402 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 11. Abschnitt. Bundesgesetze.

gesochtenen Entscheides. Nun ist nach der Bescheinigung der Standeskanzlei
Uri der Entscheid vom 5. März am 10. März ausgefertigt und dem
Landammann zur Einsicht und Weiterbeförderung zugestellt worden, und
da wiederum nach derselben amtlichen Bescheinigung die Ausfertigungen
vom Landammann jeweilen am gleichen oder spätestens am folgenden Tage
der Post übergeben werden, so ist anzunehmen, dass die Mitteilung an den
Zustellungsbevollmächtigten des Rekurrenten, Fürsprech Meyer in Altdorf,
jedenfalls vor dem 13. März geschehen ist. Die Unrichtigkeit dieser
Annahme, bezw. die Richtigkeit der Behauptung, dass die Zustellung
erst am 14. erfolgt sei, ist von den Reknrrenten nicht dargetan. Die
blosse Erklärung des Fürsprechs Meyer, dass seine Angabe richtig sei
und dass der Landammann die Ausfertigungen nicht immer sofort einsehe,
kann gegenüber der amtlichen Bescheinignng der Standeskanzlei nicht
als Gegenbeweis gelten. Ein anderer Beweis aber, insbesondere durch
Produktion des Couverts mit dem Poststempel, ist von den Rekurrenten
nicht angetreten worden. Es kann daher auf den Rekurs schon deshalb
nicht eingetreten werden, weil gegenüber dem Entscheide vom 5. Mai die
Rekursfrist nicht gewahrt ist.

2. Aber auch abgesehen hievon erweist sich der Rekurs als verspätet, weil
er sich seinem Inhalte nach in Wirklichkeit nicht gegen den Entscheid vom
5. März, sondern gegen denjenigen vom 11. Dezember richtet. Durch diesen
Entscheid war dem Rekurrenten J. Stierli in verbindlicher Weise aufgegeben
worden, einen mit Generalvollmacht ausgestatteten Vertreter im Kanton Uri
zu ernennen. Der Entscheid vom 5. März aber war nichts anderes als eine
blosse Ausführung desjenigen vom 11. Dezember: J. Stierli wurde darin
eingeladen, den Namen seines gesetzlichen Vertreters in Uri bis 15. März
dem Regierungsrat bekannt zu geben gemäss Entscheid vom 11. Dezember
1909. Damit wollte der durch diesen frühern Entscheid erfolgten Auflage
nichts neues hinzugefügt, sondern nur die Auflage ausgeführt werden. Die
Rekurrenten beschweren sich nun nicht etwa über die Art und Weise, in
welcher der Regierungsrat den frühem Beschluss hier aussührt, sondern
lediglich über die Auslage an sich, einen Generalvertreter im Kanton
Uri ernennen

ll. Organisation der Bundesrechtspflege. N° 73. 403

zu müssen. Jst aber danach der Rekurs bin Wirklichkeit nicht gegen die
Verfügung vom 5. März, sondern gegen den Beschluss vom 11. Dezember
gerichtet, so erweist sich derselbe auch dann als verspätet, wenn
angenommen wird, die Rekursfrist sei gegenüber der Verfügung vom 5. März
an sich gewahrt.

Die bundesgerichtliche Praxis geht denn auch, von besondern Fällen
abgesehen, dahin, dass der staatsrechtliche Rekurs sich gegen denjenigen
kantonalen Entscheid richten muss, der die angefochtene Verfügung
wirklich enthält, und dass er gegen blosse Vollziehungsmassregeln,
wie auch gegen blosse Entscheide über Wiedererwägungsgesuche, nicht
gerichtet werden kann, es sei denn, dass es sich um die Anwendung einer
objektiven Rechtsnorm auf streitige subjektive Rechtsverhältnisse
handle, was aber hier nicht der Fall ist, da der Entscheid des
Regierungsrates vom 11. Dezember sich bereits auf ein subjektives
Rechtsverhältnis bezog. Vergl. betreffend die Anfechtung von Entscheiden
über Wiedererwägungsgesuche: AS 33 I S. 110 f. Erw. 1; betreffend die
Anfechtung blosser Vollziehungsmassregeln: 1 S. 328, 2 S. 527, & S. 393
Erw. 3, 17 S. 368 Erw. 2, 32 I S. 643 f. Erw. 1, 33 I S. 639 f. Erw. 3.

Der vorliegende Rekurs ist somit auf alle Fälle verspätet.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Aus den Rekurs wird nicht
eingetreten.

· 73. guten vom 16. Heptember 1910 m Sachen "game. Jean Dieser &
Cie. gegen Baumann.

Anwendbarkeit der Bestimmung des Art. 178 Ziff. 3 OG (betr. 60-td'gige
Rekursfrist) auf die Beschwerden nach Art. 38 BG betr. die zivilr.
Verh. d. N. n. A., sofern es sich um die Anfechtung eines kantonalen
Entscheides durch einen Einzelnen und nicht um eine Streitigkeit
zwischen verschiedenen Kantonen oder Gemeinden verschiedener K an-tone
handelt. Begrifi der Erdssnung oder Mitteilung im Sinne des zitierten
Art. 178 Ziff. 3 OG ; nach solothnrnischem Recht: die gesetzlich
vorgesehene, mündliche Eröfinnng des Dispositivs unmittelbar nach
Ansfdllnng des Urteils ; Unerheblichkeit einer allfälligen spä--

404. A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.

tern, u. U. sogar erst nach Ablauf der 60 ta'gigen Bekursfrist erfol.
genden, im Gesetze nicht vorgesehenen Anzeige, (lass das Gerichtsprotokoll
zur Einsicht aufliege. Möglichkeit, in einem folchen Falle die Begründung
des staatsrechtliehen Reknrses zu erganzen, sobald die Motive des
kantonalen Urteils bekannt gegeben sind.

A. In einem Zivilprozess der Rekursbeklagten gegen die Rekurrentin erliess
das Obergericht des Kantons Solothurn am 8. März 1910 folgendes Urteil:

1. Die Zuwendungen der Frau Baumann im Betrage von 10,000 Fr. sind
ungültig. Die Beklagtschaft hat diesen Betrag samt Zins zu 50/0 seit
Ausrichtung im Jahre 1900/01 zuruckzuerstatten. Die Pfanddargaben durch
die Frau Baumann an die Beklagtschaft sind beide ungültig. Frau Baumann
ist berechtigt, über die in Drittmannshand liegenden Versicherungssummen
zu verfügen.

2. Die Ungültigkeit ergreift alle vertraglichen Pflichten aus dem
Vertrage vom 12. Oktober 1900 und seinen Folgeverträgen, welche von der
Frau Baumann eingegangen sind, unter Vorbehalt derjenigen, welche sich
aus ihrer Stellung als Geschäftsführerin oder zufolge der Zuwendungen
der Beklagtschaft aus dem Titel der Bereicherung ergeben könnten.

Z. Die Liquidation des Geschäftes in Langenthal erfolgte auf Rechnung
der Beklagtschast und es ist deshalb dieselbe berechtigt, Über den Erlös,
welcher hinterlegt ist, zu verfügen.

4. Die Widerklage ist abgewiesen.

Das Urteil wurde den anwesenden Parteien im Dispositiv sofort mündlich
eröffnet. Am 18. Mai erhielten die Parteien die Mitteilung, dass ihnen das
Gerichtsprotokoll (Dispositiv und Begründung) zur Einsicht offen stehe.

B. Am 18. Juli 1910 hat die Rekurrentin gegen das obergerichtliche
Urteil die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht ergriffen mit
dem Antrag:

Das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 8. März 1910 sei
wegen Verletzung des Bundesgefetzes betreffend die zivilrechtlichen
Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter aufzuheben, und es
sei die Zivilstreitsache zwischen den Parteien zu neuer richterlicher
Entscheidung im Sinne der Weisungen des Bundesgerichts an den kantonalen
Richter zurückzuweisen.ll. Organisation der Bundesrechtspflege. N° 73. 405

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 178 Ziff. 3 OG beträgt die Frist zum staatsrechtlichen
Rekurse 60 Tage von der Eröffnung oder Mitteilung des angefochtenen
kantonalen Entscheides an. Diese Vorschrift gilt auch für Beschwerden nach
Art. 38 BG betr. vzivilr. V. d. N. u. A. und Art. 80 Ziff. 3 OG, sofern es
sich, wie hier, um die Anfechtung eines kantonalen Entscheides durch einen
Einzelnen und nicht um eine Streitigkeit zwischen verschiedenen Kantonen
oderGemeinden verschiedener Kantone handelt (BGE 20 S. 38; 23 S. 1488;
32 I S. 485; 33 I S. 376 Erw. 4). Unter Eröffnung oder Mitteilung im
Sinne des Gesetzes ist gemäss ständiger Praxis die nach kantonalem Recht
massgebende Kundgabe des Urteils an die Parteien zu verstehen (AS 34 I
S. 459 f. und die dortigen Zitate). Nach der solothurnischen ZPO ist dies
die mündliche Eröffnung des Urteils an die Parteien nach dem Abspruch,
wie sie in Art. 195 angeordnet ist. Eine andere Art der Urteilsmitteilung
an die Parteien ist im Gesetz überhaupt nicht vorgesehen (ausgenommen
bei Versäumnisurteilen, Art. 213), insbesondere keine Anzeige, dass das
Protokoll zur Einsicht der Parteien aufliege. Auch laufen vom Abspruch
und damit von der mündlichen Eröffnung nach Art. 195 an die Fristen für
die kantonalen Rechtsmittel (Art. 221 Appellation, 224 neues Recht,
235 Revision). Die mündliche Eröffnung ist daher auch massgebend für
den Eintritt der Rechts.kraft; die obergerichtlichen Urteile erwachsen
zweifellos sofort mit der mündlichen Eröffnung in Rechtskraft, soweit
sie natürlich nicht der Berufung ans Bundesgericht unterliegen.

Jst aber die mündliche Eröffnung die nach kantonalem Recht massgebende
Bekanntmachung der Urteile an die Parteien, so muss sie auch dann als
Mitteilung nach Art. 178 Ziff. 3 OG angesehen werden, wenn regelmässig,
wie es auch hier der Fall war, nur das Dispositiv mündlich eröffnet wird
und die Parteien von

den Motiven erst später Einsicht nehmen können. Das Bundes-

gericht hat sich schon wiederholt in diesem Sinne ausgesprochen

(AS 28 I S. 255; 25 I S. 62), und zu einem abweichenden

Entscheid liegt kein Anlass vor. Auch der Umstand, dass im vor-

liegenden Fall die Rekurrentin erst nach Ablauf der 60-tägigen AS 36 I
-1910 27

406 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

Frist seit der mündlichen Eröffnung Kenntnis von der Urteilsbegründung
erhielt, kann keine nachträgliche Verschiebung des Frist-. beginns
bewirken; denn das Gesetz stellt für den Ausgangspunkt der Frist
auf einen einmaligen bestimmten Akt die Eröffnung oder Mitteilung des
Entscheides ab, womit die Auffassung, dass nachträglich je nach Umständen
ein anderer Akt massgebend werden solle, schlechterdings unvereinbar
ist. Die 60-tägige Frist für den staatsrechtlichen Rekurs ist so reichlich
bemessen, dass aller Regel nach die Parteien innert derselben auch von
den Motiven Kenntnis erhalten werden. Auch für Solothurn dürfte dies
zutreffen, da nach der CPO, Art. 196, in der dem Abspruch folgenden
Versammlung des Gerichts die Verlesung und Genehmigung des Protokolls
stattfinden soll. Jst ausnahmsweise einer Partei infolge Säumnis der
kantonalen Organe oder anderer Umstände die Kenntnis der Motive erst
nach Ablauf der SOtägigen Frist möglich, so ist sie doch in der Lage,
ihren staatsrechtlichen Rekurs, wenigstens vorläufig, zu begründen, um
dies dann nachträglich, nachdem die Motive des kantonalen Entscheides
vorliegen, noch eingehender zu tun, ein Verfahren, das in diesem Fall
als zulässig betrachtet werden müsste (BGE 28 I S. 255).

2. Da der vorliegende Rekurs nicht innert der 60-tägigen Frist seit
der Mitteilung des angefochtenen Urteils erhoben ist, kann darauf wegen
Verspätung von vornherein nichtZeingetreten werben. Die Frage, ob auch
aus andern Gründen nicht hätte eingetreten werden können, bedarf unter
diesen Umständen keiner Erörterung

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Auf den Rekurs wird nicht eingetreten.

Vergl. ausserdem Nr. 65 Erw. 1, Nr. 67 siErw. 1, Nr. 69Voir également n°
65 consid. 1, n° 67 consid. 1, n° 69.Dritter Abschnitt. Troisième section.

Kantonsverfassungen.

Constitutions cantonales.

M

Gewaltentrennung. Séparation des pouvoirs.

74. Arten vom 6. Juli 1910 in Sachen Hehtifmann gegen Yen-'u.

Angebliehe Verletzung der persönlichen Freiheit und angeblicher
Uebergri/f ssm das Gebietaer gesetzgebenden Gewalt durch Bewilligung
tler Auslieferung in einem durch das Bundesgesetz von 1852 nicht
vorgesehenen Fall. Untersuchung und Bejahung der Frage ab ohne Willhur
davon ausgegangen werden konnte, es bestehe im I'l'erha'ltnis mit dem
.betrefienden Kanton eine reehtsgültige Gegenrechtserhlärun Subsumtion
solcher Gegenrechtserhldrungen, wie auch der honkretgn Auslieferungen,
unter den Begriff der Regierungshandlungen.

'A. Durch Verfügung vom 25. A ril 1910 att giernngsrat des Kantons
Bern die Auslieferungh dxsdeGekg Schiffmann wegen Begünstigung der
gewerbsmässigen Unzucht begangen wnn Kanton Zürich, an den Kanton Zürich
angeordnetobschon Schiffmann sich der Auslieferung widersetzte In der
Ansliefernngsverfügung vom 25. April 1910 geht der Regierungsrat vdes
Kantons Bern davon aus, dass weder ein Auslieferungsdelikt im Sinne des
Bundesgesetzes vom 24. Juli 1852

, eingeklagt sei noch das Konkordat vom Jahre 1818 über die gegen-

seitige Stellung der Fehlbaren in Polizeistrafsällen Anwendung finde ,
dagegen nimmt der Regierungsrat des Kantons Bern den
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 36 I 403
Date : 16. Januar 1910
Published : 31. Dezember 1910
Source : Bundesgericht
Status : 36 I 403
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 402 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. 11. Abschnitt. Bundesgesetze. gesochtenen


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28-I-253
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