368 A. Staalsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

III. Pressfreiheit. Liberté de la presse.

76. gilt-teil vom 13. Juli 1911 in Sachen cFeätin und gitani, gegen
Yourquard und Materien

Bestimmung des Inhaltes der durch Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV gewährleisteten Pressfreiheit
unter Berücksichtigung der spezifischen Aufgaben der Presse im modernen
Staat. Grundsätze, nach denen zu verfahren ist, wenn das öfientliche
Interesse, dem zu

dienen die Presse in erster Linie berufen ist, mit gewissen

Privatinteressen in Kollision gerät. Anwendung dieser Grundsätze auf den
konkreten Fall (Verbreitung der Nachricht von der schlechten finanziellen
Situation zweier Uhrenfabrikanten einer bestimmten Stadt).

A. Am 7. Juli 1910 erschien in den Oltener Nachrichten folgender Artikel:

Unerfreuliches aus der Hauptstadt. (Korr.)

Jn Jhrem gestrigen Solothurnerbrief ist bemerkt, die geschäftliche Lage
sei gegenwärtig in Solothurn keine rosige, überall sei Unzufriedenheit,
namentlich beim Gewerbeund Handelsstand Es ist so, wir hörten letzten
Samstag von Kaufleuten verschiedener Branchen sagen: Auch kein Frühjahr
einschliesslich Juni sei geschäftlich so flau gewesen wie das verflossene
(allerdings ist daran auch das miserable Wetter schuld).

Zu der allgemeinen schlechten Zeitlage kommen seit Monatsanfang
auch einige spezielle Fälle, aber keine erfreulichen Betreffend zwei
Uhrenfabrikanten munkelt man von finanziellen Schwierigkeiten. Es find
tüchtige Männer, die ihr Metier verstehen und keineswegs ungebührlichen
Aufwand trieben, aber sie sollen der eine in Amerika, der andere in
Rnssland (Warschau und Odessa) grosse Verluste erlitten haben. Auch
im Uhrenhandel wird nicht jede Faktur bezahlt, werden nicht nur schöne
Gewinne eingestrichen, wie in Arbeiterkreisen zuweilen angenommen wird,
es geht auch verloren und zwar oft bedeutend. In Russland, wenigstens
in Westrussland und Polen, liegt der Uhrenhandellll. Pressfreiheit. N°
76. 369

meistens in den Händen von Juden und Polacken. Der hat esnach
zuverlässigen Berichten Elemente, die leicht sind und oft schon bei den
Bestellungen aufs Anleimen ausgehen. Die ersten Fakturen werden bezahlt,
um die Lieferanten willig zu machen, aber wenn man einmal für 10 15,000
Fr. Waren hat, so werden sie schnell verquantet, der Mann verduftet oder
erklärt sich zahlungsunfähig und der Lieferant hat das Nachsehen. Und
Ru-ssland ist weit und die rusfischen Gerichte oft etwas langsam.
Bei Lieferungen nach Russland, den Balkanländern und auch nach Amerika
ist deshalb Vorsicht geboten und gute Information eine Notwendigkeit

Pech hat auch die sonst gut geleitete schweizerische Hypothekenhanf.
Jhr Kassier, ein junger Mann, Vater von zwei Kindern und Sohn braver
angesehener Eltern, hat Unredlichkeiten begangen, schon seit längerer
Zeit. Die Kasse weist bis dahin Unterschlagungen im Betrage von 90 oder
91,000 Fr. auf, einige reden schon von über 100,000 Fr.; Börsenspiel,
Disferenzeln, ist die Ursache dieses misslichen Falles. Der junge Mann,
sonst nicht unsolid, hatte einen Gehalt von 4400 Fr., der jährliche Anteil
an der Tantieme betrug auch stets 7 800 Fr., aber wie es scheint, war ihm
dieses Einkommen nicht genügend, er wollte es durch Börsenspekulationen
verbessern. Also der gleiche Fall wie bei W. Brunner (der vor Z Jahren
noch 300,000 Fr. besessen hatte), bei Gutz-Frei und andern. Einkommen
von 4 5000 Fr., die die Grosszahl der Erwerbenden nicht hvt, genügten
diesen jungen Herren nicht mehr; sie wollten schnell reich werden,
fielen hinein, wurden vielleicht auch gerupft und das Ende vom Lied ist:
Konkurs, Flucht oder Gefängnis.

Ihr Blatt ist schon wiederholt gegen das Börseln aufgetreten und mit
Recht, man kann davor nicht genug warnen Wenn nur die Hälfte wahr ist von
dem, was man sich zuraunt, so sind in der Stadt Solothurn und Umgebung
in den letzten drei Jahren abzüglich der früher etwa gemachten Gewinne
gut zwei Millionen an Börsenspekulationen verloren gegangen, eine grosse
Summe für eine kleine Stadt und dazu kommen noch zirka 500,000 Fr.,
die an andern Aktien und Wertpapieren (nicht börsenfähigen) verloren
gegangen find. Mit dieser Summe

370 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

" an, wenn "ie noch vorhanden wäre, nicht nur ein neues,-k(;kckkkhi:lis,
sondern1auch ein Schulhaus in der Vorstadt und die Rothbrücke, die beide
allerdings noch nicht dringend sind, bauen zund für das Bipperbähnli und
die tSchönbuhlbahn wurde auch ssnoch etwas übrig bleiben. Der Giftbaum
derBorse frisst der/Î

Schweiss des Volkes weg, sagte einmal ein preussischer Minhster.
Am 8. Juli erschien sodann im Solothurner Anzeiger folgender Artikel: . .
' L '

Allerlei Kriseliges. (Einges.) Wahrend die. stadtische okalpresse über
unangenehme Fälle in der solothurnischen Finanz-

" ' ' ' rd in der ausund Geschaftswelt diskreies Schweigen wahrt, wt
d' wärtigen Presse ungeniert von diesen Fallen geschrieben. Dass ie
Lokalpresse sich mehr Rücksichten auferlegen muss, ist La begreiflich
Allein deswegen bekommt die Welt doch Kunde von diesen Dingen, die
allerdings unserer Stadt nicht zu Ehre und Ruhm ge-

i en. '

re cthls der Krach des Bankgeschästes W. Brunner erfolgte, gi'ngen
allerlei Gerüchte über Verluste von-Leuten um, die mit ihm verhenkt
gewesen und allerlei Prophezeiungen tauchten aqu Tatsächlich ist der
Kassier der sonst gutgeleiteten Hypothekenban

ebenfalls als Opfer des Börsenspiels entdeckt worden. Seine Eingriffe
in die Bankkasse sollen gegen 100,000 Fr.a betragen "Solothurn steht von
jeher im Rufe verwegenen Borsenspies Und es ist bekannt, dass schon vor
Jahren grosse Vermögen die Aare hinabgeflossen sind. Auch in den letzten
Jahren sind auf-

sehenerregende Zusammenbrüche erfolgt.

Umgekehrt hört man Handwerker und Bauern klagen, dass

gewisse Leute wohl Geld haben für allerlei Spekulationen und Papiere,
aber nicht für die einheimischen kreditbedurstigen kleinen Leute. Sogar
Bankgeschäste stellen gerade der iBauernsaine harte "Bedingungen. Die Jagd
nach dem Matrimoni ist eine. fieberhafte. Da die ordentlichen Einkommen,
so schon sie sind-vielen Lerner; nicht mehr genügen, um ihren Aufwand
zu bestreiten, oder werd ihnen der Ausstieg zum Herrentum zu wenig rasch
geht, wir dann mit Börselen nachgeholer, wobei es dann meist schief gehtf
nach einigen anfänglichen Erfolgen. Denn so von einem Provinzstädtlein
aus in solch launischen und Iahen Wandlungen Hi. Pressfreiheit. N° 76. 371

unterworsenen Geschäften, wo jede Minute kostbar und wichtig ist,
zu machen, ist überaus riskiert und gewöhnlich, wenn man dann meint,
einen Hauptlupf zu machen, wendet sich das Glück.

Freilich ist auch im geschäftlichen Leben nicht alles Gold was glänzt. Es
sind zwei hiesige Uhrensabrikanten durch Unglück in ihren geschäftlichen
Verbindungen, der eine mit russischen Juden, in Schwierigkeiten
geraten. In dieser flauen Zeit sind die Fabrikanten natürlich darauf
angewiesen, auch aus gefährlichen Absatzgebieten etwas zu riskieren. Aber
immerhin finden tüchtige und ernsthafte Geschäftsleute in solchen Fällen
Hilfe, um sich wieder zu konsolidieren.

Für den ersten dieser Artikel hat der Rekurrent Jäggi als zeichnender
Redaktor der Oltener Nachrichten-C für den zweiten der Rekurrent
Dr. Kälin als zeichnender Redaktor des Solothurner Anzeiger die volle
strafrechtliche Verantwortung übernommen.

Am 9. Juli 1910 erschien ferner im Oltener Tagblatt folgender Artikel:
Solothurn. (Korr.)

Der Giftbaum der Börse. Die städtische Presse hüllt sich betreffs
der Vorfälle der letzten acht Tage, welche die hiesige Bevölkerung
in Aufregung versetzen, in beharrliches Schweigen; nur durch die
ausserkantonalen Zeitungen sickert die dunkle Kunde durch. Man möchte
fast meinen, der Geist der alten lustigen genusssüchtigen Ambassadorenzeit
gehe immer noch da und dort um in unsern Mauern, mit leichtem Gelderwerb
zu frohem Lebensgenusse. So hat, von diesem Geiste getragen, das
Börseln ,immer noch seine gläubigen Jünger in der hiesigen Stadt. Hat
Petrus einen guten Fischng an der Börse getan, sofort ist ein Dutzend
sprungbereit, das nämliche Glück zu erhaschen; im Netze zoggelt kein
goldenes Fischlein; man wirst das Netz mit fieberhaftem Eifer wieder und
wieder aus; Misserfolg aus Misserfolg und die Katastrophe ist da. So tat
es der Kassier der schweizerischen Hypothekenbank; auf 100,000 Fr. wird
das Defizit berechnet. Zwei Uhrensabrikanten sollen durch .waghalsige
Spekulationen ebenfalls schwer mitgenommen sein und andere mehr. Natürlich
bauscht die geschwätzige Fama alles masslos auf und die tollsten Gerüchte
schwirren durch die sonst so freundlichen Gassen unserer Stadt.

AS 37 l 1911 es

372 A. Staatsrecmtiche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

B. Wegen dieser drei Artikel erhoben sämtliche zehn Uhrenfabrikanten der
Stadt Solothurn gegen die Rekurrenten, sowie gegen die verantwortliche
Redaktion des Oltener Tagblatt, Strasklage wegen Beschimpfung Durch zwei
Urteile vom 28. Dezember 1910 hat darauf das Qbergericht des Kantons
Solothurn zweitinstanzlich erkannt:

a. in Sachen des Rekurrenten Jäggi, sowie der Redaktion des Oltener
Tagblattes:

Die beklagten Redaktionen haben sich des Vergebens der Beschimpfung
schuldig gemacht und sind verfällt:

a) je zu einer Geldbusse von 50 Fr.; b 'Si I (Kosten). h. inSachen des
Rekurrenten Dr. Kälin:

Der Beklagte habe sich des Vergehens der Beschimpfung schuldig gemacht
und ist verfällt:

a) zu einer Getdbusse von 50 Fr.; J % (Kosten).

Diese Urteile sind, soweit sie sich auf die Rekurrenten beziehen,
folgendermassen begründet :

Der Richter habe sich zunächst darüber schlüssig zu machen, ob der von
den beklagten Redaktionen angetragene Wahrheitsbeweis zu gestatten
sei. Nun sei dem Gerichte, da es seinen Sitz in Solothurn, also
inmitten der solothurnischen Uhrenindustrie habe, bekannt, dass zur
Zeit des Erscheinens der iiikriminierten Artikel sich tatsächlich zwei
stadtsolothurnische Uhrenfabrikanten nicht in einer guten-finanziellen
Situation befanden; diese sei zwar nicht derart gewesen, dass der
Einbruch eines Konkurses unmittelbar oder doch in nächster Zeit ais
bevorstehend hätte angesehen werden inüssen; Tatsache sei jedoch, dass die
betreffenden zwei Uhrenfabrikanten unter dem Drucke der Krisis finanziell
schwer zu leiden hatten. Der Richter dürfe demnach von der Feststellung
ausgehen, dass die in den inkriminierten Artikeln relevierten Tatsachen
wahr seien. Von diesem Gesichtspunkteqaus stelle sich die beantragte
Beweisergänzung als eine überflusfige

Massnahme dar. . . Die von der Beklagten bestrittene
Aktivlegitimationder KlagerME. Pressfreiheit. N° 76. 373

müsse gestützt auf die herrschende Praxis bejaht werden. Darnach
(oergl. Stenglein, Lexikon des deutschen Strafrechtes, Bd. I S. 315;
Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechtes, 4. Aufl. S. 355;
Entscheidungen des Reichsgerichts, Bd. 23 S. 247 sf.; Daude, das
Strafgesetzbuch für das deutsche Reich, Note 21 zu § 185; Urteile des
Obergerichts des Kantons Solothurn vom 8.August 1904 und 12. März 1904,
N. B. pro 1904, Nr. 44 und 45) genüge es, wenn die Kundgebung einzelne
Personen derart kennzeichne, dass auf sie der Verdacht unehrenhaften
Handelns geworfen werde; alle diese Personen seien dann an ihrer
Ehre gekränkt, und jeder Einzelne zur Stellung des Strafantrages
berechtigt. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Zur Zeit, als die
inkriminierten Artikel erschienen, habe die solothurnische Uhrenindustrie,
wie gerichtsnotorisch sei, eine schwere Krisis durchgemacht. Es sei
anzunehmen, dass wohl die meisten solothurnischen Uhrenfabrikanten in
jenem Zeitpunkte zufolge der Krisis eine Menge von Waren aus Lager hatten,
die sie nicht sofort absetzen konnten. Es sei klar, dass, wenn auch ein
grosses Kapital vorhanden war, die Situation für die Uhrenindustrie in
jenem Zeitpunkte eine prekäre war. In diesem kritischen Zeitpunke seien
nun die inkriminierten Artikel erschienen, sodass jedermann sofort habe
annehmen müssen, es hätten die folothurnischen Uhrensabrikanten mit
finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen.

s In materieller Beziehung sei zunächst auf Grund des
Beweisergänzungsentscheides von der Feststellung auszugehen, dass
zur Zeit des Erscheinens der inkriminierten Artikel tatsächlich
zwei stadtfolothurnische Uhrenfabrikanten sich in einer finanziell
prekären Lage befanden. Nun sei aber nach § 130 Abs. 2 des soloth;
Strafgesetzbuches auch die Veröffentlichung oder Verbreitung wahrer
Tatsachen als Beschimpsung strafbar, wenn diese Ver-

. öffentlichung geeignet sei, den Kredit des Klägers zu schädigen,

und wenn aus der Art der Erzählung oder ihrer Verbreitung hervorgehe,
dass dieselbe den Zweck hatte, dem Angegriffenen Schaden zuzufügen
oder ihn dein Spott und der Missachtung auszusetzen. Dies sei hier der
Fall. Mit den inkriminierten Artikeln werde die wirtschaftliche Geltung
der Klägersin der Offentlichkeit angegriffen und zwar-in einer Artund
Weise, dass die Beleidigungsabficht sofort ersichtlich sei. Hinter
den Ausdrücken,-

374 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

man munkle betreffend zwei Uhrenfabrikanten von finanziellen
Schwierigkeiten und, es seien zwei hiesige Uhrenfabritanten durch Unglück
in ihren geschäftlichen Verbindungen, der eine mit russischen Juden,
in Schwierigkeiten geraten-O verstecke sich ssdie Tendenz, den Kredit
der stadtsolothurnischen Ahrenindustrie bos? willig zu gefährden. Dies
gehe schon aus der Uberschrift Allerlei Kriseliges und Unerfreuliches
aus der Hauptstadtsahervor Die Absicht bösivilliger Kreditgefährdung
trete um so starker in den Vordergrund, als sich die stadtsoloihurnische
Uhrenindustrie beim Erscheinen der Artikel von der langandauernden
Krisis notorischermassen noch nicht erholt und noch immer an den
Folgeerscheinungen derselben zu leiden gehabt habe. Gerade damals sei
die solothurnische Uhrenindustrie dringend auf den Kredit angewiesen
gewesen. Dieser sei aber durch die nichts weniger als wohlwollenden
Artikel der Beklagten böswillig gefährdet worden. Die Tendenz der
Artikel sei nicht die, das Publikum zu warnen, sondern ihr Inhalt
sei eine mehr oder weniger pharisäisch selbstgefällige Kritik; les
werde damit beabsichtigt, die Neugierde des Publikums zu befriedigen
Die Genusssucht, die Veruntreuungen und der Konkurs des Bankiers
Brunner, sowie die Veruntreuungen des Kassiers der Hypothekenbank,
seien mit der Tatsache der schlechten finanziellen Situation von zwei
stadtsolothurnischen Uhrenfabrikanten in Verbindung gebracht worden;
es werde in den Artikeln von dem unheilvollen Einfluss des Börsenspiels
gesprochen Wenn die Beklagten wirklich in wohlwollender Absicht das
Publikum hätten aufklaren wollen, so wäre es doch sicherlich nicht
notwendig gewesen, die Aufklärung dein Publikum auf diese Art und
Weise zu· verschaffen; gerade diese Form der Artikel beweise klar, dass
ihnen die Absicht innewohnte, die Kläger zu schädigen. Es habe gar kein
Jnterefse vorgelegen, die stadtsolothurnische Uhrenindustrie auf diese
Art anzugreisenz ganz anders wäre beispielsweise dera Fall gewesen, wenn
in der Presse auf das Treiben eines Versenspekulanten und auf das das
Volkswohl nntergrabende Borsenspiel aufmerksam gemacht worden ware";
in einem solchen Falle hätte man doch noch ernstlich von dem Schutz
berechleter Jnteressen sprechen können; dieses Argument treffe aber im
vorliegenden Falle nicht zu. Die Voraussetzungen des§ 180 Abs. 2 StrGB
seien deshalb gegeben-H[. Presssreiheit. N° 76. 375

C. Gegen diese Urteile richtet sich der vorliegende, rechtzeitig und
formrichtig ergriffene staatsrechtliche Rekurs, der damit begründet wird,
dass Verletzung der Pressfreiheit und Willkür vorliege.

D. Das Qbergericht des Kantons Solothurn und die Rekursbetlagten haben
Abweifung des Rekurses beantragt

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Im Gegensatz zu einer frühem Auffassung ist davon auszugehen, dass
diePresse durch Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV nicht nur gegenüber ganz offenbar den Rahmen
des kantonalen Strafrechtes überschreitenden und daher als willkürlich
erscheinenden Anwendungen des Ehrverletzungsbegriffs, bezw. gegenüber
einer missbräuchlichen Ausdehnung der allgemeinen Strafgesetze durch
Besirafung ganz offenbar berechtigter, kein Rechtsgut verletzender
Meinungsäusserungen (vergl. BGE 8 S. 411 ff. Erw. 3 f., 16 S. 639,
21 S. 365) geschützt wird; denn diesen Schutz gewährt bereits Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV.

Anderseits kann aber auch die Ansicht nicht geteilt werden,
dass Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV dem Bundesgericht die Kompetenz gebe, in jedem
einzelnen Falle der Verurteilung wegen eines Pressdeliktes zu
untersuchen, ob die inkriminierte Handlung als eine nach allgemein
anerkannten Rechtsgrundsätzen unerlaubte, ein Rechtsgut des Klägers
verletzende angesehen werden konnte (vergl. BGE 24 I S. 51 Erw. 2),
ob darin zu Unrecht eine strafbare Handlung bezw. zu Unrecht eine
Ehrverletzung erblickt worden sei (BGE 26 I S. 292 f. Erw. 1), ob
nach allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen, insbesondere an Hand der
Strafrechtsiviffenschaft, bezw. nack) der durch die Wissenschaft gegebenen
Definition der Ehrverletzung anzunehmen sei, dass sie den Tatbestand
dieses Deliktes" enthalte (BGE 26 I S. 43 und 431), n. f. w. Durch eine
derart weitgehende Ausdehnung der Kompetenz des Bundesgerichts würde
tatsächlich der Vereinheitlichung des Strafrechis vorgegriffen und die
Presse insofern privilegiert, als diejenigen Personen, die sich ihrer
bedienen, vom Bundesgerichte die materielle Überprüfung aller gegen
sie ergangenen Verurteilungen wegen Ehrverletzung verlangen könnten,
während sämtliche übrigen Bürger hinsichtlich der Frage, ob ihnen eine
Ehrverletzung zur Last falle, den Entscheid der kantonalen Gerichte als
endgültig hinnehmen müssten.

376 A. Sîaatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

2. Zur Vermeidung sowohl des einen wie des andern Ertremes in der
Auslegung des Grundsatzes der Presssfreiheit ist versucht worden
(vergl. Burckhardt, Kommentar zur BV, S.562, sowie BGE 36 IS. 36 Erw. 2),
aus Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV die Garantie eines bestimmten Minimum? von Freiheit zu
Gunsten der Presse abzuleiten, in der Meinung, dass die Kantone zwar
befugt seien, in der Anerkennung der Pressfreiheit weiter zu gehen als
dieses Minimum, nicht aber, dahinter zurückzubleiben. Diese Theorie,
die auf den ersten Blick bestechend sein mag, erweist sich indessen bei
näherer Prüfung bloss als eine andere Form der bereits er:

wähnten frühem Auffassung, wonach der Presse durch Art. 55

V die Anwendung eines vom kantonalen Strafrecht unabhängigen, besondern
Ehrverletzungsbegriffs garantiert worden wäre. Denn sobald jenes Minimum
von Freiheit umschrieben werden will, kann dies selbstverständlich nur
durch eine nähere Bezeichnung derjenigen Tatbeftände geschehen, deren
Unterstellung unter den Begriff der Ehrverletzung, Verleumdung, üblen
Nachrede oder Beschimpfung bundesrechtlich gestattet sein soll; dies
läuft aber in Wirklichkeit eben darauf hinaus, für die Pressdelikte einen
besondern Ehrverletzungsbegriff auszustellen, dessenJBegriffsmerkmale in
jedem einzelnen Falle gegeben sein müssen, damit eine Ver-· urteilung
zulässig erscheint. In diesem Sinne spricht sich denn auch Burckhardt
a. a. O. dahin aus, dass der Begriff der Ehrverletzung, als Grenze der
Pressfreiheit, bundesrechtlich zu bestimmen sei. Darnach könnte also jeder
wegen eines Pressdeliktes Verurteilte vom Bundesgericht die Überprüfung
desUrteils hin-

sichtlich aller einzelnen Tatbestandsmerkmale jenes bundesrechtlichen ·

Ehrverletzungsbegrisses verlangen, insbesondere z. B. hinsichtlich der
Wahrheit eines in der Presse erhobenen Vorwurfs, hinsichlich der Frage,
ob sich der Beklagte der Unwahrheit des Vorwurfs bewusst war oder nicht,
hinsichtlich der Frage, ob der Vorwurf überhaupt-;;ehrverletzender Natur
war, u. s. w., 111. a. W., es würde für alle Pressbeleidigungsprozesse
eine Art eidgenössischer Qberappellationsinstanz geschaffen Tatsächlich
ist denn auch aus jener Minimaltheorie die praktische Konsequenz gezogen
worden (vergl. das zitierte Urteil in Bd. 36 I, speziell S. 37), dass
dem Bundesgericht die freie Prüfung in rechtlicher wie in tatsächlicher
Beziehung- zusteheund dass es daher ins-HI. Pressfreiheit. N° 75. 377

besondere zu untersuchen habe, ob ein bestimmter, in der Presse erhobener
Vorwurf (wie z. B. derjenige des fanatischen Vorkgehens) ehrverletzend
sei, sowie ob im konkreten Falle hinsichtlich dieses Borwurfes der
Wahrheitsbeweis geleistet sei. s

3. Soll dieses Resultat vermieden, anderseits aber dein Grundsatz
der Pressfreiheit doch auch eine über Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV sund über das blosse
Verbot gewisser Prohibitibund Repressivmassregeln (oergL Burckhardt
a. a. O. S. 564 ff.) hinausgehende Bedeutung zuerkannt werden, so kann
dies nur durch Berücksichtigung der besonderen Aufgaben geschehen,
deren Erfüllung im modernen Staat von der Presse erwartet wird. Nur
bei Beschränkungder bundesgerichtlichen Kognition auf die Prüfung
der Frage, ob diese besondern-Aufgaben der Presse im konkreten Falle
verkannt worden seien, einerseits, und bei vollkommen freier Prüfung
dieser Frage anderseits, ist es dem Bundesgerichte möglich, ohne die
ihm durch am. 113 BV und 175 OG gesetzten Grenzen zu überschreiten, der
Presse dennoch denjenigen Schutz angedeihen zu lassen, der offenbar durch
Art. 55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BV bezweckt wurde, nämlich den Schutz gegen solche Massregeln,
durch welche die Presse an der Erfüllung ihrer Aufgabe verhindert würde.

Von diesem Gesichtspunkte aus ist bei Rekursen wegen Verkletzung
der Pressfreiheit jeweilen in erster Linie festzustellen, ob das
inkriminierte Presserzeugnis nach Form und Jnhalt geeignet war, oder
doch den Zweck verfolgte, eine jener besondern, der Presse obliegenden
Aufgaben zu erfüllen, also z. B. dem Leser bestimmte, die Allgemeinheit
interessierende Tatsachen zur Kenntnis zu bringen, ihn über politische,
ökonomische, wissenschaftliche, literarische und künstlerische Ereignisse
aller Art zu orientieren, überFragen von allgemeinem Interesse einen
öffentlichen Meivnungsaustausch zu provozieren, in irgend einer Richtung
aus die praktische Lösung eines die Offentlichkeit beschäftigenden
Problems hinzuwirken, über oie Staatsverwaltung und insbesondere über die
Verwendung der öffentlichen Gelder Aufschluss zu verlangen, allfällige
Missbräuche im Gemeinwesen aufzudecken, u. s. w. Muss

das Vorhandensein eines solchen höhern, in gewissem Sinne

idealen Zweckes verneint werden, weil es sich entweder um einen die
Offentlichkeii in keiner Weise interessierenden Gegenstand handelt,
oder weil das Mittel der Presse lediglich zur Erreichung

378 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

eines rein egoistischen Zweckes gewählt wurde, so kann die Garantie der
Pressfreiheit von dem wegen eines Pressdeliktes Verurteilten selbst
dann nicht angerufen werden, wenn der kantonale Richter von einem
rechtsirrtümlichen Begriff der Ehrverletzung ausgegangen sein oder den
konkreten Tatbestand unrichtig gewürdigt haben sollte, und also der
Rekurrent vielleicht zu Unrecht bestraft wurde; denn ein Grund, die
Presse eines besondern Schutzes teilhaftig werden zu lassen, liegt nur
insoweit vor, als sie die ihr obliegenden besondern Aufgaben erfüllt..
Handelt es sich dagegen in der Tat um einen Gegenstand von. allgemeinem
Interesse, und lag der Publikation auch die Absicht der Erfüllung einer
jener spezifischen Aufgaben der Presse zu Grunde, sind aber dabei in
mehr oder weniger empfindlicher Weise anch private Interessen tangiert
worden, so wird eine gewisse Abschätzung des Wertverhältnisses der
in Betracht kommenden Jnteressen stattfinden müssen, so zwar, dass
einerseits z. B. der blosseZweck, das Publikum zu unterhalten oder
zu belustigen dessen Erfüllung ja oft auch zu den Aufgaben der Presse
gehört und u. U. sogar den Hauptzweck eines Pressproduktes bilden kann
-als ungenügend erkannt wird, um die Vernichtung der ganzen poltischen,
wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Existenz einer Einzelperson zu
rechtfertigen, dass aber anderseits z. B., wenn es sich darum handelt,
das Publikum vor irgend einer ernstlichen, physischen, ökonomischen oder
sittlichen Gefahr zu warnen, allsällig dadurch berührte und unvermeidlich
zu berührende, minder wichtige private Interessen in den Hintergrund zu
treten haben. s -4..Jm vorliegenden Falle ist nun nicht zu verkennen,
dass für die zehn Uhrenfabrikanten der Stadt Solothurn, und speziell
für diejenigen zwei, die sich zur kritischen Zeit in einer prekären
finanziellen Situation befanden, die Veröffentlichung dieser Tatsache in
solothurnischen Zeitungen ein unangenehmes Ereignis sein mochte. Allein,
abgesehen davon, dass nach den Feststellungendes Obergerichts jene
Tatsache nicht nur der Wahrheit entsprach, sondern offenbar in Solothurn
auch schon den Gegenstand des Tagesgesprächs bildete, hatten gewiss
alle mit der Uhrenindustrie direkt oder indirekt in Berührung kommenden
Personen also in einer kleinern Stadt mit zehn Uhrenfabrikanten fast
die ganze-IH. Pressfreiheit. N° 76. 379

Einwohnerschaft ein unbestreitbares Jnteresse daran, über die Wahrheit
oder Unwahrheit der umlaufenden Gerüchte aufgeklärt zu werden. Ein
begreifliches und berechtigtes Interesse bestand insbesondere anch
daran, zu wissen, ob es sich um eine eigentliche Krisis handle, die
möglicherweise bei der Verbreitung der Uhrenindustrie über die ganze
westliche Kantonshälfte für weite Kreise der Bevölkerung gefährlich
werden könnte, oder ob im Gegenteil nur einzelne Fabrikanten unter
momentaner Geldknappheit zu leiden hätten, ob ferner die Ursache
der bestehenden Schwierigkeiten in allgemeinen Verhältnissen, wie
z. B. in einer Disproportion zwischen Angebot und Nachfrage, in der
überhandnehmenden Konkurrenz auswärtiger Plätze, in der Verteuerung
der Rohmaterialien und dergl. gesucht werden müsse, oder ob es sich im
Gegenteil um ganz individuelle Ursachen handle, wie z. B; um unglückliche
Börsenspekulationen seitens der betreffenden Geschäftsinhaber, um
Veruutreuungen seitens ihrer Angestellten oder um Kaufpreisprellereien
seitens auswärtiger Kunden, u. f. w. Über alle diese und ähnliche Fragen
wollte und musste offenbar das Publikum unterrichtet werden, oder
es lag doch wenigstens für jeden Zeitungsredaktor die Annahme nahe,
dass in dieser Beziehung ein allgemeines Verlangen nach Aufklärung
bestehe. Alsdann aber durften die Rekurrenten es als die Pflicht der
lokalen Presse betrachten, der Offentlichkeit die Wahrheit nicht länger
vorzuenthalten, und zwar selbst auf die Gefahr hin, dass die in Betracht
kommenden Uhrenfabrikanten sich dadurch verletzt fühlen sollten.

Im übrigen kann auch nicht etwa aus der Form der inkriminierten Artikel
darauf geschlossen werden, dass es den Rekurrenten vielleicht doch
nicht, oder nicht in erster Linie um die Aufklärung des Publikums-,
sondern vielmehr um die Schädigung der in Betracht kommenden beiden
Fabrikanten oder gar der ganzen solo: thurnischen Uhrenindustrie zu tun
gewesen sei. Beide Artikel sind durchaus sachlich gehalten und zeugen
keineswegs, wie das Obergericht angenommen hat, von einer Tendenz, den
Kredit der stadtsolothurnischen Uhrenindustrie böswillig zu gefährden. Die
Schwierigkeiten der beiden Uhrenfabrikanten sind zwar mit allerhand
andern, zum Teil auch in moralischer Beziehung bedauerlichen

880 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Vorgängen Unter einer gemeinsamen Überschrift (Allerlei Kriseliges
bezw. Unerfreuliches) zusammenbehandelt worden ; allein die Rekurrenten
haben dabei gerade den Gegensatz zwischen verdientem und unverdientem
Unglück hervorgehoben und ausdrücklich betont, dass jene beiden
Fabrikanten tüchtige und ernsthafte Geschäftsleute seien, die ihr
Metier verstehen Und keineswegs ungebührlichen Aufwand trieben, die aber
durch gewissenlose Kunden in Russland und Polen in raffinierter Weise
um den Gegenwert der dorthin gelieferten Ware gebracht worden seien,
deshalb würden sie auch gewiss leicht Hilfe finden, um sich wieder zu
konsolidieren. Es ist also hier nicht etwa nur die für die Betroffenen
ungünstige Seite der Angelegenheit hervorgekehrt worden, sondern die
Rekurrenten haben sich bestrebt, dem Publikum eine möglichst objekive
Darstellung und eine möglichst wohlwollende Beurteilung des Falles zu
geben. Jst es nun auch nicht Sache des Bundesgerichts, hieraus einen
Schluss auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Tatbestandes der
Beschimpfung bezw. der Kreditschädigung zu ziehen, so ergibt sich daraus
doch jedenfalls soviel, dass hier die Presse nicht ihrer normalen Funktion
entsremdet und zur Erreichung irgend eines privaten Zweckes, zn dem der
Autor sich nicht offen zu bekennen wagte, missbraucht worden ist, sondern
dass im Gegenteil das vorliegende kantonale Urteil die Zweckbestimmung Und
das Wesen der Presse verkennt, indem es ihr diejenige Bewegungsfreiheit
nehmen möchte, deren sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe bedarf.

5. Da nach den vorstehenden Ausführungen der Rekurs auf alle Fälle
wegen Verletzung der Pressfreiheit gutzuheissen ist, braucht auf den
Beschwerdegrund der Willkür nicht eingetreten zu werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen, und es werden die Urteile des Obergerichts
des Kantons Solothurn vom 28. Dezember MMO, soweit sie sich auf die
Rekurrenten beziehen, aufgehobenlll Presssi'eiheit. N° 7T. . 381

77. Art-etc vom 20. September 1911 in Sachen Euttiuecht gegen Wanninger
und Haus-tieri-

Ver-gl. die Inhaltsangabe zu Nr. 76.

Recht und Pflicht der Presse, über auffällige Vorgänge in der Verwaltung
des Staatshaushaltes Aufklärung zu verlangen und dabei u. U. die Frage,
ob das Interesse des Staates stets genügend gewahrt werde, in einer
bestimmten Richtung zu präzisieren (Erw. 2 und 3).

Inwieweit ist bei Rekursen wegen Verletzung der Pressfreiheit
die vorherige Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
erforderlich.? Inwieweit besteht ein solcher Instanzenzug im, Kanton
Freiburg? (Erw. 1.)

A. Der Rekurrent ist verantwortlicher Redaktor der in Murten erscheinenden
Zeitung Der Murtenbieter.

Der Rekursbeklagte Nr. 3 ist Verwalter der kantonalen Straskolonien
Bellechasse" und Erlenhof". Der Rekursbeklagte Nr. 2 ist Unterverwalter
dieser Anstalten. Tatsächlich wird die Verwaltung des Erlenhof"
ausschliesslich von Schwab, diejenigevon Bellechasse dagegen mehr oder
weniger selbständig von Benninger besorgt. Beide Anstalten pflegen unter
dem gemeinsamen Namen Bellechasse zusammengefasst zu werden.

Der Rekursbeklagte Nr. 2 ist der Sohn von Verwalter Fritz Schwab, und der
Rekursbeklagte Nr. 1 der Vater von Verwalter Joh. Benninger. Ausserdem
ist der Rekursbeklagte Nr. 2 der Schwiegersohn von Fritz Schwab und der
Schwager von Alsred Schwab.

B. Am 1. Februar 1908 erschien im Freiburger In-

. dependent ein Artikel über die Einweihung des dem Cercle

catholique de Fribourg im neuen Staatsbankgebäude eingeräumten Lokales
Dieser Artikel enthielt folgenden Passus:

On y aura célébré la complaisance avec laquelle la Banque d'Etat s'est
empressée de racheter au Cousortium Parteien Hötel des Merciers, la
facilité encore plus grande qu'elle a mise à ]ouer son café et son
second étage au Cercle catholique. De semblables opérations ne doivent
pas présenter de grandes difficultés, quand le vendeur s'iden-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 37 I 368
Datum : 13. Juli 1911
Publiziert : 31. Dezember 1911
Quelle : Bundesgericht
Status : 37 I 368
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 368 A. Staalsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung. III. Pressfreiheit.


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
55
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 55 Mitwirkung der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden - 1 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
1    Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
3    Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.
BGE Register
24-I-48 • 26-I-288 • 26-I-38
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