522 A. Oberste Zivilg'erichtsinstans. i. Materiellrechfliche
Entscheidungen.

Demnach hat das Bundesgericht e r k an n t:

Die Berufung wird dahin begründet erklärt, dass das angefochiene Urteil
des aargauischen Handelsgerichts vom 22. Februar 1912 aufgehoben und die
Sache zu weiterer Behandlung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.

84. guten der I. Divilabteilmig vom 28. Heute-user 1912 in Sachen Société
des Usines éîectriques de la. Lanza., Bekl. u. Ber.-Kl., gegen Crédit
Yverdonnois, Kl. u. Bein-Bekl.

Zulässigkeit der Berufung gegen ein Versäumnism'teiä. Die Einrecle
der mangelnden Legitimation zur Sache ist mawriellrechtlichm'
Natur. Pfandrecht: Verpfändung von Forderungen mit Einreîumung des
Rechtes an den Pfandgiäubiger, die Ferdemng selbst auf dem Prozesswage
geltend zu machen. Bedeeetung dieser Abe-eda für die Aktivlegitimation
des Pfandgläubigers gegenüber dem Drittsckuldner; Gültigkeit. Art. ist
SchKG. Verrechnung: Der Brittscàuldner kann nur solche Gegenfardem'ngen
verre-ehm, hinsicfzilich deren er schon vor Mitteilung der Verpfdndung
Gläubiger war; analoge Anwendung von Art. 189 aOB.

A. Durch Urteil vom 27. Dezember 1911 hat der Gerichtshof des II. Kreises
für den Bezirk"Leuk in vorliegender Rechtsstreitsache erkannt:
1. Das Urteil vom 27. März 1907 wird bestätigt. 2. Die Société des
Usines électriques de la Lenza in Gampel hat demzufolge an den Crédit
Yverdonnois zu bezahlen: a) Franken vierundsechzigtausend zweihundert
und fünfzig (64,250. ), nebst Zins zu 5 0/0 seit 28. April 1900; b)
Franken achtzehntausend neunhundert und achtzig und sechzig Rappen
(18,980. 60), nebst Zins zu 5 o/o seit 5.Januar 1900; c) die Société
des Usines électriques de la Lonza ist in die seit dem Versäumnisurteile
vom 27. März 1907 ausgelaufenen Prozesskosten verfällt.

B. Gegen dieses Urteil hat die Bellagte gültig die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage, das angefochtene Urteil
aufzuheben und der Beklagten ihr in ihrer Rechtsschrift

4. Obligatinnenrecht. no ku. ss 523

vom 26. September 1908 gestelltes Begehren auf Abweisung der in der
Rechtsschrift vom 6. November 1907 gestellten Klagebegehren zuzusprechen.

C. Zugleich hat die Beilagte gegen das genannte Urteil
Kassationsbeschwerde beim Kantonsgericht von Wallis eingereicht.
Die Beschwerde ist von dieser Behörde mit Entscheid vom 17. Mai 1912
als unbegründet abgewiesen worden.

D. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten den
gestellten Berufungsantrag erneuert. Der Vertreter der Klägerin hat
auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils
angetragen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Durch Verpfändungsakt vom 13. August 1900 hat Ingenieur Louis Potterat
ins Yoerdon der Klägerin, der Aktiengesellschaft Crédit Yverdonnois,
zur Sicherung aller Forderungen, die sie gegen ihn haben könnte,
namentlich auch des Guthabens aus einem Kontokorrent-Kredit, den sie
ihm in der Höhe von 250,000 Fr. eröffnet hatte, an verschiedenen
Wertschriften und Forderungen ein Pfandrecht par priorité et sans
concours" bestellt. Verpfändet wurden unter anderm auch zwei Forderungen,
die Potterat gegenüber der Beklagten, der Société des Usines électriques
de la Lanza. in Gampel, als Schuldnerin beanspruchte, die eine von 18,980
Fr. 60 Ets. als Honorar für geleistete Jngenieurdienste, die andere von
64,250 Fr. ais Kaufpreis für fünf derBeklagten gelieferte Tut-bitten Mit
Schreiben vom 15. August 1900 benachrichtigte die Klägerin die Beklagte
von dieser Verpfändung Die Vetlagte bestätigte ihr dieses Schreiben
durch Zuschrift vom 7. September 1900 und fügte bei: Sie müsse sich
immerhin alle Rechte gegenüber Herrn Potterat vorbehalten und könne daher
keine verbindliche Erklärung gegenüber der Klägerin abgeben. Gegen Herrn
Potterat habe sie nämlich noch so bedeutende Ansprüche zu erheben, dass
er möglicherweise nicht ihr Gläubiger-, sondern ihr Schuldner sei. Mit
Schreiben vom 25. Januar 1906 forderte die Klägerin durch ihren Anwalt
die Beklagie zur Bezahlung jener beiden Forderungen auf, indem sie sich
anerbot, eine Erklärung der Psändungsgläubiger Potterats beizubringen,
wonach sie einverstanden seien, dass die Zahlung an

As 38 u _ 1912 34

524 A. Oberste Zivilgeriehtsinstanz. !. Materiellrechtliche Entseheidungem

die Klägerin als Faustpfandgläubigerin erfolge. Die Beklagte liess am
10. Februar durch ihren Anwalt antworten: Sie könne sich zu der verlangten
Zahlung nicht bereit erklären. Sie führe nämlich gegenwärtig noch
wichtige Prozesse gegen Potterat vor den bernischen und graubündnerischen
Gerichten, zur Geltendmachnng von Schadenersatzansprüchen, die der Höhe
nach das übersteigen, was sie selbst an Potterat schulde Unter diesen
Umständen halte sie sich für befugt, die Verrechnung entgegenzusetzen
und zu verlangen, dass die endgültige Abrechnung bis zu dem Momente
verschoben werde, wo sie sich über den Ausgang der hängigen Prozesse
eine Meinung bilden könne. Hierauf erwiderte die Klägerin durch ihren
Anwalt am 12. Februar: Um die erwähnten Prozesse brauche sie sich nicht
zu kümmern; sie könnten ihren viel früher erworbenen Rechten keinen
Eintrag tun und gegenüber ihr kein Recht zur Verrechnung begründen·
Übrigens seien sie nicht von der Beklagten, sondern von der Gesellschaft
für elektrochemische Industrie in Thusis gegen Potterat angehoben worden,
mit welcher Gesellschaft sich dann die Lonza fusioniert habe. Die Rechte
der Klägerin seien aber um mehrere Jahre älter als diese Prozesse und
diese Fusion.

Am 6. März 1906 hat darauf Potterat der Klägerin folgende Erklärung
("Déclaration") ausgestellt: Je .seuesigné, Louis Pen amt, Ingenieur,
à Yverdon, m'ren référam: au contrat .de nanfissement du 13 aoùt 1900,
autorise pour unt-unt que de besoin le Crédit Yverdonnois, à Yverdon,
à réaliser le gage ainsi eenstitué en agissant, aux fins prévues par le
mnfissement et à titre de créancier gagiste, en reconvpement des droits de
créance contre les Usines électriques de la Lenza, à Gampel, sur lesquels
parte le nantissement, pour le produit de ce recouvrement ètre appliqué
à tant moins de la créance garantie, laquelle s'élève à. la somme de
deux cent quinze mille deux cent quatorze francs vingt-cinq centimes.
2. Unter Berufung auf diese Erklärung hat dann die Klägerin im Jahre 1906
gegen die Beklagte vor den Walliser Gerichten den Prozessweg betreten
und dabei das Begehren gestellt: Es habe ihr die Beklagte 64,250 Fr. mit
Zins zu 5 0/o seit

Vdvvvyvvvvv

4. Ohligationenrecht. N° 84. 525

28. April 1900 und 18,980 Fr. 60 Cis. mit ins u 5 °

seit dem 5. Januar 1900 zu bezahlen unter Kostensolge zDie Bè:
klagte hat aus Abweisung der Klage geschlossen Dabei hat sie eine der
beiden Klageforderungem die von 18,980 Fr. 60 (Staz., ihrer Höhe nach
bestritten, weil nnrichtigerweise bei der Berechnung der Prooision
Kosten destBaubureaus in Rechnung gebracht worden seien und nn ubrtgen
entsprechend ihren ausser-gerichtlichen Erklärungen

si die Einrede der Verrechnung erhoben. Als verrechenbare Gegen-

forderung hat sie (neben den vor den berni en und " nerischen Gerichten
eingeklagten SchadenersatziccrksprüchenJgiicitutthler noch eine
Forderung von 40,000 Fr. genannt, die ihr als Zessionarin cm;? Josef
Dupont zustehe. .

m 17. März 1907 hat der Gerichts of des II. Krei " den Bezirk Leut
gegenüber der Beklagten hein Kontumazurtseeä E: sallt, durch das der
Klägerin ihr Klagebegehren zugesprochen wurde. In ben Erwägungen wird
ausgeführt: Die Rechtsgültigfett der Verpfändung sei ausgewiesen und
nicht bestritten. Zum Beweise des Rechtsbestandes der zwei verpfändeten
Forderungen von 64,250 Fr. und 18,980 Fr. 60 Ets· berufe sich die Klagerin
darauf, dass lautqder Angabe in einem schiedsgerichtlichen Urteile das am
_25. Mars 1905 zwischen der Beklagten und Potterat uber zwischen ihnen
streitige Ansprüche gefällt worden sei die Veklagte dre Bezahlung jener
beiden Forderungen nur deshalb abgelehnt habe, weil sie die Befugnis,
sie mit ihren behaupteten Schadenersatzforderungen zu verrechnen, in
Anspruch genommen habe und dass ferner die verpfändeten Forderungen
dem genannten Schiedsgwichtsveriahren nicht unterstellt worden und
also zwischen den Parteien nicht streitig gewesen seien. Die Beklagte
habe denn auch m ihrer Rechtsantwort diese Tatsachen nicht bestritten
sondern nur etngewendet, dass die Forderung von 18,980 Fr. 60 Cfs.
uberfetzt set und dass den beiden Klageforderungen die Verrechnung unt
ihren eigenen Forderungen entgegenstehe. Was jene teilweise Bestreitung
der einen Klagesorderung anbelange, so habe die Beklagte die von ihr
angeführten Tatsachen nicht bewiesen. Ein

darauf bezügliches Aktenstück, dessen Edition die Klägerin ver-

langt habe und das vielleicht vermocht hatte, Auskunft zu geben, set
von der Beklagten nicht vorgelegt worden. Auch die Ver-

526 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. [. Materiellrechtliche
Entscheidungen.

rechnungseinrede könne nicht geschützt werden: Es fehle am Nachweife
einer gültigen Gegenforderung der Beklagten und der Richter dürfe nach
gemeinem Rechte die Verrechnung zurückweisen, wenn die eingeklagte
Forderung feststehe, die Feststellung der Gegenforderung aber längere
Zeit beanspruchen weirde. Was im besondern die Forderung Dupont betreffe,
so sei die Beklagte einer unter Androhung der Kontumazfolgen erlassenen
Aufforderung ' zur Verlegung der Forderungsund der Abtretungsurkunde
nicht nachgetontmen und der Richter könne daher auch diese Einwendung
wegen mangelnden Beweises nicht gelten lassen. Die Zinsen endlich seien
von den angegebenen Daten an zuzusprechen, da es sich um Forderungen
ans einem kaufmännischen Verkehr handle und die Beklagte übrigens die
Zinssorderungen nicht ausdrücklich bestritten habe.

Die Beklagte hat hierauf die Aufhebung dieses Kontnmazurteils verlangt und
auch erwirft. Im darauffolgenden Verfahren hat die Klägerin am 6. November
1907 ihr Klagebegehren erneuert und die Beklagte hat in ihrer Antwort
vom 26. September 1908 neuerdings auf Abweifung der Klage geschlossen
und zwar "tant exceptionneilement qn'au fond. In ersterer Hinsicht erhob
nun die Beklagte die Einrede der mangelnden Attivlegitimation (défaut
de vacation) der Klägeriu, mit der Begründung, die Klägerin sei nicht
Zessionarin Potterats, sondern nur Faustpfandgläubigerin und könne als
solche nicht im eigenen Namen dessen Forderungen einklagen. Jtn übrigen
machte die Beklagte neuerdings Verrechnung geltend: Aus ihren Ausführungen
hierüber ist hervorzuheben: Die vor den hernischen Gerichten gegen
Potterat eingeklagte Schadenersatzforderung wird nunmehr ziffermässig auf
347,132 Fr. angegeben. Von der Forderung Dupont wird erklärt, dass sie
nicht 40,000 Fr., wie irrtümlich angegeben worden sei, sondern nur 33,045
Fr. 70 Cts. betrage und am 25. August 1903 der Beklagten abgetreten worden
sei. Über die dritte Forderung endlich wird des nähern gesagt, dass sie
sich auf 2205 Fr. belaufe und es sich um Gerichtskostenbeträge handle,
zu deren Bezahlung Potterat gegenüber der Beklagten durch Urteile des
Bezirksgerichts Heinzenberg vom 5./9. Juli 1906 und des Kantonsgerichts
von Graubünden vom 3. Juli 1907 verfällt worden sei.

.... un.,-__...si ...

4. Obligationenrechc. N° 84. 527

Nach zahlreichen Zwischenentscheiden, auf die hier nicht eingetreten
zu werden braucht, führte das Verfahren zu dem durch die nunmehrige
Berufung angesochtenen, anfangs erwähnten Urteil des Gerichtshofes des
II. Kreises für den Bezirk Leut vom 27. Dezember 1911, das ebenfalls ein
Bersäumnisurteil ist und auf Bestätigung des Urteils vom 27. März 1907
und auf Zusprechung des Klagebegehrens lautet. Zur Begründung wird auf
die hinterlegten Akteu und die gesetzlichen Bestimmungen, speziell die
Artikel der BPO über die Kontumaz verwiesen und im weitern ausgeführt: Aus
der Prüfung einer Eingabe der Klägeriu vom 5. Oktober 1911 ergehe sich,
dass diese befugt sei, ein zweites Kontumazialurteil zu begehren. Nach
Einsicht des früheren Kontuuiazialurteils vom 27. März 1907 mache das
Gericht die darin niedergelegten Erwägungen und Begründungeu in allen
Teilen zu den seinigen. Die Beklagte habe auch seit der Ausfällung
dieses Urteils nichts vorgebracht, das diese Erwägungen und Begründungeu
irgendwie abändern könnte. Im übrigen wird darin noch bemerkt, dass
die-Parteien über die Richtigkeit eines srühern Urteils vom 9. Oktober
1911 einig gehen und dass der Präsident des Kantonsgerichts mit einem
Schreiben vom 14. Dezember 1911 mitgeteilt habe, nach der Ansicht
des Kantonsgerichts müsse dem Begehren der Klägerin um Erlass eines
Kontumazialurteils ent sprochen werden

3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung
liegen vors Im besondern richtet sich die Berufung gegen ein Haupturteil
nach Art. 58 OG, da das angefochtene Urteil des Bezirksgerichts Leuk
über den Klaganspruch selbst entscheidet Daran ändert sein Charakter
als Versäumnisnrteil nichts. Er könnte nur zur Folge haben, dass
das Bundesgericht, trotz der formell bestehenden Zuläsfigkeit einer
sachlichen Prüfung des Falles, dennoch unter Umständen ans Gründen
des kantonalen Prozessrechts an einer solchen Prüfung gehindert wäre,
dann nämlich, wenn der kantonale Richter im Kontumazialverfahren den
ftreitigen Anspruch ohne weiteres zugesprochen hatte, ohne ihn also
auf Grund des vorhandenen Prozessstofses sachlich zu beurteilen. Hier
verhält es sich aber nicht so. Vielmehr ist das Bezirksgericht Leut von
der für das Bundesgericht massgebenden

528 ÄOberste Zivilgerichtsiustanz. I. Materiellrachtliche Entscheidungen.

Auffassung ausgegangen, es habe nach den anwendbaren Bestimtnungen
über die Kontumaz (Art. 159 ff. speziell 168 der Walliser SVO) bei
der Ausfällung des angefochtenen Urteils den gesamten Akteninhalt,
namentlich alle Parteivorbringen und das ganze vorhandene Beweismaterial,
zu berücksichtigen Anderseits hatte der Umstand, dass der angefochtene
Entscheid ein Versäumnisurteil war, zur Selge, diesem Entscheid die
Eigenschaft eines letztinstanzlichen Urteils im Sinne von Art. 58 OG zu
geben. Denn als zweites Versäumnisurteil über den Klageanfpruch konnte
er durch kein ordentliches Rechtsmittel mehr an das kantonale Obergericht
weiter-gezogen werden (Art. 173 der

Walltser ZWD) und es stand der Klägerin, wie unbestritten, im _

kantonalen Verfahren nur noch die Kassationsbeschwerde an das Obergericht
zu, deren tatsächlich erfolgte Einlegung die Zulässigkeit der Berufung
nicht verhindern konnte (Art. 77 OG).

4. Es könnte sich fragen, ob nicht das Bundesgericht von einer sofortigen
sachlichen Beurteilung des Falles abzusehen und ihn nach Art. 64 OG zu
neuer Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen habe. Die Begründung des
angefochtenen Urteils ist nämlich, da die Vorinstanz nach dem Gesagten
das Streitverhältnis einer sachlichen Prüfung hätte unterziehen sollen,
ungenügend, und zwar auch dann, wenn man die Erwägungen des früher-en
Entscheides vorn l?. März 1907 als zum Urteilsinhalte gehörend ansieht
Auch dann fehlt ies vor allem in wichtigen Punkten an der vorgeschriean
Tatbestandsseststellung Nun bietet aber doch das vorliegende Aktenmatertal
dem Bundesgerichte alle erforderlichen Anhaltspunkte, um den Tatbestand
nach Art. 82 Abs. 1 OG selbst zu vervollständigen und den Rechtsftreit in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht endgültig beurteilen zu können,
und anderseits würde eine Rückweisung an die Vorinsianz noch eine
weitere Verzögerung des schon ungebührlich lange dauernden Verfahrens
zur Folge haben. Unter diesen Umständen sprechen überwiegende Gründe
der Zweckmässigkeit gegen eine Rückweisung.

5. Das angesochtene Urteil lässt sich insoweit nicht aufrecht halten,
als sein Dispositiv 1 die Bestätigung des Urteils vom 27. März 1907
ausspricht. Die Beklagte hat nämlich schon früher die Aufhebung dieses
Kontumazialnrteils erwirkt und es

L 0hiigationenreent. N° 84. 529

ist dann in der Sache neu verhandelt worden und auf Grund dieser weitern
Verhandlung eben der nunmehrige Entscheid ergangen. Eine Bestätigung
jenes früheren Urteils erweist sich daher als rechtlich unmöglich und das
erwähnte Dispositiv muss gestrichen werden. Wenn übrigens die Vorinftanz
-entsprechend dem Antrage der Klägerin (mémoire vom 5. Oktober 1911) --
auf Bestätigung des Urteils vom 27. März 1907 erkannt hat, so will sie
damit wohl lediglich zum Ausdruck bringen, dass sie sachlich an ihrer
im frühem Urteil entwickelten Auffassung festhalte.

6. Über die Einrede der mangelnden Aktivlegitimation (défaut de
vacation) scheint sich das angefochtene uam, wie aus dem während des
Berufungsverfahrens ergangenen kantonalen Kafsatiousentscheid vom 17. Mai
1912 zu schliessen ist, deshalb nicht sachlich auszusprechen, weil die
Beklagte diese Einrede als Vorirage schon vor ihrer Rechtsantwort in der
Sache selbst hätte erheben und zur Beurteilung bringen sollen. Diese
Auffassung wäre bundesrechtlich jedenfalls dann unhaltbar, wenn
die Vorinstanz die erhobene Einrede der fehlenden Legitimation
zur Klage als eine dem kantonalen Rechte unter-stehende Einwendung
prozessrechtlicher Natur aufgefasst haben sollte. Es handelt sich bei
dieser Legitimationsfrage darum, ob die Klägerin durch Rechtsgeschäft
zwischen ihr und Polterat, nämlich kraft des Verpfändungsaktes
und der Erklärung" vom 6. März 1906 die Befugnis erlangt habe, die
Klageforderungen im eigenen Namen geltend zu machen, und diese Frage
wird von den nachher zu erörternden Bestimmungen des Bundeszivilrechts
beherrscht. Eine Verpflichtung der Klägerin, diesen Punkt vorgängig
in Form einer Eiurede zur Sprache zu bringen kann also nur bestanden
haben,'wenn nach kantonalem Prozessrecht die Einrede der fehlenden
Aktiolegitimation, trotzdem sie sieh auf einen Teil des materiellen
Streitverhältnisses bezieht, dennoch besonders-, vor der Beurteilung der
übrigen materiellen Rechtsfragen geprüft und entschieden werden muss und
wenn sich diese prozefsuale Regelung mit dem Bundesrecht verträgt. Ob
die beiden Voraussetzungen zutreffen, braucht indessen nicht geprüft zu
werden, denn die Einrede stellt sich auch sachlich als unbegründet dar.

?. Zuzugeben ist zwar der Beklagten, dass die Klägerin,

530 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. ]. Materiellrechtliche
Entscheidungen.

nachdem sie mit dem Akt vom 13. August 1900 an den beiden Klagesorderungen
Psandrecht erworben hatte, durch die-Erklärung vom 6. März 1906 nicht die
weitergehenden Rechte eines Zessionars der Forderungen erlangen konnte. Jn
dieser Erklärung wird die Klägerin uberall als Pfandgläubigerin bezeichnet
und von einer Abtretung ist darin nirgends die Rede. Angesichts ihres
Wortlautes und weil auch andere für das Gegenteil sprechende Umstände
fehlen, lässt sie sich nicht im Sinne einer Übertragung der verpsändeten
Forderungen an die Klägerin auslegen, sei es auch nur einer fiduziarischen
Übertragung, so also, dass die Klägerin zwar gegen aussen unbeschränkt
als Forderungsgläubigeriu hätte anerkannt werden müssen, aber nach
innen, gegenüber dem Forderungsgläubiger Potterat zur selbständigen und
unbeschränkten Verfügung über die Forderungen nicht berechtigt geworden
wäre (vergl. AS 31 II S. 110). Damit wird aber dieser Streits-stinkt
noch nicht zu ngunsten der Klägerin entschieden Vielmehr verbleibt uoch
die Möglichkeit, dass die Klägerin zwar Faustpiandgläubigerin geblieben,
dass sie aber durch die Erklärung vom 6. März 1906 vom Pfandschuldner
Potterat bevollmächtigr worden ware, die verpfändeten Forderungen in
ihrem Namen und für ihre Rechnung, als procurator in rem suam, geltend
zu machen, namentlich auch deren klageweise Anerkennung zu betreiben
und sich aus dem spätern Eingang zu befriedigenDiese Bedeutung kommt
nun zweifellos der streitigen Erklärung zu: Die Parteien wollen mit
ihr nicht einfach ein Auftrags-verhältnis zur Einireibung der Forderung
festsetzen, sondern vor allem bestimmen, wie die Faustpfandgläubigerin
das ihr zustehende Recht, aus den verpfändeten Forderungen Befriedigung
zu suchen, ausüben solle. Sie kommen überein, dass die Klägerin ihr
Pfandrecht nicht im Betreibungsversahren, durch amtkichen Verkan der
verpfändeten Forderungen und Zuteilung des Erlöses an sie, realisieren
solle, sondern dadurch, dass sie selbst die Forderungen einziehe
(àss. réaliser le gage . . . . en recouviant les droits de créance)
und dass sie die erlangten Eingänge soweit nötig zur Bezahlung der
Psandschuld verwenden solle (pour le produit de ce recouvrement étre
appliqué à tant moins de la créance garantie . . .). Damit aber erhält
die Klägerin, anders ais bei4. Obiigatioaenrecht. N° 84. 531

einem gewöhnlichem widerruflichen Jnkassoauftrag, ein festes persönliches
Recht darauf, die verpfändeten Forderungen selbständig und in ihrem
unmittelbaren eigenen Interesse geltend zu machen, wie sie denn auch
im Falle einer betreibungsamtlichen Verwertung unabhängig von dem
Psandschuldner hätte vorgehen und dabel unter Umständen (Art. 131
Abs. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 131 - 1 Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
1    Geldforderungen des Schuldners, welche keinen Markt- oder Börsenpreis haben, werden, wenn sämtliche pfändende Gläubiger es verlangen, entweder der Gesamtheit der Gläubiger oder einzelnen von ihnen für gemeinschaftliche Rechnung zum Nennwert an Zahlungs Statt angewiesen. In diesem Falle treten die Gläubiger bis zur Höhe ihrer Forderungen in die Rechte des betriebenen Schuldners ein.
2    Sind alle pfändenden Gläubiger einverstanden, so können sie oder einzelne von ihnen, ohne Nachteil für ihre Rechte gegenüber dem betriebenen Schuldner, gepfändete Ansprüche im eigenen Namen sowie auf eigene Rechnung und Gefahr geltend machen. Sie bedürfen dazu der Ermächtigung des Betreibungsamtes. Das Ergebnis dient zur Deckung der Auslagen und der Forderungen derjenigen Gläubiger, welche in dieser Weise vorgegangen sind. Ein Überschuss ist an das Betreibungsamt abzuliefern.262
SchKG) wiederum ein persönliches Recht auf Geltendmachung
der verpsändeten Forderung hätte erlangen können. Jst nun aber ein
Pfandgläubiger in solcher Weise vom Pfandschuldner vertragltch zur
selbständigen Geltendmachung und Realisierung der veryfändeten Forderung
ermächtigt worden, so stehen bei der gerichtlichen Einklagung der
Forderung in erster Linie seine Rechtsstellung und seine Interessen in
Frage Er muss daher auch zur Klage legitimiert sein und das Urteil ist auf
seinen Namen zu fallen. Der Pfandschuldner aber bat dass Urteil auch für
sich anzuerkennen, nachdem er in diesem Umfange die Wahrung auch seiner
Interessen dem Pfandgläubiger anvertraut hat. Übrigens hat die Beklagte
bei Beginn des ProJesses keine Einwendung erhoben, als die Klägerin
ihre Klagtegiiimation auf die Erklärung vom 6. März 1906 stützte. Mit
Unrecht behauptet sie and), eine solche vertragliche Vereinbarung wonach
der Pfandschuldner den Pfaudgläubiger zur Geltendmachung und Einziehung
der derpfändeten Forderung berechtigt, könne vor den Vorschriften des
SchKG über die Betreibnng auf Pfandverwertung nicht bestehen. Aus diesen
Vorschriften ergibt sich nicht, dass der Pfandgläubiger verpflichtet
sei, den betreibun85amtlichen Verkan der verpfändeten Forderung oder
deren bexreibungsamtliche Anweisung zur Zahlung oder Eintreidung nach
')(rt. 131 SchKG zu verlangen und dass er sich nicht durch 'Xi·ioatabrede
die Befugnis einräumen lassen könne die Forderung :iisseia1ntliel)
einzuziehen und den Eingang zu seiner Befriedigung zu verwenden (vergl. AS
L'I-i II S. 445 ff.; Hafner, 223 Anmerkung Q; Jeeg er, Kommentar zum
SchKG Art. 41 Auuierkung ö; Wieland , Kommentar zum Sachenrecht des
BGB Rte. 891 Anmerkung 1). Dabei bleiben natürlich allsällige Rechteim
besondern paulianische Anfechtungsrechte von Mitgläubigeru vorbehalten
Solche stehen aber im gegenwärtigen Prozess nicht In Frage

532 A. Oberste Zivitgerichtsinstanz. I. Materiellrechiliche
Entscheidungen.

8. Die eine der verpsändeten Forderungen, diejenige von 64,250 Fr.,
ist von der Bettagten schon vor der kantonalen Jnstanz weder ihrem
Bestande noch der Höhe nach bestritten worden, die andere von 18,980
Fr. 60 Cts. nur der Höhe nach. Auch die letztere Bestreitung hat heute
die Beklagte nicht mehr aufrecht erhalten. Es sind also nunmehr beide
Forderungen ais solche anerkannt und es fragt sich nur noch, ob ihnen
verrechenbare Gegensorderungen der Beklagten entgegenstehen Hiebei
ist davon auszugehen, dass die Verrechmmg sür solche Forderungen
nicht mehr stattfinden kann, hinsichtlich deren die Beklagte erst
Gläubigecin geworden ist, nachdem ihr die Klägerin die Verpfändung
angezeigt hatte, also erst nach dem 15. August 1900. Zwar ergibt sich
dies nicht aus einer ausdrücklichen Bestimmung des aOR, wie bei der
Forderungsabtretung (Art. 189 abili). Allein wenn auch das Recht des
Psandgläubigers an der Forderung weniger weit geht als das dem Zessionar
als ,,.Eigentiimer zustehende, so liegen doch die Verhältnisse in Hinsicht
aus die vorliegende Frage in beiden Fällen gleich, indem hier wie oort
ausgeschlossen sein mug, dass der Berechtigte durch nachträglich erst
entstehende Einwendungen gegen die Forderung in seiner einmal erworbenen
Rechtsstellung benachteiligt werde (rergl. auch Hafner, Kommentar
Art. 215 Abs. 2; Wieland, Kommentar zum Sachenrecht des ZGB Art. 260
St. 2; Assolter, Zeitschrift des hernischen Juristenvereins 25 S. 6;
Ross el, Droit des obligations, S. 316).

Bei den drei von der Beklagten erhobenen Gegenforderungen ergibt sich
nun über die Möglichkeit der Verrechnung aus den Akten folgendes-:
Die behauptete Forderung von 347,132 Fr. wurde von der Beklagten ais
Rechtsnachfolger-in der schweizerischen Gesellschaft für elektrrchemische
Industrie A.-G. widerklageweise in einem im Jahre 1904 von Vortex-at
gegen sie vor Richter-am Bern angehobenen Prozesse geltend gemacht. Es
handelt sich um Schadenersatzansprüche, die auf einen im Jahre 1898
zwischen der Gesellschaft für elektrochemische Industrie und Potterat
abgeschlossenen Baudertrag gestützt werden, und die, soweit sie bestehen,
dadurch aus die Beklagie übergegangen sind, dass diese insoige eines am
16. Oktober 1903 mit jener Gesellschaft ab-

4. Odiigatioaenrechi. N° 85. , 533

geschlossenen Fusionsvertrages deren Aktiven und Passiven übernahm.
Somit ist die Beklagte erst drei Jahre, nachdem ihr die Verpfändung vom
13. August 1900 angezeigt worden war, Forderungsgläubigerin geworden. Das
Gleiche gilt, nach den eigenen Angaben der Beklagten, für die zwei
andern Forderungen: Sie erklärt selbst, dass sie die Forderung Dupont
erst am 25. August 1903 abtretungsweise erworben habe und dass ihr
die Gerichtskostenbeträge im Graubündnerprozesse erst in den Jahren
1906 und 1907 zugesprochen worden seien. Eine Verrechnung ist sonach
bei allen drei Forderungen ausgeschlossen. Damit wird die Frage ihres
rechtlichen Bestandes gegenstandslos, ebenso der Antrag der Beklagten,
es sei die Beurteilung der Klage bis zur Erledigung des Bernerprozesses
zu sistieren. Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das angesochteue Urteil des Gerichtshofes
des II. Kreises für den Bezirk Leut vom 27. Dezember 1911 bestätigt,
mit der Modifikation immerhin, dass das Dispositiv 1 des genannten
Urteils gestrichen wird.

85. Sentenza. 4 ottobre 1912 della I Sezione civile nella. cause Ditta
Helbling & O., attrice, contro Ditta ?. Scazziga & G.,

convenuta.

Art. 1 OO e 81 OGF. Semplici trattative preliminari, senza effetto
giuridico, 0 contratto di locazione d'opera? Questioni di diritto e di
fatto; prova testimoniale o da documenti.

Il Tribunale di Appello del Cantone Ticino decise con sen tenza 13
settembre 1911:

La domanda. petizionale è respinta.

Appellante la parte attrice, 1a quale chiede che, in riforma.
del pronunciato dell'istanza cantonale, si giudichi:

1° In linea principale :

La Società in nome collettivo F. Scazziga. & C. in Mui-alto
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 38 II 522
Date : 22. Februar 1912
Published : 31. Dezember 1913
Source : Bundesgericht
Status : 38 II 522
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 522 A. Oberste Zivilg'erichtsinstans. i. Materiellrechfliche Entscheidungen. Demnach


Legislation register
OG: 58  64  77  82
SchKG: 131
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