112 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

noch auf dem diplomatischen Wege, den Art. 20 des Staatsvertrages
vorsieht, rechtswirksam erfolgt ist, indem die Rekurrentin den Effekt
dieser Zustellung durch ihre rechtlich nicht begründete Weigerung, das
ihr formrichtig übermittelte Aktenstück anzunehmen, natürlich nicht
abzuwenden vermochte, wie das Obergericht mit Recht erklärt hat. Der
Umstand, dass das Aktenstück der Rekurrentin tatsächlich erst im Laufe
des Monats November nachdem die eintägige Frist der Zahlungsaufforderung
längst verstrichen war diplomatisch übermittelt wurde, ist ohne Belang,
da ja die Pfändnng, auf deren zeitliches Verhältnis zur Notifikation
des Zahlungsbefehls Art. 583 Cpc allein Bezug nimmt, tatsächlich mehr
als nur einen Tag später, nämlich erst Ende Januar 1912, vorgenommen
worden ist. Es ist daher, was die Zahlungsaufforderung betrifft, auch
schlechterdings unverständlich-, wieso die Rekurrentin behaupten kann,
die Zustellung auf dem diplomatischen Wege sei zu spät erfolgt, um von
ihr als Schuldnerin noch irgendwie berücksichtigt werden zu können.

Schon diese in zweifach wirksamer Form ge schehene Zahlungsaufforderung
hätte nach GARSONNET also zur Verhinderung der péremption des Art. 156
Cpc genügt. Unter allen Umständen aber ist diese Wirkung durch die
weiteren Vollftreckungshandlungen der Pfändung und der Pfandverwertung in
Marseille herbeigeführt worden; denn auch diese beiden Handlungen sind,
wie nach dem bereits Gesagten ohne weiteres feststeht, der Rekurrentin
auf dem vertragsgemässen diplomatischen Wege in rechts-wirksamer Weise
notifiziert worden. Auch mit Bezug auf ihre Notifikation kann von
einer für das Verhalten der Rekurrentin relevanten Verspätung offenbar
nicht dieZRede sein, ganz abgesehen davon, dass die beiden Akte zu ihrer
Rechtswirksamkeit gemäss Art, 156 Cpc bei dessen erwähnter Unabhängigkeit
von-Art. 159 gar nicht zur Kenntnis der Rekurrentin zu gelangen brauchten.

Auch die Beschwerde aus Art. 15 des Staatsvertrages erweist sich demnach
als durchaus unbegründet; --

erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen

Il. Auslieferungsvertrag mit dem Deutschen Reiche. N° 14. 113

II. Analieferungavertrag si mit dem Deutschen Reiche, Traité d'extradition
avec l'Empire allemand.

14. Weis vom 19. Zur-z 1913 in Sachen gram-anora.

Eine für Z we ck e des S c h m u g g e ls begangene Urkundenfälsohung
ist Auslieferungsdelilct imSinne 01m Art. 'l Ziff. 17 des
schweizerisch-deutschen Auslieferungsvertrages. Vorbehalt der
Nichtbestmfcmg des" Schmuggels, gemäss Art. 11 Abs. 2 AuslG und Art. 4
Abs. 3 des erwähnten Aufl.-V. '

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage. *

A. Mit Note vom 1. März 1913 hat das grossherzoglich badische Ministerium
der Justiz und des Auswärtigen in Karlsruhe, unter Berufung auf den
Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem deutschen Reiche
vom 24. Januar 1874, beim Bundesrat die Auslieferung des mit seiner
Familie in Birsfelden (Kanton Basel-Landschaft) wohnhaften und dort
zur Haft gebrachten preussischen Staatsangehörigen Adolf Bauer-Nofer
nachgesucht zum Zwecke seiner Strafverfolgung im Grossherzogtum Baden
ges mäss beigelegtem Haftbefehl des grossherzogl. Amtsgerichts III in
Lörrach vom 25. Februar 1913. Danach ist deriAuszuliefernde beschuldigt,
sich, in rechtswidriger Absicht und um sich einen Vermögensvorteil zu
verschaffen, gemeinsam mit einem Andern der Fälschung einer Privaturkunde
im Sinne der §§ 267 und 268 Ziffer 1 Reichs-StGB dadurch schuldig gemacht
zu haben, dass er am 17. Februar 1913 einen statistischen Anmeldeschein
zollfreier Waren ausfüllte und mit dem Namen J. Kunz unterzeichnete,
während Emil Faller aus Hausen den Stempel der Futtermehlfabrik Z. Kunz
in Basel betsetzte und den Schein am 18. FeBruar in Bauers Austrag dem
Unterzellamts Wingert übergab, um die Zollbeamten in den M zu nasses-,
dass

die eingeführte Ware ausschliesslich aus Futtermehl bestehe, wähmtb 50
Kg. Saecharin beigepackt waren. AS 39 1 __1913 8

114 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsvertrà'ge.

Die angerufenen Strafbestimmungen lauren:

§ 267. Wer in rechtswidriger Absicht ..... eine solche Privaturkunde,
welche zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblichkeit
ist, verfälscht oder fälschlich anfertigt und von derselben zum Zwecke
einer Täuschung Gebrauch macht, wird wegen Urkundenfälschung mit
Gefängnis bestraft.

§ 268. Eine Urkundenfälschung, welche in der Absicht begangen wird,
sich oder· einem Andern einen Vermögensvorteil zu verschaffen oder einem
Andern Schaden zuzufügen, wird bestraft, wenn

1. die Urkunde eine Privaturkunde ist, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren,
neben welchem auf Geldstrafe bis zu 3000 Mark erkannt werden kann.

B. Bauer-Moser hat gegen die Bewilligung seiner Auslieferung mit
folgender Begründung protestiert: Die ihm laut Haftbefehl zur Last
gelegte Urkundenfälschung die er übrigens begangen zu haben bestreite
sei erfolgt in Umgehung von Zollvorschriften; denn die betrügerische
oder schädigende Absicht, von deren Vorhandensein nach Art. 1 Ziff. 17
des Auslieferungsvertrages die Gewährung der Auslieferung abhängig sei,
werde von der verfolgenden Amtsstelle in der beabsichtigten Täuschung
der Zollbeamten über die Natur der einzuführenden Ware erblicktEs handle
sich somit nicht um ein gemeines Delikt, sondern um ein Zollvergehen,
für das nicht ausgeliefert werden dürfe. Eventuell verlange er, dass die
deutsche Behörde die Zusicherung abgebe, gegen ihn keine Untersuchung
wegen irgend eines Zollvergehens einzuleiten, gemäss Art. 4 . Abs. 3
des Auslieferungsvertrages.

C. Mit Zuschrift vom 8. März 1913 hat das Eidgenössische Justizund
Polizeidepartement gemäss Art. 28 AuslG vom 22. Januar 1892 die Akten
dem Bundesgericht zum Entscheide übermittelt.

Jn einem beigelegten Gutachten vom gleichen Tage schliesst die
Bundesanwaltschaft dahin, es sei dem Auslieferungsgesuch zu entsprechen,
da die dem Auszuliefernden zur Last gelegte Handlung den Tatbestand
der sowohl nach Reichs-StGB, als auch nach dem Strafgesetz des Kantons
Basel-Landschaft strafbaren Urkundenfälschuug in betrügerischer Absicht
erfülle und dem Umstande, dass das

ll. Auslieferungsvertrag mit dem Deutschen Reiche. N° 14. 115

Verbrechen begangen worden sei, um eine Zollumgehung zu verdecken,
für den Auslieferungsentscheid keine Bedeutung zukomme, indem zwei
vollkommen selbständige Handlungen in Frage ständen. Den von Bauer
eventuell verlangten Vorbehalt erachtet die Bundesanwaltschaft als nicht
erforderlich, weil eine Bestrafung wegen Zollübertretung schon durch
Art. 4 des Staatsvertrages und durch die Tatsache ausgeschlossen sei,
dass die Auslieferung ausdrücklich wegen Urkundenfälschung nachgesucht
werde; in Erwägung :

Nach Art. 1 Ziffer 17 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz
und dem deutschen Reiche vom 24. Januar 1874 hat die Auslieferung
zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Fälschung von Urkunden, wie
auch wegen wissentlichen Gebrauche-s falscher oder gefälschter
Urkunden stattzufinden, vorausgesetzt, dass die Absicht zu betrügen
oder zu schaden obgewaltet hat. Nun bestreitet der Angeschuldigte
offenbar mit Recht nicht, dass die ihm laut Haftbefehl (an dessen
Jnhalt auslieferungsrechtlich ohne weiteres abzustellen ist) zur Last
gelegte Handlung: die Teilnahme an der Fälschung eines statistischen
Anmeldescheins zollfreier Waren und die Veranlassung der Übergabe
dieses Scheines an ein deutsches Zollamt zum Zwecke einer unrichtigen
Warendeklaration und der dadurch zu ermöglichenden Einfuhr von Saccharin
nach Deutschland (die gemäss § 2 litt. b des deutschen Süssstoffgesetzes
vom 7. Juli 1902 verboten ist und sich demnach als Kontrebande im
Sinne von § 134 des deutschen Vereinszollgesetzes darstellt) den
Straftatbestand der §§ 267 und 268 Biff. 1 Reichs-StGB erfüllt und dass
dieser Straftatbestand den Merkmalen des erwähnten Auslieferungsdeliktes
an sich entspricht. Es kann in der Tat speziell auch darüber kein
Zweifel bestehen, dass bei jener Handlung auch die in Art. 1 Ziffer 17
des Auslieferungsvertrages noch besonders geforderte Absicht zu täuschen
oder zu schaden vorliegt, da die versuchte Umgehung des gesetzlichen
Verbotes der Einfuhr von Saccharin sich jedenfalls als betrügerisch im
strafrechtlichen Sinne charakterisiert, indem sie durch Täuschung der
Zollbeamten erreicht werden sollte und ihr die Absicht zu Grunde lag,
das eingeführte Saccharin mit eigenem Gewinn abzusetzen, zum effektiven,
wenn auch vielleicht nicht bewusst gewollten, Schaden der deutschen

116 A. Staatsrechtiîche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge.

Zuckerinduftrie, zu deren Schutz das fragliche Einfuhrverbot erlassen
worden ist (vergl. Stenglein, Kommentar zu den strafrechtlichen
Nebengesetzen des deutschen Reichs, 4. Auflage I S. 683). Dagegen wendet
der Angeschuldigte ein, dass feine Auslieferung gemäss Art. 4 Abs. 3
des Auslieferungsvertrages nicht zulässig sei, weil die angebliche
Urkundenfälschung in Umgehung von Zollvorschriften erfolgt sei und es
sich somit um ein Zollvergehen handle, das kein Auslieferungsdelikt
bilde. Dieser Einwand geht fehl. Von Absorption oder Konsumtion
der Urkundenfälschung durch das in Betracht fallende Zolldelikt der
Kontrebande, derart, dass die Strafbarkeit jener ersteren in derjenigen
dieser letzteren aufgehen würde (was der Angeschuldigte wohl behaupten
will), könnte nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen nur die
Rede sein, wenn der begriffliche Tatbestand der Urkundenfälschung
zu den Begriffsmerkmalen der Kontrebande gehören, diese also eine
Urkundenfälschung stets und notwendigerweise in sich schliessen
würde. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Der Kontrebande macht
sich, laut § 134 des deutschen Vereinszollgesetzes, jeder schuldig,
der es unternimmt", Gegenstände einem bestehenden Einfuhrverbote
zuwider in Deutschland einzuführen; die Art und Weise des Unternehmens
ist für den Straftatbestand unerheblich, insbesondere bedarf es dazu
überhaupt nicht speziell eines Versuches der Täuschung von Zollbeamten
vermittelst einer unrichtigen Warendeklaration. Und zudem setzt auch
die unrichtige Warendeklaration als solche begrifflich nicht etwa eine
Urkundenfälschung voraus; denn auch sie erfordert nicht notwendig die
Verwendung einer gesälschten d. h. tatsächlich nicht von demjenigen,
der darin als Aussteller bezeichnet ist-herrührenden und in diesem
Sinne formel unwahren Urkunde, sondern für ihrensTatbestand wesentlich
ist nur die materielle Unrichtigkeit der vom Pflichtigen abgegebenen
Deklaration. Die Urkundenfälschung erweist sich somit als ein vom
fraglichen Zolldelikt durchaus unabhängiger Straftatbestand, für den die
Auslieferung nach Massgabe des Art. 1 Biff. 17 des schweizerisch-deutschen
Auslieferungsvertrages zu gewähren ist· Der vom Verfolgten eventuell
verlangte Vorbehalt ist nach Art. 4 Abs. 3 des Auslieferungsvertrages
materiell begründet und seine Beifügung rechtfertigt sich auch in
formeller Hinsicht, obschon

II. Auslieferungsvertrag dem Deptschen Reiche. N° 14. 117

er, wie die Bundesanwaltschaft zutreffend geltend macht, nach Lage der
Akten an sich nicht erforderlich wäre, doch im Hinblick auf die positive
Vorschrift in Art. ii Abf. 2 AuslG von 1892; --

. erkannt:

Die Einsprache Bauer-Mosers gegen feine Auslieferung nach Deutschland wird
abgewiesen, und es hat die Auslieferung stattzufinden, immerhin unter-dem
ausdrücklichen Vorbehalt, dass allfällige Zolldelikte des Ausgelieferten
bei dessen Strafverfolgung nicht berücksichtigt werden dürfen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 39 I 113
Date : 19. Januar 1913
Published : 31. Dezember 1914
Source : Bundesgericht
Status : 39 I 113
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 112 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Staatsverträge. noch auf


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