A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

6. guten vom 22. Februar 1911 in Sachen cbenegger gegen Gemeinderat
@etwis.

Voraussetzungen eines Rekurses wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit
: Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht erforder-- lich;
Belem s anderseits noch zulässig gegenüber solchen Massregeln,
die nur die Konsequenz eines die Niederlassungsfreiheitverletzenden
Entscheides sind, wie z. B. die Bestrafung wegen N ichtbefolgung einer
unzulässigen Aufforderung zur Hinterlegung bestimmter Papiere. Umfang des
durch die Praxis aus Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV abgeleiteten Rechtes der Behörden des
Niederlassungsortes, die Deponierung vonAusweisschriften zu verlangen:
bei mehrfacher Niederlassung kann nur eine Gemeinde die Hinterlegung der
Originalpapiere verlangen, wahrend die andern Gemeinden sich mit einem
Ausweis über die er--

folgte Hinterlegung begnilgen müssen. Dabei ist unerheblich, welcher-

Ort sich als Hauptniederlassungsort im zinilprozessaalen oder
steuerrechtlichen Sinne darstellt, wie ja auch umgekehrt für die
Bestimmung des zivilrechtlichen oder steuerrechtlichen Domizils
unerheblich ist, wo sich die Orig'inalien, und wo sich nur Abschriften
der Ausweispapiere befinden.

A. Der Rekurrent, Bürger von St. Gallen, wohnte seit 1. November 1908 mit
seiner Frau und seiner Pflegetochter in Egg und übte dort und in Oetwil
a. See seinen Beruf als Arzt aus Er hatte auf der Gemeinderatskanzlei
einen Heimatscheiu und einen Familienschein und für seine Pflegetochter
Angeline Brasini, da deren Staatsangehörigkeit nicht feststeht, als
Kaution einen Bürgschastsschein für 1500 Fr. hinterlegt. Auf 1. Juni
1910 mietete er eine Liegenschaft in Oetwil a. See, die aus Wohuhaus
und Garten besteht. Seine Frau siedelte darauf mit der Pflegetochter
und dem Dienstmädchen im Juni dorthin über, und es wurden während des
Sommers dort auch einige Kurgäste aufgenommenDie bisherige Wohnung gab der
Rekurrent im August 1910 auf, mietete aber anderswo in Egg drei Zimmer. Er
richtete hier ein Sprechzimmer ein und brachte seine Apotheke, seine
Bücher und Instrumente unter. Zugleich benutzte er diese Räume zuweilen
zum Schlafen. Am 9. Juli 1910 wurde er auf Grund eines Beschlusses
des Gemeinderate-s von Oetwil aufgefordert, innert 8 Tagen gehörige
Ausweisschristen auf der Gemeindekanzlei zuIl. Niederlassungsfreiheit. N°
6. ' 29

hinterlegen und eine Niederlassungsbewillignng einzulösen. Er antwortete
darauf, er betrachte Egg als Wohnsitz für sich und seine Familie
und sei bereit nachzuweisen, dass er und seine Familienangehörigen
in Egg angemeldet seien. Die Gemeinderat-Zkanzlei Oetwil erklärte
ihm aber mit Schreiben vom 19. Juli, der Gemeinderat begnüge sich
nicht mit einem Ausweis, dass er in Egg Schriften deponiert habe,
und forderte ihn unter Androhung von Busse nochmals aus, innert
vier Tagen gehörige Answeisschriften für sich und seine Familie und
die Dienstboten zu hinterlegen. Der Rekurrent kam dieser Auflage,
soweit sie ihn und seine Familie betraf, nicht nach und wurde daher
vom Gemeinderat Oetwil durch Verfügung vom 3. September 1910 mit einer
Busse von 15 Fr. bestraft. Darauf verlangte er gerichtliche Beurteilung,
indem er geltend machte, er wolle sich in Oetwil nicht niederlassen
und habe dies auch nicht getan. Das Bezirksgericht Meilen bestätigte
aber die Busse durch Urteil vom 22. September 1910, und die hiegegen
gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde wurde von der III. Apellationskammer
des Obergerichts des Kantons Zürich durch Beschluss vom 18. Oktober
1910 abgewiesen. In der Begründung dieses Beschlusses wurde folgendes
ausgeführt: Der Rekurrent hätte sich entweder der am 19. Juli 1910
gemachten Auflage fügen oder beim Bezirksrate Beschwerde erheben
müssen. Da er weder das eine noch das andere getan habe, so sei er
straffällig geworden. Dass der Gemeinderat zuständig gewesen sei, Vom
Rekurrenten Ausweispapiere zu verlangen, sei klar. Übrigens sei das
Gericht, obwohl es hierüber nicht zu entscheiden habe, der Ansicht, dass
die Gemeinde Oetwil berechtigt sei, die Hinterlegung des Heimatscheins
und des Familienscheins zu verlangen, weil der Reknrrent, wenn er auch
an mehreren Orten niedergelassen sein könne, seine Hauptniederlassung
in Oetwil habe und also hier die Ausweisschriften zu deponieren seien.

B. Gegen diese Entscheide des Bezirzsgerichtes Meilen und der
Appellationskammer des Obergerichts hat der Rekurrent am 9. Dezember
1910 den staatsrechlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit
den Anträgen, sie aufzuheben und die zürcherischen Behörden anzuweisen,
seiner Ehesrau und seiner Pflegetochter die Niederlassung in Oetwil auf
Grund einer Bescheinigung des

30 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

Gemeinderates von Egg, dass auf der dortigen Gemeinderatskanzlei
die erforderlichen Ausweisschriften deponiert seien, zu gewähren.
Zur Begründung hat er folgendes ausgeführt: Der obergerichtliche Entscheid
verletze den Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV. Danach habe jederSchweizerbürger das Recht,
sich an einem Orte niederzulassen, wenn er einen Heimatschein oder eine
gleichbedeutende Ausweisschrift besitze. Somit dürfe eine Gemeinde für die
Niederlassung nur den Ausweis über den Besitz der erfoderlichen Schriften
verlangen. Allerdings schreibe § 33 des zürch. Gemeindegesetzes vor,
dass diese Ausweispapiere in der Gemeinderatskanzlei deponiert werden
müssten. Wenn aber jemand, der die Niederlassung verlange, sie ohne sein
Verschulden nicht beibringen könne, so müsse sich die Gemeindebehörde
mit Ersatzpapieren begnügen. Er, der Rekurrent, sei bereit gewesen, dem
Gemeinderat Oetwil Bescheiuigungen des Gemeinderates Egg vom 20. Juli
1910, wonach er dort einen Heimatschein und einen Familienschein und
für seine Pflegetochter einen Bürgschaftsschein hinterlegt habe, zur
Gewährung der Niederlassung für Frau und Tochter zu übergeben. Hiemit
hätte sich der Gemeinderat Oetwil daher zufrieden geben müssen. Gemäss
Burckhardt, Kommentar zur BV S. 420, genüge bei mehrfacher Niederlassung
zur Erlangung der Nebenniederlassung eine Bescheinigung über die
Hinterlegung regelrechter Schriften am Orte der Hauptniederlafsung Diese
befinde sich in Egg, da er, der Rekurrent, seit mehr als zwei Jahren
samt seinerFamilie dort seinen Wohnsitz habe und nie beabsichtigt habe,
ein Domizil in Oetwil zu begründen.

C. Die III. Appellationskammer des zürcherischen Obergerichts hat auf
Gegenbemerkungen verzichtet.

D. Der Gemeinderat Oetwil a. See hat die Abweifung des Rekurses
beantragt. Er bestreitet, dass ihm Bescheinigungen über Hinterleguug
der Ausweisschriften in Egg vorgelegt worden seien,. erklärt aber,
dass er sich damit nicht zufrieden gegeben hätte, da er berechtigt sei,
die Originalausweispapiere, nämlich den Heimatund den Familienschein zu
verlangen, weil Oetwil der Wohnsitzder Familie sei. Im übrigen bemerkt er,
dass er vom Rekurrenten keine Steuern erheben könne, so lange dieser
nicht Ausweispapiere deponiere und eine Niederlassungsbewilligung
einlöse.II. Niederlassungsfreiheit. N° 6si 31

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Rekurrent hat den kantonalen Jnstanzenzug nicht erschöpft,
weil er gegen die Aufforderung des Gemeinderates Oetwil zur Abgabe der
Originalausweispapiere keine Beschwerde beim Bezirksrate erhoben hat. Doch
ist dies ohne Bedeutung, da dies Erschöpfung des kantonalen Jnstanzenzuges
nach konstanter Praxis des Bundesgerichtes keine Voraussetzung für den
Rekurs wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit bildet. Ebenso ist
es unerheblich, dass die Appellationskammer des zürch. Obergerichts,
wie sie in ihrem Entscheide ausgeführt hat, bloss zu untersuchen hatte,
ob der Gemeinderat von Oetwil zum Erlass der Aufforderung zur Abgabe von
Ausweisschriften zuständig gewesen sei, dagegen nicht prüfen konnte, ob
diese Auflage begründet sei, insbesondere, ob sie im Einklang mit Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.

BV stehe. Denn ein Rekurs wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit ist
gegenüber einem Akte, der in Vollstreckung eines früheren Entscheides
ergeht, auch dann zulässig, wenn der Behörde, die den Vollziehungsakt
erliess, gegenüber dem zu Grunde liegenden Entscheide eine Nachprüfung
aqu die Berfassungsmässigkeit nicht zustand.

2. Für die Frage, ob in der Auflage des Gemeinderates vom 19. Juli
1910 eine Verletzung der Niederlassungssreiheit liege, fällt nicht in
Betracht, dass der Rekurrent die Bescheinignngen des Gemeinderate-s
Egg vom 20. Juli 1910 bloss zum Aus-weis für Frau und Tochter, dagegen
nicht für sich in Oetwilhinterlegen wollte; denn der Gemeinderat Oetwil
erklärte ausdrücklich, er wolle überhaupt keine solchen Bescheinigungen,
undbestrafle daher den Rekurrenten auch nicht deshalb, weil er für sich
keinen derartigen Ausweis vorgelegt hatte. Es fragt sich daher bloss,
ob das Verlangen, dass Heimatschein und Familienschein des Rekurrenten
im Original in Oetwil hinterlegt werden müssten, eine Verletzung der
Niederlassungsfreiheit bedeute. Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV gestattet den Kan"tonen, von
einem Schweizerbürger, der sich niederlassen will, zu verlangen, dass er
sich über den Besitz eines Heimatscheines oder einer gleichbedeutenden
Ausweisschrift ausweife. Durch die Praxis ist dies dahin interpretiert
worden, dass alsformelle Bedingung für die Niederlassung die Hinterlegung
der erwähnten Ausweispapiere verlangt werden kann (Salis, Bundes-

32 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

recht 2. Aufl. Bd. 2 Nr. 571 Biff. 3). In der Regel werden für eine
Familie die Originalien des Heimat: und Familienscheins deponiert
werden müssen. Wenn aber, was durchaus möglich und zulässig ist,
mehrere Niederlassungen bestehen, so ist es selbstverständlich, dass die
erwähnten Originalpapiere nur an einem Orte hinterlegt werden können,
und dass sich die übrigen mit einer Bescheinigung über diese Deposition
begnügen müssen. Der Zweck der Vorschrift des Art. 45 Abs. 1 ist,
dem Niederlassungsorte einen authentischen Ausweis über die Kantonsund
Gemeindeangehörigkeit des Einziehenden zu geben, und dieser Zweck wird
durch die Vorweisung einer solchen Bescheiniguug erfüllt. Demgemäss
ist bei mehrfacher Niederlassung von jeher für einen Niederlassungsort
die Deposition einer amtlichen Bescheinigung der Behörde des andern,
dass eine Ausweisschrist im Sinne des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV dort hinterlegt sei,
als genügendes Erfordernis betrachtet worden (Burckhardt, Kommentar
z. BV S. 428; BBl 1881 II S. 673). Da der Rekurrent in Egg bereits
niedergelassen ist, dort seinen Heimat: und seinen Familienschein
deponiert hat und diese Niederlassung nicht ausgibt, so genügt also
die Bescheinigung des Gemeinderates Egg über die Hinterlegung der
Ausweisschriften im Sinne des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV für die Niederlassung in
Oetwil. Ob Oetwil als zivilrechtlicher Wohnsitz des Rekurrenten und somit
als Hauptniederlassungsort, Egg dagegen nur als Nebenniederlassungsort zu
betrachten sei, ist unerheblich. Es liegt nichts vor, woraus geschlossen
werden könnte, Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV gebe dem Hauptniederlassungsort das Recht,
eine Hinterlegung der Originalausweisschriften zn verlangen, wenn diese
bereits an einem andern Niederlassungsort deponiert sind. Es wäre auch
eine unzweckmässige Umständlichkeit, wenn Heimat: und Familienschein
des Rekurrenten nach Oetwil verbracht würden und dann diese Gemeinde
der Gemeinde Egg eine Bescheinigung über die Hinterlegung der Papier-e
ausstellte. Zudem ist nicht einzusehen, welches Interesse die Gemeinde
Oetwil an der Deposition der Originalansweisschriften des Rekurrenten
haben soll, da sich ja hieran keine besonderen Rechte knüpfen. Wie aus
der Rekursbeantwortung des Gemeinderates Oetwil hervorgeht, scheint dieser
der Ansicht zu sein, dass die Besteuerung des Rekurrenten davon abhänge,
wo seine PapiereII. Niederlassungsfreiheit. N° 6. 53

hinterlegt seien. Dies ist jedenfalls nicht richtig. Wenn es auch für
diese Besteuerung von Erheblichkeit ist, ob sich die Hauptniederlassung
in Egg oder Oetwil befindet, so kann es doch für sdie Entscheidung
dieser Frage nicht in Betracht fallen, wo zufällig der Heimat: oder der
Familienschein des Rekurrenten deponiert ist. Ebenso ist dies auch für
den Gerichtsstand ohne Bedeutung.

_3. Lässt sich somit aus Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV ein Recht der Gemeinde Oetwil auf die
Hinterleguug der Originalausweispapiere des Rekurrenten nicht herleiten,
so fragt es sich noch, ob die Auflage, sie zu deponieren, eine Erschwerung
der Niederlassungsfreiheit im Sinne der erwähnten Verfassungsbestimmung
bedeute. Nach der Praxis des Bundesrates ist es allerdings zulässig,
dass die Kantone von einem Niederlassungspetenten, obwohl Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV
das Recht hiezu nicht erteilt, u. a. einen Ausweis über den Zivilstand
verlangen, sofern sie die Erfüllung dieser Verpflichtung nicht zu einer
Bedingung für die Bewilligung der Niederlassung machen, sondern sich
damit begnügen, sie auf andere Weise, z. B. durch Ungehorsamsstrafen,
wie Bussen, zu erzwingen. (Salis, Bundesrecht 2. Aufl. II Nr. 547, 572,
574 und 575). Allein, während der Niedergelassene jederzeit in der Lage
ist, Erfordernisse, wie Ausweise über seinen Zivilstand, zu erfüllen,
ist es ihm bei mehrfacher Niederlassung geradezu unmöglich, dem Verlangen
jeder Gemeinde auf Hinterlegung von Qriginalschristen zu genügen. Der
Bundesrat hat denn auch in einem Beschlusse vom 16. August 1887 das
Begehren einer Ortspolizeibehörde um Einlegung eines eigentlichen
Heimatscheins an Stelle einer amtlichen Heimatrechtsbescheinigung
wegen Erschwerung der Niederlassungsfreiheit gemäss Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV als
unzulässig erklärt, obwohl damit nicht die Androhung der Verweigerung
der Niederlassung, sondern bloss diejenige verbunden worden war, dass
der Niederlassungspetent sonst als Hausierer betrachtet würde und der
Hausierpatenttaxe unterläge. In Ubereinsiimtnung mit der Auffassung,
die diesem Entscheide zu Grunde liegt, darf wohl angenommen werden,
dass es dem Sinn und Geist des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV nicht entspricht, wenn die
Kantone Ordnungsvorschriften ausstellen und anwenden, wodurch von einem
Niederlassungspetenten mit Bezug auf die Ausweisschriften mehr oder
anderes verlangt wird, als was aus jener Verfassungs-

AS 37 I 1911 3

84 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

bestimmung zu entnehmen ist. Ein Kanton könnte sonst die Erfüllung
solcher Vorschriften durch Strafen in einer Weise erzwingen, die der
Androhung der Niederlassungsverweigerung unter Umständen in der Wirkung
gleichkäme. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um mehrfache
Niederlassungen im nämlichen Kanton oder in verschiedenen Kantonen
handelt, da die Niederlassungsfreiheit nicht bloss im Umfange des
interkantonalen Verhältnisses garantiertist. Zum gleichen Ergebnisse
müsste man übrigens auch vom Standpunkte des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV aus gelangen;
denn es bedeutete geradezu eine Rechtsverweigerung, wenn Strafen aus
einem Umstande hergeleitet werden, dem der Niedergelassene allseitig
Genüge zu leisten gar nicht in der Lage ist.

4. Demgemäss erscheint die Auflagedes Gemeinderates von Oetwil vom
19. Juli 1.910, die Originalausweispapiere zu hinterlegen, als eine
Verletzung der Niederlassungsfreiheit des Rekurrenten. Das Urteil der
III. Appellationskammer des zürcherischen Obergerichtes vom 18. Oktober
1910 ist daher als Akt der Vollziehung jener gemeinderätlichen Verfügung
aufzuheben; damit wird der Frage, ob der Rekurrent den eigentlichen
Wohnsitz und damit die Hauptniederlassung in Egg oder in Oetwil habe,
in keiner Weise vorgegriffen. Ebenso bleibt es der Gemeinde Oetwil
unbenommen, nach Massgabe der zürcherischen Gesetzgebung für die
Niederlassung der Pflegetochter Kaution zu verlangen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen. Demgemäss wird das Urteil der
III. Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom
18. Oktober 1910 und damit auch das Urteil des Bezirksgerichtes Meilen
vom 22. September 1910 aufgehoben.III. Doppelhesteuerung. N° 7. 35

III. Doppelbesteuerung-. Double imposibion

7. guten vom 20. Januar 1911 in Sachen ss
Schweiz. Dementindustriegeleltfctjaft gegen Dur-ich und gt. Hallen

Besteuerung eines sich auf das Gebiet dreier Kantone

_ . , . , erstreckenden, einheitlichen Geeehaftsbetriebes : zur
Besteuerung eines Teils (in casu Hi 00/0) des Gesehaftseinliommens ist
auch derjenige Kanton berechtigt in, dessen Gebiet Sieh lediglich die
Überleitung befindet. '

A. Die Rekurrentin, eine Aktiengesell a t, at in ü ' ihren Sitz und
ist dort im Handelsregistfeck feinkketrageniZ g;? technische Teil ihres
Unternehmens, die Gewinnung des Rohmaterials, dessen Verarbeitung und
der Versand der Ware findet statt in Unterterzen und Wallenstadt. Die
kaufmännische Leitung des Geschäftes dagegen befindet sich in Ennenda;
dort wird di Vuchhaltung und die Korrespondenz geführt; von dort aus
werden die Verträge abgeschlossen In Zürich, am Sitze der Gesellschafte
wohnt der Verwaltungsratspräsident. Von dort aus werden die rechtlichen
Anstände und überhaupt die Präsidialangelegenheiten erledigt. Bis zum
Jahre 1909 wurde die Rekurrentin ausschliesslich im Kanton St. Gallen
besteuert. Für dieses Jahr dagegen wurde sie auch im Kanton Zürich zur
Besteuerung herangezogen. Die Steuerkommission der Stadt Zürich setzte
ihr steuerpflichtiges Einkommen auf 9700 Fr. fest, nämlich auf 10 0/0 des
gemäss den Isteuergesetzlichen Vorschriften berechneten Einkommens-. Durch
Verfügung der zürcherischen Finanzdirektion vorn 29. Oktober 1910 wurde
diese Besteuerung aufrecht erhalten, Der Regierungsrat des Kantons
St. Gallen beschloss seinerseits am 8. November 1910 daran festzuhalten,
dass die Rekurrentin im Kanton St. Gallen, für ihr ganzes Einkommen
steuerpflichtig sei.

B. Gegen die Entscheide der zürcherischen Finanzdirektion und des
st. gallischen Regierungsrates hat die Rekurrentin rechtzeitig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage,
es sei ihre Steuerpflicht nach billigem Ermessen
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 37 I 28
Date : 22. Februar 1911
Published : 31. Dezember 1911
Source : Bundesgericht
Status : 37 I 28
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung. 6. guten vom


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1881/II/673