom 12. März 1886, erlassenen Verordnung geregelt ist, die den Titel
Besondere Grundsätze über das Strafrechtsverfahren trägt. Denn darin
findet sich im Abschnitt Von der Appellation", neben dem Regierungsrat
als Instanz für Beschwerden des im Unterfuch befindlichen Beklagten
wegen ungebührrlicher, gesetzund ordnungswidriger Behandlung von Seite
der Untersuchungsbehörden ( Art. 80), nur das Kantonsgericht (das heutige
Obergericht) als Appellations-, sowie als Revisionsund Kasfationsinstanz
(Art. 29 und 31) erwähnt, wobei Art. 34 u. a. als Kassationsgrund nennt:
2. Wenn die Gesetze oder gesetzlichen Normen unzweifelhaft verletzt
worden sind ..... Nun ist aber zu beachten, dass in der frühem KV
(von 1850/51), unter deren Herrschaft die landrätliche Verordnung über
das Strafrechisverfahren entstanden ist, dem Landrate die in Art. 59
litt. n KV von 1888 vorgesehenen gerichtlichen Funktionen noch nicht
eingeräumt waren, indem damals § 47 den Landrat zwar als kompetenten
GesetzesJnterpretator bezeichnete, der in vorkommenden Fällen die Gesetze
auszulegen oder durch zweckmässige Zusätze und Verordnungen zu erläutern
habe, aber mit dem ausdrücklichen Zusätze: jedoch nicht in Anwendung auf
einen einzelnen bereits vor den ,;Gerichten anhängig gemachten Rechtsfall,
und § 48 ihm demgemäss nur die administrative Oberaufsicht über das
Kantons: gericht, ohne Erwähnung einer Kompetenz zur Behandlung von
Revisionsoder Kassationsbegehren gegen letztinstanzliche Gerichtsnrteile,
zuwies. Das Schweigen der landrätlichen Verordnung vom Jahre 1886 über
strafgerichtliche Befugnisse des Landrates beweist daher nichts für die
heutige Rechtslage; vielmehr bleibt zu deren Klarstellung noch zu prüfen,
ob dem Landrate nicht seither auf Grund des Art. 59 litt. n der neuen
Verfassung die darin vorbehaltenen Kompetenzen auch in Strafsachen trotz
dem Fehlen eines bezüglichen Gesetzeserlasses faktisch zuerkannt worden
sind. Denn angesichts der Mangelhaftigkeit der urnerischen Straf-

IV. Schuldverhaft. N° 5. ' 41

juftizgesetzgebung ist aus dem Ausdruck gesetzlic) zulässige Rekurse
und Kassationsbegehren in Art. 59 litt. n KV wohl nicht auf das
Erfordernis einer geschriebenen Gesetzesnorm, im Gegensatze zum
blossen Gewohnheitsrecht, zu schliessen, sondern es muss danach auch
eine durch die Praxis eingeführte Betätigung ' der verfassungsmässig
vorbehaltenen Funktionen als genügende Kompetenzgrundlage angesehen
werden. Der Bestand einer solchen Praxis aber ist durch den Fakt. D
oben erwähnten Amtsbericht des Regierungsrates ausgewiesen. Unter den
diesem Berichte beigelegten Entscheidungen des Landrates finden sich
nämlich drei i. S. Gemeinderat Waffen gegen Müller, Staatsanwaltschaft
gegen Plauen und Jos. M. Planzer -, bei deren Erlass der Landrat in der
Tat als Kassationsinstanz gegenüber obergerichtlichen Strafurteilen
geamtet und dabei im Falle Staatsanwaltschaft gegen Planzer seine
Urteilskompetenz ausdrücklich aus Art. 59 litt. n KV abgeleitet hat
(während allerdings die beiden Entscheidungen i. S. Dittli und Furger
ausser Betracht fallen, da die erstere eine Kostenforderung betrifft,
deren strafrechtlicher Charakter aus der vorliegenden Protokollierung
nicht ersichtlich ist, und die letztere eine Kassationsbeschwerde gegen
eine reg ierun g srätlich e Schlussnahme zum Gegenstande hat). Dieser
Praxis des Landrates lässt sich die rechtliche Erheblichkeit im Sinne
des Kompetenzvorbehalts von Art. 59 litt. n KV um so weniger absprechen,
als nach Art. 59 litt. f KV der Landrat selbst auch zum formellen Erlass
einer Strafprozessordnung kompetent isf.

Was sodann den Umfang der so begründeten Kassationss kognition des
Landrates betrifft, hat sich diese Behörde in den drei angeführten
Präjudizien allerdings nur mit der Beurteilung form eller Verstösse
befasst. Allein es kann keinem Zweifel unterliegen, dass für ihren
Kompetenzbereich Art. 34 der als Anhang zum Justizreglement erlassenen
landrätlichen Verordnung vom 30. März 1886 massgebend ist. Denn darin
sind, nach dem Zwecke des ganzen Erlasses: die Ordnung der für die
Rechtspflege im übrigen nicht geltenden besonderen Grundsätze über
das Strafrechtsverfahren aufzustellen, die ftrafprozessualen Revi-
sionsund Kassationsgründe offenbar allgemein, für das Revisionsund
Kassationsverfahren im Strafprozesse über-

42 A. Staatsrechtlîche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

haupt, normiert. Auch für den Landrat als strafgerichtliche
Kassationsinstanz gilt also, gemäss Art. 34 Ziffer 2 jener Verordnung, der
Kassationsgrund unzweifelhafter Verletzung der Gesetze oder gesetzlichen
Formen, der auch die offenkundige Verletzung des materiellen Rechts in
sich schliesst.

Unter diesen Kassationsgrund fallen nun aber die vorliegenden
Beschwerden des Rekurrenten über die Verfolgung der ihm zur Last gelegten
Unterschlagungen von Amtes wegen und über seine Bestrafung wegen der
angeblichen Pfandunterschlagung in Anwendung des urnerischen Rechts und
speziell nach Analogie des Art. 74 urn. EG z. SchKG, soweit sie sich
auf Verletzung der Garantie der Rechtsgleichheit und Rechtsverweigerung
gründen; denn insoweit liegt darin unbestreitbar der Vorwurf willkürlicher
Missachtung massgebender Strafrechtsnormen. Es kann somit auf den Rekurs
in diesem Umfange mangels Erschöpfung des kantonalen Jnstanzenzuges
nicht eingetreten werden.

2. Dagegen schliesst dieser Mangel die Zulassung des Rekurfes nicht aus,
soweit der Rekurrent sich wegen der analogen Anwendung des Art. 74 um. EG
z. SchKG neben der Berufung auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV auch noch über Verletzung
des Grundsatzes-:

nulla poena sine lege beschwert. Diese Beschwerdelsentbehrt je.

doch der Begründung. Die Verfassung desKantons Uri enthält keine besondere
Bestimmung des Inhalts, dass niemand für eine Handlung bestraft werden
dürfe, die nicht durch eine positive Rechtssatzung mit Strafe bedroht
sei. Eine solche Bestimmung wäre denn auch nicht vereinbar mit der
Tatsache, dass das urnerische Strafrecht in der Hauptsache gar nicht
kodifiziert ist, sondern auf ungeschriebenem Gewohnheitsrecht beruht
(vergl. hierüber schon AS 19 Nr. 17 Erw. 2 S. 103). Wollte aber jener
Grundsatz in Anpassung an diese urnerischen Rechtsverhältnisse in dem
weitern Sinne aufgefasst werden, dass nur solche Handlungen nicht strafbar
seien, die nicht unter das überlieferte und allgemein gehandhabte,
wenn-auch nicht gesetzlich festgelegte, Strafrecht bezogen werden könnten,
so würde er einfach mit dem allgemeinen Postulate der Rechtsgleichheit,
nach welchem ein Tatbestand nicht mit Strafe belegt werden darf, der
nach den vernünftigen Grenzen des strafbaren Unrechts schlechterdings
nicht strafbar sein kann,lV. Schuldverhafi. N° 5. 43

zusammenfallen, und es könnte seine angebliche Verletzung dann nicht als
selbstä ndig e r Rekursgrund in Betracht kommen. Immerhin mag im Sinne
dieser Auffassung bemerkt sein, dass danach die Bestrafung des Rekurrenten
wohl nicht zu beanstanden wäre, indem das ihm als Pfandunterschlagung
zur Last gelegte Verhalten die Verletzung seiner vertraglichen
Verpflichtung zur Befriedigung seiner Pfandgläubigerin aus dem Betrage der
zurückgezogenen Kommandite von dem in Art. 74 urn. EG z. SchKG mit Strafe
bedrohten Tatbestande der Zuwiderhandlung gegen den betreibungsamtlichen
Pfändungsatt durch Einkassierung einer gepfändeten Forderung seitens
des Beweibungsschuldners der grundsätzlichen Strafwürdigkeit nach nicht
wesentlich, jedenfalls nicht derart verschieden ist, dass die analoge
Anwendung der Strafnorm des Art. 74 EG "z. Sch KG auf das Verhalten
des Rekurrenten unter den in Uri gegebenen Strafrechtsverhältnissen als
rein willkürlich bezeichnet werden könnte. 3. _ Die oben festgestellte
Nichterschöpfung des kantonalen Justanzenzuges berührt ferner auch nicht
die Beschwerde des Rekurrenten über Verletzung der in Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV
garantierten Abschasfung des Schnldverhaftes. Hierüber ist vielmehr zu

' bemerken :

Die dem Rekurrenten in Disp. 3 des angefochtenen Urteils auferlegte
Verpflichtung, die Beträge der Gerichtsund Untersuchungskoften als
Busse zu bezahlen oder abzuverdienen, bedeutet, wie der amtlichen
Auskunft der Staatsanwaltschaft (Fakt. D oben) zu entnehmen ist,
dass diese Kostenbeträge, der bestehenden Praris gemäss, im Falleder
Nichtbezahlung auf Grund des Landsgemeindegesetzes für Einzug und
Umwandlung von Geldbussen, vom 1. Mai 1892, in Freiheitsstrafe umgewandelt
werden sollen. Dieses Gesetz bestimmt in Art. 1, dass der Einzug aller
Geldbussen, Prozessund Atzungskosten, sowie der Gerichtsgelder, soweit er
nicht gerichtlich besorgt werde, der Staatskassaverwaltung obliege. Die
Staatskassaverwaltung hat (Art. 5 und 6) die Bussenoder Kostenschuldner
innert drei Wochen schriftlich und unter Betreibungsandrohung zur Zahlung
aufzufordern und bei Nichtbeachtung dieser Zahlungsfrist die Schuld dem
zuständigen Betreibungsoder Konkursamt zu übergeben-c Wenn sodann

44 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

(Art. 7) die Psändung keine oder nur unvollständige Deckung ergibt, wird
die Betreibung als fruchtlos betrachtet, und es tritt (Abs. 2 und 3),
für den ausstehenden Betrag von Geldbussen ("einschliesslich sämtliche
Ordnungsbussen) die Umwandlung in Arbeitshausstrafe, im Massstabe von
Fr. 3 per Tag, ein, die von der Polizeidirektion nach vorausgegangener
nochmaliger Zahlungsaufforderung anzuordnen ist. Geldbussen und namentlich
Gerichtsgelder sind den bei der Ausfällung anwesenden Zahlungspflichtigen
vom Abwart alsogleich abzufordern (Art. 2), wobei Zahlungspflichtige, die
im Kanton nicht niedergelassen sind, sofern sie die betreffende Schuld
nicht sofort entrichten oder durch eine vom Gericht zu genehmigende
Bürgschaft sicherstellen, ohne Verzug der Polizeidirektion zugeführt
werden sollen behufs Umwandlung der Strafe in Arbeitshaus (Art. 3). Die
zur Arbeitsstrafe bestimmten Bussschuldner stehen, gemäss Art. 10,
unter der Hausund Disziplinarordnung der Strafanstalt, sie tragen jedoch
ihre bürgerliche Kleidung und sind bei der Arbeit, beim Essen und in
den Wohnräumen von den Zuchthaussträflingen möglichs abzusondern;
die Umwandlung soll der Ehre des Betreffenden unnachteilig sein.

Angesichts dieser Bestimmungen, nach denen das Gesetz selbst, seinem
Titel entsprechend, die Umwandlung in Arbeitshausftrafe nur für die
Geldbussen vorsieht indem Art. 7 ausdrücklich nur vom ausstehenden Betrag
der Geldbussen (einschliesslich sämtliche Ordnungsbussen)" und ebenso
Art. 3, der sich zwar nach dem Zusammenhange im übrigen auch auf die
Gerichtsgelder bezieht, doch nur von der Umwandlung der Strafe spricht,
wie denn auch Art. 10 nur die zur Arbeitsstrafe bestimmten BussSchuldner
nennt , erscheint die Auferlegung von Gerichtsund Untersuchungskosten
als Busse nebst der Verpflichtung zu ihrem eventuellen Abverdienen
im angeführten Sinne als mit dein bundesverfassungsmässigen Verbot des
Schuldverhaftes nicht vereinbar. In der Bestimmung des Art. 59 Abs. 3 (Der
Schuldverhaft ist abgeschafft-I hat die Bundesverfassung vom Jahre 1874,
in endgültiger Beseitigung überlieferter abweichender Rechtszustände,
den Grundsatz formuliert, dass die Vollstreckung von Geldschulden in
der Schweiz nicht mehr gegen die Person desIV. Schuldverhaft. N° 5. 45

Schuldners, sondern nur noch gegen dessen Vermögen gerichtet werden
darf. Und zwar vorbehaltlos. Die Verfassung stellt insbesondere nicht
etwa ab auf die rechtliche Natur des Forderungstitels: sie unterscheidet
nicht, ob die Schuld auf einem Rechtsverhältnis des öffentlichen Rechtes,
oder auf einem solchen des Privatrechtes beruhe. Die Zweifel Burckhardts
(Kommentar, S. 624) darüber, ob Art. 59 Abs. 3 auch die Haft wegen
Nichtbezahlung öffentlich-rechtlicher Schulden, namentlich Steuern habe
verbieten wollen, können nicht als begründet erachtet werden. Allerdings
gilt die in den vorangehenden Absätzen 1 und 2 des Art. 59 ausgesprochene
Garantie des Wohnsitzgerichtsstandes nach der herrschenden Praxis nur
für privatrechtliche Ansprüche. Allein zwischen diesem Grundsatze und
demjenigen des Abs. 3 besteht kein derartiger innerer Zusammenhang,
dass die einschränkende Auslegung der ersteren Bestimmung in jener
Hinsicht ohne weiteres auch für die nachfolgende massgebend wäre. Diese
Auslegung würde vielmehr dem besondern Grund und Zwecke der Abschaffung
des Schuldverhaftes, nämlich: der modernen Anschauung, die einen Zwang
gegenüber der Person des Schuldners zur Eintreibung von Geldschulden
schlechthin verpönt, zum Durchbruche zu verhelfen, nicht völlig gerecht
werden. Es wäre in der Tat nicht verständlich, dass der Bund den an sich
als gegen das moderne Rechtsempfinden verstossend erachteten Schuldverhafi
nur in Bezug auf Forderungen aus privatrechtlichen Verhältnissen,
und nicht auch in Bezug auf solche des Staates aus öffentlichem Recht,
beseitigt haben sollte; gegenteils muss angenommen werden, er habe die
Anwendung des grundsätzlich verpönten Zwangsmittels nicht zuletzt auch
dem· als Gläubiger auftrrtenden Staate versagen wollen. In diesem Sinne
haben denn anch die kompetenten Bundesbehörden den Art. 59 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV von
Anfang an ausgelegt. Noch vor dem Kompetenzübergang an das Bundesgericht
hat der Bundesrat durch Beschluss vom 22. Juli 1874 i. S. Donnet
(BB11875 II. S 601 f. Nr. 31, spez. S. 602 unter Biff. 4 und 5), dessen
grundsätzliche Bedeutung er in einem entsprechenden Kreisschreiben an die
Kantonsregierungen (BBl. 1874 II S. 579) zum Ausdruck brachte, erklärt,
dass zwar die Umwandlung von Geldbussen in

46 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

Gefängnisstrafe nicht gegen Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
Abf. 3 BV verstosse, die Anwendung
des Verhaftes an Stelle einer dem Staate geschuldeten Kostenforderung
dagegen verfassungswidrig sei. Und diese Auffassung hat in der Folge
auch das Bundesgericht in konstanter Praxis vertreten, wobei es
wiederholt den wesentlichen Unterschied zwischen dem Strascharakter
des Geldbussenanspruchs und der rein fiskalischen Natur der
Prozesskostenforderungen hervorgehoben hat (vgl. z. B. AS 1 Nr. 64 S. 256
und das dortige Zitat; 3 Nr. 15 Erw. 3 f. S. 72 f.; 5 Nr. 8 Erw. 1 S. 27;
12 Nr. 73 Erw. 3 S. 526; 22 Nr. 7 S. 25 s. und die dortigen Zitate).

Nun hat das Obergericht des Kantons Uri, dem diese bundesgerichtliche
Praxis bereits durch die Aufhebung eines eigenen Entscheides (AS 3 Nr. '14
S. 69 f.) bekannt geworden ist, vorliegend dem Rekurrenten die Gerichtsund
Untersuchungskosten allerdings als Busse auferlegt. Allein diesen Ausweg
hat das Bundesgericht schon einmal, i. S. Cardis (AS 3 Nr. 15 l. c.),
als nnbehelflichen Versuch einer Umgehung des verfassungsmässigen
Schuldverhaftsverbotes verwehrt, und zwar damals sogar gegenüber einer
ausdrücklichen Gesetzesbestimmung (des Kantons Wallis), durch welche
die Bei-urteilng zu den Kosten, um deren Umwandlung in Freiheitsstrafe
für den Fall der Nichtbezahlung zu ermöglichen, als besondere Strafart
eingeführt worden war, während es im Kanton Uri nach dem oben Gesagten
an einer unmittelbaren gesetzlichen Grundlage der angefochtenen Massnahme
überhaupt fehlt. Die wahre Natur der Prozesskostenforderungen als reiner
öffentlich-rechtlicher Geldansprüche wird eben durch die unrichtige
Bezeichnung als "Vage oder Strafart schlechthin , in Gesetz oder Urteil,
nicht geändert; es erscheint schon als begrifflich unmöglich, der Pflicht
zum Ersatz von Prozesskosten den Charakter einer Strafe beizulegen. Die
Berufung des Obergerichts auf die in der Rekursantwort angeführten
drei Urteile des Bundesgerichts geht durchaus fehl; denn jene Urteile
erklären nur, dass die Umwandlung nichtbezahlter wirklicher Bussen
in Freiheitsstrafe, sowie auch die Anwendung solcher Strafe auf die
alsDelikte behandelten Tatbestände des leichtfertigen Schuldenmachens
und der böswilligen oder fahrlässigen Nichterfüllung vermögensrechtlicher
Verbindlich-IV. Schuldverhafl. N° 5. 47

reiten, statthaft fei. Das angefochtene Kostendispositiv kann demnach,
soweit es die Kostenauflage als Busse bezeichnet und deren eventuelles
Abverdienen androht, vor Art. 59 Abs. 3 BB nicht zu Recht bestehen· Die
Behauptung der Rekursantwort, das Obergericht habe in diesem Dispositiv
einfach eine Geldbusse als allgemein übliche Zustrafe" zur Hauptstrafe
des Disp. 1 verhängt, kann angesichts der unzweideutigen Formulierung
des Dispositivs, das die Gerichtsund Untersuchungskosien als solche
bestimmt und deren Bezahlung als Busse erklärt, schlechterdings nicht
ernst genommen werden. Und danach ist auch der weitern Bemerkung der
Rekursantwort, dass es im Falle der Aufhebung dieser Bussverfügung
in der Kompetenz des Obergerichts läge, die Busse neu zu formulieren
und auszufällen, ausdrücklich entgegenzutreten: Das Disp. 3 bildet in
Wirklichkeit, wie ausgeführt, eben keinen Bestandteil der Straffentenz
und darf daher, soweit es aufgehoben wird, nicht durch eine wirkliche
Strafverfügung ersetzt werden; vielmehr muss es einfach bei der
unberührt bleibenden Strafbestimmung des Disp. 1 einerseits, und beim
Kostenerkenntnis des Disp. 3, mit Ausnahme seines verfassungswidrigen
Zusatzes, anderseits sein Bewenden haben; erkannt:

Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das Dis-positiv
3 des Urteils des urnerischen Obergerichts vom 11. Mai 1912 insoweit
aufgehoben wird, als es die Bezahlung sämtlicher Gerichts- und
Untersuchungskosten durch den Rekurrenten als Busse bezeichnet und
den Rekurrenten pflichtig erklärt, sie im Falle der Nichtbezahlung
abzuverdienen.

Jm übrigen wird der Rekurs abgewiesen, soweit nach den Erwägungen darauf
eingetreten werden kann.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 39 I 35
Date : 24. Januar 1913
Published : 31. Dezember 1914
Source : Bundesgericht
Status : 39 I 35
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 34 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung. dass die


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BV: 4  49  59
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BBl
1874/II/579